L 8 KR 443/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 25 KR 190/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 443/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege in Form von Blutzuckermessungen sind in Abweichung von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses (Anlage zur HKP-RL Nr. 11) zu genehmigen, wenn sich die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls im Sinne von § 1 Abs. 3 S. 3 HKP-RL im Einzelfall durch die Befundmitteilungen des verordnenden Arztes nachweisen lassen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Oktober 2017 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, die Erbengemeinschaft des B.A. unter Abänderung der Bescheide vom 20. Juni 2013 und 20. Dezember 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2014 sowie des Bescheides vom 19. Dezember 2014 von den Kosten der im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 7. Dezember 2014 durchgeführten Blutzuckermessungen i.H.v. 3.409,06 EUR freizustellen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht der Anspruch auf Erstattung der Kosten für die in der Zeit vom 1. Juli 2013 bis 7. Dezember 2014 erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form von Blutzuckermessungen an den am 8. August 2018 verstorbenen Vater des Klägers B.A. Nach dessen Tod wird das Verfahren durch den Kläger als (Mit-)Erbe und Rechtsnachfolger des B.A. fortgeführt.

Der 1936 geborene B.A. war bei der Beklagten krankenversichert. Bei ihm wurde im Jahr 1979 Diabetes mellitus vom Typ 2 diagnostiziert. Die Insulin-Ersteinstellung erfolgte im Dezember 2009. Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. D. verordnete B.A. mit Folge-Verordnungen vom 18. Juni 2013 (für den Zeitraum 1. Juli bis 31. Dezember 2013) und 12. Dezember 2013 (für den Zeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2014) jeweils häusliche Krankenpflege in Form von Blutzuckermessungen zweimal täglich/siebenmal wöchentlich, subkutane Injektionen zweimal täglich/siebenmal wöchentlich und Herrichten der Medikamentengabe einmal wöchentlich zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung aufgrund der Diagnosen: "Diabetische Neuropathie bei Typ 2, koronare Eingefäßerkrankung, Z.n. Pneumonie, COPD 2. Grad mit Emphysem, schwankende Blutzuckerwerte, reduzierter Allgemeinzustand". Die Verordnungsdauer über 14 Tage wurde jeweils mit "Auffassungs- und Umstellungsschwierigkeiten" begründet. Unter Vorlage der genannten Verordnungen beantragte B.A. am 20. Juni 2013 und 17. Dezember 2013 die Genehmigung der häuslichen Krankenpflege. Von der Beklagten wurde nachfolgend mit Bescheiden vom 20. Juni 2013 und 20. Dezember 2013 jeweils die Insulininjektionen und das Richten von Medikamenten als Leistungen der häuslichen Krankenpflege genehmigt und zugleich die Übernahme der Kosten für die Blutzuckermessungen und eine "Intensivierte Insulintherapie" abgelehnt. Vom ambulanten Pflegedienst des E. Kreisverband E-Stadt wurden die ärztlich verordneten Blutzuckermessungen gleichwohl durchgeführt und dem B.A. hierfür nachträglich am 6. Januar 2015 monatliche Rechnungen in Höhe von insgesamt 3.409,06 EUR für den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 7. Dezember 2014 ausgestellt.

