Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 3746/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1960/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03.05.2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).
Der 1951 geborene Kläger beantragte am 03.07.2014 bei dem Landratsamt O. (LRA) erstmals die Feststellung eines GdB (Blatt 4 VA). Vorgelegt wurde unter anderem die Unfall-Schadenanzeige vom 14.04.2014 (Blatt 12/13 VA), wonach dem Kläger am 01.04.2014 beim Abschrauben des Rades an einem LKW der Druckluftschlauch ins Auge schleuderte.
Das LRA holte den Befundschein des Augenarztes Dr. Z. vom 15.07.2014 (Blatt 26 VA – volle Sehschärfe mit Korrektur am rechten Auge, linkes Auge erblindet) und den Befundschein des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. F. vom 21.07.2014 (Blatt 27 VA – langjähriger Bluthochdruck mit hypertensiver Herzerkrankung unter Mehrfachmedikation stabil eingestellt) ein sowie den Entlassungsbericht des O.klinikums vom 07.04.2014 über die in der Zeit vom 01.04.2014 bis 10.04.2014 durchgeführte stationäre Behandlung (Blatt 33 VA).
Dr. B. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 25.11.2014 (Blatt 37 VA) und wies darauf hin, dass derzeit nicht beurteilt werden könne, ob die Minderung der Sehschärfe am linken Auge durch den Arbeitsunfall oder den vorbestehenden Venenastverschluss links verursacht worden sei. Das LRA zog das im Auftrag der Berufsgenossenschaft für Verkehr erstellte augenärztliche Gutachten des Prof. Dr. L. vom 30.03.2015 (Blatt 48 ff. VA) bei. Der Versorgungsarzt B. erstatte die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 08.11.2015 und empfahl einen GdB von 40. Die MdE des Auges als Unfallfolge betrage 20, zusammen mit dem vorbestehenden Schaden jedoch 30. Zu dem Einzel-GdB von 30 für die Sehminderung komme ein Einzel-GdB von 20 für den Bluthochdruck mit Herzbeteiligung hinzu.
Mit Bescheid vom 18.11.2015 (Blatt 64 VA) stellte das LRA einen GdB von 40 seit dem 01.04.2014 fest.
Gegen den Bescheid erhob der Kläger unter dem 18.12.2015 (Blatt 68 VA) Widerspruch und machte geltend, dass die Erkrankung des linken Auges zutreffend bewertet worden sei, bei der Hypertonie handele es sich um eine solche mittelschwerer Form, für die ein GdB von 30 in Ansatz zu bringen sei.
Dr. L. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 11.05.2016 (Blatt 75 VA) und führte aus, dass nach dem Befund des Dr. F. der Blutdruck mit Auswirkungen auf das Herz unter Behandlung mit Medikamenten stabil eingestellt sei, sodass ein höherer Einzel-GdB als 20 nicht vertretbar sei.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2016 zurück.
Am 23.09.2016 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) und machte am 15.03.2017 (Blatt 18/19 SG-Akte) geltend, dass für die Herzmuskelschwäche mit langjährigem Bluthochdruck ein Einzel-GdB von 30 für angemessen erachtet werde. Ein aktuelles Belastungs-EKG liege nicht vor.
Das SG holte die sachverständige Zeugenauskunft der Kardiologin W. vom 24.04.2017 (Blatt 30/31 SG-Akte – leichtgradige hypertensive Herzerkrankung sowie aktuell bestehende hypertensive Krise, Einzel-GdB 20) ein. Weiter holte das SG das internistische Sachverständigengutachten des Prof. Dr. H. vom 20.07.2017 (Blatt 40/56 SG-Akte) ein, der eine arterielle Hypertonie und eine leichte obstruktive Ventilationsstörung diagnostizierte und Einzel-GdB Werte von jeweils 20, sowie einen Gesamt-GdB von 50 annahm.
