S 8 AL 117/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AL 117/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höhere Arbeitslosenhilfe.

Der am 00.00.1957 geborene Kläger ist Diplom-Designer. Nach dem Bezug von Sozialhilfe absolvierte er vom 16.02.1998 bis zum 15.02.1999 eine Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme bei der Stadt B. Anschließend bezog er ab 16.02.1999 bis 20.08.1999 Arbeitslosengeld, seither erhält der Kläger Arbeitslosenhilfe.

Mit Bescheid vom 21.07.2003 bewilligte die Beklagte Arbeitslosenhilfe ab 20.08.2003 in Höhe von 207,20 EUR aufgrund eines Leistungsentgeltes in Höhe von 363, 51 EUR wöchentlich. Zur Berechnung des Leistungsentgeltes wies sie darauf hin, dass u. a. Kirchensteuer in Höhe von 1,51 EUR wöchentlich berücksichtigt werde. Zudem teilte die Beklagte mit, das der Berechnung der Arbeitslosenhilfe zugrunde gelegte Bemessungsentgelt werde jeweils nach Ablauf eines Jahres seit der Entstehung des Anspruchs um 3 % gemindert. Demzufolge betrug das Bemessungsentgelt nicht mehr – wie zuletzt für die Zeit ab 01.01.2003 festgelegt – 500 EUR, sondern nur noch 485 EUR. Schließlich passte die Beklagte die Arbeitslosenhilfe nicht an die allgemeine Einkommensentwicklung an. Hierauf war der Kläger bereits mit dem letzten Bewilligungsbescheid vom 18.01.2003 hingewiesen worden.

Im Widerspruchsverfahren meinte der Kläger, die Nichtanpassung an die allgemeine Einkommensentwicklung und die Absenkung des Bemessungsentgeltes um 3 % seien mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht habe mit Urteil vom 24.05.2000 ausgeführt, die Leistungsgewährung ziele auf den Erhalt des Lebensstandards auf der Grundlage der Entgelte aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis ab. Gemäß § 198 SGB III bestehe zudem grundsätzliche Anspruchsidentität von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Auch der Kirchensteuerabzug sei verfassungswidrig. Dies ergebe sich aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.1994.

Mit Bescheid vom 24.09.2003 wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf die gesetzlichen Regelungen (§§ 136, 200 Abs. 3 SGB III) zurück.

Hiergegen richtet sich die am 09.10.2003 erhobene Klage. Die Beteiligten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 21.07.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.09.2003 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, höhere Arbeitslosenhilfe (Nichtberücksichtigung der Kirchensteuer, keine Senkung um 3 %, Anpassung der Arbeitslosenhilfe an die allgemeine Einkommensentwicklung) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Arbeitslosenhilfe.

Die Beklagte hat die Arbeitslosenhilfe zutreffend berechnet. Insoweit folgt das Gericht der Begründung des Widerspruchsbescheides (§ 136 Abs. 3 SGG).

Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers gegen diese Rechtslage greifen nicht durch. Der Gesetzgeber hat mit der Aufhebung von § 201 SGB III durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 ab 01.01.2003 und durch die Neuregelung von § 200 Abs. 3 SGB III, angefügt ebenfalls durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt dem Konsolidierungsinteresse des Bundeshaushaltes in zulässiger Weise Rechnung getragen. Im Gegensatz zur Meinung des Klägers führt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2002 – 1 BvL 1, 4/98 und 1 BvL 15/99 – zu keiner anderen Bewertung. Das Bundesverfassungsgericht hat hier lediglich entschieden, dass der Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz) gebietet, einmalig gezahltes Arbeitsentgelt bei der Berechnung von kurzfristigen beitragsfinanzierten Lohnersatzleistungen, wie beispielsweise Arbeitslosengeld und Krankengeld, zu berücksichtigen, wenn es zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen wird. Im Gegensatz zur Meinung des Klägers hat das Bundesverfassungsgericht sich nicht dazu geäußert, dass die Arbeitslosenhilfe einen einmal erreichten Lebensstandard sichern muss. Vielmehr ist gerade bei nicht beitragsfinanzierten bedürftigkeitsabhängigen Lohnersatzleistungen ein weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers anzunehmen (zur Einschränkung von Ansprüchen auf Sozialleistungen vergl. u.a. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24.03.1998 – 1 BvL 6/92 -).