Gegen die Ablehnung der Genehmigung der Blutzuckermessungen in den vorgenannten Bescheiden erhob B.A. am 19. Juli 2013 und 6. Januar 2014 Widerspruch. Die Beklagte holte eine Auskunft von Dr. D. vom 16. Oktober 2013 ein. Hierzu nahm die Pflegefachkraft F. am 31. Oktober 2013 sowie der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Hessen in einem Gutachten vom 28. November 2013 Stellung. Darin führte die Ärztin im MDK Dr. G. aus, eine Neuinsulineinstellung des Diabetes oder eine "Intensivierte Insulintherapie" seien nicht ersichtlich. B.A. würde nach der "Konventionellen Insulintherapie" versorgt, die aus einer Injektion zum Frühstück und einer Injektion zum Abendbrot bestehe. Diese Form der Therapie sei nur bei stabiler Stoffwechsellage und regelmäßigem Tagesablauf möglich. Sämtliche Blutzuckerwerte lägen im noch tolerablen, altersadaptierten Bereich außerhalb akut bedrohlicher Zustände. Es handele sich um eine regelhafte Insulingabe nach einem festen Schema mit regelhafter vorheriger Blutzuckerbestimmung. Diese therapeutische Maßnahme sei weder medizinisch notwendig noch richtlinienkonform und mit dem pflegerischen Aufwand der "Intensivierten Insulintherapie" nicht vergleichbar. Die Beklagte wies die Widersprüche des B.A. daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2014 als unbegründet zurück. Zur Begründung ihrer Entscheidung führte sie aus, nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-RL) sei die Blutzuckermessung nur bei Erst- und Neueinstellung des Diabetes sowie bei Fortsetzung einer "Intensivierten Insulintherapie" verordnungsfähig. Bei B.A. lägen diese Voraussetzungen nach den Feststellungen des MDK nicht vor. Es handele sich bei ihm um routine-mäßige Dauermessungen bei durchgängig im tolerablen, altersadaptierten Bereich gemessenen Blutzuckerwerten ohne Konsequenz für die nachfolgende schematische Insulingabe, die nicht verordnungsfähig seien.

Hiergegen hat B.A. am 21. März 2014 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von Dr. D. vom 1. August 2014 eingeholt. Aufgrund einer ärztlichen Neuverordnung von Dr. D. vom 8. Dezember 2014 hat die Beklagte dem B.A. mit Bescheid vom 19. Dezember 2014 eine "Intensivierte Insulintherapie" dreimal täglich/siebenmal wöchentlich ab 8. Dezember 2014 genehmigt. Mit weiterem Bescheid vom 19. Dezember 2014 hat die Beklagte den Bescheid vom 20. Dezember 2013 hinsichtlich des Bewilligungszeitraumes für die Insulininjektionen und das Richten der Medikamente auf den Zeitraum bis 7. Dezember 2014 beschränkt. Eine Änderung der ablehnenden Entscheidung bezüglich der streitigen Blutzuckermessungen für den Zeitraum bis 7. Dezember 2014 ist dabei nicht erfolgt.

Mit Urteil vom 10. Oktober 2017 hat das Sozialgericht die Bescheide der Beklagten vom 20. Juni 2013 und 20. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2014 sowie den Bescheid vom 19. Dezember 2014 abgeändert und die Beklagte verurteilt, B.A. von den in dem Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 7. Dezember 2014 für die Blutzuckermessungen entstandenen Kosten in Höhe von 3.409,06 EUR freizustellen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Anspruchsvoraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) lägen vor, weil die mit den angefochtenen Bescheiden abgelehnten vertragsärztlich verordneten Blutzuckermessungen medizinisch notwendig gewesen seien. Dem stehe nicht entgegen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für