L 3 RJ 22/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 15 (3,8) RJ 222/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RJ 22/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 37/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.01.2003 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10.07.2003 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Altersrente für den zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann der Klägerin T Q, die Gewährung einer Hinterbliebenenrente für die Klägerin sowie die Anerkennung einer Beschäftigung im Sinne des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) streitig.

Der Ehemann der Klägerin wurde am 00.00.1928 in C als polnischer Staatsangehöriger geboren. Ab dem 10. Lebensjahr besuchte er die Volksschule. Im Januar 1940 wurde er in das Ghetto C verbracht und von dort im Juni 1943 in das KZ Waldenburg. Dort wurde er im Mai 1945 befreit. Nachdem er zunächst für eine kurze Zeit nach Polen zurückgekehrt war und einige Zeit in einem Lager für "displaced Person" (DP-Lager) in Bergen-Belsen verbracht hatte, wanderte er im Juli 1948 nach Israel ein. Dort diente er zwei Jahre beim Militär und wurde 1950 entlassen. Er war israelischer Staatsangehöriger und entrichtete von 1954 bis Ende 1990 Beiträge zur israelischen Nationalversicherung. Er war anerkannter Verfolgter im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) und bezog Leistungen nach diesem Gesetz. Die Klägerin heiratete er 1959.

Am 20.12.1990 stellte er einen Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen und am 09.01.1991 beantragte er die Gewährung eines Altersruhegeldes. Er verstarb am 00.02.1992. Die Klägerin beantragte am 06.07.1992 die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Hinsichtlich der zurückgelegten Versicherungszeiten gab sie an, dass ihr Ehemann von Juli 1942 bis Mai 1943 als Arbeiter bei der Firma M, I, Sattler- und Militärbekleidungsfabrik, in C gearbeitet habe. Er habe ein monatliches Arbeitsentgelt erhalten, dessen Höhe ihr nicht erinnerlich sei. Sie legte eine schriftliche Erklärung der Zeugin N U vor. Diese bestätigte eine Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin von Sommer 1942 bis Mitte 1943 als Arbeiter bei der Firma M und I in C.

Mit Bescheid vom 20.10.1992 lehnte die Beklagte den Antrag auf Altersrente und Gewährung einer Hinterbliebenenrente ab. Es seien keine Beiträge zur deutschen Rentenversicherung nachgewiesen. Die in der Zeit von Sommer 1942 bis Mitte 1943 verrichtete Tätigkeit sei als Zwangsarbeit anzusehen und sei somit keine versicherungspflichtige Tätigkeit.

Den Widerspruch der Klägerin vom 06.11.1992 wies die Beklagte nach Beiziehung der Entschädigungsakte mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.1998 als unbegründet zurück. Da ein rentenversicherungspflichtiges Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnis nicht bestanden habe, könnten auch Ersatzzeiten nicht berücksichtigt werden.

Die Klägerin hat am 01.10.1998 Klage erhoben. Die Tätigkeit ihres Ehemannes in der Sattel- und Militärbekleidungsfabrik sei keine Zwangsarbeit gewesen. Die Zeugen hätten im Verwaltungsverfahren glaubhaft bekundet, dass es sich um eine Beschäftigung gegen Entgelt gehandelt habe. Im übrigen seien Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit zumindest bis 1948 anzuerkennen.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin N U. Diese hat unter anderem ausgeführt, dass der Ehemann der Klägerin in der fraglichen Zeit in der Fabrik von Lodz gearbeitet habe, bis er 1943 in die Lager transportiert worden sei. Wegen der weiteren Angaben der Zeugin wird auf das Protokoll des Amtsgerichts Tel Aviv vom 27.10.1999 (Übersetzung Bl. 57 ff. der Streitakte) verwiesen.

