L 3 B 14/04 U

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 67 U 335/93
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 B 14/04 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2004 aufgehoben.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen den in der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2004 ergangenen Beschluss des Sozialgerichts (SG), durch den ihm wegen unentschuldigten Fernbleibens zum Termin ein Ordnungsgeld von 150,- EUR, ersatzweise fünf Tage Ordnungshaft, auferlegt worden ist.

Die Beklagte hatte nach Einholung eines medizinischen Gutachtens durch Bescheid vom 11. April 2003 entschieden, dass dem Kläger ein Anspruch auf Rente wegen eines am 3. Dezember 1987 im Beitrittsgebiet erlittenen Arbeitsunfalls nicht zustehe, weil dieser keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade hinterlassen habe. Den am 20. Mai 2003 eingegangenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2003 wegen Versäumung der einmonatigen Widerspruchsfrist als unzulässig zurück.

Der Kläger hatte bereits mit am 11. Juni 2003 bei dem SG eingegangenen Schreiben vom 9. Juni 2003 Klage "wegen Untätigkeit bei der Erstellung eines Gutachtens" sowie wegen "Verdachts der direkten und indirekten Beeinflussung durch die BG - ungenaue Ausführung des Gutachtens" erhoben.

Nachdem der Kläger seine Klage aufrecht erhalten hatte, obwohl ihn das SG mit Schreiben vom 4. Dezember 2003 nachdrücklich zur Rücknahme der Klage aufgefordert hatte, beraumte das SG Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2004 an, zu dem das persönliche Erscheinen des Klägers unter Hinweis auf §§ 111 Abs. 1, 118 Abs. 3, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angeordnet wurde. Mit einem tags zuvor bei dem SG eingegangenen Fax teilte der Kläger mit, er müsse den Termin aus gesundheitlichen Gründen absagen und werde einen Krankenschein nachreichen. Aus der Sitzungsniederschrift vom 30. Januar 2004 geht hervor, dass der Vorsitzende der 67. Kammer des SG am Sitzungstag gegen 7.45 Uhr mit dem Kläger über dessen Handy telefoniert hat. Dieser habe angegeben, auf dem Weg zum Arzt zu sein, es jedoch abgelehnt, Einzelheiten über die Art seiner Erkrankung mitzuteilen. Durch Urteil vom 30. Januar 2004 hat das SG die Klage abgewiesen und entschieden, dass dem Kläger Gerichtskosten in Höhe von 500,- EUR auferlegt werden.

Durch Beschluss vom 30. Januar 2004 hat das SG dem Kläger wegen unentschuldigten Fernbleibens zum Termin ein Ordnungsgeld von 150,- EUR, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden könne, fünf Tage Ordnungshaft auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Aussage des Klägers in seinem am Abend vor der mündlichen Verhandlung beim Gericht eingegangenen Fax, er könne gesundheitsbedingt nicht zur Verhandlung erscheinen, sei in ihrer Pauschalität und Allgemeinheit nicht geeignet, eine aus gesundheitlichen Gründen bestehende Verhandlungsunfähigkeit zu begründen. Da der Kläger am Morgen des Sitzungstages offensichtlich in der Lage gewesen sei, das Haus zu verlassen und Termine wahrzunehmen, bestehe für das Gericht auch nach dem persönlichen Eindruck, den der Kläger am Telefon gemacht habe, keine Veranlassung, an seiner Verhandlungsfähigkeit zu zweifeln. In Anbetracht dieses Verhaltens des Klägers sei die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen ihn angezeigt, obwohl über die Klage in seiner Abwesenheit entschieden werden konnte. Hierbei sei entscheidend, dass die Durchführung der Verhandlung und Anwesenheit des Klägers "gerade das Erfordernis einer streitigen Entscheidung verhindern und eine einvernehmliche Regelung zwischen den Beteiligten ermöglichen" sollte. Durch sein Nichterscheinen zum Termin habe der Kläger "eine vom Gericht angestrebte einvernehmliche Lösung der Beteiligten" verhindert, der sich der Beklagtenvertreter nach seinen Äußerungen in der mündlichen Verhandlung nicht verschlossen hätte.

Mit am 24. Februar 2004 bei dem SG eingegangenen Schreiben vom 22. Februar 2004 hat der Kläger, der am 3. Februar 2004 bereits eine am 27. Januar 2004 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes für Allgemeinmedizin R J übersandt hatte, unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung dieses Arztes vom 19. Februar 2004, in der es heißt, er sei am 30. Januar 2004 aus gesundheitlichen Gründen nicht verhandlungsfähig gewesen, Beschwerde eingelegt.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landessozialgericht vorgelegt.

II.