die Genehmigung der Blutzuckermessungen nach der HKP-RL nicht erfüllt seien. Soweit sie nach Nr. 11 der Anlage zu den HKP-RL von der Leistungspflicht der Krankenkasse ausgeschlossen seien, sei dies von der gesetzlichen Ermächtigung nicht gedeckt und verstoße gegen höherrangiges Recht. Zwar sei sowohl nach dem Gutachten des MDK vom 28. November 2013 als auch nach dem Befundbericht von Dr. D. davon auszugehen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum bei dem B.A. weder eine Erst- oder Neueinstellung der Insulintherapie noch eine sogenannte "Intensivierte Insulintherapie" durchgeführt worden sei. Gleichwohl seien nach Abschluss der Neueinstellung der Insulintherapie im Oktober/November 2012 die von Dr. D. verordneten und von dem ambulanten Pflegedienst durchgeführten Blutzuckermessungen auch bei "Konventioneller Insulintherapie" in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum medizinisch notwendig gewesen. Dies ergebe sich aus den Ausführungen von Dr. D. in seinem Arztbericht vom 16. Oktober 2013 und dem Befundbericht vom 1. August 2014. Bei B.A. sei danach keine "Konventionelle Insulintherapie" nach einem starren Schema betrieben, sondern zweimal täglich ein je nach aktuell ermitteltem Blutzuckerwert in der Dosis angepasstes Kombinationsinsulin gespritzt worden. Die vom Pflegedienst gemessenen Blutzuckerwerte hätten erheblich geschwankt. Der Regelungszusammenhang der Nr. 11 der Anlage zu den HKP-RL lasse insoweit vermuten, dass die hier vorliegende Fallgestaltung nicht erfasst worden sei. Der GBA habe darin Blutzuckermessungen bei der Erst- oder Neueinstellung des Blutzuckerspiegels unabhängig von der Art der Insulintherapie und von besonderen persönlichen Voraussetzungen des Diabetespatienten für verordnungsfähig erklärt. Den Komplex der routinemäßigen Dauermessungen der Blutzuckerwerte lasse er demgegenüber nur bei Fortsetzung der "Intensivierten Insulintherapie" zu, und zwar auch nur bei Diabetespatienten, die wegen konkreter Leistungseinschränkungen körperlicher oder geistiger Art nicht in der Lage seien, die Messungen zuverlässig selbst durchzuführen. Dies deute darauf hin, dass der GBA die Problematik der Blutzuckermessungen nicht ausreichend erfasst habe. Alle Messungen, die nicht in Nr. 11 der Anlage genannt seien, seien entweder als medizinisch nicht notwendig oder als selbst durchführbar eingestuft worden. Dies betreffe Blutzuckermessungen außerhalb der Erst- oder Neueinstellung bei "Konventioneller Insulintherapie" generell, weil es dort in der Regel um Insulingaben nach einem Schema gehe, die nicht vom aktuellen Blutzuckerwert abhänge, sowie um die Messungen bei "Intensivierter Insulintherapie", die von den Patienten noch selbst zuverlässig vorgenommen werden könnten. Keine Aussage habe der GBA hingegen zu einer Fallgestaltung wie der hier vorliegenden getroffen, bei der zwar eine "Konventionelle Insulintherapie" erfolge, die Insulingabe jedoch vom aktuellen Blutzuckerwert abhänge. Nach § 1 Abs. 4 HKP-RL seien nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege im Sinne von § 37 SGB V in medizinisch zu begründenden Ausnahmefällen verordnungs- und genehmigungsfähig, wenn sie Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans seien, im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich seien und von geeigneten Pflegekräften erbracht werden sollen. Diese Voraussetzungen seien vorliegend durchweg erfüllt.

