L 5 KR 89/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 35/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 89/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 24/00 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 30.08.1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Übernahme der Kosten für eine Behandlung mittels intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI).

Die 1973 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Wegen einer primären Ehesterilität sind sie und ihr Mann in Behandlung der Frauenklinik der RWTH A. Bisherige Maßnahmen der künstlichen Befruchtung waren erfolglos, da nur 10 % der Spermien des Ehemannes motil sind.

Mit einer Bescheinigung des Oberarztes Dr. G. vom 26.01.1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die ICSI. Dr. G. gab in der Bescheinigung an, nach den bisherigen Behandlungsversuchen bleibe nur die Behandlung der In-vitro-Fertilisation (IVF) durch ICSI und Embryonentransfer. Es bestehe die gute Wahrscheinlichkeit, daß damit der Kinderwunsch erfüllt werden könne. Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit (Schreiben vom 27.01.1999), IVF und Embryonentransfer seien Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und könnten von der Frauenklinik erbracht werden. Hinsichtlich der ICSI bestünden Bedenken wegen möglicher Spätschäden der Mutter bzw. des Kindes. Nach den einschlägigen Richtlinien handele es sich nicht um eine anerkannte Methode. Eine Übernahme der Kosten sei daher nicht möglich, der Klägerin werde vor einer abschließenden Stellungnahme Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Mit Schriftsatz vom 10.02.1999 wies die Klägerin darauf hin, die streitige Methode sei wirksam, die Fehlbildungsrate sei nicht höher als bei einer natürlichen Zeugung. Der Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 01.10.1997 sei durch Zeitablauf überholt. Es handele sich um die einzige zur Verfügung stehende Methode zur Erfüllung des Kinderwunsches.

Mit Bescheid vom 08.03.1999 und Widerspruchsbescheid vom 10.06.1999 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme unter Hinweis auf die Richtlinien ab. Bereits am 03.03.1999 ist einmalig die ICSI (ohne Erfolg) durchgeführt worden, der Klägerin sind hierfür Kosten in Höhe von 2.432,94 DM entstanden.

Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin zum einen die Erstattung der Kosten für die durchgeführte Behandlung sowie die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung künftiger Behandlungszyklen. Unter Wiederholung ihres Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren vertrat sie die Auffassung, die Entscheidung des Bundesausschusses entspreche nicht mehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Die Methode habe sich in der Praxis so weit entwickelt, daß der Ausschuß verpflichtet sei, seine Entscheidung zu überprüfen. Seine Befürchtungen hinsichtlich des Mißbildungsrisikos seien widerlegt. Es bestehe daher ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V wegen eines Systemversagens.

Mit Gerichtsbescheid vom 30.08.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Richtlinien zur künstlichen Befruchtung seien nicht zu beanstanden. Vor Abschluß der 1998 begonnenen Studie zur Fehlbildungsrate gebe es für den Bundesausschuß keine Veranlassung, seine Beschlusslage zu ändern.

Die Klägerin wiederholt im Berufungsverfahren ihren Vortrag, sie widerspricht der Auffassung des Sozialgerichts, daß das Fehlbildungsrisiko nicht abschätzbar sei. Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften hätten sich zur ICSI geäußert, sie hätten kein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen erkannt, allenfalls ein minimal erhöhtes Risiko für die Wiederholung andrologischer Störungen bei dem männlichen Nachwuchs. Somit lägen die Voraussetzungen für die Anerkennung der streitigen Methode vor.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 30.08.1999 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.03.199 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.06.1999 zu verurteilen, 1. an sie 2.432,94 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen, 2. die Kosten für weitere intrazytoplasmatische Spermieninjektionen zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die in einem Parallelverfahren (L 5 KR 99/98) beigezogenen Unterlagen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur ICSI den Beteiligten bekannt gegeben und sie zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Ferner sind Gutachten von Prof. Dr. D. vom 22.09.1999 und Prof. Dr. K. vom 26.11.1999, die in einem Verfahren des LSG Niedersachsen (L 4 KR 130/98) erstattet worden sind, beigezogen und im Wege des Urkundsbeweises verwertet worden; auf die Gutachten wird Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die durchgeführte ICSI (1) noch ist die Beklagte gegenwärtig verpflichtet, die Kosten für weitere Behandlungszyklen mittels ICSI zu übernehmen (2).