Mit Urteil vom 09.01.2003 hat das Sozialgericht Düsseldorf die Klage abgewiesen. Es könne nicht als überwiegend wahrscheinlich gelten, dass der Ehemann der Klägerin in der Zeit von Juli 1942 bis Mai 1943 eine freiwillige und entgeltliche Tätigkeit verrichtet habe. Die Angaben der Zeugin seien widersprüchlich. Während sie in ihrer Erklärung im Mai 1992 angegeben habe, dass der Ehemann der Klägerin in der fraglichen Zeit die von der Klägerin behauptete Tätigkeit verrichtet habe, erkläre sie nun, er habe in der fraglichen Zeit in der Fabrik von Lodz gearbeitet. Dies sei unverständlich, da Lodz ca. 190 km von C entfernt liege und in dem Lebenslauf des Ehemannes der Klägerin nie aufgetaucht sei. Sie habe auch keine Angaben dazu machen können, wie es zur Arbeitsaufnahme gekommen sei und ob auf den Ehemann der Klägerin Zwang ausgeübt worden sei. Zweifel ergäben sich auch deshalb, da die Zeugin angegeben habe, die Bezahlung sei wahrscheinlich in polnischer Währung erfolgt. Im Regierungsbezirk Kattowitz sei bereits 1939 die Reichsmark als einzig gültiges Zahlungsmittel eingeführt worden. Aus den Entschädigungsakten ergäben sich keine Hinweise auf die Ausübung der Tätigkeit bei der Firma M. Es könne weder auf eine versicherungspflichtige Tätigkeit noch auf eine Zwangsarbeit geschlossen werden. Die Zweifel am Vorliegen einer versicherungspflichtigen Tätigkeit gingen zu Lasten der Klägerin.

Die Klägerin hat am 11.02.2003 gegen das ihr am 29.01.2003 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass aufgrund der Zeugenaussage eine versicherungspflichtige Beschäftigung ihres Ehemannes hinreichend glaubhaft gemacht sei. Die Übersetzung des Vernehmungsprotokolls vom 27.10.1999 vor dem Amtsgericht Tel Aviv unrichtig. Es müsse dort nicht heißen "In der Fabrik von Lodz" sondern "In der Fabrik von M".

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.01.2003 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.10.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.09.1998 und des Bescheides vom 10.07.2003 zu verurteilen, ihr als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes Altersrente bis zum 08.02.1992 und ab diesem Zeitpunkt Witwenrente unter Anerkennung einer Beitragszeit vom 01.07.1942 bis zum 31.05.1943, eine Ersatzzeit wegen Verfolgung von Juni 1943 bis Mai 1945 und eine Anschlussersatzzeit von Mai 1945 bis Dezember 1955 wegen verfolgungsbedingter Krankheit nach Verfolgung desgleichen nach verfolgungsbedingter Arbeitslosigkeit zu gewähren sowie die Nachentrichtung von Beiträgen zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, dass die angefochtenen Bescheide rechtlich nicht zu beanstanden seien. Sie verweist auf die ihrer Auffassung nach zutreffenden Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf.

Der Senat hat Beweis erhoben zur Übersetzung des Vernehmungsprotokolls vom 27.10.1999 durch Vernehmung des Übersetzers Alexander Mann. Hinsichtlich des Inhaltes seiner Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20.10.2003 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte, die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, (Az.: 000), die Verwaltungsakte des Bayerischen Landesentschädigungsamtes (Az.: 000) und des Landgerichts Nürnberg-Fürth (Az.: E.K. II. Nr. 278/53) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, denn sie ist mit der am 25. Mai 2004 ordnungsgemäß zugestellten Benachrichtigung vom Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat weder Anspruch auf Altersruhegeld als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehegatten noch auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente. Die Wartezeit für diese Rentenleistungen ist nicht erfüllt.

Da der verstorbene Ehemann der Klägerin die Gewährung von Altersrente im Januar 1991 beantragt hat, sind gemäß §§ 300 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) die Regelungen der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung anzuwenden.

Nach § 1248 Abs. 5 RVO erhält Altersruhegeld ein Versicherter, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach § 1248 Abs. 7 Satz 3 RVO erfüllt, also eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat. Nach § 1250 Abs. 1a und 1b RVO sind anrechnungsfähige Versicherungszeiten unter anderem Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten (Beitragszeiten) sowie Zeiten ohne Beitragsleistungen nach § 1251 RVO (Ersatzzeiten).

