S 24 SB 20/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
24
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 24 SB 20/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 SB 104/04
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist in einem Überprüfungsverfahren, ob bei dem Kläger ab November 1997 ein höherer GdB festzustellen war.

Der 1959 geborene Kläger hatte erstmals am 16.03.1996 Anerkennung als Schwerbehinderter beantragt. Das Versorgungsamt Duisburg hatte u.a. einen Befundbericht des Urologen T1 eingeholt, der über einen chronischen Harnwegsinfekt berichtete und einen Befundbericht des Internisten Dr. I, der über die Erstmanifestation eines Diabetes mellitus Typ I vom 05.02.1996 berichtete, der insulinpflichtig sei. Dr. I hatte u.a. einen Bericht des Ev. Krankenhaus Bethesda zu E vom 28.02.1996 beigefügt, in dem unter dem Stichwort zusammenfassende Beurteilung, Therapie und Verlauf ausgeführt wird, der Kläger sei auf eine Insulintherapie eingestellt worden, er habe die BZ-Schulung besucht und die Technik der Insulininjektion sowie die Prinzipien der BZ-Selbstkontrolle erlernt. Durch drei Insulininjektionen am Tag (morgens Kombiinsulin, vor dem Mittagessen und vor dem Abendessen ein reines NPH-Insulin) habe sich eine gute BZ-Einstellung erzielen lassen. Ausweislich einer gutachterlichen Stellungnahme vom 24.05.1996 durch Dr. T2 bewertete das Versorgungsamt den insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I mit einem Einzel-GdB von 30 und den chronischen Harzwegs-Infekt mit einem Einzel-GdB von 10 und stellte bei dem Kläger mit Bescheid vom 07.08.1996 einen GdB von 30 fest.

Am 04.11.1997 beantragte der Kläger unter Hinweis auf die AHP 1996 die Feststellung eines GdB von 40. Danach sei der GdB bei einem Diabetes mellitus, der durch Diät und alleinige Insulinbehandlung gut einstellbar sei mit einem GdB von 40 zu bewerten. Um einen solchen Fall handele es sich bei ihm. Mit Bescheid vom 27.02.1998 stellte das Versorgungsamt Duisburg bei dem Kläger ab 04.11.1997 einen GdB von 40 fest.

Am 29.08.2003 wandte sich der Kläger unter Hinweis auf das rechtskräftige Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.03.2003, S 31 SB 288/01, an das Versorgungsamt Duisburg. Nach diesem Urteil entsprächen die AHP 1996 hinsichtlich der Bewertung des Diabetes mellitus nicht mehr dem herrschenden Stand der sozialmedizinischen Wissenschaft und seien daher nicht anzuwenden. Vielmehr sei die Einstufung vorzunehmen, die die Deutsche Diabetes Gesellschaft entwickelt habe. Bei zwei oder mehr Insulininjektionen pro Tag sei je nach Häufigkeit der notwendigen Stoffwechselselbstkontrollen ein GdB von 50 bis 60 festzustellen. Er beantrage daher den Bescheid vom 27.02.1998 zu ändern und erneut über die Höhe des GdB zu entscheiden.

Mit Bescheid vom 17.11.2003 und Widerspruchsbescheid vom 09.01.2004 lehnte das beklagte Land den Überprüfungsantrag des Klägers ab. Der GdB des Klägers sei seinerzeit zutreffend festgestellt worden. Die AHP 1996 seien für die Bewertung eines Diabetes mellitus Typ I nach wie vor verbindlich.

Zur Begründung seiner am 30.01.2004 erhobenen Klage beruft sich der Kläger weiterhin auf das erwähnte Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf und meint, die von der Deutschen Diabetes Gesellschaft entwickelte Klassifizierung sei bei der Feststellung des für einen Diabetes mellitus Typ I zu vergebenden GdB anzuwenden. Bei ihm ergebe sich dann wegen seines Diabetes mellitus Typ I ein GdB von 50. Die Bewertung des chronischen Harnweginfektes sei nicht streitig.

