L 10 AL 13/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AL 177/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 13/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.11.1999 wird zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid vom 09.10.2003 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Bemessung des ab 01.11.1996 bewilligten Arbeitslosengeldes (Alg) und der vom 02.05.1997 bis 31.12.1998 gezahlten Anschlussarbeitslosenhilfe (Alhi).

Der 1948 geborene Kläger meldete sich erstmals im November 1984 nach neunjähriger Tätigkeit als Gewerkschaftssekretär arbeitslos. Seit dieser Zeit war er - lediglich unterbrochen durch eine einjährige, von der Beklagten geförderte Tätigkeit als Geschäftsführer beim Bund für Arbeitslose und sonstige Existenzbedrohte - arbeitslos bzw krank. Bis 24.10.1995 bezog er Alg nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.360,00 DM (Leistungsgruppe A, Kindermerkmal 1) in Höhe von 420,60 DM wöchentlich. Anschließend erhielt er bis 31.10.1996 Krankengeld. Mit Bescheid vom 12.12.1996 bewilligte die Beklagte ab 01.11.1996 Alg nunmehr nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.100,00 DM (Leistungsgruppe A/0; 376,80 DM). Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 11.03.1997 zurück. Da durch den Krankengeldbezug ein neuer Alg-Anspruch entstanden sei, habe die Leistung neu bemessen werden müssen. Dies sei nach § 112 Abs 7 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erfolgt, da bei der Entstehung des Anspruchs am 01.11.1996 der letzte Tag des Bemessungszeitraums länger als 3 Jahre zurückgelegen habe. Nach der Beurteilung der Arbeitsvermittlung komme der Kläger für Tätigkeiten der Gruppe V des Tarifvertrages der Bayer. Metallindustrie vom 01.11.1995 in Betracht und könne, da eine mehr als fünfjährige Unterbrechung der Erwerbstätigkeit vorliege, lediglich in das erste Gruppenjahr eingestuft werden (4.761,60 DM einschließlich 9,5 % Leistungszulage, zuzüglich 52,00 DM vermögenswirksame Leistung). Die Berufsentfremdung habe berücksichtigt werden müssen. Eine Eingruppierung in die Tarifverträge Banken/Versicherungen/BAT könne nicht erfolgen, da hier ein äußerst restriktives Einstellungsverhalten herrsche und Bewerber mit kontinuierlichem Berufsverlauf bevorzugt würden. Die Gehälter im Bereich des Handels lägen deutlich ungünstiger als der Tarifvertrag der Bayer. Metallindustrie.

Die dem Kläger nach Erschöpfung des Alg-Anspruchs ab 02.05.1997 gewährte Alhi richtete sich ebenfalls nach einem Bemessungsentgelt von 1.100,00 DM (Bescheid vom 30.04.1997/Widerspruchsbescheid vom 17.07.1997; Anpassungsbescheide vom 24.09.1998, 08.04.1999, 26.05.1999). Ab 01.07.1998 bezieht der Kläger Erwerbsunfähigkeitsrente.

