S 19 U 86/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 19 U 86/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 118/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 71/19 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.

Der Kläger befand sich am 18.11.2016 auf einer Dienstreise in D-Stadt. Nach der Rückkehr nach Deutschland stellte er sich bei dem Durchgangsarzt PD Dr. C. vor, der darüber in seinem Durchgangsarztbericht vom 18.11.2016 berichtete. Danach sei der Kläger am selben Tag um 5:45 Uhr von Angreifern in D-Stadt überfallen worden, dabei zu Fall gekommen und auf den rechten Ellenbogen und den linken Daumen gestürzt. Als Erstdiagnose nannte PD Dr. C. eine Radiusköpfchenfraktur. Diese musste operativ versorgt werden, was am 23.11.2016 ambulant in den Kliniken des Main-Taunus-Kreises erfolgte, die darüber im Arztbrief vom 23.11.2016 berichteten. Die Beklagte leitete daraufhin ihre Ermittlungen ein. In dem Fragebogen vom 7.12.2016 teilte der Kläger mit, zum Zwecke des Besuchs der D. in D-Stadt in der Zeit vom 14.11. bis 18.11. gewesen zu sein. Zum Unfallzeitpunkt sei er von der D-Kundenveranstaltung gekommen und sei auf dem Rückweg zum Hotel gewesen. Dabei habe ein Raubüberfall stattgefunden, bei dem seine Geldbörse gestohlen worden sei. Die Unfallanzeige datierte vom 14.12.2016. In dieser wurde beschrieben, der Kläger sei nach der Veranstaltung und anschließendem Abendessen noch mit Kollegen und einigen Teilnehmern bei einer Bar am E. gewesen. Gegen fünf Uhr habe er diese verlassen zum nahegelegenen Taxistand. Auf dem Weg dorthin sei er von Fremden angesprochen worden. Beim Einsteigen in das Taxi wurde ihm der Geldbeutel entwendet. Der Kläger verfolgte den Täter und wurde von einer weiteren Person zu Fall gebracht. Daraufhin fragte die Beklagte erneut über die Arbeitgeberin an zum Unfallhergang. Dort wurde dann mitgeteilt, bei der Verfolgung des Täters sei der Kläger durch weitere Mittäter zu Fall gebracht worden. Wegen weiterer Unklarheiten wandte sich die Beklagte erneut am 15.12.2016 an die Arbeitgeberin des Klägers. Der Kläger erteilte selbst Auskunft. Das Abendessen habe gegen zwölf Uhr geendet. Eine Gruppe von Kollegen sei unmittelbar im Anschluss zu der nahegelegenen Bar gegangen. Vor Ort seien acht Kollegen des Konzerns gewesen zuzüglich seiner Person. Das Abendessen sei Bestandteil der Kongressteilnahme gewesen. Die Kosten des Barbesuches seien von seiner Kollegin und ihm übernommen worden. Durch Bescheid vom 31.1.2017 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 1.3.2017 Widerspruch ein. Diesen begründete der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 21.4.2017. Die Beklagte telefonierte mit der Arbeitgeberin des Klägers am 17.5.2017 erneut, um den Hergang zu klären. Durch Widerspruchsbescheid vom 13.6.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Hiergegen hat der Kläger am 14.7.2017 Klage erhoben.

Der Kläger ist der Ansicht, bei dem Ereignis am 18.11.2016 handele es sich um einen Arbeitsunfall.

Der Kläger beantragt ausdrücklich in der Klageschrift vom 13.7.2017:
Die Beklagte wird verpflichtet unter Aufhebung des Bescheides vom 31.1.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.6.2017 anzuerkennen, dass es bei dem Ereignis vom 17.11.2016 um einen Arbeitsunfall gemäß § 8 SGB VII handelt und dem Kläger mithin eine entsprechende Rente zu zahlen ist.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, es liege kein Arbeitsunfall vor.

Das Gericht hat am 5.1.2018 einen Hinweis erteilt. Mit Verfügung vom 13.4.2018 hat die Kammervorsitzende zum Gerichtsbescheid angehört. Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte inhaltlich verwiesen und Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 105 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beteiligten wurden vorher gehört, § 105 Abs. 1 S. 2 SGG. Die Klage ist zulässig. Der Antrag des Klägers ist auszulegen auf reine Feststellung des Ereignisses vom 18.11.2016 als Arbeitsunfall mit der Anerkennung der Radiusköpfchenfraktur als Gesundheitserstschaden. Die Auslegung des Antrags ist zulässig (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 123, Rn. 3a f.). Streitgegenstand ist allein die Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall. Insofern ist die Begehr einer Rente unzulässig und demzufolge medizinische Ermittlungen zu den Folgen dieses Ereignisses entbehrlich.