(1) Es kann dahinstehen, ob die ICSI entsprechend § 27 a Abs. 3 SGB V Teil der Behandlungsmaßnahmen der Frau und daher von der Beklagten zu übernehmen ist oder ob es sich um eine Maßnahme handelt, die nur wegen der Sterilität des Mannes erforderlich ist und daher von dessen Krankenversicherungsträger übernommen werden muß (so die Auffassung der privaten Krankenversicherung, vgl. Brück, Komm. zur GOÄ, 3. Auflage, Abschnitt H Nr. 1114 Anm. 3; Hoffmann, GOÄ, Komm. Geb.Verzeichnis Nr. 1095 bis 1114, Rdnr. 14 aE).

Ebenso kann offen bleiben, ob ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V schon deshalb ausscheidet, weil die Klägerin bereits vor der abschließenden Entscheidung der Beklagten die streitige Behandlung hat durchführen lassen (vgl. insoweit BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 15). Unabhängig davon, ob als Anspruchsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung § 13 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB V in Betracht kommt, scheitert ein Kostenerstattungsanspruch jedenfalls daran, daß die ICSI nicht zu den von der Beklagten geschuldeten Leistungen zählt.

Nach § 27 a Abs. 1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung unter den dort genannten Voraussetzungen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Die unter § 27 a Abs. 1 SGB V fallenden Maßnahmen werden vom Gesetz nicht im einzelnen festgelegt, vielmehr soll nach Abs. 4 a.a.O. der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen regeln. § 27 a Abs. 4 SGB V überträgt also die Konkretisierung der Leistungen, die unter Abs. 1 a.a.O. fallen, dem Bundesausschuß. Diese Ermächtigung geht über die Regelung in § 92 Abs. 1 SGB V hinaus, die nur allgemein festlegt, daß die Richtlinien die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung schaffen sollen (BSGE 78, 70, 76 f.; Schmidt in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V, § 27 a Rdnr. 188). Da der Bundesausschuß die "medizinischen Einzelheiten" auch zur Art der Maßnahme nach Abs. 1 festlegen soll, ist ihm damit die Kompetenz zugewiesen, über die bei der künstlichen Befruchtung einsetzbaren Methoden zu entscheiden (s. auch Schmidt, a.a.O., Rdnr. 41). Somit kann, da Leistungsansprüche der Versicherten nach § 27 a Abs. 1 SGB V nach Maßgabe der (rechtmäßigen) Richtlinien bestehen, ebenso wie im Rahmen des § 135 Abs. 1 SGB V (vgl. insoweit BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4) eine Methode der künstlichen Befruchtung nur dann zu Lasten der Krankenkassen gehen, wenn sie zuvor der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in die Richtlinien aufgenommen hat. Hierfür spricht auch, daß in soweit eine Verbindung zu § 135 Abs. 1 SGB V besteht, als eine nicht anerkannte Methode der künstlichen Befruchtung nicht im EBM enthalten und daher auch nicht abrechnungsfähig ist. Insofern handelt es sich um eine "neue" Methode im Sinne des § 135 Abs. 1 SGB V (vgl. BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 49 f.; SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 12 f.), die allerdings wegen der spezielleren Ermächtigungsnorm des § 27 a Abs. 4 SGB V nicht in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V, sondern nach Nr. 10 a.a.O. zu regeln ist. Im Ergebnis kann aber eine Methode der künstlichen Befruchtung ebenso wie eine noch nicht im EBM enthaltene Behandlungsmethode erst dann zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden, wenn der Bundesausschuß sie in die Richtlinien aufgenommen hat.