Die Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. B. vom 01.12.2017 vor, der ausführte, dass die Teil-GdB Werte nachvollzogen werden könnten, jedoch die Bildung des Gesamt-GdB nicht korrekt sei.
Die Klage wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 03.05.2018 ab und führte zur Begründung aus, dass bei vollständigem Linsenverlust links und einem Sehvermögen von 0,8 auf dem rechten Auge ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen sei. Der Bluthochdruck bedinge einen Einzel-GdB von 20, die leichte obstruktive Ventilationsstörung einen solchen von 20. Eine Anhebung des Einzel-GdB von 30 für den Linsenverlust auf 50 sei nicht gerechtfertigt, da die Funktionsbeeinträchtigungen, die aus den Erkrankungen am Herzen und der Lunge folgte, nicht die aus dem Linsenverlust resultierende Teilhabebeeinträchtigung verstärkten.
Gegen den am 04.05.2018 zugestellten Gerichtsbescheid (Blatt 71a SG-Akte) hat der Kläger am 30.05.2018 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und geltend gemacht, dass sich aus einer Gesamtschau und einer Vergleichsbetrachtung ein Gesamt-GdB von 50 ergebe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03.05.2018 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 18.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2016 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 15/17 Senatsakte).
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Absatz 1, 124 Absatz 2 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 18.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger kann die Feststellung eines höheren GdB als 40 nicht beanspruchen.
Die GdB-Bewertung richtet sich nach den Vorschriften des SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3234), da maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist, wobei es für laufende Leistungen auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum ankommt, für den die Leistungen begehrt werden; das anzuwendende Recht richtet sich nach der materiellen Rechtslage (Keller in: Meyer Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 54 RdNr. 34). Nachdem § 241 Absatz 2 SGB IX lediglich eine (Übergangs-) Vorschrift im Hinblick auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz enthält, ist materiell-rechtlich das SGB IX in seiner derzeitigen Fassung anzuwenden.
Nach § 152 Absatz 1 SGB IX (§ 69 Abs. 1 und 3 SGB IX a.F.) stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB. Nach § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Geisteszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Absatz 1 Satz 2 SGB IX. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt; eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Absatz 1 Satz 6 SGB XI). Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15.01.2015 gültigen Fassung). Bis zum 14.01.2015 galten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Fassung vom 20.06.2011) die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die VersMedV erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "VG" zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden AHP getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 152 SGB IX (§ 69 a.F.) - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 152 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).
Die Feststellung des GdB erfolgt zum Zeitpunkt der Antragstellung; auf Antrag kann, wenn ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird, festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat § 152 Abs. 1 Satz 2 SGBX; (§ 69 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IX a.F.).
Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 152 Absatz 3 SGB IX (§ 69 Abs. 3 SGB IX a.F.). Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft - gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 - oder ein anderer Wert - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht allein die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB. Vielmehr ist der Gesamt-GdB durch einen wertenden Vergleich dadurch zu bilden, dass die in dem zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen in Beziehung zu setzen sind - z.B. ist bei Feststellung der Schwerbehinderung der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 in den VG vorgesehenen Funktions-behinderungen usw. vorzunehmen. Maßgeblich sind damit grundsätzlich weder Erkrankungen oder deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich noch ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgetreten ist, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 - L 8 SB 5215/13 - juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist - wie dargestellt - anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.
Hinsichtlich der Sehminderung konnte der Senat, gestützt auf den augenärztlichen Befundbericht des Dr. Z. feststellen, dass auf dem rechten Auge eine (korrigierte) Sehschärfe von 0,8 besteht und eine Blindheit auf dem linken Auge nach Linsenverlust, sodass sich nach der Tabelle VG Teil B Nr. 4.3 ein Einzel-GdB von 30 ergibt. Einen Linsenverlust korrigiert durch eine intraokulare Kunstlinse oder Kontaktlinse nach Teil B Nr. 4.2 konnte der Senat nicht feststellen, eine solche würde bei einer Sehschärfe von weniger als 0,1 aber ebenfalls nur einen GdB von 25 bis 30 rechtfertigen. Von dem GdB von 30 erfasst sind die mit der einseitigen Blindheit einhergehenden Beeinträchtigungen; insoweit hat der Kläger Unsicherheiten beim Umdrehen auf engem Raum und eine Verlangsamung seiner Abläufe dargelegt, die allerdings typische Erscheinungen einer einseitigen Blindheit darstellen und daher keine Teilhabebeeinträchtigung im Sinne eines höheren GdB als 30 bedingen.
