L 17 U 7/04 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 405/00
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 7/04 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenen Wirkung der mit der Berufung weiterverfolgten Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 06.06.2002 wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin erlitt am 16.01.1995 während ihrer beruflichen Tätigkeit als Krankenschwester nach dem Erneuern eines Infusionssystems beim Entsorgen des alten Systems eine Stichverletzung in der ersten Fingerzwischenfalte links mit nachfolgender Infektion. Mit Bescheid vom 11.11.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2000 anerkannte die Beklagte nach Einholung eines handchirurgischen Gutachtens des Prof. Dr.L. vom 02.05.2002, eines neurologisch-chirurgischen Zusatzgutachtens des PD Dr.S. vom 15.07.1999, eines radiologischen Zusatzgutachtens des PD Dr.S. vom 19.04.2000 sowie einer Stellungnahme des beratenden Arztes und Chirurgen Dr.B. vom 04.10.2000 als Unfallfolgen: Chemische Zersetzungsreaktion der ersten Fingerzwischenfalte der linken Hand nach Stichverletzung, ein komplexes regionales Schmerzsyndrom vom Typ I des linken Armes und eine Tendovaginitis links, eine Funktionseinschränkung des linken Armes durch wechselnde Schmerzsymptomatik, eine Minderung der Feinmotorik im Bereich der linken Hand, eine Kraftminderung des linken Armes sowie sensible Störungen und eine Wetterfühligkeit im Bereich der linken Hand. Sie gewährte über den Gesamtvergütungszeitraum vom 05.09.1995 bis 29.02.1996 hinaus Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbfähigkeit (MdE) von 20 vH ab dem 01.03.1996 bis auf weiteres.

Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben und die Gewährung einer höheren Verletztenrente sowie entsprechende ergänzende Leistungen begehrt. Das Sozialgericht hat von dem Orthopäden Dr.M. ein Gutachten vom 27.03.2002 eingeholt. Dieser hat die Ansicht vertreten, dass die in den Bescheiden vom 11.11.1998 und 10.11.2000 anerkannten Unfallfolgen nicht zu objektivieren seien. Daraufhin hat die Beklagte die Klägerin angehört und mit Bescheid vom 06.06.2002 den Bescheid vom 11.11.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2000 gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen und die laufende Rentenzahlung mit Ablauf des Monats Juni 2002 eingestellt. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 10.07.2002 beim Sozialgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage herzustellen. Mit Schreiben vom 05.09.2002 hat der Vorsitzende der 2.Kammer des Sozialgerichts der Klägerin formlos mitgeteilt, dass eine aufschiebende Wirkung gemäß § 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht angeordnet werde.

Der vom Sozialgericht gehörte Pathologe Prof. Dr.D. hat dem Gutachten des Dr.M. zugestimmt (Zusatzgutachten nach Aktenlage vom 24.01.2003 / 27.05.2003). Der ebenfalls vom Sozialgericht gehörte Pathologe Dr.F. hat dem Gutachten des Dr.M. widersprochen (Gutachten nach Aktenlage vom 29.04.2003 / 29.06.2003). Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.07.2003 abgewiesen. Es hat angenommen, dass die Klägerin bei dem am 16.01.1995 erlittenen Arbeitsunfall (nur) eine Stichwunde erlitten hat, die zunächst einen ungünstigen Heilungsverlauf genommen habe. Posttraumatische Unfallfolgen seien jedoch außer der Narbensituation nicht verblieben. Das Sozialgericht hat eine Aggravation der Klägerin angenommen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und zugleich beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage herzustellen und die Rente über den Ablauf des Monats Juni 2002 hinaus weiter zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, den Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung zurückzuweisen und zur Begründung ausgeführt, dem öffentlichen Interesse am Vollzug sei der Vorzug einzuräumen. Es sei der Klägerin zumutbar, den Ausgang des Berufungsverfahrens abzuwarten.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Unfallakte der Beklagten, die Archivakte S 2/U 333/98 und die Akte S 2 U 405/00 des Sozialgerichts Nürnberg sowie die Akten L 17 U 315/03 und L 17 U 7/04 ER des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Gewährung eines vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin begehrt die Anordnung der aufschiebenen Wirkung der Klage S 2 U 405/00 gegen den Bescheid vom 06.06.2002, mit dem der Beklagte der Klägerin eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH dem Grunde nach entzogen hat. Der Bescheid vom 06.06.2002 ist gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens S 2 U 405/00 vor dem Sozialgericht Nürnberg geworden. Mit dieser Klage hat sich die Klägerin gegen die Ablehnung der Neufeststellung ihrer Verletztenrente gewandt. Gegen das in diesem Rechtsstreit ergangene klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 24.07.2003 hat die Klägerin Berufung eingelegt.

Das Sozialgericht Nürnberg hat über den Antrag der Klägerin vom 10.07.2002 in rechtswidriger Weise nicht entschieden. Nachdem die Streitsache nunmehr am Berufungsgericht rechtshängig ist, ist der Senat als Gericht der Hauptsache zur Entscheidung über den Antrag zuständig (vgl Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 7.Aufl, § 86b Rdnr 11).

Nach § 86b Abs 1 Nr 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Anfechtungsklage und deshalb auch die Berufung (vgl § 154 Abs 1 SGG) haben keine aufschiebende Wirkung, denn es handelt sich hier um eine Entziehung einer laufenden Leistung in Angelegenheiten der Sozialversicherung i.S. von § 86a Abs 2 Nr 3 SGG.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den angefochtenen Bescheid des Beklagten kommt vorliegend nicht in Betracht. Es bestehen nämlich keine ernsthaften Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit. Hierfür ist nicht ausreichend, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Ernstliche Zweifel sind vielmehr erst dann begründet, wenn die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes derart überwiegen, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Der Gesetzgeber hat in den Fällen des § 86a Abs 2 Nr 3 SGG durch den ausdrücklichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Klage das öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug höher eingeschätzt als das Privatinteresse an der vorläufigen Weitergewährung der Leistung. Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist (Meyer-Ladewig aaO Rdnr 12 mwN).

Im vorliegenden Fall ist die Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens derzeit nicht abschätzbar. Die im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz nach Aktenlage summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund präsenter Beweismittel bzw. glaubhaft gemachter oder wahrscheinlicher Tatsachen lässt die Annahme einer überwiegenden Erfolgsaussicht nicht zu. Der Senat hält in dieser Streitsache voraussichtlich weitere (medizinische) Ermittlungen für erforderlich.

Im Rahmen der Interessensabwägung sind für die Klägerin auch keine schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteile ersichtlich, deren nachträgliche Beseitigung durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr möglich wäre. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH für die Klägerin existenzsichernde Bedeutung hat. Im Falle ihres Obsiegens in der Hauptsache würde der Klägerin die von ihr geltend gemachte Rente einschließlich Zinsen nachgezahlt. Dagegen wäre es im Falle einer Anordnung nach § 86b Abs 1 Nr 2 SGG bei negativem Ausgang der Hauptsache für den Beklagten mit einem Risiko behaftet, die dann überzahlten und evtl. verbrauchten Beträge zurückzuerhalten.

Nach alledem war der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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