Das Urteil ist am 26. Oktober 2017 an die Beklagte zugestellt worden. Die Berufung der Beklagten ist am Montag, den 27. November 2017 am Hessischen Landessozialgericht eingegangen. Zu deren Begründung hat die Beklagte vorgetragen, das Sozialgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass der GBA mangels im Leistungsverzeichnis der HKP-RL erfolgter Aufnahme der vorliegend gesehenen Fallkonstellation - einer wegen schwankender Blutzuckerwerte bei konventioneller Insulintherapie notwendigen Blutzuckermessung mit therapeutischer Relevanz - diese quasi "übersehen" habe. Es unterstelle dabei, dass der GBA die Problematik der Blutzuckermessungen nicht ausreichend erfasst habe. Dies erscheine mehr als fraglich, denn in diesem Zusammenhang gebe es nicht allzu viele mögliche Fallgestaltungen von Blutzuckermessungen und diese häufig vorkommende Konstellation habe der GBA kaum übersehen können. Die Möglichkeit, dass der GBA diese Leistung bewusst nicht im Leistungsverzeichnis aufgenommen habe, sei vom Sozialgericht weder ernsthaft erwogen, noch durch Einholung einer Auskunft beim GBA aufgeklärt worden. Weiterhin habe das Sozialgericht nicht geprüft, ob die in den Richtlinien unter Nr. 11 genannten weiteren Leistungsvoraussetzungen (Unmöglichkeit zur Eigenmessung des Blutzuckers kraft körperlicher oder geistiger Leistungseinschränkungen) und die zeitlichen Beschränkungen (für vier Wochen bei Neueinstellung des Blutzuckers) zu berücksichtigen seien. Dabei habe angesichts der vorgetragenen deutlichen Blutzuckerschwankungen im Sommer 2014 eine ärztliche Reaktion dahingehend erfolgen müssen, dass der B.A. komplett neu eingestellt werde und anschließend dann für eine kurze Zeit die Blutzuckermessungen richtlinienkonform hätten verordnet werden können.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Oktober 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte verurteilt wird, die Erbengemeinschaft des B.A. unter Abänderung der Bescheide vom 20. Juni 2013 und 20. Dezember 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2014 sowie des Bescheides vom 19. Dezember 2014 von den Kosten der im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 7. Dezember 2014 durchgeführten Blutzuckermessungen i.H.v. 3409,06 EUR freizustellen.

Er sieht sich durch die Entscheidung des Sozialgerichts bestätigt und trägt ergänzend vor, bei B.A. sei gerade keine "Konventionelle Insulintherapie" im üblichen Sinne durchgeführt worden. Vielmehr seien die Insulingaben von den jeweils aktuell gemessenen Blutzuckerwerten abhängig gewesen, die darüber hinaus im streitgegenständlichen Zeitraum erheblich geschwankt hätten. Die lnsulindosierung habe daher nach jeder Blutzuckerkontrolle entsprechend modifiziert werden müssen, sodass es sich nicht um routinemäßige, stereotype Dauermessungen ohne jegliche Konsequenz gehandelt habe. Würde in einem solchen Fall eine vom Blutzuckerwert unabhängige, feststehende Einheit Insulin gespritzt, bestünde jeweils das erhebliche Gesundheitsrisiko einer Über- oder Unterzuckerung. Die konventionelle Insulintherapie nach Anpassungsschema sei in dieser Konstellation daher als medizinisch notwendig einzustufen. Dieser Bewertung hätte sich auch der GBA nicht entziehen können. Dies spreche dafür, dass er eine konventionelle Therapie, bei der das Insulin nach den jeweils aktuell gemessenen Blutzuckerwerten gespritzt werde, bei Erlass der HKP-RL nicht bedacht habe. Die ärztlich verordneten Blutzuckermessungen seien im konkreten Fall insbesondere im Hinblick auf die Gefahr der bei B.A. wiederholt aufgetretenen Unterzuckerungen medizinisch notwendig gewesen. Dem B.A. sei es aufgrund seiner körperlichen und geistigen Einschränkungen auch nicht möglich gewesen, die Blutzuckermessungen selbst vorzunehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats gewesen ist, wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Hinsichtlich der verweigerten Genehmigung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form von Blutzuckermessungen sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger steht als Rechtsnachfolger und Erbe des B.A. der vom Sozialgericht zuerkannte Anspruch auf Erstattung der Kosten für die im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 7. Dezember 2014 im Rahmen der häuslichen Krankenpflege durchgeführten Blutzuckermessungen zu.