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 17.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2004 zu verurteilen, bei dem Kläger unter Änderung des Bescheides vom 27.02.1998 ab 04.11.1997 einen GdB von 50 festzustellen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und insbesondere die AHP 1996 bei der Bewertung eines Diabetes mellitus Typ I weiterhin für verbindlich.

Das Gericht hat einen Befundbericht von dem den Kläger wegen seines Diabetes mellitus behandelnden Arztes Priv. Doz. Dr. Q eingeholt. Dieser hat in seinem Befundbericht vom 02.04.2004 mitgeteilt, es handele sich um einen auch mit Diät und alleiniger Insulinbehandlung nur schwer einstellbaren Diabetes. Vier bis acht Blutzuckermessungen täglich seien erforderlich. Zu ausgeprägten Hypoglykämien komme es selten. Der Diabetes habe nicht zu Komplikationen an anderen Organen geführt. Der Blutzuckerwert betrage morgens zwischen 100 und 280 mg/dl, tagsüber zwischen 80 und 160 mg/dl. Der HbA1c-Wert liege bei 7 %. Augenschäden seien nicht aufgetreten, ebenso wenig wie Nierenschäden. Eine diabetische Polyneuropathie bestehe nicht. Beigefügt ist ein Bericht von Priv. Doz. Dr. Q an den Kläger vom 31.03.2003. Unter der Überschrift Beurteilung heißt es in diesem Bericht: "Von den phasenweise zu hohen Nüchternblutzuckerwerten abgesehen, gestaltet sich die Diabeteseinstellung inzwischen etwas stabiler, die Gesamtbedeutung der hohen Blutzuckerwerte wird durch den guten HbA1c-Wert auch relativiert. Dennoch wäre es schön, wenn durch die Kombination einer weiter verringerten Lantus-Dosierung abends mit regelmäßiger körperlicher Aktivität eine weitere Stabilisierung, vor allem auch der Nüchtern-Blutzuckerwert zu erreichen wäre. Die vorbestehende Hypochelesterinämie ließ sich bei der jetzigen Untersuchung nicht mehr nachweisen, so dass sie zum einen früher wohl auch Ausdruck der suboptimalen Diabeteseinstellung gewesen ist, möglicherweise aber auch durch eine bewusst fettarme Kost günstig beeinflusst wurde. Eine lipidsenkende Medikation ist derzeit sicher nicht erforderlich. HbA1c-Kontrollen sollten bitte weiterhin vierteljährlich durchgeführt werden." In dem Bericht ist der HbA1c-Wert mit 6,6 % angegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakten und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Bei dem Kläger war zurecht durch den Bescheid vom 27.02.1998 ab 04.11.1997 ein GdB von 40 festgestellt worden.

Die Überprüfung von nicht begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsakten richtet sich nach § 44 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu unrecht erhoben worden sind. Auf Bescheide über die Feststellung des GdB ist § 44 Abs. 1 SGB X nicht anwendbar. Die Feststellung eines GdB erfolgt zwar durch Verwaltungsakt. Durch die Feststellung des GdB werden aber keine Sozialleistungen erbracht oder Beiträge erhoben. Einschlägig ist vielmehr § 44 Abs. 2 SGB X. Danach ist im übrigen ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Voraussetzung für eine Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 44 Abs. 2 SGB X ist ebenso wie bei Überprüfung von Bescheiden nach § 44 Abs. 1 SGB X, dass bei Erlass des zur Überprüfung gestellten Bescheides das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist.

Bei der Feststellung des GdB mit 40 durch den Bescheid vom 27.02.1998 ist das Versorgungsamt Duisburg vom richtigen Sachverhalt ausgegangen und hat das Recht richtig angewandt.

Der Kläger gehörte im zu überprüfenden Zeitraum zu den behinderten Menschen im Sinne von § 3 Abs. 1 SchwbG, denn bei ihm lagen Auswirkungen nicht nur vorübergehender Funktionsbeeinträchtigungen vor, die auf einen regelwidrigen körperlichen Zustand beruhten, der mehr als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Er gehörte allerdings noch nicht zu den Schwerbehinderten im Sinne von § 1 SchwbG, denn ein GdB von 50 lag bei ihm noch nicht vor. Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung war nach § 3 Abs. 2 SchwbG als Grad der Behinderung (GdB) nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Zur inhaltlichen Bemessung und konkreten Bestimmung des GdB im Einzelfall ist regelmäßig zum Zweck der Gleichbehandlung aller Antragsteller von dem in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, Ausgabe 1996" (AHP), festgelegten Grundsätzen auszugehen (hierzu zuletzt ausführlich BSG, Urteile vom 18.09.2003, B 9 SB 3/02 R, Breithaupt 2004 S. 297 - 303, und B 9 SB 6/02 R).