Zur Hypertonie bestimmt VG Teil B Nr. 9.3:
leichte Form 0 - 10 keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung (höchste leichte Augenhintergrundveränderungen)
mittelschwere Form 20 - 40 mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen – Fundus hypertonicus I-II – und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung
schwere Form 50 - 100 mit Beteiligung mehrerer Organe (schwere Augenhintergrundveränderungen und Beeinträchtigung der Herzfunktion, der Nierenfunktion und/oder der Hirndurchblutung) je nach Art und Ausmaß der Leistungsbeeinträchtigung
Der Senat konnte gestützt auf den Befundbericht der Kardiologin W. vom 05.04.2017 (Blatt 28/29 SG-Akte), deren sachverständiger Zeugenauskunft vom 24.04.2017 (Blatt 30/31 SG-Akte) sowie des Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. H. vom 20.07.2017 (Blatt 40 ff. SG-Akte) feststellen, dass bei dem Kläger diastolische Blutdruckwerte von mehrfach über 100 mmHg vorgelegen haben. Allerdings ergibt sich aus dem Befundbericht vom 05.04.2017 auch, dass eine Dosiserhöhung hinsichtlich der antihypertensiven Therapie empfohlen worden ist und Prof. Dr. H. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass die medikamentöse Therapie des Bluthochdrucks unzureichend ist. VG Teil B Nr. 9.3 fordert indessen diastolische Blutdruckwerte trotz Behandlung, eine solche konnte der Senat hingegen nicht in ausreichendem Maße feststellen. Schwere Augenhintergrundveränderungen lassen sich den augenärztlichen und sonstigen Befundberichten nicht entnehmen, aus dem Befundbericht der Kardiologin W. vom 05.04.2017 ergibt sich auch nur eine leichtgradige linksventrikuläre Hypertrophie, sodass auch keine mehr als leichtgradige Organbeteiligung gegeben ist, sodass ein Einzel-GdB von 20 nur als grenzwertig erreicht angesehen werden kann.
Einen Einzel-GdB für eine Einschränkung der Herzleistung (VG Teil B Nr. 9.1.1) konnte der Senat nicht feststellen, nachdem er dem Sachverständigengutachten des Prof. Dr. H. entnehmen kann, dass im Belastungs-EKG pathologische Werte erst ab einer Belastung von 125 Watt, nicht aber bereits ab 75 Watt vorgelegen haben.
Hinsichtlich der Lungenfunktion konnte der Senat Funktionsbeeinträchtigungen feststellen, die jedenfalls seit der Untersuchung des Sachverständigen Dr. H. einen Einzel-GdB von 20 bedingen.
VG Teil B Nr. 8.3 bestimmt zu Krankheiten der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion:
geringen Grades 20 - 40 das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bei mittelschwerer Belastung (z.B. forsches Gehen (5 – 6 km/h), mittelschwere körperliche Arbeit); statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte, Blutgaswerte im Normbereich
mittleren Grades 50 - 70 das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z.B. Spazierengehen (3 – 4 km/h), Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit); statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 2/3 niedriger als die Sollwerte, respiratorisches Partialinsuffizienz.