Daran fehlt es hier. Die Richtlinien über medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vom 14.08.1990 sehen in Nr. 10 ("Methoden") neben anderen nur die IVF mit Embryo-Transfer als ärztliche Maßnahme vor. Mit Beschluss vom 01.10.1997 hat der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen eine Ergänzung der Richtlinien um die Nr. 10.5 beschlossen, wonach die ICSI derzeit nicht als Methode der künstlichen Befruchtung in Betracht kommt (BAnz Nr. 243 vom 31.12.1997).

Damit ist die ICSI als Leistung in der GKV ausgeschlossen. Bei den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V handelt es sich nach der neueren Rechtsprechung des BSG (grundlegend BSGE 78, 70; BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7; SozR 3-2500 § 135 Abs. 4), der der Senat folgt (zuletzt Senatsurteil vom 24.01.2000 - L 5 KR 63/98), um untergesetzliche Rechtsnormen, die auch für die Versicherten verbindlich festlegen, welche Leistungen Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind. Ein Versicherter, der sich eine nach den Richtlinien ausgeschlossene Leistung beschafft, kann im Kostenerstattungsverfahren nicht einwenden, die Methode sei gleichwohl zweckmäßig und in seinem konkreten Fall wirksam gewesen (BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 60; SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 20).

Ein Kostenerstattungsanspruch kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil dem Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen Verfahrensfehler vorzuwerfen wären. Die Entscheidung des Bundesausschusses ist nicht zu beanstanden.

Da es sich bei den Richtlinien um untergesetzliche Rechtsnormen handelt, besteht für den Bundesausschuß wie für jeden Normgeber ein eigener Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum. Die Gerichte sind auf die Überprüfung beschränkt, ob die Richtlinien in einem rechtsstaatlichen Verfahren formal ordnungsgemäß zustande gekommen sind und mit dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung in Einklang stehen. Eine darüber hinausgehende Inhaltskontrolle ist ihnen verwehrt (BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 60).

Das Verfahren des Bundesausschusses begegnet keinen Bedenken. Befürworter wie Kritiker der Methode sind gleichermaßen in der den Beschluss des Bundesausschusses vorbereitenden Sitzung des Arbeitsausschusses "Richtlinien über künstliche Befruchtung" (seit 01.07.1997: "Familienplanung") am 10.05.1997 gehört worden. Neben der Frage des Drohens genetischer Anomalien bei der Anwendung der ICSI war vor allem streitig, ob ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko besteht. Zu dieser Frage hat der Arbeitsausschuß im Anschluß an die Sitzung eine schriftliche biometrische Stellungnahme von Priv. Doz. Dr. Windeler zu den publizierten Befunden zur Prävalenz schwerer Mißbildungen nach Verfahren der künstlichen Befruchtung durch die ICSI eingeholt. In der Sitzung am 27.09.1997 hat er sich unter Anhörung von Priv.Doz. Dr. Windeler mit dieser Stellungnahme befaßt. Auf der Grundlage seiner Ermittlungen ist er schließlich zum Ergebnis gelangt, daß die Datenlage gegenwärtig noch zu unsicher und unzureichend ist, um beurteilen zu können, ob ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko auszuschließen ist. Auf der Grundlage seiner Beschlussvorlage hat dann der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen seinen Beschluss vom 01.10.1997 getroffen.

Die Entscheidung des Bundesausschusses steht im Einklang mit dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung. Inhaltliche Vorgaben für die Festlegung der "medizinischen Einzelheiten" ergeben sich aus §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V. Die in Betracht kommenden Maßnahmen der Herbeiführung einer Schwangerschaft müssen somit hinsichtlich ihrer Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V), ferner müssen sie - auch im Vergleich zu etablierten Methoden - wirtschaftlich sein (§ 12 Abs. 1 SGB V).

