S 2 AS 1433/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 2 AS 1433/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 330/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 26/19 R
Datum
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 52,60 EUR zuzgl. Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 19.7.2013 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die zur Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt als Bevollmächtigte von Frau C. C. in einem Widerspruchsverfahren gegenüber dem Beklagten die Erstattung ihrer Kosten; zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte diesen Kostenerstattungsanspruch mit Forderungen gegenüber der Leistungsempfängerin aufrechnen durfte.

Die Klägerin ist Rechtsanwältin und vertrat im Widerspruchsverfahren Frau C. gegenüber dem Beklagten (betreffend den Bescheid vom 18.9.2012). In diesem Verfahren erließ der Beklagte mit Datum vom 12.6.2013 einen Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid, der eine Erstattung der zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu 17% vorsah. Der Widerspruchsführerin war für dieses Verfahren Beratungshilfe bewilligt worden (Beschluss des Amtsgerichtes Bad Homburg vom 4.1.2013).

Die Klägerin stellte (in eigenem Namen) dem Beklagten die streitigen Kosten in Höhe von 52,60 EUR in Rechnung (Schreiben vom 19.6.2013). Dazu erklärte der Beklagte, die Kosten seien dem Grunde nach erstattungsfähig. Er rechne sie jedoch mit einer bestehenden Darlehensforderung gegenüber der Widerspruchsführerin auf (Schreiben vom 24.7.2013). Mit Schreiben vom gleichen Tage erklärte der Beklagte gegenüber der Widerspruchsführerin die Aufrechnung des Kostenerstattungsanspruchs mit einer ihr gegenüber noch bestehenden Darlehensforderung.

Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 12.8.2013 die Auszahlung der Kosten an die Klägerin endgültig ablehnte, hat die Klägerin mit bei Gericht am 8.10.2013 eingegangenem Schriftsatz Klage erhoben.

Sie trägt im Wesentlichen vor, die Aufrechnung des Erstattungsanspruchs sei ausgeschlossen, da der Anspruch durch die Gewährung einer Beratungshilfe vom 4.1.2013 gemäß § 9 BerHG auf die Klägerin übergegangen sei.

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 52,60 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 19.7.2013 zu zahlen; die Berufung zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen; die Berufung zuzulassen.

Die Aufrechnung sei wirksam erklärt worden. In Fällen des gesetzlichen Forderungsüberganges bleibe zugunsten des schutzwürdigen Schuldners dessen Aufrechnungsmöglichkeit auch gegenüber dem Neugläubiger (hier der Klägerin) bestehen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte.

Entscheidungsgründe:

Die allgemeine Leistungsklage ist zulässig und begründet, § 54 Abs. 5 SGG. Die Klägerin hat einen Anspruch auf (anteilige) Zahlung ihrer Vergütung. Das Gericht folgt aus eigener Überzeugung den rechtlichen Ausführungen des Sozialgerichtes Berlin, Urteil vom 9.3.2016, Az S 190 AS 3757/15 in einem vergleichbaren Verfahren:

Grundsätzlich steht der Anspruch auf Übernahme der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung einschließlich der Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes für ein isoliertes Widerspruchsverfahren nach § 63 Absatz 1 Satz 1 iVm Absatz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zwar nur der Widerspruchsführerin gegenüber dem Beklagten, nicht dagegen der Rechtsanwältin im eigenen Namen zu (vgl. BSG, Urteil vom 25. Februar 2010, B 11 AL 24/08 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. April 2012, L 19 AS 312/12 B). Vorliegend sind jedoch die Voraussetzungen des Forderungsüberganges gemäß § 9 Satz 2 BerHG erfüllt, der auch Kostenerstattungsansprüche nach § 63 SGB X für die Vertretung in einem sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren erfasst (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. Mai 2014, L 11 AS 1360/12 NZB). Nach dieser Vorschrift geht ein Anspruch des Rechtsuchenden gegen seinen Gegner auf Ersatz der Rechtsverfolgungskosten in Höhe der gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren auf den Rechtsanwalt über. Hierbei handelt es sich um einen gesetzlichen Anspruchsübergang, bei dem der Rechtsuchende sein Recht verliert und der Rechtsanwalt dieses Recht erwirbt. Der Rechtsanwalt tritt damit an die Stelle des Rechtsuchenden als Gläubiger des Ersatzanspruchs (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Mai 2015, L 6 AS 34/15).