Bei dem Kläger lagen folgende Behinderungen vor:

durch Diät und alleinige Insulinbehandlung guteinstellbarer Diabetes mellitus Typ I - GdB 40 chronischer Harnwegsinfekt - GdB 10

Insgesamt ergab sich ein GdB von 40.

Grundlage der Entscheidung war seinerzeit der Befundbericht von Dr. I vom 08.04.1996 i.V.m. den an Dr. I gerichteten Brief des Ev. Krankenhauses Bethesda zu E vom 28.02.1996 über die Feststellung des Diabetes mellitus Typ I beim Kläger und dem darin enthaltenen Bericht über die gute Einstellung durch eine Insulintherapie mit drei Injektionen am Tag. In seinem Änderungsantrag vom 04.11.1997 hatte der Kläger selbst ausgeführt, dass sein Diabetes mellitus durch Diät und alleinige Insulinbehandlung gut einstellbar sei und deshalb ein GdB von 40 vorliege. Dies entsprach zum Zeitpunkt der Entscheidung auch der in den AHP 1996 unter Ziff. 26.15 auf Seite 119 der vorgesehenen Bewertung. Danach war ein Diabetes mellitus durch Diät und alleinige Insulinbehandlung gut einstellbar mit einem GdB von 40 zu bewerten. Aus der Übereinstimmung der Feststellung in tatsächlicher Hinsicht mit den Bewertungskriterien entsprechend der AHP 1996 ergibt sich unmittelbar, dass bei der Feststellung des GdB seinerzeit auch das Recht richtig angewandt worden ist. Bei zwei bei dem Kläger vorliegenden Behinderungen, mit einem GdB von 40 zu bewertenden Diabetes mellitus Typ I und einem chronischen Harnwegsinfekt, der unstreitig mit einem GdB von 10 zu bewerten war, war unter Berücksichtigung der in Ziffer 19 AHP entwickelten Kriterien zur Bildung eines Gesamt-GdB, wonach leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung führen, insgesamt ein GdB von 40 festzustellen, wie seinerzeit geschehen.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die AHP 1996 nicht mehr dem sozialmedizinischen wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprochen haben. Das BSG (a.a.O.) hat ausgeführt, dass es keinen Anhalt dafür gebe, dass die AHP 1996 bei der tabellenmässigen Taxierung der vorliegenden Behinderungen oder bei den Vorgaben zur Festlegung des Gesamt-GdB den im Jahre 1996 in der sozialmedizinischen Wissenschaft erreichten Kenntnisstand oder zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnissen nicht beachtet hätten. Allerdings lag den vom BSG entschiedenen Fällen keine Bescheide unter Einbeziehung von Feststellungen über die Bewertung von Diabetes mellitus zugrunde. Das BSG hat weiter ausgeführt, dass die Gerichte davon ausgehen könnten, dass der ärztliche Sachverständigenbeirat - Sektion Versorgungsmedizin - regelmäßig die ihm gestellte Aufgabe erfülle und bei jeder Ausgabe der AHP sowie danach durchlaufende Überarbeitung neue Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkung von Gesundheitsstörungen berücksichtige. Etwas anderes gelte nur in den Fällen, in denen Zweifel an der Aktualität der AHP bestünden, etwa weil eine ernstzunehmende Stimme eine abweichende Auffassung vertrete. Solchen Zweifeln hätten die Gerichte nachzugehen und sie auszuräumen oder zu bestätigen. In diesem Fall sei dann ggf. auch der ärztliche Sachverständigenbeirat bzw. für diesen die Versorgungsverwaltung verpflichtet im jeweiligen Verfahren die seiner Beurteilung zugrundeliegenden Erwägungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse vollständig offen zu legen. Nur so werde sich feststellen lassen, ob dem in der einschlägigen AHP-Regel liegende antizipierten Sachverständigengutachten weiterhin zu folgen sei.