Die gemäß §§ 172 Abs. 1, 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 141 Abs. 3, 380 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) statthafte und gemäß § 173 Satz 1 SGG frist- und formgemäß eingelegte Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des SG vom 30. Januar 2004 ist zulässig.

Die Beschwerde ist auch begründet. Der Ordnungsgeldbeschluss war aufzuheben, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nicht erfüllt sind und es für die hilfsweise angeordnete Ordnungshaft an einer gesetzlichen Grundlage fehlt.

Als Rechtsgrundlage für das vom SG verhängte Ordnungsgeld kommt nur § 202 SGG i.V.m. §§ 141 Abs. 3, 380, 381 Abs. 1 ZPO in Betracht. Hiernach kann das Gericht gegen einen Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, ein Ordnungsgeld festsetzen, wenn er ohne genügende Entschuldigung zum Termin nicht erschienen ist. Die Anordnung einer Ordnungshaft ist anders als bei einem unentschuldigt ausgebliebenen Zeugen, wie sich aus dem Gesetzeswortlaut eindeutig ergibt, unzulässig (vgl. Hartmann in: Baumbach u.a., ZPO, 62. Auflage 2004, § 141 Rz. 39; Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 25. Auflage, § 141 Rz. 5 jeweils mit Hinweisen auf die einheitliche Rechtsprechung).

In dem vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob das Ausbleiben des Klägers in dem Termin am 30. Januar 2004, zu dem er unter Anordnung seines persönlichen Erscheinens gemäß § 111 Abs. 1 SGG ordnungsgemäß geladen worden ist, genügend entschuldigt ist. Abgesehen davon, dass die Vorgehensweise des Vorsitzenden der 67. Kammer des SG, sich durch ein Telefonat mit dem Kläger am Morgen des Sitzungstages einen "persönlichen Eindruck" über dessen Verhandlungsfähigkeit zu verschaffen, und aus dessen Weigerung, am Telefon über Art und Schwere seiner Erkrankung Auskunft zu erteilen, Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit des Klägers zu ziehen, erheblichen Bedenken unterliegt, hat der Kläger seine Behauptung, am Sitzungstag aus gesundheitlichen Gründen verhandlungsunfähig gewesen zu sein, durch die Vorlage einer am 27. Januar 2004 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und einer nachgereichten ärztlichen Bescheinigung des Arztes für Allgemeinmedizin J belegt. Das SG, das diese Unterlagen nicht für ausreichend gehalten hat, hätte in diesem Fall eine Klärung der von ihm für maßgeblich erachteten Frage der Verhandlungsfähigkeit des Klägers durch eine eigene Rückfrage bei dem Arzt herbeiführen müssen.

Selbst wenn man jedoch dem SG folgen und zu der Auffassung gelangen würde, es sei nicht ausreichend dargelegt und/oder glaubhaft gemacht, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen an der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2004 gehindert gewesen sei, hätte ein Ordnungsgeldbeschluss nicht ergehen dürfen, weil das Gericht in der Sache abschließend entschieden und dadurch zu erkennen gegeben hat, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zur Aufklärung des für eine solche gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts nicht erforderlich war.

Bei der Festsetzung des Ordnungsgeldes, die im pflichtgemäß auszuübenden Ermessen des Gerichts liegt, kann der konkrete Grund für die Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht außer Acht gelassen werden. Zweck des § 111 Abs. 1 Satz 1 SGG ist, ebenso wie die in dieser Vorschrift geregelte Ladung von Zeugen und Sachverständigen, die Aufklärung des Sachverhalts (so ausdrücklich § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es geht nicht darum, eine vermeintliche Missachtung einer richterlichen Anordnung oder der gerichtlichen Autorität zu ahnden (Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 25. Auflage § 141 Rz. 5; MünchKommZPO - Peters, § 141 Rz. 4 mwN). Auch die (dem ausbleibenden Beteiligten in der Regel nicht bekannte) Absicht des Gerichts, eine "streitige Entscheidung zu verhindern und die einvernehmliche Regelung zwischen den Beteiligten zu ermöglichen", rechtfertigt entgegen der Rechtsauffassung des SG nicht die Festsetzung eines Ordnungsgeldes. Sie kommt nur in Betracht, wenn durch das unentschuldigte Ausbleiben des Beteiligten die Aufklärung des Sachverhalts verhindert oder erschwert wird und deshalb eine Verzögerung des Rechtsstreits eintritt. Hat jedoch - wie hier - das Gericht in der Sache abschließend entschieden, obwohl der Beteiligte der Anordnung seines persönlichen Erscheinens nicht Folge geleistet hatte, ist die Festsetzung eines Ordnungsgeldes ermessensfehlerhaft und daher ausgeschlossen (ebenso: LSG Baden-Württemberg Breith. 1994, 166 ff.).

Der Beschluss des SG vom 30. Januar 2004 war daher aufzuheben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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