Die geltend gemachte Erstattungsforderung hinsichtlich der Aufwendungen im Vorverfahren ist nicht durch Aufrechnung entsprechend § 389 BGB erloschen. Die vom Beklagten mit Schreiben vom 24.7.2013 erklärte Aufrechnung führte nicht zur Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs, weil es zur Überzeugung der Kammer an der erforderlichen Aufrechnungslage mangelte. Neben einer wirksamen Aufrechnungserklärung erfordert die Aufrechnung eine Aufrechnungslage, die gemäß § 387 BGB vorliegt, wenn der Schuldner die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende gleichartige Leistung bewirken kann.

Mit der auf Zahlung gerichteten Forderung des Beklagten gegen Frau C. (Rückzahlung eines Darlehens) konnte nicht gegen den geltend gemachten Anspruch hinsichtlich der Aufwendungen im Vorverfahren angerechnet werden, weil es sich zwar um gegenseitige Forderungen handelt, es jedoch an der von § 387 BGB vorausgesetzten Gleichartigkeit der Forderungen mangelt. Dabei muss der Gegenstand der einander gegenüberstehenden Forderungen gleichartig sein, nicht der Rechtsgrund. Was gleichartig ist, richtet sich nach der Verkehrsanschauung (Schlüter in MüKo, 7. Aufl. 2016, § 387 BGB, Rn. 29).

Bei dem Anspruch der Widerspruchsführerin aus § 63 SGB X handelt es sich, soweit noch keine Zahlung an den Bevollmächtigten geleistet wurde, um einen Freistellungsanspruch (vgl. neben anderen LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6.5.2015, L 6 AS 288/13; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.3.2017, L 18 AS 232/17 NZB; BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014, B 14 AS 60/13 R; aA Hessisches LSG, Urteil vom 29.10.2012, L 9 AS 601/10; SG Karlsruhe, Urteil vom 24.10.2013, S 15 AS 3800/12). Ein Freistellungsanspruch und ein Zahlungsanspruch können mangels Gleichartigkeit nicht gegeneinander aufgerechnet werden (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1954, I ZR 34/53).

Etwas anderes folgt zur Überzeugung der Kammer auch nicht daraus, dass der Freistellungsanspruch durch den gesetzlichen Forderungsübergang gemäß § 9 Satz 2 BerHG zu einem Zahlungsanspruch der Klägerin geworden ist, sich nach dem Forderungsübergang demnach zwei gleichartige Forderungen gegenüberstanden. Nach Auffassung der Kammer muss das Erfordernis der Gleichartigkeit im Falle eines gesetzlichen Forderungsübergangs bereits zur Zeit der Abtretung gegeben sein. Zwar hat der BGH (Urteil vom 22. Januar 1954, aaO) entschieden, dass es nach der Grundregel des § 387 BGB erforderlich und genügend sei, wenn die Gleichartigkeit im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vorliege. Ein zwingender rechtlicher Grund, von dieser Regel für den Fall abzuweichen, dass die Gleichartigkeit erst durch eine Abtretung herbeigeführt werde, sei nicht ersichtlich. Der Grundgedanke des § 406 BGB, eine Schlechterstellung des Schuldners durch die Abtretung zu verhindern, nötige mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift nicht dazu, ihn eines Vorteils zu berauben, den er unter bestimmten Voraussetzungen durch die Abtretung erlangen kann.

Auch die Rücksichtnahme auf den Gläubiger rechtfertige keine abweichende Beurteilung. Denn dem Gläubiger stehe es frei, von der Abtretung Abstand zu nehmen, wenn ihm die Umwandlung in einen Zahlungsanspruch und die damit geschaffene Aufrechnungsmöglichkeit nicht erwünscht sei. Billigkeitsgründe, die es im Interesse des Gläubigers erfordern könnten, die Aufrechnung auszuschließen, seien daher nicht gegeben.

