L 2 AL 55/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 14 AL 438/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 55/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Oktober 2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juni 2016 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 15. März 2016 bis zum 28. März 2016 zu gewähren. 2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Der 1959 geborene Kläger war nach seinen Angaben vom 3. März 1986 bzw. 1. Januar 2003, nach denjenigen in der Arbeitsbescheinigung vom 1. August 2005 bis 29. Februar 2016 als Bauleiter beschäftigt. Wegen der Auflösung des Unternehmens wurde das Arbeitsverhältnis arbeitgeberseitig gekündigt, nach Angaben der Arbeitgeberin am 23. Juli 2015, nach Angaben des Klägers am 13. November 2015.

Am 16. November 2015 meldete der Kläger sich telefonisch bei der Beklagten arbeitsuchend (§ 38 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III)), wobei mangels freier Termine beim Betreuer zunächst – und auch nicht anlässlich weiterer Kontakte am 17. November 2015 und 6. Januar 2016 – kein Termin zur persönlichen Meldung gebucht wurde. Es erfolgte lediglich der Hinweis auf das Erfordernis einer persönlichen Meldung spätestens am ersten Tag der Arbeitslosigkeit.

Am 25. Januar 2016 meldete der Kläger sich persönlich arbeitslos mit Wirkung zum 1. März 2016 und beantragte Arbeitslosengeld. Er schloss mit der Beklagten eine Eingliederungsvereinbarung mit einem Gültigkeitszeitraum bis 24. Juli 2016.

Mit Veränderungsmitteilung vom 25. Februar 2016 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er ab demselben Tag bis voraussichtlich 6. März 2016 arbeitsunfähig sei. Mit weiterer Veränderungsmitteilung vom 7. März 2016 teilte er mit, dass er weiterhin bis voraussichtlich 14. März 2015 arbeitsunfähig sei.

Mit Bescheid vom 2. Mai 2016 lehnte die Beklagte, die den Kläger bereits am 7. März 2016 aus der Arbeitsvermittlung abgemeldet hatte, den Antrag auf Arbeitslosengeld mit der Begründung ab, dass der Kläger wegen der ab 25. Februar 2016 bestehenden Arbeitsunfähigkeit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe und deshalb nicht arbeitslos sei.

Hiergegen legte der Kläger am 1. Juni 2016 Widerspruch ein und wies darauf hin, dass er sich unmittelbar nach seiner Gesundschreibung bei der Beklagten telefonisch gemeldet und mitgeteilt habe, dass er wieder gesund sei und ab dem 29. März 2016 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis stehe. Dabei habe man mitgeteilt, dass er den Vordruck der Veränderungsmitteilung ausfüllen und übersenden solle, was er unter dem 15. März 2016 auch getan hatte. Eine persönliche Vorstellung sei nicht erforderlich.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2016 als unbegründet zurück. Der Kläger hätte nach der Genesung erneut persönlich vorsprechen müssen, worauf in dem dem Kläger ausgehändigten Merkblatt für Arbeitslose auf der dortigen Seite 31 auch ausdrücklich hingewiesen werde. Da er dies nicht getan habe, habe er den Vermittlungsbemühungen objektiv nicht zur Verfügung gestanden, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosengeld nicht vorgelegen hätten.

Hiergegen hat der Kläger am 8. Juli 2016 Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg erhoben und die Gewährung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 15. bis 28. März 2016 begehrt. Die Rechtsauffassung der Beklagten sei unzutreffend. Er habe sich am 25. Januar 2016 im Sinne des § 141 Abs. 1 SGB III arbeitslos gemeldet. Nach dem dortigen Satz 2 sei eine Meldung auch zulässig, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten drei Monate zu erwarten sei. Hier habe das Ende seines damaligen Beschäftigungsverhältnisses zum 29. Februar 2016, also innerhalb von drei Monaten nach der Meldung, bereits festgestanden. Die Wirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung sei auch nicht nach § 141 Abs. 2 SGB III erloschen. Weder sei die Arbeitslosigkeit mehr als sechs Wochen unterbrochen gewesen, noch habe er im streitigen Zeitraum eine Beschäftigung oder andere Tätigkeit im Sinne des § 141 Abs. 2 Nr. 2 SGB III aufgenommen. Daher sei die telefonische Auskunft der ihm namentlich leider nicht mehr bekannten Mitarbeiterin der Beklagten, er solle lediglich eine Veränderungsmitteilung abgeben und müsse nicht erneut persönlich vorstellig werden, richtig gewesen. Schließlich ergebe sich auch aus dem von der Beklagten in Bezug genommenen Merkblatt für Arbeitslose, dort Seite 31, dass er im Übrigen nicht erhalten habe, nichts Gegenteiliges. Die bei ihm vorliegende Konstellation sei dort gar nicht thematisiert. Weder habe seine Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Wochen gedauert, noch sei er bereits bei der persönlichen Arbeitslosmeldung arbeitsunfähig gewesen. Er sei erst einen Monat nach seiner persönlichen Arbeitslosmeldung erkrankt und lediglich für etwa drei Wochen arbeitsunfähig gewesen.