In Ostoberschlesien ist das Recht der RVO durch § 1 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 der Ostgebiete-Verordnung vom 22.12.1941 rückwirkend zum 01.01.1940 eingeführt worden. Auf die behauptete Beschäftigung des Ehemannes der Klägerin in der Zeit von Juli 1942 bis Mai 1943 ist daher die frühere Vorschrift der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung (§ 1226 RVO) in der damals gültigen Fassung (a.F.) anzuwenden.

Nach § 1226 Abs. 1 RVO a.F. wurden in der Arbeiterrentenversicherung insbesondere Arbeiter versichert. Unter einem Arbeiter war nach dem damaligen Recht eine Person zu verstehen, die als solche beschäftigt und aufgrund dieser Beschäftigung pflichtversichert war, wie eine Person im Sinne der Nachfolgevorschrift des § 1227 Abs. 1 RVO, die als Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigt war, d.h. nicht selbständige Arbeit verrichtete.

Die von der Klägerin angegebene Beschäftigung ihres Ehemannes bei der Sattler- und Militärbekleidungsfabrik M ist als Beitragszeit nicht zu berücksichtigen, da die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung des Ehemannes der Klägerin weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht ist.

Eine Tatsache ist nach § 3 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die gute Möglichkeit, dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unbeachtlich. Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen neben der ausdrücklich in § 3 Abs. 2 WGSVG genannten eidesstattlichen Versicherung alle Mittel in Betracht, die generell geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit der Tatsache in ausreichendem Maße darzutun. Dabei sind ausgesprochen naheliegende, der Lebenserfahrung entsprechende allgemeine Umstände zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 17.12.1980, 12 RK 42/80, SozR 5070 § 3 Nr. 1). Die Glaubhaftmachung setzt somit voraus, dass hinsichtlich seines Inhaltes und zeitlichen Verlaufs sowie auch der tatsächlichen Entlohnung ein hinreichend kontinuierliches und konkretisiertes Beschäftigungsverhältnis die überwiegend wahrscheinliche Sachverhaltsvariante darstellt (vgl. LSG NW, Urteil vom 23.10.2000, L 3 RJ 60/99).

Der Senat sieht es als nicht überwiegend wahrscheinlich an, dass der Ehemann der Klägerin von Juli 1942 bis Mai 1943 eine entgeltliche, versicherungspflichtige Beschäftigung ausübte. Er selbst hat weder im Entschädigungsverfahren noch beim Rentenversicherungsträger eine Tätigkeit bei der Firma M angegeben. Im Entschädigungsverfahren hat er angegeben, bis 1943 im Ghetto gewesen und dann ins KZ Waldenburg gekommen zu sei. Er sei dort als Zuträger bei Bauarbeiten eingesetzt gewesen. Er habe überall unter den Lebensbedingungen zu leiden gehabt und habe trotz seines jugendlichen Alters schwere Zwangsarbeiten verrichten müssen. Die Angaben zu den ausgeübten Tätigkeiten beziehen sich nur auf Zeiten, die er im Lager verbrachte. Hinweise auf eine Beschäftigung während des Ghettoaufenthalts sind diesen Ausführungen nicht zu entnehmen.

Die Angaben der Klägerin zum Versicherungsleben ihres Ehemannes im Jahre 1992 sind nicht geeignet, eine Beschäftigung glaubhaft zu machen. Zu diesem Zeitpunkt war ihr Ehemann bereits verstorben; er verstarb im Februar 1992. Die Angaben der Klägerin beruhen nicht auf eigener Kenntnis, denn sie lernte den Kläger erst nach seiner Einreise nach Israel kennen und heiratete ihn im Jahre 1959. Es sind Angaben vom Hörensagen.