Die AHP 1996 gaben den Rechtsstand von November 1996 wieder. Der Sachverständigen Beirat hat sich seit Inkrafttreten der AHP 1996 wiederholt mit der Bewertung des GdB für die Behinderung Diabetes mellitus befasst, 12./13.11.1997, 28. /29.04.1999, 03./04.11.1999, 07./.08.11.2001, 24./25.04.2002, 26.03.2003 und zuletzt 05.11.2003. Dabei hat der Sachverständigenbeirat in Kenntnis der gegenteiligen Auffassung der Deutschen Diabetes Gesellschaft durchgehend daran festgehalten, dass Kriterium für die GdB-Feststellung weiterhin die Einstellbarkeit des Diabetes mellitus und nicht die Häufigkeit von Insulingaben ist. "Einstellbarkeit" des Diabetes mellitus sei ein klinischer Begriff, der sich nicht alleine an der Häufigkeit oder Schwere von Hypoglykämien festmachen lasse. Richtig sei allerdings, dass ein Diabetes mellitus mit wesentlichen Hypoglykämien - unabhängig von der Qualität der Diätführung - einen höheren GdB rechtfertige als ein Diabetes mellitus ohne solche Hypoglykämien. (Beirat vom 18./19.03.1993 und Auskunft des BMA vom 15.04.2002). Auch eine intensivierte Insulinbehandlung rechtfertige es nicht, regelhaft einen GdB von 50 anzunehmen. Diese Behandlung bringe vielmehr eine wesentliche Verbesserung der Lebenssituation und Lebensqualität mit sich, so dass die Beeinträchtigungen wesentlich geringer seien (Beirat vom 03./ 04.11.1999). Als ein Ergebnis seiner Tagung im November 2001 hat der Beirat die Auffassung vertreten, dass die Kriterien zur Beurteilung des GdB bei Diabetes mellitus nur scheinbar die Therapie in den Vordergrund stellten. Im Grunde werde die Beurteilung primär vom Typ sowie der jeweiligen Ausprägung und Auswirkung der Stoffwechselstörung und nur sekundär von der Art der Behandlung bestimmt. Entgegen der anderslautenden Ausführungen des SG Düsseldorf im Urteil vom 05.03.2003, S 31 SB 388/01, ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass die AHP 1996 unter Ziffer 26.15 beim Diabetes mellitus nicht mehr dem herrschenden wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprechen. Dies gilt sowohl für den hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt Februar 1998 als auch für die Zeit danach. Das Sozialgericht Düsseldorf zitiert aus einem von ihm eingeholten Gutachten von Prof. Dr. T2. vom Deutschen Diabetes Forschungsinstitut wie folgt: "Bei dem Begriff der Einstellbarkeit handelt es sich um einen "klinischen Begriff", der beschreiben soll, wie leicht die allgemeinen Therapieziele werden können. Als allgemeine Therapieziele müssen sowohl das Vermeiden von Hyperglykämien (erhöhten Blutzuckerwerten) sowie das Vermeiden von Hypoglykämien (Unterzuckerungen) angesehen werden. Letztendlich handelt es sich hierbei abschließend um eine qualitative, vergleichende Beurteilung. Problematisch erscheint hier jedoch, dass sowohl der a) Therapieaufwand im Sinne des Therapiekonzeptes (z.B. 1-2 Spritzenregime (1-2 Injektionen/Tag) vs. 4-Spritzenregime (4 Injektionen/Tag)) als auch b) die primäre Motivation des Patienten zur Therapie neben den sogenannten nicht beeinflussbaren körperlichen Faktoren eine entscheidende Rolle spielen. Wie in einer Stellungnahme des Ausschuss Soziales der Deutschen Diabetes Gesellschaft ("Einstufung des Grades der Behinderung bei Diabetes mellitus" s. Anlage) formuliert, halten wir daher die Orientierung des Grades