Auch die Berücksichtigung der Kirchensteuer bei der Berechnung des Leistungsentgeltes ist nicht verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23.03.1994 – 1 BvL 8/95 – entschieden, dass es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, auch bei Arbeitslosen, die keiner Kirche angehören, bei der Berechnung des Nettoentgeltes, nach dem sich die Höhe des Arbeitslosengeldes bestimmt, einen Kirchensteuer-Hebesatz zu berücksichtigen. Hieran anschließend hat das BSG in seinen Entscheidungen vom 08.11.2001 – B 11 AL 43/01 R -, 31.03.2002 – B 7 AL 18/01 R - und 25.06.2002 – B 11 AL 55/01 – ausdrücklich dargelegt, dass § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III nicht verfassungswidrig ist. Dieser Rechtsauffassung schließt das Gericht sich an. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in seiner genannten Entscheidung dem Gesetzgeber aufgetragen, hinsichtlich des Anteils der kirchenzugehörigen Arbeitnehmer die weitere Entwicklung zu beobachten, um wesentlichen Veränderungen rechtzeitig Rechnung tragen zu können. Die Beobachtungs- und Handlungspflicht des Gesetzgebers hat das Bundesverfassungsgericht daraus hergeleitet, dass es mit dem vom Gesetzgeber selbstgewählten Ansatz und dem Gebot der Normenklarheit nicht mehr vereinbar wäre, die Kirchensteuer bei der Berechnung des Nettolohnes auch dann noch als gewöhnlich anfallenden gesetzlichen Abzug in Ansatz zu bringen, wenn die Zugehörigkeit zu einer Kirche, die Kirchensteuer erhebt, nicht mehr als für Arbeitnehmer typisch angesehen werden könne, wenn also nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer solchen Kirche angehöre.

Das Gericht hat bereits Zweifel, ob diesem Ansatz uneingeschränkt zu folgen ist. Denn bei der Regelung des § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III handelt es sich lediglich um eine Berechnungsgrundlage des Arbeitslosengeldes. Es wäre dem Gesetzgeber unbenommen, anstelle dieser Regelung eine pauschale, prozentuale oder sonst wie bezifferte Änderung des Leistungsentgeltes oder des Leistungssatzes vorzuschreiben, ohne dass hiergegen verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht werden könnten. Es ist für das Gericht daher nur schwer nachvollziehbar, dass gerade die Bezeichnung "Abzug wegen Kirchensteuer" zu verfassungsrechtlichen Bedenken führen soll. Schließlich ist es gerade nicht so, dass aus dem Arbeitslosengeld Kirchensteuer abgeführt wird.

Auch unter Zugrundelegung des Ansatzes des Bundesverfassungsgerichts ist § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III jedoch nicht zu beanstanden. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in einer Auskunft am 13.09.2002 mitgeteilt, dass zum Jahresende 2000 nach den Meldungen der evangelischen Kirche Deutschlands und der deutschen Bischofskonferenz immer noch 64,9 % der Bevölkerung Mitglied einer Kirche gewesen sind. Deshalb kann auch weiterhin angenommen werden, dass eine Mehrheit der Arbeitnehmer einer die Kirchensteuer erhebenden Kirche angehört (LSG Rheinland-Pfalz vom 26.06.2003 – L 1 AL 174/02 - ).

Für die Entscheidung des Rechtsstreites ist unerheblich, ob zwischenzeitlich der Anteil der Arbeitnehmer, die einer zur Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten Kirche angehören, sich weiter verringert hat, denn dem Gesetzgeber steht eine Beobachtungszeit zu. Er ist erst zu einer Änderung angehalten, wenn Zahlen vorliegen, wonach der Anteil derjenigen Arbeitnehmer, die einer steuererhebenden Kirche angehören, unter 55 % gesunken ist (BSG, Urteil vom 25.6.2002 – B 11 AL 55/01 R -). Da die entsprechenden Zahlen jedenfalls erst gut drei Jahre nach Ablauf des Jahres, auf das sie sich beziehen, vorliegen (BSG aaO), kann der Gesetzgeber erst im Jahre 2004 wissen, ob im Jahre 2001 diese Grenze unterschritten ist. Erst dann kann er reagieren (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.01.2003 – L 5 AL 2236/02 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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