Auch die Erklärungen der Zeugin N U sind nicht geeignet die Ausübung einer Beschäftigung des Ehemannes der Klägerin bei der Firma M in C glaubhaft zu machen. Sie ist 1927 in C geboren und damit in ungefähr gleichem Alter wie der Ehemann der Klägerin. Sie hat in der Nachbarschaft gewohnt und hat ausgeführt, dass sie derselben Jugendorganisation wie der Ehemann der Klägerin angehört habe und dass sie sich auch zu Hause getroffen hätten. Sie weiß nicht, welche Arbeiten der Ehemann der Klägerin konkret ausgeübt hat, und ob Zwang ausgeübt wurde bzw. ob eine Überwachung stattgefunden hat. Sie kann auch keine Angaben zur Höhe des Lohnes machen und ob der Ehemann der Klägerin Lohn in anderer Form als Geld erhalten habe. Auch wenn sie in ihrer eidesstattlichen Erklärung aus Mai 1992 erklärt hat, dass der Ehemann der Klägerin den damals üblichen Lohn erhalten habe, so konnte sie sich bei ihrer Vernehmung nicht mehr an die genaueren Umstände über die Höhe und der Lohnzahlung erinnern. Es ist nachvollziehbar, dass die Zeugin hieran nur wenig konkrete Erinnerungen hat. Sie kannte den Kläger aus der Nachbarschaft und sie waren in der gleichen Jugendorganisation. Angaben, worauf ihre Kenntnisse genau beruhen, macht sie nicht. Da Sie nicht mit dem Kläger zusammengearbeitet hat, ist nicht davon auszugehen, dass ihre Ausführungen auf direkte eigene Kenntnisnahme beruhen. Zweifel bestehen auch, weil die Zeugin nicht in der Lage ist, zu Lebensumständen des Ehemannes der Klägerin nach der Schulzeit bis zur Aufnahme der angegebenen Beschäftigung bei der Firma M zu machen. Sie weiß nicht, ob er weiter zur Schule gegangen ist oder ob er gearbeitet hat. Es ist daher nicht wahrscheinlich, dass sie genau weiß, von wann bis wann der Ehemann der Klägerin bei der Firma M gearbeitet hat und dass er ohne Unterbrechung gearbeitet hat. Die ansonsten ungenauen Erinnerungen der Klägerin begründen Zweifel an ihren Angaben zu der Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin bei der Firma M. Es sind keine besonderen Umstände ersichtlich, die Anlass zu der Annahme geben, dass sich die Zeugin gerade an genaue Zeitangaben bezüglich dieser Beschäftigung erinnert.

Aber selbst wenn die angegebene Beschäftigungszeit zugrunde gelegt wird, ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Ehemann der Klägerin eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hat. Auch wenn die Zeugin 1992 erklärt hat, dass er den damals üblichen Lohn erhalten habe, kann dies die Annahme einer entgeltlichen Beschäftigung nicht begründen. Die Zeugin erinnert sich nicht, in welcher Form und in welcher Höhe eine Zahlung von Entgelt erfolgte. Sie vermutet, dass die Zahlung in polnischer Währung erfolgte. Jedoch wurde im Regierungsbezirk Kattowitz bereits Ende 1939 die Reichsmark als Zahlungsmittel eingeführt. Dies belegt wiederum das im Allgemeinen ungenaue Erinnerungsvermögen der Zeugin. Ihre Angaben sind somit nicht geeignet, eine Beschäftigung gegen Entgelt glaubhaft zu machen.

Da keine Beitragszeiten glaubhaft gemacht sind, können auch Ersatzzeiten nicht berücksichtigt werden.

Da die Voraussetzungen für den Bezug eines Altersruhegeldes wegen fehlender anrechenbarer Versicherungszeiten nicht in Betracht kommt, sind auch die Voraussetzungen für die Gewährung einer Hinterbliebenenrente nicht erfüllt. Auch hierfür ist die Erfüllung einer Wartezeit von 60 Kalendermonaten Versicherungszeiten Voraussetzung. Der aufgrund des im Jahre 1992 eingetreten Leistungsfalles anwendbare § 46 SGB VI fordert insoweit die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit durch den Versicherten.