der Behinderung (GdB) am Kriterium der Einstellbarkeit für sehr problematisch, da sie a priori und Ungleichbehandlung begünstigt. Ein mit einem erheblichen Therapieaufwand (z.B. 4-Spritzenregime) gut eingestellter Diabetiker hätte somit einen niedrigen GdB zu erwarten, als derselbe Diabetiker, der allein aufgrund eines insuffizienten Therapieregimes schlecht eingestellt ist. Ebenso würde einem Patienten, der sich an Therapie-Empfehlungen nicht hält, und somit eine schlechtere Einstellbarkeit mitbewirkt, ein höherer GdB zugeordnet, als selbigem Patienten, der gewissenhaft alle Therapieempfehlungen umsetzt. Analog der Stellungnahme der DDG würden wir begrüßen, wenn sich alternativ die Einteilung des Grades der Behinderung nicht an der Einstellbarkeit per se, sondern am zur Therapie notwendigen Therapieaufwand und in zweiter Linie an Kriterien von Hypoglykämie und Hyperglykämie orientieren würde. Zusätzlich müssten in die Beurteilung auch psychische Faktoren wie Krankheitsbewältigung oder sonstige psychoreaktive Störungen einfließen." Nach Auffassung des Gerichts ist die Häufigkeit und Schwere von Hypoglykämien nach wie vor ein geeigneter Maßstab, um die körperlichen, seelischen und sozialen Auswirkungen und Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu bewerten. Das Sozialgericht Düsseldorf (a.a.O.) begründet seine abweichende Auffassung wie folgt: "Wie der Sachverständige Prof. Dr. T2. in seinem Gutachten ausführlich und überzeugend dargelegt hat, hängt die Frage, ob und wie oft Hypoglykämien auftreten im Wesentlichen nicht von der Art der Erkrankung, sondern von der Durchführung der Diät- und Insulinbehandlung ab. Die medizinische Wissenschaft hält es daher für sinnvoll und richtig, den Diabetes anhand des Therapieaufwandes zu bewerten, der erforderlich ist, um eine zufriedenstellende Einstellung des Diabetes zu erreichen (vgl. z.B. von Kriegstein, Vorschlag zur Bewertung des Grades der Behinderung bei insulinbehandelten Diabetikern, in Diabetes und Stoffwechsel, Nr. 3, 1994, Seite 34 bis 36 und K.-D. Becherer und andere "Die Einstufung des Grades der Behinderung beim Diabetes mellitus in Diabetes und Stoffwechsel, Nr. 7, 1998, Seite 37, 38; Vorschlag der Deutschen Diabetes-Gesellschaft vom 16.11.1994 für die Neufassung des Kapitels 26.15 der "Anhaltspunkte" abgedruckt in Diabetes und Stoffwechsel, Nr. 7, 1998, Seite 60 - siehe unten -). Diese Auffassung ist folgerichtig und steht im Übrigen im Einklang mit den gesetzlichen Vorschrift des SGB IX, denn Ziel des SGB XI ist, "die Behinderten zur Führung eines normalen und unabhängigen Lebens zu befähigen und voll und ganz in der Gesellschaft zu integrieren" (Entschließung des Rats der Europäischen Gemeinschaft vom 27. Juni 1974 in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. C 80/30 f vom 9. Juli 1974; vgl. dazu Kraus, Empfehlung und Entschließung des Europarats zur Rehabilitation der Behinderten und die Neuordnung des Behindertenrechts in der Bundesrepublik Deutschland in ZAS ÖST 1975, 43 f; BSG Urteil vom 09.10.1987 - Az.: 9 a RVs 5/86). Die gewünschte gesellschaftliche Integration des Behinderten wird jedoch nicht gefördert, wenn, wie beim Diabetes mellitus in den "Anhaltspunkten", (nur) ein "insuffizientes Therapieregimes" mit der Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft belohnt wird."