Dem Sachverständigengutachten des Dr. H. vom 20.07.2017 (Blatt 40/56 SG-Akte) entnimmt der Senat, dass die durchgeführte Bodyplethysmographie eine leichte, nicht reversible Obstruktion ergab. Formalanalytisch lag der FEV1/FVC bei 60,98%, der FEV1 mit 2,24 Litern bei 72% des Solls, das Residualvolumen betrug 3,45 Liter und damit 139,2% des Solls. Eine Diffussionsstörung konnte bei der Prüfung der CO-Diffussionskapazität ausgeschlossen werden. Prof. Dr. H. beschreibt die obstruktive Ventilationsstörung zusammenfassend als geringgradig mit Auswirkungen auf die Belastbarkeit und leitet daraus für den Senat überzeugend einen Einzel-GdB von 20 ab. Den Ausführungen des Dr. B. (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 01.12.2017, Blatt 56/57 SG-Akte) dahingehend, dass ein Einzel-GdB von 20 als äußerst gute Bewertung anzusehen ist, vermag der Senat hingegen nicht zu folgen, da sich aus den VG, entgegen der Auffassung des Dr. B. , nicht ableiten lässt, dass erst eine Lungenfunktionseinschränkung um 1/3 weniger als das Soll eine geringgradige Einschränkung begründet. Einschränkungen, die ein weiteres Ausschöpfen des Bewertungsrahmens rechtfertigen würden, konnte der Senat mit Prof. Dr. H. hingegen nicht feststellen.
Ausgehend von einem Einzel-GdB von 30 für den Linsenverlust rechtfertigt sich aufgrund des Einzel-GdB von 20 für die Lungenfunktionseinschränkung eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 40, wie ihn der Beklagte bereits festgestellt hat. Aufgrund des nur grenzwertig als erreicht anzusehenden Einzel-GdB von 20 für den Bluthochdruck ist eine weitere Erhöhung und damit die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht gerechtfertigt. Auch im Vergleich mit Funktionseinschränkungen, für die die VG einen Wert von 50 vorgeben, lässt sich die Schwerbehinderteneigenschaft vorliegend nicht begründen.
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).
Der 1951 geborene Kläger beantragte am 03.07.2014 bei dem Landratsamt O. (LRA) erstmals die Feststellung eines GdB (Blatt 4 VA). Vorgelegt wurde unter anderem die Unfall-Schadenanzeige vom 14.04.2014 (Blatt 12/13 VA), wonach dem Kläger am 01.04.2014 beim Abschrauben des Rades an einem LKW der Druckluftschlauch ins Auge schleuderte.
Das LRA holte den Befundschein des Augenarztes Dr. Z. vom 15.07.2014 (Blatt 26 VA – volle Sehschärfe mit Korrektur am rechten Auge, linkes Auge erblindet) und den Befundschein des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. F. vom 21.07.2014 (Blatt 27 VA – langjähriger Bluthochdruck mit hypertensiver Herzerkrankung unter Mehrfachmedikation stabil eingestellt) ein sowie den Entlassungsbericht des O.klinikums vom 07.04.2014 über die in der Zeit vom 01.04.2014 bis 10.04.2014 durchgeführte stationäre Behandlung (Blatt 33 VA).
Dr. B. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 25.11.2014 (Blatt 37 VA) und wies darauf hin, dass derzeit nicht beurteilt werden könne, ob die Minderung der Sehschärfe am linken Auge durch den Arbeitsunfall oder den vorbestehenden Venenastverschluss links verursacht worden sei. Das LRA zog das im Auftrag der Berufsgenossenschaft für Verkehr erstellte augenärztliche Gutachten des Prof. Dr. L. vom 30.03.2015 (Blatt 48 ff. VA) bei. Der Versorgungsarzt B. erstatte die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 08.11.2015 und empfahl einen GdB von 40. Die MdE des Auges als Unfallfolge betrage 20, zusammen mit dem vorbestehenden Schaden jedoch 30. Zu dem Einzel-GdB von 30 für die Sehminderung komme ein Einzel-GdB von 20 für den Bluthochdruck mit Herzbeteiligung hinzu.