Im hiesigen Fall eines gesetzlichen Forderungsübergangs stehen der Aufrechnung nach Meinung der Kammer jedoch Billigkeitsgründe entgegen. Denn bei einem gesetzlichen Forderungsübergang steht es dem Gläubiger nicht frei, von der Abtretung Abstand zu nehmen, wenn ihm die Umwandlung in einen Zahlungsanspruch und die damit geschaffene Aufrechnungsmöglichkeit nicht erwünscht ist. Die Klägerin hatte hier keine Möglichkeit, den Übergang des Freistellungsanspruchs und damit die Entstehung einer Aufrechnungslage zu verhindern. Hinzu kommt, dass die Klägerin nach § 49a BRAO verpflichtet ist, Beratungshilfemandate zu übernehmen. § 49a Abs. 1 BRAO bestimmt, dass der Rechtsanwalt verpflichtet ist, die in dem Beratungshilfegesetz vorgesehene Beratungshilfe zu übernehmen. Er kann die Beratungshilfe nur im Einzelfall aus wichtigem Grund ablehnen.

Etwas anderes folgt nach Auffassung der Kammer auch nicht daraus, dass seit dem 1. Januar 2014 das zuvor im BerHG geregelte Vergütungsverbot (§ 8 BerHG a.F.) in dieser Form nicht mehr existiert. Denn ein Vergütungsanspruch kann nicht durchgesetzt werden kann, wenn und solange Beratungshilfe bewilligt ist (BT-Drucks. 17/11472, 26). Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BerHG bewirkt die Bewilligung von Beratungshilfe, dass die Beratungsperson gegen den Rechtsuchenden keinen Anspruch auf Vergütung mit Ausnahme der Beratungshilfegebühr nach § 44 Satz 2 RVG geltend machen kann. Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 BerHG gilt dies auch in den Fällen nachträglicher Antragstellung bis zur Entscheidung durch das Gericht. § 8 Abs. 2 BerHG bewirkt, dass der aus einer Vergütungsvereinbarung resultierende Anspruch der Beratungsperson gegen den Rechtsuchenden nicht geltend gemacht werden kann, wenn und solange Beratungshilfe bewilligt ist bzw. im Falle nachträglicher Antragstellung das Gericht noch keine Entscheidung über den Antrag getroffen hat (BT-Drucks. 17/11472, 43). Die Aufhebung von Beratungshilfe kommt jedoch nur in den engen Grenzen des § 6a BerHG in Betracht. Nach § 6a Abs. 2 Satz 3 BerHG ist Voraussetzung, dass der Rechtssuchende auf Grund des Erlangten die Voraussetzungen hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für die Bewilligung von Beratungshilfe nicht mehr erfüllt. Insofern bleibt es im Grundsatz dabei, dass ein Vergütungsanspruch grundsätzlich nicht geltend gemacht werden kann.

Billigkeitsgesichtspunkte sprechen demnach zur Überzeugung der Kammer dafür, im Falle des Forderungsübergangs nach § 9 Satz 2 BerHG eine Aufrechnung auszuschließen.

Der Leistungsklage war deshalb stattzugeben.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 Absatz 1 BGB (aA und ablehnend Becker in: Hauck/Noftz, SGB, 05/17, § 63 SGB X, Rn. 113).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Diese Bestimmung findet vorliegend Anwendung, obwohl Klägerin und Beklagter nicht zu dem privilegierten Personenkreis des § 183 SGG zählen. Die Klägerin macht vorliegend aber den Anspruch einer privilegierten Person im Sinne des § 183 SGG aus Abtretung kraft Gesetzes geltend. Bei dieser Konstellation ist die Anwendung des § 193 SGG ebenfalls gerechtfertigt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl., SGG-Komm, Rdnr. 6a).

Die Berufung war nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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