Diese Begründung vermag nicht zu überzeugen. Es mag zwar sein, dass das Kriterium der Einstellbarkeit als Maßstab für den GdB a priori Ungleichbehandlung begünstigt, wie Prof. Dr. T2. in seinem Gutachten ausgeführt hat und ob und wie oft Hypoglykämien auftreten im wesentlichen nicht von der Art der Erkrankung, sondern von der Durchführung der Diät und Insulinbehandlung abhängen. Das steht einer Feststellung des GdB nach dem Kriterium der Einstellbarkeit jedoch nicht zwingend entgegen. Das Sozialgericht Düsseldorf zitiert Prof. Dr. T2. dahingehend, dass es sich bei dem Begriff der Einstellbarkeit um einen klinischen Begriff handele, der beschreiben soll, wie leicht die allgemeinen Therapieziele erreicht werden könnten. Dies ist auch die Auffassung des Sachverständigenbeirates (a.a.O.). Es führt auch nicht zu einer beachtlichen Ungleichbehandlung bei der Feststellung des GdB bei Diabetikern, die eine gute Einstellung durch gewissenhafte Befolgung des Therapieregimes erreichen mit solchen, die dies nicht tun. Gerade weil das Kriterium der Einstellbarkeit an die Erreichbarkeit des Therapieziels und nicht an das Erreichen abstellt, wird einer solchen Ungleichbehandlung vorgebeugt. Das Argument der Ungleichbehandlung von Diabetikern anknüpfend an deren Mitwirkung am Therapieregime ist kein geeigneter Gesichtspunkt bei der Beantwortung der Frage, welcher GdB festzustellen ist. Die Berücksichtigung der Behandelbarkeit bei der GdB-Feststellung ist den AHP 1996 nicht fremd. In AHP Ziffer 26.15 heißt es, dass Schilddrüsenfunktionsstörungen (Überfunktion und Unterfunktion [auch nach Schilddrüsenresektion]) gut behandelbar seien, so dass in der Regel anhaltende Beeinträchtigungen nicht zu erwarten seinen. Organkomplikationen seien gesondert zu beurteilen. Bei nicht operativ behandelten Struma richte sich der GdB-Grad nach den funktionellen Auswirkungen. Bei Beachtung des Therapieregimes können so Organkomplikationen vermieden werden mit der Folge, dass ein GdB wegen gut behandelter Schilddrüsenfunktionsstörung nicht festzustellen ist. Gleiches gilt für andere Stoffwechselerkrankungen, wie Tetanie und Addison-Syndrom (AHP Ziffer 26.15), für endokrin bedingte Funktionsstörungen der Eierstöcke (AHP Ziffer 26.14) oder Anämien (AHP Ziffer 26.16). Dem Schwerbehindertenrecht ist seit je die Frage nach der Schuld an der Behinderung fremd. Der GdB ist von je her unabhängig von der Ursache und damit auch unabhängig vom Selbstverschulden festzustellen. Ob jemand beispielsweise durch einen selbstverschuldeten Autounfall Behinderungen erleidet oder als Opfer eines Unfalls, ist bei der Feststellung des für die als Unfallfolgen verbleibenden Behinderungen zu vergebenden GdB unbeachtlich. Wer durch ungesunde Lebensweise wie jahrelangen exorbitanten Nikotinkonsum Gesundheitsschäden an Herz und Kreislauf oder Atemwegsorganen erleidet wird bei der Feststellung des GdB genauso behandelt wie derjenige, der unter entsprechenden Erkrankungen leidet, obwohl er sein Leben lang solche Gesundheitsgefährdungen vermieden hat. Diese Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen. Für das Gericht ist auch nicht erkennbar, welche Argumentationskraft die Auffassung des Sozialgerichts Düsseldorf (a.a.O.) im Zusammenhang mit der Begründung für die Ansicht, die AHP 1996 entsprächen beim Diabetes mellitus dem herrschenden wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht, hat, die gewünschte gesellschaftliche Integration des Behinderten werde jedoch nicht gefördert, wenn, wie beim Diabetes mellitus in den Anhaltspunkten, (nur) ein "insuffizientes Therapieregimes" mit der Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft belohnt werde. Die Feststellung des GdB ist nicht nur verschuldens-unabhängig, sie knüpft auch nicht an den Gedanken Belohnung und Bestrafung an. Wer als Diabetiker seine Therapieanweisungen bei grundsätzlich guter Einstellbarkeit nicht beachtet und dadurch ausgeprägte Hypoglykämien erleidet, wird nicht mit der Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft belohnt, er schadet sich vielmehr genauso selbst, wie ein Herzkranker, der seine Medikamente nicht nimmt und dadurch dauerhaft Leistungsbeeinträchtigungen bereits bei alltäglicher leichter Belastung erleidet (GdB 50 oder höher, AHP Ziffer 26.8), obwohl bei Beachtung des Therapieregimes wesentliche Leistungsbeeinträchtigungen hätten vermieden (GdB 0 - 10) oder der Gesundheitszustand bei mittelschweren Leistungsbeeinträchtigungen (GdB 20 - 40) hätte stabilisiert werden können.