Die Beklagte ist dem mit der Argumentation entgegengetreten, dass der Kläger zum Zeitpunkt des möglichen Eintritts der Arbeitslosigkeit am 1. März 2016 unstreitig arbeitsunfähig erkrankt und mithin nicht verfügbar gewesen sei. Mangels Verfügbarkeit habe am 1. März 2016 keine Arbeitslosigkeit eintreten und mithin kein Anspruch auf Arbeitslosengeld entstehen können. Die Kenntnisnahme des Merkblatts habe der Kläger im Leistungsantrag/online ausdrücklich bestätigt. Eine telefonische Rücksprache nach der Genesung in der Zeit vom 14. bis 28. März 2016 könne die Beklagte nicht bestätigen.

Das SG hat über die Klage am 10. Oktober 2018 mündlich verhandelt und diese mit Urteil vom selben Tag unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 6. Juni 2016 als unbegründet abgewiesen. Die Arbeitslosmeldung entfalte ihre Wirksamkeit erst mit dem Beginn der Arbeitslosigkeit. Da der Kläger entgegen seiner ursprünglichen Meldung am 1. März 2016 der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe, sei er am 1. März 2016 nicht arbeitslos gewesen und seine Meldung vom 25. Januar 2016 habe keine Wirksamkeit entfalten können. Es wäre deshalb eine erneute Meldung nach der Genesung am 15. März 2016 erforderlich gewesen. Die für den 15. März 2016 vorgetragene telefonische Auskunft, dass eine erneute Meldung nicht erforderlich sei, helfe dem Kläger auch bei einer Wahrunterstellung nicht weiter. Eine wirksame Arbeitslosmeldung könne nämlich nicht über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch fingiert werden.

Gegen dieses, seinem Prozessbevollmächtigten am 15. November 2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. Dezember 2018 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er rügt, dass das SG sich mit seiner rechtlichen Argumentation ebenso wie die Beklagte gar nicht auseinandergesetzt habe. Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Oktober 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juni 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 15. März 2016 bis zum 28. März 2016 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer Rechtsauffassung fest und bezieht sich auf ihre bisherigen Ausführungen und die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil des SG.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten, die Sitzungsniederschrift vom 10. April 2019 sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der ausweislich der Sitzungsniederschrift beigezogenen Akten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)); auch wenn die Beklagte bis zuletzt die erbetene Probeberechnung des geltend gemachten Anspruchs nicht erstellt hat, ergibt schon eine überschlägige Berechnung bei Worst-Case-Betrachtung, dass ein Anspruch von mehr als 750 Euro im Streit ist. Die auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist begründet. Das SG hat die zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juni 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 15. März 2016 bis zum 28. März 2016.

Nach § 136 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 137 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Daran, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitslos im Sinne des § 138 SGB III, mithin beschäftigungslos (§ 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) sowie verfügbar (§ 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nrn. 1 bis 4 SGB III) war und sich Eigenbemühungen (§ 138 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 SGB III) nicht verschloss bzw. bei Abforderung nicht verschlossen hätte, und daran, dass er die Anwartschaftszeit nach § 142 SGB III erfüllte, bestehen vorliegend keine Zweifel.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG fehlte es auch nicht an der persönlichen Arbeitslosmeldung im Sinne des § 141 SGB III. Die Wirkung der Meldung vom 25. Januar 2016 trat mit Beginn der Arbeitslosigkeit am 15. März 2016 ein und erlosch nicht vor der angezeigten Beschäftigungsaufnahme am 29. März 2016.

Der Kläger weist zu Recht darauf hin, dass die persönliche Arbeitslosmeldung nach § 141 Abs. 1 SGB III nach dem dortigen Satz 2 auch zulässig ist, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten drei Monate zu erwarten ist. Dies war vorliegend bei der persönlichen Meldung am 25. Januar 2016 zum 1. März 2016 der Fall.