Die Entscheidung des Bundesausschusses beruht nicht auf Zweifeln an der Wirksamkeit der ICSI, sondern auf Bedenken wegen der mit der Anwendung der Methode verbundenen Risiken, insbesondere des Mißbildungsrisikos. Diese Berücksichtigung der "Nebenwirkungen" der Methode ist sachgerecht. Die von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V geforderte Qualität einer Behandlungsmethode wird auch durch die mit ihrer Anwendung verbundenen Risiken bestimmt. Der therapeutische Nutzen der Methode muß die zu erwartenden bzw. möglichen Nachteile überwiegen, die Risiken müssen im Hinblick auf den zu erwartenden Nutzen vertretbar sein. Insoweit kann eine Parallele zum Arzneimittelbereich gezogen werden. Ebensowenig wie wegen unvertretbarer Nebenwirkungen bedenkliche Arzneimittel zugelassen (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG) oder auf den Markt gebracht werden dürfen (§ 5 Abs. 1 AMG) können Behandlungsmethoden angewandt werden, deren Anwendung nicht hinnehmbare schädliche Wirkungen oder Risiken mit sich bringen.

Allerdings sehen die Vertreter der Methode, vor allem die Anwender in den reproduktionsmedizinischen Zentren, keine Anhaltspunkte dafür, daß bei einer ICSI-Behandlung von gesteigerten Risiken hinsichtlich einer genetischen Fehlbildung, einer erhöhten Fehlbildungsrate oder der mentalen Entwicklung auszugehen ist. Die Methode wird in praktisch jedem reproduktionsmedizinischen Zentrum in der Bundesrepublik eingesetzt und schon 1996 hat die Zahl der Unfruchtbarkeitsbehandlungen mit Hilfe der ICSI die Zahl derjenigen überstiegen, die durch konventionelle IVF erfolgte (s. Gutachten Prof. Dr. K.). Prof. Dr. D. hat schon im Arbeitsausschuß am 15.05.1997 darauf hingewiesen, daß die Richtlinien der AG Fortpflanzungsmedizin der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe die ICSI als ethisch vertretbare Behandlung propagierten, weil die vorliegenden Daten rechtfertigten, daß es sich um eine gefahrlose Behandlung handele. Nunmehr sehen auch die Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion der Bundesärztekammer (DtÄrzteBl. 1998; 95: A-3166) die ICSI als medizinisch und ethisch vertretbare Behandlung an. Im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungs- und Beurteilungsspielraumes ist der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen aber bei seiner Entscheidung nicht an die Richtlinien medizinischer Fachgesellschaften oder der Bundesärztekammer oder die Verbreitung innerhalb der Fachkreise gebunden. Er darf berücksichtigen, daß ungeachtet der breiten Anwendung der ICSI ihre Sicherheit angezweifelt wird. In der Sitzung des Arbeitsausschusses am 15.05.1997 sind die Bedenken gegen die ICSI artikuliert worden (Prof. Dr. B., Prof. Dr. Sch., Prof. Dr. K.). Die vorliegenden Studien mögen zwar keinen Beleg dafür bieten, daß bei nach ICSI geborenen Kindern mit einer erhöhten Fehlbildungsrate zu rechnen ist. Auf der anderen Seite besteht aber ebenfalls Einigkeit, daß die vorliegenden Daten keine zuverlässige, wissenschaftlich gesicherte Aussage über das Fehlbildungsrisiko zulassen. Das hat Priv.Doz. Dr. W. in seinem