Die zweitinstanzliche Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10.07.2003 lehnt zu Recht einen Anspruch der Klägerin nach dem ZRBG ab.

Der Bescheid vom 10.07.2003 ist nach § 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG analog kraft Gesetzes Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Hiernach wird ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Berufungsverfahrens, wenn er den alten, ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt.

Mit dem ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 20.10.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.09.1998 wie auch mit dem genannten Bescheid hat es die Beklagte jeweils für Vergangenheit und Zukunft abgelehnt, Altersruhegeld bzw. Hinterbliebenenrente zu bewilligen. Beide Bescheide verneinen denselben Rentenanspruch unabhängig voneinander und stehen zueinander vergleichbar in dem Verhältnis des Erstbescheides zum Zweitbescheid (hierzu: Meyer- Ladewig, SGG, 7. Auflage, 2002, nach § 54 Rdnr. 9; § 77 Rdnr. 6 mit weiteren Nachweisen) mit der Besonderheit, dass hier die Beklagte im Rahmen des "Zweitbescheides" aufgrund zwischenzeitlich in Kraft getretenen neues Rechts entschieden hat. Mit dem "Zweitbescheid" vom 10.07.2003 hat die Beklagte den "Erstbescheid" vom 20.10.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.1998 weder ganz (Ersetzung) noch teilweise (Änderung) zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X). Vielmehr lässt der "Zweitbescheid" den "Erstbescheid" unberührt. Folglich liegen die Voraussetzungen von § 96 Abs. 1 SGG - seinem Wortlaut nach - nicht vor. Die Bestimmung ist aber über ihren Wortlaut hinaus so weit auszulegen; der maßgebliche Gesichtspunkt ist der der Prozessökonomie (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 96 Rdnr. 4). Rechtfertigt dieser Grundgedanke die Einbeziehung und steht der neue Verwaltungsakt mit dem bisherigen Streitstoff in Zusammenhang, so ist § 96 SGG nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zumindest entsprechend anwendbar (Urteil vom 24. November 1978, - 11 RA 9/78 -, BSGE 47, 170, SozR 1500 § 96 Nr. 13; Meyer-Ladewig, a.a.O.). Beide Bescheide sind in Regelungsgehalt und Streitstoff weitgehend kongruent. Es erscheint daher prozessökonomisch, über beide Bescheide im gemeinsamen Verfahren zu entscheiden (mit gleichem Ergebnis: Urteile vom 15.10.2003 - L 8 RJ 38/00, LSG NRW; vom 07. November 2003 - L 13 RJ 46/00 - LSG NRW; vom 13.02.2004, - L 4 RJ 96/03 - LSG NRW; gegen Einbeziehung nach § 96 SGG: Urteil vom 12.09.2003, - L 14 RJ 70/02 - LSG NRW, allerdings bei "Zweitbescheid" an Rechtsnachfolger des Adressaten der Ursprungsbescheide).

Eine Berücksichtigung der nunmehr angegebenen Beschäftigungszeiten im Ghetto C nach Maßgabe des ZRBG ist nicht möglich, da dessen Voraussetzungen nicht glaubhaft gemacht sind. Leistungen nach dem ZRBG erhalten Verfolgte im Sinne des BEG, die sich zwangsweise in einem Ghetto, welches sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, aufgehalten haben und dort eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG). Es ist aber weder bewiesen noch glaubhaft gemacht, dass der Ehemann der Klägerin im Ghetto C eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hat. Insoweit wird auf die Ausführungen zum Anspruch auf Altersrente bzw. Hinterbliebenenrente verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da er der auch hier erheblichen Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst, ob im laufenden Rechtsstreit um eine Altersrente/Hinterbliebenenrente nach dem ZRBG ergehende Bescheide in das Verfahren einzubeziehen sind. Diese durch höchstrichterliche Rechtsprechung nicht geklärte Frage betrifft zahlreiche weitere Verfahren.
Rechtskraft
Aus
Saved