Das Gericht kann auch nicht erkennen, warum im übrigen bei guter Einstellbarkeit ein mit zwei oder mehr Insulininjektionen behandelter Diabetes mellitus zwingend mit einem GdB von 50 oder höher zu bewerten wäre. Bei den Anhaltspunkten handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung (BSG a.a.O. mit weiteren Nachweisen) um antizipierte Sachverständigengutachten, deren Beachtlichkeit im konkreten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sich zum einen daraus ergibt, dass eine dem allgemeinen Gleichheitssatz entsprechende Rechtsanwendung nur dann gewährleistet ist, wenn die verschiedenen Behinderungen nach gleichen Maßstäben beurteilt werden. Zum anderen stellen die AHP 1996 ebenso wie ihre Vorgänger ein geeignetes, auf Erfahrungswerten der Versorgungsverwaltung und Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft beruhendes Beurteilungsgefüge zur Einschätzung des GdB dar (BSG a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Die Anhaltspunkte wirken insofern normähnlich (BSG a.a.O.).

Ein Abweichen von den Anhaltspunkten ist nach Auffassung des Gerichtes unter Beachtung der vom BSG gemachten Vorgaben nur möglich, wenn auch bei der Rechtsfolgenseite, d.h. bei der Bewertung einer Behinderung mit einem bestimmten GdB zwingend ein Abweichen von in den AHP vorgesehenen Bewertungsrahmen erforderlich ist, denn sonst wäre eine dem allgemeinen Gleichheitssatz entsprechende Rechtsanwendung nicht mehr gewährleistet. Das bedeutet, dass "die ernstzunehmende Stimme", die eine abweichende Auffassung vertritt, auch eine besondere Kompetenz für die Festlegung des für eine Behinderung festzustellenden GdB besitzt. An der Schaffung und Fassung der AHP 1996 waren ausweislich des Vorwortes insgesamt über 160 externe Sachverständige beteiligt. Ärztliche Fachgesellschaften, einzelne Sachverständige sowie Arbeitsgruppen und Selbsthilfegruppen von Behinderten haben ihre Erfahrungen eingebracht. Dabei stellen die Anhaltspunkte den Versuch dar, Behinderungen aus den unterschiedlichsten Bereichen in ihren Auswirkungen miteinander vergleichbar zu machen. Jeder Vorschlag, vom in den Anhaltspunkten verzeichneten GdB-Maßstab abzuweichen, bedarf einer besonderen Auseinandersetzung mit der Bewertung der speziellen Behinderung im Vergleich zu anderen Behinderungen. Dass dies durch den vom Sozialgericht Düsseldorf übernommenen Bewertungskatalog der Deutschen Diabetes Gesellschaft geschehen ist, erschließt sich weder aus den Entscheidungsgründen des Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf noch sonst.

Das Gericht findet auch keine Anknüpfungspunkte dafür, dass sich in der Zeit zwischen Bescheiderteilung von Februar 1998 und heute eine Situation ergeben hat, die bei der Beurteilung des Diabetes mellitus Typ I ein Abweichen von den AHP 1996 zwingend erforderlich macht. In der Neuausgabe der Anhaltspunkte 2004, die ausweislich der Einleitung alle bis zum 01.05.2004 gefassten begutachtungsrelevanten Beschlüsse des ärztlichen Sachverständigenbeirates und - dort sogar zitiert - die Urteile des BSG vom 18.09.2003 (a.a.O.) berücksichtigt, sind hinsichtlich der Bewertung des Diabetes mellitus Typ I unverändert geblieben (dort Ziffer 26.15 Seite 99). Auch das LSG NRW, rechtskräftiges Urteil vom 17.06.2004, L 7 SB 101/03 wendet die AHP bei Diabetes mellitus Typ I weiterhin an (ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.12.2003, L 4 SB 74/03).