biometrischen Gutachten vom 02.09.1997 für den Ausschuß im einzelnen erläutert. Auch Prof. Dr. K. legt in ihrem Gutachen vom 26.11.1999 dar, daß sich die vorliegenden Studien hinsichtlich der Definition der erfaßten Fehlbildungen, der Bezugsgruppe und der Erhebungsqualität erheblich unterscheiden und keine zuverlässige Aussage zur Prävalenz von Fehlbildungen nach ICSI im Vergleich zur natürlichen Prävalenz zulassen, wobei andererseits anhand der vorliegenden Daten eine Erhöhung der Fehlbildungsrate nach ICSI bis zu einer Verdoppelung der Prävalenz sich nicht ausschließen läßt. Prof. Dr. D. widerspricht zwar in seinem Gutachten vom 22.09.1999 der Aussage einer australischen Studie (Kurinczuk/Dower, British Medical Journal 1997; 315, 1260), die in einer Re-Analyse einer belgischen Studie zu einem doppelt so hohen Mißbildungsrisiko für nach ICSI geborene Kinder als nach natürlicher Zeugung kam, weil bei der australischen Studie die Methode der Erfassung von Fehlbildungen unberücksichtigt geblieben sei und man bei einem Vergleich mit einem aktiven Fehlbildungsregister zu einer entsprechenden Fehlbildungsrate komme (kritisch zu diesem Einwand wiederum Prof. Dr. K., da schon die belgischen Autoren ihrerseits die Eurocat-Kriterien für die Fehlbildungen nicht eingehalten haben). Er räumt aber ein, daß die australische Studie jedenfalls ("nur", so Prof. Dr. D.) beweise, daß es einer prospektiven, kontrollierten und standardisierten Studie bedarf, die eine ausreichende statistische Aussagekraft hat, um zu einer endgültigen Klärung zu kommen. Daß erst eine solche Studie, die der Bundesausschuß in einer Protokollnotiz bei seiner Entscheidung vom 01.10.1997 gefordert hat (s. BKK 1998, 147), zu wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen führt, haben auch die Autoren der belgischen Studien in ihrer Erwiderung auf die australische Studie konzediert (Bonduelle et al., British Medical Journal 1997; 315, 1265; s. auch Mitchell, a.a.O., 1245, der auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Definition der Fehlbildungen und der Art der Erhebungen hinweist). Engel u.a. (DtÄrzteBl. 1998; 95 A-1902) verneinen zwar aufgrund theoretischer Überlegungen ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko nach ICSI, sofern bei den Paaren keine genetischen Ursachen für die Fertilitätsstörung gefunden werden konnten. Sie räumen allerdings ein, daß die aus den reproduktionsbiologischen Ergebnissen abgeleiteten Schlußfolgerungen nicht mit der Realität übereinstimmen müssen und daß die Information über Fehlbildungen und Chromosomenanomalien in ICSI-Schwangerschaften bescheiden seien. Die bislang vorhandenen Daten über aktive Fehlbildungsdiagnostik seien für eine abschließende Beurteilung des Risikos für Fehlbildungen in solchen Schwangerschaften nicht ausreichend; dies gelte auch für die Frage nach einem erhöhten Risiko für Chromosomenanomalien in solchen Schwangerschaften. Eine geringe Risikoehöhung für Chromosomenanomalien nach ICSI seien nicht auszuschließen. Die Frage könne letztlich nur geklärt werden, wenn man sich auf ein gemeinsames und strukturiertes Vorgehen einige.