Dass die Arbeitslosigkeit dann nicht, wie zu diesem Zeitpunkt erwartet, am 1. März 2016, sondern erst nach Beendigung der einmal verlängerten Arbeitsunfähigkeit am 15. März 2016 eintrat, hindert die Wirksamkeit der persönlichen Meldung nicht, denn auch der 15. März 2016 liegt innerhalb der Dreimonatsfrist nach der Meldung. Für die Wirksamkeit der Arbeitslosmeldung ist es unter der Geltung des SGB III unerheblich, ob die damit verbundene Tatsachenerklärung inhaltlich zutrifft, eine Übereinstimmung des Inhalts der Erklärung mit den zugrunde liegenden Tatsachen wird auch durch den Zweck der Meldung, ein Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen, das einerseits die Vermittlung des Arbeitslosen, andererseits die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen der Leistung zum Ziel hat, nicht gefordert; auch ein Bedürfnis nach einer materiell zutreffenden Tatsachenerklärung ist insoweit nicht ersichtlich, denn für den Zeitraum einer unzutreffenden Erklärung ist ein Leistungsanspruch schon mit Blick auf die fehlende Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit zu verneinen (Bundessozialgericht ( BSG), Urteil vom 7. Oktober 2004 – B 11 AL 23/04 R, BSGE 93, 209, unter Aufgabe der noch anderslautenden Rechtsprechung zum Arbeitsförderungsgesetz). Ergibt sich, dass entgegen den Erwartungen die Arbeitslosigkeit zu einem späteren Zeitpunkt eintritt, bleibt die Arbeitslosmeldung wirksam (Öndül in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl. 2019, § 141 Rn. 28,37; ebenfalls in diesem Sinne: Striebiger in Gagel, SGB II / SGB III, Werkstand: 72. EL, Dezember 2018, § 141 SGB III Rn. 23), wenn Arbeitslosigkeit tatsächlich eintritt und dies innerhalb der Frist von drei Monaten geschieht (Müller in BeckOK Sozialrecht, 51. Edition, Stand: 1. Dezember 2018, § 141 SGB III Rn. 12).

Weder ist bis zum 28. März 2016 einer der in § 141 Abs. 2 SGB III ausdrücklich genannten Erlöschenstatbestände eingetreten, noch ist die Wirkung durch die Veränderungsmitteilungen zu den voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entfallen. Eine Erklärung des Arbeitslosen darüber, dass er nicht mehr beschäftigungslos ist, führt dann – und auch nur dann – zum Entfallen der Wirkung der Arbeitslosmeldung, wenn völlig offen bleibt, zu welchem Zeitpunkt er wieder alle Voraussetzungen für den Leistungsanspruch erfüllt; eine derartige Unklarheit über die Bedeutung des Inhalts der Erklärung kann jedoch nicht aus dem Zusatz "voraussichtlich" hergeleitet werden, denn damit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass das Ende der Arbeitsunfähigkeit nicht mit letzter Sicherheit vorausgesagt werden kann; ein derartiger Vorbehalt ist gegenüber allen in der Zukunft liegenden Ereignissen angebracht und beeinträchtigt die Eindeutigkeit der Erklärung nicht (BSG, a.a.O., betreffend die Mitteilung zur voraussichtlichen Dauer eines Kuraufenthalts).

Auf die Frage, ob die Arbeitsunfähigkeitszeiten zu einem Erlöschen der Wirkung der Meldung nach § 141 Abs. 2 Nr. 1 SGB III führten, kommt es indes nicht an. Da diese vor dem Beginn der Arbeitslosigkeit am 15. März 2016 lagen, können sie nicht zu einer Unterbrechung geführt haben.

Danach besteht für den gesamten Zeitraum vom Tag nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit, dem 15. März 2016, bis zum Tag vor dem Beginn einer neuen Beschäftigung, dem 28. März 2016, ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Gewährung von Arbeitslosengeld. Eine Sperrzeit nach § 159 SGB III, die zum vollständigen oder zeitweisen Ruhen hätte führen können, ist nicht eingetreten, insbesondere auch keine solche bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung nach § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB III. Der Kläger ist seiner Meldepflicht nach § 38 Abs. 1 SGB III nachgekommen. Die telefonische Arbeitsuchendmeldung am 16. November 2015 erfolgte mehr als drei Monate vor dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses, und die persönliche Meldung wurde vom Kläger im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 3 SGB III mit der persönlichen Arbeitslosmeldung am 25. Januar 2016 nachgeholt; eine terminliche Vereinbarung zu einem früheren Zeitpunkt war seitens der Beklagten ausdrücklich nicht getroffen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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