Es ist für das Gericht auch nicht zwingend, dass ein mit zwei und mehr Insulininjektionen behandelter Diabetes mellitus mindestens mit einem GdB von 50 zu bewerten wäre. So wird nach den AHP 1996 Ziffer 26.2 beispielsweise die echte Migräne in mittelgradiger Verlaufsform (häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend) nur mit einem GdB bis 40 bewertet, erst die schwere Verlaufsform (lang dauernde Anfälle mit stark ausgeprägten Begleiterscheinungen, Anfallspausen von nur wenigen Tagen), mit einem GdB von 50 oder höher. Das Parkinson-Syndrom (AHP Ziffer 26.3), einseitig oder beidseitig, geringe Störung der Bewegungsabläufe, keine Gleichgewichtsstörung, geringe Verlangsamung, wird lediglich mit einem GdB bis 40 und erst bei deutlichen Störungen der Bewegungsabläufe, Gleichgewichtsstörung, Unsicherheit beim Umdrehen, stärkere Verlangsamung mit einem GdB ab 50 bewertet. Blindheit auf einem Auge wird nach AHP Ziffer 26.4 bei nicht geschädigtem anderen Auge nur mit einem GdB von 30 bewertet, Taubheit auf einem Ohr nach AHP Ziffer 26.5 bei nicht eingeschränktem Hörvermögen des anderes Ohres sogar nur mit einem GdB von 20. In beiden Fällen ist eine wichtige Funktion der Paarigkeit dieser Sinnesorgane, nämlich das räumliche Sehen und Hören verloren gegangen. Der völlige Verlust des Riechvermögens mit damit verbundenen Beeinträchtigungen der Geschmackswahrnehmung wird nach AHP Ziffer 26.6 mit einem GdB von 15, der völlige Verlust des Geschmacksinns sogar nur mit einem GdB von 10 bewertet. In beiden Fällen führt der Verlust des Sinnes zum Verlust der mit diesem Sinn verbundenen Warnfunktion. Herzerkrankungen mit Leistungsbeeinträchtigungen bei mittelschwerer Belastung werden nach AHP Ziffer 26.9 nur mit einem GdB bis 40 bewertet, erst mit Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung ist ein GdB ab 50 vorgesehen. Für die arterielle Verschlusskrankheit im Stadium II ist nach AHP Ziffer 26.9 bei schmerzfreier Gehstrecke in der Ebene über 100 bis 500 Meter ein- oder beidseitig nur ein GdB bis 40 vorgesehen, erst bei schmerzfreier Gehstrecke in der Ebene zwischen 50 und 100 Metern ein- oder beidseitig ein solcher ab 50. Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten bedingen einen GdB bis 40, erst solche mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung der Rumpfprothese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst; schwere Skoliose) bedingt einen GdB ab 50 (AHP Ziffer 26.18). Einen GdB von 50 bedingen etwa der Verlust einen Beines im Unterschenkel bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke oder der Verlust der ganzen Hand (AHP Ziffer 26.18). Bei einem Vergleich der nur beispielhaft aufgezählten Behinderungen, die lediglich einen GdB bis 40 bedingen mit einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I drängt sich für das Gericht nicht auf, dass die betroffenen insulinpflichtigen Diabetiker in der Auswirkung ihrer Behinderung zwingend stärker betroffen sind und deshalb mindestens ein GdB von 50 festzustellen wäre. Für das Gericht ist die Auffassung des Beirats (18./19.03.1993) nachvollziehbar, dass auch eine intensivierte Insulinbehandlung es nicht rechtfertigt, regelhaft einen GdB von 50 anzunehmen, diese Behandlung vielmehr eine wesentliche Verbesserung der Lebenssituation und der Lebensqualität mit sich bringt, so dass die Beeinträchtigung wesentlich geringer ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Rechtskraft
Aus
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