Die Berücksichtigung möglicher Risiken ist bei Methoden der künstlichen Befruchtung um so mehr gerechtfertigt, als es nicht um die Behandlung gravierender oder sogar lebensbedrohender Krankheiten geht, bei deren Behandlung unter Umständen auch nicht unerhebliche Nebenwirkungen in Kauf genommen werden müssen. Im Arzneimittelrecht muß durch eine Nutzen-Risiko-Abwägung entschieden werden, ob die schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels im Hinblick auf die gewünschten Vorteile hingenommen werden können (vgl. Kloesel/Cyran, AMG, § 5 Rdnr. 31). Bei dieser Abwägung sind neben dem Schweregrad und der Häufigkeit der unerwünschten Wirkung die Behandlungsnotwendigkeit und Therapiealternativen zu berücksichtigen (vgl. im einzelnen Kloesel/Cyran, a.a.O., § 25 Rdnr. 56). Von Bedeutung ist bei der Beurteilung bedenklicher Arzneimittel ferner, welche Nachteile bei Nichtanwendung des Mittels drohen (vgl. a. BVerwG Buchholz 424.4 Nr. 1). Überträgt man diese Gesichtspunkte auf den vorliegenden Fall, ist festzustellen, daß es zwar bei schweren männlichen Infertilitätsstörungen keine adäquate Behandlungsalternative gibt (die von Prof. Dr. K. in ihrem Gutachten genannte heterologische Insemination ist nicht nur wegen der rechtlichen Unwägbarkeiten keine gleichwertige Möglichkeit), jedoch letztlich die Folgen bei Nichtbehandlung relativ geringfügig sind. Auf der anderen Seite können mögliche Mißbildungen sowohl für die geborenen Kinder wie die Eltern eine erhebliche Belastung darstellen. Die Berücksichtigung des Mißbildungsrisikos bedeutet nicht eine Minderschätzung behinderter Kinder. Es steht außer Zweifel, daß auch Behinderten das gleiche Lebensrecht und die gleiche personale Würde zusteht wie Gesunden. Eine andere Frage ist es aber, ob es sinnvoll sein kann, Kinderlosigkeit mittels medizinischer Techniken zu behandeln, die ein erhöhtes Mißbildungsrisiko in sich bergen. Es wäre kaum verständlich, wenn einerseits Mißbildungen eine Abtreibung rechtfertigen könnten (embryopathische Indikation, vgl. Schönke/Schröder-Eser, StGB, 25. Aufl., § 218 a Rdnr. 25), andererseits bei Nichterfüllung eines Kinderwunsches auf natürlichem Wege Methoden angewandt würden, die zu einer erhöhten Fehlbildungsrate (mit der Folge möglicher Abtreibungen) führen könnten. Gerade angesichts des von Prof. Dr. K. in ihrem Gutachten genannten Aspekts, daß die ICSI nicht zuvor an Tieren erprobt und hinsichtlich ihrer Risiken überprüft worden ist, so daß noch nicht einmal auf tierexperimentelle Erfahrungen zurückgegriffen werden kann, hält der Senat die Forderung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nach wissenschaftlich verläßlichen Daten zum Fehlbildungsrisiko zumindest für vertretbar. Soweit in der Sitzung des Arbeitsausschusses am 17.05.1997 Zweifel daran geäußert worden sind, daß es überhaupt möglich sei, eine Studie durchzuführen (Dr. T.), beziehen sich diese auf das Langzeitrisiko. Daß das Fehlbildungsrisiko überprüft werden kann, zeigt die im August 1998 begonnene multizentrische Studie. Ob die von Prof. Dr. K. in ihrem Gutachten genannten Bedenken wegen genetischer Defekte und der mentalen Entwicklung von nach ICSI geborenen Kindern, die nur langfristig beurteilt werden können, auch nach Klärung des Fehlbildungsrisikos die Ablehnung einer Aufnahme der ICSI in die Richtlinien rechtfertigen können, kann derzeit dahinstehen.

(2) Auch der Klagantrag zu 2) ist unbegründet. Solange keine gesicherten Daten zur Unbedenklichkeit der ICSI vorliegen, gibt es für den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen keinen Anlaß, seine Entscheidung vom 01.10.1997 zu revidieren. Wie dem Protokoll der Sitzung des Arbeitsausschusses "Familienplanung" vom 05.10.1998 zu entnehmen ist, werden auch international noch Zweifel an der Sicherheit von ICSI geäußert. Die Ergebnisse der von Prof. Dr. D. geleiteten Studie zum Fehlbildungsrisiko werden voraussichtlich erst Mitte 2001 vorliegen. Sofern sich nicht auf anderem Wege neue Erkenntnisse ergeben, handelt der Ausschuß nicht fehlerhaft, wenn er sich erst nach Beendigung dieser Studie erneut mit der ICSI befaßt und bis dahin an seiner Entscheidung vom 01.10.1997 festhält. Es besteht daher derzeit kein Anspruch der Klägerin auf Kostenübernahme für weitere Behandlungszyklen mittels ICSI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der streitigen Rechtsfragen (§ 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG) zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved