S 10 SF 49/18 DS

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 10 SF 49/18 DS
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 1/18 DS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Pflichten des Antragsgegners aus der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Der Antragsteller bezieht von dem Antragsgegner laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Daneben ist er selbständig tätig. Im Rahmen der mit der Leistungsgewährung verbundenen Sozialverwaltung verarbeitet der Antragsgegner laufend personenbezogene Daten des Antragstellers.

Im Juni 2018 forderte der Antragsteller den Antragsgegner unter Hinweis auf die DSGVO dazu auf, seine aktenkundigen "Firmenunterlagen ab 01.01.2013" zu löschen, und zukünftig auf solche Kopien zu verzichten. Seine Geschäftspartner seien lediglich bereit, eine Einsichtnahme des Antragsgegners in die Unterlagen zu tolerieren. Dies wurde ihm nicht zugesagt.

Deshalb hat der Antragsteller am 02.07.2018 bei dem Sozialgericht Marburg einen diesbezüglichen Eilantrag eingereicht.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, 1. alle in der Leistungsakte des Antragstellers gespeicherten "Firmenunterlagen ab 01.01.2013" zu löschen, 2. zukünftig auf die Speicherung von Daten zu verzichten, die Bezug zu der selbständigen Tätigkeit des Antragstellers haben.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte.

II.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist abzulehnen, weil er zum Teil unzulässig (Antrag zu 2.) und im Übrigen unbegründet ist (Antrag zu 1.).

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Lasten des Antragsgegners sind nicht erfüllt. Eine einstweilige Anordnung kann gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG hat der Antragsteller im Sinne von § 920 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen, dass ihm der umstrittene und zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) zusteht und die Regelung eines vorläufigen Zustands zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund).

Einen solchen Anordnungsgrund hat der Antragsteller hinsichtlich des Antrags zu 1. nicht glaubhaft gemacht. Für die von ihm begehrte Löschung aller in seiner von dem Antragsgegner geführten Leistungsakte gespeicherten "Firmenunterlagen ab 01.01.2013" ist keine besondere Eilbedürftigkeit erkennbar. Darauf hat das Gericht den Antragsteller mit Verfügung vom 19.07.2018 hingewiesen. Daraufhin hat der Antragsteller erklärt, eine rasche Klärung der Rechtslage sei für ihn wichtig, da er an die DSGVO gebunden sei und fürchten müsse, selbst zum Rechtsbruch gezwungen zu werden. Diese Argumentation verfängt indes hinsichtlich des Antrags zu 1. nicht. Denn dieser hat nur Daten zum Gegenstand, die bereits in der Vergangenheit von dem Antragsgegner erhoben und gespeichert worden sind. Eine (ggf. rechtswidrige) Datenverarbeitung durch den Antragsteller steht insoweit nicht mehr zu befürchten. Ihm ist es daher zuzumuten, den Ausgang eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens abzuwarten.

Bei ihrer Einschätzung, dass dem Antragsteller in der Zwischenzeit keine wesentlichen Nachteile drohen, verkennt die Kammer nicht, dass er einen denkbaren Grundrechtsverstoß rügt. Sollte sich die angegriffene Datenspeicherung durch den Antragsgegner als unrechtmäßig erweisen, wäre der Antragsteller durch sie andauernd in seinem "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" verletzt. Das BVerfG leitet aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) die Befugnis des Einzelnen ab, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen (BVerfG, 19.04.2016 – 1 BvR 3309/13). Allerdings wird der drohende Grundrechtseingriff durch die bloße Fortdauer der Speicherung, der der Antragsteller mit der von ihm begehrten Löschung entgegenwirken will, nicht vertieft. Der status quo bleibt lediglich erhalten, bis das reguläre Gerichtsverfahren abgeschlossen ist. Das muss der Antragsteller hinnehmen.

Denn auf der anderen Seite droht eine Beeinträchtigung der Verwaltungstätigkeit des Antragsgegners, zu dessen Pflichten eine geordnete Aktenführung zählt. Dem würde eine vollständige und undifferenzierte Löschung aller "Firmenunterlagen ab 01.01.2013" ohne Rücksicht auf Aufbewahrungsfristen und zukünftigen Bedarf, auf die Daten zurückzugreifen, nicht gerecht. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass der Antrag zu 1. auf eine echte und endgültige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist. Denn die gelöschten Daten könnte der Antragsgegner auch bei einem Obsiegen in der Hauptsache nicht wiederherstellen. Dies entspricht nicht Sinn und Zweck des Eilverfahrens (näher Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 31).

Dagegen ist der Antrag zu 2. bereits unzulässig. Er zielt auf die abstrakte Verpflichtung des Antragsgegners ab, zukünftig auf die Speicherung von Daten zu verzichten, die Bezug zu der selbständigen Tätigkeit des Antragstellers haben und sich stattdessen auf die Einsichtnahme in derartige Unterlagen zu beschränken. Damit begehrt der Antragsteller vorbeugenden Rechtsschutz, was nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig ist (dazu Keller, a.a.O., Rn. 29b m.w.N.). Dafür ist hier kein Grund ersichtlich. Dem Antragsteller ist es vielmehr zuzumuten, abzuwarten, ob der Antragsgegner unter Geltung der DSGVO überhaupt beabsichtigt, eine entsprechende Datenspeicherung vorzunehmen.

Hinzu kommt, dass der Antragsteller mit seinem Antrag zu 2. das streitige Rechtsverhältnis (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) nicht hinreichend konkretisiert hat. Insoweit gelten im Eilverfahren dieselben Maßstäbe wie für die Feststellungsklage nach § 55 SGG (siehe Keller, a.a.O., Rn. 25b). Ein Antrag ist danach nur zulässig, wenn zwischen den Beteiligten die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen konkreten, bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist (so BVerwG, 25.03.2009 – 8 C 1/09). Daran fehlt es hier. Ob es jemals zu der von dem Antragsteller befürchteten Situation kommen wird, dass der Antragsgegner nach Einsicht in Firmenunterlagen noch zusätzlich deren Speicherung in der Akte verlangt, ist völlig ungewiss. Erst wenn dies der Fall ist, liegt ein hinreichend konkreter Sachverhalt vor, für den das Gericht die Rechtslage prüfen kann. Denn die DSGVO knüpft die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung von Daten insbesondere an deren Erforderlichkeit für einen bestimmten Zweck. Das zeigt schon die Einzelfallabhängigkeit der Lösung der von dem Antragsteller aufgeworfenen abstrakten Rechtsfrage.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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