Die Klage ist unbegründet. Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen demzufolge den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger kann die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall nicht verlangen. Zutreffend hat die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 18.11.2016 als Arbeitsunfall abgelehnt. Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit), § 8 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen, § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII. Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist folglich, dass die Verrichtung des Verletzten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, dass diese versicherte Verrichtung zu einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt hat und dieses einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten wesentlich verursacht hat (BSG vom 4.12.2014, B 2 U 13/13 R, Rn. 11; vom 15.5.2012, B 2 U 16/11 R, Rn. 10; vom 26.6.2014, B 2 U 4/13 R, Rn. 11). Die den Versicherungsschutz begründende Verrichtung, die dadurch verursachte Einwirkung und der dadurch bedingte Erstschaden müssen in Überzeugungskraft des Vollbeweises feststehen (BSG vom 24.7.2012, B 2 U 9/11 R, Rn. 28; Hessisches LSG vom 2.2.2016, L 3 U 108/15, Rn. 27; Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 8, Rn. 14 ff.). Der Vollbeweis meint eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, die dann erbracht ist, wenn kein vernünftiger Mensch noch Zweifel am Vorliegen der zu beweisenden Tatsache hat (BSG vom 23.4.2015, B 2 U 10/14 R, Rn. 11; Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 8, Rn. 20). Die Beweislast trägt der Kläger (vgl. Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 8, Rn. 30), da jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 103, Rn. 19a). Dieser Nachweis gelingt im vorliegenden Fall nicht. Zur Überzeugung der Kammer ist nicht bewiesen, dass die von dem Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls vorgenommene Verrichtung unmittelbarer Bestandteil seiner versicherten Tätigkeit war.

Um den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung begründen zu können, ist das Vorliegen einer versicherten Tätigkeit notwendig. Ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sog. innerer oder sachlicher Zusammenhang), ist wertend zu entscheiden, indem untersucht wird, ob sie innerhalb der Grenze liegt, bis zu der nach dem Gesetz der Unfallversicherungsschutz reicht. Maßgebend ist dabei, ob der Beschäftigte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Handlung ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG vom 10.10.2006, B 2 U 20/50 R, Rn. 14). Vorliegend ist nach einer Auskunft des Klägers die zum Unfallzeitpunkt verrichtete Tätigkeit die Verfolgung des Täters, der die Geldbörse entwendet hatte. Diese Tätigkeit gehört nicht zu den versicherten Tätigkeiten des Klägers. Diese Auskünfte basieren auf den eigenen Angaben des Klägers. Dieser wurde im Verwaltungsverfahren von der Beklagten angeschrieben. Er selbst hatte mitgeteilt, Opfer eines Überfalls geworden zu sein. In der ergänzenden Unfallanzeige wurde dann mitgeteilt, dass er bei der Verfolgung des Täters zu Fall gekommen sei. In dem Fragebogen, der am 1.12.2016 an den Kläger gestellt wurde, wiederholte er diese Darstellung des Sachverhaltes. Verfolgt ein Bestohlener selbst einen Dieb, liegt dessen Handlung im Eigeninteresse und ist damit nicht versichert (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.11.2015, L 2 U 63/13, Rn. 36 ff.). Eine versicherte Tätigkeit ist unter Zugrundelegung dieses Sachverhaltes nicht ersichtlich.

Selbst wenn aber nun nach dem letzten Vortrag des Prozessbevollmächtigten das Ereignis nicht bei der Verfolgung des Diebes eingetreten sein soll, sondern lediglich im zeitlichen Zusammenhang nach dem Barbesuch, so ist auch danach kein Arbeitsunfall anzuerkennen. Denn auch der Barbesuch mit dem Verlassen der Bar war keine versicherte Tätigkeit. Das gemeinsame Abendessen endete nämlich nach eigener Auskunft des Klägers um 24 Uhr. Der Überfall ereignete sich morgens um 5:45 Uhr. Damit liegt eine deutliche Zäsur zwischen der versicherten Tätigkeit, wozu ein verpflichtendes Abendessen im Ausland noch gezählt werden kann, und dem freiwilligen Barbesuch, der allein eine private Verrichtung darstellt. Der Versicherungsschutz gilt dann nicht mehr, wenn aus der Dauer und der Art der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit geschlossen werden muss, wenn also den zwischenzeitlichen betriebsfremden Aktivitäten gegenüber dem ursprünglichen Zweck des Weges ein solches Übergewicht zukommt, dass sich der weitere Weg aus der Sicht eine unbeteiligten Dritten nicht mehr als Fortsetzung des früheren, sondern als Antritt eines neuen, durch die private Tätigkeit veranlassten Weges darstellt (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.9.2012, L 3 U 28/12, Rn. 24). So liegt es hier. Der Barbesuch mit anschließendem Überfall ereignete sich knapp sechs Stunden nach dem Ende der Veranstaltung. Diese Zäsur stellt eine mehr als erhebliche Unterbrechung dar. Lediglich die Tatsache, sich insgesamt auf einer dienstlich veranlassten Reise zu befinden, reicht nicht aus, um Versicherungsschutz bejahen zu können. Auch sind versicherte Tätigkeiten auf einer Dienstreise nur solche, die in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Zweck der Dienstreise stehen; deshalb sind rein private Tätigkeiten unversichert (Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 8, Rn. 95 f.). Denn einen lückenlosen Versicherungsschutz auf Dienst- und Geschäftsreisen gibt es nicht (BSG vom 4.6.2002, B 2 U 21/01 R, Rn. 15). Es kommt vielmehr auch hier darauf an, ob die Betätigung, bei der der Unfall eintritt, eine rechtlich bedeutsame Beziehung zu der betrieblichen Tätigkeit am auswärtigen Dienstort aufweist, welche die Annahme eines inneren Zusammenhangs rechtfertigt, denn auch auf Geschäftsreisen entfällt der Versicherungsschutz, wenn der Reisende sich rein persönlichen, von seinen betrieblichen Aufgaben nicht mehr wesentlich beeinflussten Belangen widmet (BSG vom 18.3.2008, B 2 U 13/07 R, Rn. 12). Der Barbesuch zählt zu den eigenwirtschaftlichen und damit unversicherten Tätigkeiten, da der private Zweck im Zeitpunkt der unfallbringenden Tätigkeit überwiegt und deshalb ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht mehr begründet werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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