Als Miterbe seines verstorbenen Vaters war der Kläger berechtigt, den Anspruch nach dem Tod des B.A. für die Erbengemeinschaft gerichtlich geltend zu machen. Der Kläger hat durch Vorlage des Erbscheines des Amtsgerichts Gelnhausen vom 18. September 2018 nachgewiesen, dass er berechtigt ist, den Anspruch seines verstorbenen Vaters als Rechtsnachfolger nach § 58 Satz 1 Sozialgesetzbuch, 1. Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) im Berufungsverfahren weiterzuverfolgen. Danach werden fällige Ansprüche auf Geldleistungen, soweit sie nicht nach den §§ 56 und 57 SGB I einem Sonderrechtsnachfolger zustehen, nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs vererbt. Bei dem streitgegenständlichen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Durchführung der Blutzuckermessungen durch den ambulanten Pflegedienst des E. für den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis 7. Dezember 2014 handelt es sich um fällige Ansprüche auf Geldleistungen, die als solche auf die Erben des B.A. übergegangen sind. In der Sache wurde der Anspruch auf Erstattung der Kosten der Blutzuckermessungen vom Sozialgericht auch zu Recht bejaht.

Vom Sozialgericht wurde in dem angefochtenen Urteil die vorliegend einschlägige Anspruchsgrundlage des Kostenerstattungsanspruchs in § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von häuslicher Krankenpflege nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB V i.V.m. § 37 Abs. 2 SGB V sowie die vorliegend einschlägigen Bestimmungen der nach § 92 SGB V durch den GBA erlassenen HKP-RL zutreffend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen und von einer erneuten Darstellung abgesehen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Zutreffend sowie insoweit auch noch in Übereinstimmung mit der Beklagten ist das Sozialgericht weiterhin zum Ergebnis gelangt, dass die in der Anlage zur HKP-RL unter Nr. 11 genannten Voraussetzungen für die Erbringung von Blutzuckermessungen als Leistung der häuslichen Krankenpflege nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht vorliegen, da im streitgegenständlichen Zeitraum bei B.A. weder die Erst- oder Neueinstellung seines Diabetes durchgeführt noch eine intensivierte Insulintherapie fortgesetzt worden ist. Dies wird auch von dem Kläger nicht behauptet, führt entgegen der Ansicht der Beklagten allerdings nicht zum Ausschluss des Anspruchs auf Kostenerstattung für die durchgeführten Blutzuckermessungen.

Bereits nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahr 2006 steht die unterbliebene Aufführung einer bestimmten Behandlungspflegemaßnahme in den HKP-RL dem Anspruch eines Versicherten nicht unter allen Umständen entgegen. Danach handelt es sich bei den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V zwar um untergesetzliche Normen, die auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind. Ein Ausschluss einer im Einzelfall medizinisch gebotenen Behandlungspflegemaßnahme verstieße aber gegen höherrangiges Recht. Ebenso wenig wie der GBA ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen, ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege aus der Verordnungsfähigkeit nach § 37 SGB V auszunehmen. Die HKP-RL stellen daher keinen abschließenden Leistungskatalog über die zu erbringenden Leistungen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege dar (BSG, Urteil vom 26. Januar 2006 – B 3 KR 4/05 R –, juris Rn. 20, 21 m.w.N.). Als Voraussetzung für die Nichtverbindlichkeit der HKP-RL bezüglich einer bestimmten Maßnahme der Behandlungspflege hat das BSG dabei aber stets die Feststellung gesehen, dass der GBA die besondere Fallgestaltung nicht bedacht, die Rechtsbegriffe der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit unzutreffend ausgelegt oder die Bewertung der Notwendigkeit oder Wirtschaftlichkeit einer Behandlungsmaßnahme evident fehlerhaft vorgenommen hat (BSG, Urteil vom 26. Januar 2006 a.a.O., Rn. 22). Diesbezüglich ist allerdings zu beachten, dass zum Zeitpunkt der vorgenannten Entscheidung des BSG vom 26. Januar 2006 die zum damaligen Zeitpunkt gültige Fassung der HKP-RL vom 15. Februar 2005 unter I. Grundlagen Nr. 3 noch die strikte Vorgabe enthielt: "Die in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege sind dem dieser Richtlinie angefügten Leistungsverzeichnis (Anlage) zu entnehmen. Dort nicht aufgeführte Maßnahmen sind nicht als häusliche Krankenpflege verordnungsfähig und dürfen von der Krankenkasse nicht genehmigt werden." Ausnahmefälle für die Genehmigung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege abweichend zu dem Leistungsverzeichnis waren in der HKP-RL vom 15. Februar 2005 demnach noch nicht vorgesehen. In den für den vorliegend streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen Fassungen der HKP-RL ab dem 21. Oktober 2010 heißt es dagegen unter § 1 Abs. 4 bzw. mittlerweile wortgleich unter § 1 Abs. 3: "Nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege im Sinne von § 37 SGB V sind in medizinisch zu begründenden Ausnahmefällen verordnungs- und genehmigungsfähig, wenn sie Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans sind, im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind und von geeigneten Pflegekräften erbracht werden sollen." Soweit sich diese Voraussetzungen bejahen lassen, bedarf es entgegen der Ansicht der Beklagten folglich auch nicht mehr der vom BSG im Jahr 2006 geforderten Feststellung, dass der GBA die besondere Fallgestaltung nicht bedacht, die Rechtsbegriffe der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit unzutreffend ausgelegt oder die Bewertung der Notwendigkeit oder Wirtschaftlichkeit einer Behandlungsmaßnahme evident fehlerhaft vorgenommen hat. Die vorgenannte Änderung der HKP-RL durch den Beschluss des GBA vom 15. März 2007 erfolgte ausdrücklich unter Bezugnahme auf die vorgenannte Entscheidung des BSG vom 26. Januar 2006 und sollte unter anderem die Möglichkeit eröffnen, die Genehmigung von Blutzuckermessungen als Dauermaßnahmen im Einzelfall auch dann zu ermöglichen, wenn die Voraussetzungen der Nr. 11 des Leistungsverzeichnisses nicht vollständig erfüllt sind (vgl. Tragende Gründe zu dem Beschluss des GBA zur Änderung der HKP-RL: Öffnungsklausel für Einzelfälle, vom 15. März 2007 Nr. 2.2.).

Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls gemäß § 1 Abs. 4 S. 3 HKP-RL in den im streitgegenständlichen Zeitraum einschlägigen Fassungen der Beschlüsse vom 21. Februar 2013 (BAnz AT vom 20. August 2013 B3), 19. September 2013 (BAnz AT vom 12. Dezember 2013 B7), 23. Januar 2014 (BAnz AT vom 30. April 2014 B5) und 17. Juli 2014 (BAnz AT vom 6. Oktober 2014 B2) wurden vom Sozialgericht zu Recht bejaht. In Übereinstimmung mit dem Sozialgericht ist auch der Senat der Überzeugung, dass die dort genannten Voraussetzungen für die Annahme eines Ausnahmefalles, welcher zur Genehmigung der verordneten Maßnahme der häuslichen Krankenpflege in Abweichung von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses berechtigt, vorliegend erfüllt sind. Hierzu wurde vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass nach den Ausführungen von Dr. D. im Arztbericht vom 16. Oktober 2013 sowie im Befundbericht vom 1. August 2014 bei dem B.A. keine "Konventionelle Insulintherapie" nach einem starren Schema betrieben wurde, sondern zweimal täglich ein je nach aktuell ermitteltem Blutzuckerwert in der Dosis angepasstes Kombinationsinsulin gespritzt werden musste. Nach dem vorliegenden Insulinspritzplan