Mit Bescheid vom 18.11.2015 (Blatt 64 VA) stellte das LRA einen GdB von 40 seit dem 01.04.2014 fest.
Gegen den Bescheid erhob der Kläger unter dem 18.12.2015 (Blatt 68 VA) Widerspruch und machte geltend, dass die Erkrankung des linken Auges zutreffend bewertet worden sei, bei der Hypertonie handele es sich um eine solche mittelschwerer Form, für die ein GdB von 30 in Ansatz zu bringen sei.
Dr. L. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 11.05.2016 (Blatt 75 VA) und führte aus, dass nach dem Befund des Dr. F. der Blutdruck mit Auswirkungen auf das Herz unter Behandlung mit Medikamenten stabil eingestellt sei, sodass ein höherer Einzel-GdB als 20 nicht vertretbar sei.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2016 zurück.
Am 23.09.2016 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) und machte am 15.03.2017 (Blatt 18/19 SG-Akte) geltend, dass für die Herzmuskelschwäche mit langjährigem Bluthochdruck ein Einzel-GdB von 30 für angemessen erachtet werde. Ein aktuelles Belastungs-EKG liege nicht vor.
Das SG holte die sachverständige Zeugenauskunft der Kardiologin W. vom 24.04.2017 (Blatt 30/31 SG-Akte – leichtgradige hypertensive Herzerkrankung sowie aktuell bestehende hypertensive Krise, Einzel-GdB 20) ein. Weiter holte das SG das internistische Sachverständigengutachten des Prof. Dr. H. vom 20.07.2017 (Blatt 40/56 SG-Akte) ein, der eine arterielle Hypertonie und eine leichte obstruktive Ventilationsstörung diagnostizierte und Einzel-GdB Werte von jeweils 20, sowie einen Gesamt-GdB von 50 annahm.
Die Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. B. vom 01.12.2017 vor, der ausführte, dass die Teil-GdB Werte nachvollzogen werden könnten, jedoch die Bildung des Gesamt-GdB nicht korrekt sei.
Die Klage wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 03.05.2018 ab und führte zur Begründung aus, dass bei vollständigem Linsenverlust links und einem Sehvermögen von 0,8 auf dem rechten Auge ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen sei. Der Bluthochdruck bedinge einen Einzel-GdB von 20, die leichte obstruktive Ventilationsstörung einen solchen von 20. Eine Anhebung des Einzel-GdB von 30 für den Linsenverlust auf 50 sei nicht gerechtfertigt, da die Funktionsbeeinträchtigungen, die aus den Erkrankungen am Herzen und der Lunge folgte, nicht die aus dem Linsenverlust resultierende Teilhabebeeinträchtigung verstärkten.
Gegen den am 04.05.2018 zugestellten Gerichtsbescheid (Blatt 71a SG-Akte) hat der Kläger am 30.05.2018 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und geltend gemacht, dass sich aus einer Gesamtschau und einer Vergleichsbetrachtung ein Gesamt-GdB von 50 ergebe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03.05.2018 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 18.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2016 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 15/17 Senatsakte).
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Absatz 1, 124 Absatz 2 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 18.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger kann die Feststellung eines höheren GdB als 40 nicht beanspruchen.
Die GdB-Bewertung richtet sich nach den Vorschriften des SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3234), da maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist, wobei es für laufende Leistungen auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum ankommt, für den die Leistungen begehrt werden; das anzuwendende Recht richtet sich nach der materiellen Rechtslage (Keller in: Meyer Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 54 RdNr. 34). Nachdem § 241 Absatz 2 SGB IX lediglich eine (Übergangs-) Vorschrift im Hinblick auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz enthält, ist materiell-rechtlich das SGB IX in seiner derzeitigen Fassung anzuwenden.
Nach § 152 Absatz 1 SGB IX (§ 69 Abs. 1 und 3 SGB IX a.F.) stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB. Nach § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Geisteszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Absatz 1 Satz 2 SGB IX. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt; eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Absatz 1 Satz 6 SGB XI). Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15.01.2015 gültigen Fassung). Bis zum 14.01.2015 galten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Fassung vom 20.06.2011) die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die VersMedV erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "VG" zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden AHP getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 152 SGB IX (§ 69 a.F.) - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 152 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).
Die Feststellung des GdB erfolgt zum Zeitpunkt der Antragstellung; auf Antrag kann, wenn ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird, festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat § 152 Abs. 1 Satz 2 SGBX; (§ 69 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IX a.F.).
Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 152 Absatz 3 SGB IX (§ 69 Abs. 3 SGB IX a.F.). Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft - gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 - oder ein anderer Wert - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht allein die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB. Vielmehr ist der Gesamt-GdB durch einen wertenden Vergleich dadurch zu bilden, dass die in dem zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen in Beziehung zu setzen sind - z.B. ist bei Feststellung der Schwerbehinderung der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 in den VG vorgesehenen Funktions-behinderungen usw. vorzunehmen. Maßgeblich sind damit grundsätzlich weder Erkrankungen oder deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich noch ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgetreten ist, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 - L 8 SB 5215/13 - juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist - wie dargestellt - anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.
Hinsichtlich der Sehminderung konnte der Senat, gestützt auf den augenärztlichen Befundbericht des Dr. Z. feststellen, dass auf dem rechten Auge eine (korrigierte) Sehschärfe von 0,8 besteht und eine Blindheit auf dem linken Auge nach Linsenverlust, sodass sich nach der Tabelle VG Teil B Nr. 4.3 ein Einzel-GdB von 30 ergibt. Einen Linsenverlust korrigiert durch eine intraokulare Kunstlinse oder Kontaktlinse nach Teil B Nr. 4.2 konnte der Senat nicht feststellen, eine solche würde bei einer Sehschärfe von weniger als 0,1 aber ebenfalls nur einen GdB von 25 bis 30 rechtfertigen. Von dem GdB von 30 erfasst sind die mit der einseitigen Blindheit einhergehenden Beeinträchtigungen; insoweit hat der Kläger Unsicherheiten beim Umdrehen auf engem Raum und eine Verlangsamung seiner Abläufe dargelegt, die allerdings typische Erscheinungen einer einseitigen Blindheit darstellen und daher keine Teilhabebeeinträchtigung im Sinne eines höheren GdB als 30 bedingen.
Zur Hypertonie bestimmt VG Teil B Nr. 9.3:
leichte Form 0 - 10 keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung (höchste leichte Augenhintergrundveränderungen)
mittelschwere Form 20 - 40 mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen – Fundus hypertonicus I-II – und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung
schwere Form 50 - 100 mit Beteiligung mehrerer Organe (schwere Augenhintergrundveränderungen und Beeinträchtigung der Herzfunktion, der Nierenfunktion und/oder der Hirndurchblutung) je nach Art und Ausmaß der Leistungsbeeinträchtigung
Der Senat konnte gestützt auf den Befundbericht der Kardiologin W. vom 05.04.2017 (Blatt 28/29 SG-Akte), deren sachverständiger Zeugenauskunft vom 24.04.2017 (Blatt 30/31 SG-Akte) sowie des Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. H. vom 20.07.2017 (Blatt 40 ff. SG-Akte) feststellen, dass bei dem Kläger diastolische Blutdruckwerte von mehrfach über 100 mmHg vorgelegen haben. Allerdings ergibt sich aus dem Befundbericht vom 05.04.2017 auch, dass eine Dosiserhöhung hinsichtlich der antihypertensiven Therapie empfohlen worden ist und Prof. Dr. H. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass die medikamentöse Therapie des Bluthochdrucks unzureichend ist. VG Teil B Nr. 9.3 fordert indessen diastolische Blutdruckwerte trotz Behandlung, eine solche konnte der Senat hingegen nicht in ausreichendem Maße feststellen. Schwere Augenhintergrundveränderungen lassen sich den augenärztlichen und sonstigen Befundberichten nicht entnehmen, aus dem Befundbericht der Kardiologin W. vom 05.04.2017 ergibt sich auch nur eine leichtgradige linksventrikuläre Hypertrophie, sodass auch keine mehr als leichtgradige Organbeteiligung gegeben ist, sodass ein Einzel-GdB von 20 nur als grenzwertig erreicht angesehen werden kann.
Einen Einzel-GdB für eine Einschränkung der Herzleistung (VG Teil B Nr. 9.1.1) konnte der Senat nicht feststellen, nachdem er dem Sachverständigengutachten des Prof. Dr. H. entnehmen kann, dass im Belastungs-EKG pathologische Werte erst ab einer Belastung von 125 Watt, nicht aber bereits ab 75 Watt vorgelegen haben.
Hinsichtlich der Lungenfunktion konnte der Senat Funktionsbeeinträchtigungen feststellen, die jedenfalls seit der Untersuchung des Sachverständigen Dr. H. einen Einzel-GdB von 20 bedingen.
VG Teil B Nr. 8.3 bestimmt zu Krankheiten der Atmungsorgane mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion:
geringen Grades 20 - 40 das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bei mittelschwerer Belastung (z.B. forsches Gehen (5 – 6 km/h), mittelschwere körperliche Arbeit); statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte, Blutgaswerte im Normbereich
mittleren Grades 50 - 70 das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z.B. Spazierengehen (3 – 4 km/h), Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit); statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 2/3 niedriger als die Sollwerte, respiratorisches Partialinsuffizienz.
Dem Sachverständigengutachten des Dr. H. vom 20.07.2017 (Blatt 40/56 SG-Akte) entnimmt der Senat, dass die durchgeführte Bodyplethysmographie eine leichte, nicht reversible Obstruktion ergab. Formalanalytisch lag der FEV1/FVC bei 60,98%, der FEV1 mit 2,24 Litern bei 72% des Solls, das Residualvolumen betrug 3,45 Liter und damit 139,2% des Solls. Eine Diffussionsstörung konnte bei der Prüfung der CO-Diffussionskapazität ausgeschlossen werden. Prof. Dr. H. beschreibt die obstruktive Ventilationsstörung zusammenfassend als geringgradig mit Auswirkungen auf die Belastbarkeit und leitet daraus für den Senat überzeugend einen Einzel-GdB von 20 ab. Den Ausführungen des Dr. B. (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 01.12.2017, Blatt 56/57 SG-Akte) dahingehend, dass ein Einzel-GdB von 20 als äußerst gute Bewertung anzusehen ist, vermag der Senat hingegen nicht zu folgen, da sich aus den VG, entgegen der Auffassung des Dr. B. , nicht ableiten lässt, dass erst eine Lungenfunktionseinschränkung um 1/3 weniger als das Soll eine geringgradige Einschränkung begründet. Einschränkungen, die ein weiteres Ausschöpfen des Bewertungsrahmens rechtfertigen würden, konnte der Senat mit Prof. Dr. H. hingegen nicht feststellen.
Ausgehend von einem Einzel-GdB von 30 für den Linsenverlust rechtfertigt sich aufgrund des Einzel-GdB von 20 für die Lungenfunktionseinschränkung eine Erhöhung des Gesamt-GdB auf 40, wie ihn der Beklagte bereits festgestellt hat. Aufgrund des nur grenzwertig als erreicht anzusehenden Einzel-GdB von 20 für den Bluthochdruck ist eine weitere Erhöhung und damit die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht gerechtfertigt. Auch im Vergleich mit Funktionseinschränkungen, für die die VG einen Wert von 50 vorgeben, lässt sich die Schwerbehinderteneigenschaft vorliegend nicht begründen.
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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