vom 30. April 2013 sollte das Kombinationsinsulin "Actraphane 30 Penfil" bei einem BZ von 60-100 mg/dl morgens 6 Injektionseinheiten (IE) und abends kein Insulin, bei einem BZ von 100-140 mg/dl morgens 14 IE und abends 4 IE, bei einem BZ von 141-180 mg/dl morgens 18 IE und abends 6 IE, bei einem BZ von 181-220 mg/dl morgens 20 IE und abends 8 IE, bei einem BZ von 221-260 mg/dl morgens 22 IE und abends 10 IE und bei einem BZ über 261 mg/dl morgens 24 IE und abends 12 IE verabreicht werden. Die im streitgegenständlichen Zeitraum verordneten Blutzuckermessungen war damit "Bestandteil eines ärztlichen Behandlungsplanes". Aufgrund der Ausführungen von Dr. D. geht der Senat ferner davon aus, dass die Durchführung der Blutzuckermessungen durch einen Pflegedienst aufgrund des bei dem B.A. bestehenden medizinisch begründbaren Ausnahmefalles im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich gewesen ist. Insoweit wurde auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt, dass die vom ambulanten Pflegedienst gemessenen Blutzuckerwerte erheblich schwankten und im Zeitraum vom 10. Januar 2013 bis 30. Juni 2013 Werte von 63 mg/dl bis 349 mg/dl, vom 1. Juli 2013 bis 21. Oktober 2013 von 77 mg/dl bis 319 mg/dl gemessen wurden. In Übereinstimmung mit dem Sozialgericht bestehen auch seitens des Senats keine Zweifel, dass es sich insoweit nicht um routinemäßige Dauermessungen des Blutzuckerwertes bei einer "Konventionellen Insulintherapie" ohne therapeutische Konsequenzen gehandelt hat, sondern die tägliche Insulingabe jeweils von den gemessenen Blutzuckerwerten abhängig war. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass die Behandlung des B.A. nach den Ausführungen von Dr. D. "insgesamt ein verwirrendes Regime" darstellte, dem B.A. "zeitweilig nur schwierig folgen konnte". Von Dr. D. wurde weiterhin dargelegt, dass zugleich mit dem B.A. auch dessen demente Ehefrau durch den Pflegedienst nach einem anderen Insulin-Schema kontrolliert und gespritzt werden musste und es auch bei dem B.A. aufgrund Einschränkungen seiner Hirnleistung "zu einer längeren Aneinanderreihung vieler kleiner Missverständnisse im Praxisalltag" gekommen sei. Von Dr. D. wurde damit im Ergebnis nachvollziehbar die Auffassung vertreten, dass die täglich mit den Insulin-Injektionen einhergehenden Blutzuckerkontrollen der Durchführung durch den Pflegedienst bedurften, da ansonsten ein nicht zu verantwortendes hohes Risiko für Blutzucker-Fehlmessungen und Insulin-Fehldosierungen bestanden hätte. Im Ergebnis wurden von ihm damit das Vorliegen eines Ausnahmefalles im Sinne des § 1 Abs. 4 S. 3 HKP-RL medizinisch nachvollziehbar begründet. Angesichts der Befundmitteilungen von Dr. D. bestehen für den Senat weiterhin keine Zweifel, dass der von ihm schlüssig dargelegte Ausnahmefall auch das Überschreiten der in der Anlage zur HKP-RL unter Nr. 11 genannten Verordnungshöchstdauer von 4 Wochen rechtfertigt.

Die Ausführungen des MDK in dem Gutachten vom 28. November 2013 stehen dem nicht entgegen. Die Sachverständige Dr. G. beschränkt sich darin im Wesentlichen auf die Darlegung der Voraussetzungen einer Intensivierten Insulintherapie und der Feststellung, dass eine solche bei B.A. im streitgegenständlichen Zeitraum nicht durchgeführt worden ist. Soweit darüber hinaus nach ausgeführt wurde, dass die gemessenen Blutzuckerwerte "außerhalb akut bedrohlicher Zustände" und "noch im tolerablen, altersadoptierten Bereich" lägen, wird allein hierdurch die Notwendigkeit der Durchführung der Blutzuckerkontrollen durch einen Pflegedienst aufgrund der von Dr. D. nachvollziehbar dargelegten Ausnahmesituation nicht widerlegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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