Am 14.03.1997 hat der Kläger Klagen zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, unter Abänderung des Bescheides vom 12.12.1996/Widerspruchsbescheides vom 11.03.1997 Alg ab 01.11.1996 nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.450,00 DM sowie unter Abänderung des Bescheides vom 30.04.1997/des Widerspruchsbescheides vom 17.07.1997 sowie der Bescheide vom 24.09.1998/08.04.1999/26.05.1999 Alhi ab 02.05.1999 bis 31.12.1998 unter Zugrundelegung des genannten Bemessungsentgeltes zu gewähren. Nach uneidlicher Vernehmung der Arbeitsvermittlerin C. H. hat das SG die Klagen mit Urteil vom 09.11.1999 abgewiesen. Die Einstufung des Klägers in Gruppe V des Metalltarifvertrages sei rechtlich nicht zu beanstanden. Es handele sich um die für den Kläger günstigste Einstufung, bei der die Beklagte alle Bemessungskriterien beachtet habe. § 112 Abs 7 AFG begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen: Er habe sich als Bürokaufmann/Gewerkschaftssekretär (Geschäftsführer) fundierte Kenntnisse in den Grundlagen der Rechts- und Wirtschaftsordnung, des Bürgerlichen Rechts, des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, des Betriebs-, Verfassungs- und Personalvertretungsrechts, Sozialrechts, Prozessrechts, des öffentlichen Dienstrechts, der Volkswirtschaftslehre, des Rechts der Jugendvertretung sowie der Öffentlichkeit von Bildungsarbeit erworben. Zuletzt (1982) sei er Vorgesetzter von 2 Sekretären und 3 Verwaltungsangestellten gewesen. Als Geschäftsführer des Vereins für Arbeitslose und andere Existenzbedrohte habe er sich Kenntnisse im Vereinsrecht erworben. Danach habe er sich im Arbeitsrecht/Sozialrecht fortgebildet. Auch beherrsche er Textverarbeitung und EDV. Die Beklagte habe nicht den günstigsten Tarifvertrag gewählt. Der Metalltarifvertrag Gruppe V 1. Gruppenjahr entspreche in keiner Weise seinen Kenntnissen und Fähigkeiten - die er auch während der Arbeitslosigkeit nicht verloren habe - und der Arbeitsmarktlage. Es sei daher der Bemessung mindestens das Gehalt eines Gewerkschaftssekretärs oder eines Geschäftsführers von Verbänden im öffentlichen Bereich (BAT IIa) heranzuziehen. Für ihn käme ein breites Beschäftigungsfeld im Angestelltensektor in Betracht. Die Zeugenaussage stütze nicht die Ansicht des SG über die günstigste Einstufung. So habe die Zeugin eingeräumt, dass Vermittlungsversuche in von ihm selbst angesprochene Branchen nicht stattgefunden hätten. Mithin seien insoweit keine Feststellungen getroffen worden. § 112 Abs 7 AFG begegne schon deshalb verfassungsrechtlichen Bedenken, weil das Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung (SGB III) diese Verschlechterungsmöglichkeiten nicht mehr vorsehe.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.11.1999 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.12.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.1997 und in der Fassung des Bescheides vom 09.10.2003 zu verurteilen, Arbeitslosengeld ab 01.11.1996 nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 1.450,00 DM zu bewilligen und die Nachzahlungsbeträge zu verzinsen.

Ferner beantragt er, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.1997 sowie der Bescheide vom 24.09.1998, 08.04.1999 und 26.05.1999 zu verurteilen, Arbeitslosenhilfe ab 02.05.1997 bis 31.12.1998 unter Berücksichtigung eines entsprechenden Bemessungsentgeltes zu bewilligen und die Nachzahlungsbeträge zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 09.10.2003 abzuweisen.

Vermittlungsbemühungen hätten nur auf solche Tätigkeiten gerichtet werden dürfen, für die der Kläger nach realistischer Einschätzung seines Leistungsvermögens und der Lage des Arbeitsmarktes auch tatsächlich in Betracht gekommen sei. Die Vermittlung habe nicht von vornherein aussichtslos sein dürfen. Ebenso habe eine Nachfrage an Arbeitskräften vorhanden sein müssen. Die Vermittlerin habe eingehend abgewogen, für welche Tätigkeiten der Kläger in Betracht komme. Eine Einstufung nach BAT IIa scheitere schon am fehlenden Studium.

Mit zum Gegenstand des Verfahrens erklärten Änderungsbescheid vom 09.10.2003 setzte die Beklagte die Höhe des Alg nach § 434 c Abs 1 Satz 1 SGB III neu fest. Der Kläger erhalte für die Zeit 01.01.1997 bis 01.05.1997 Alg nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.210,00 DM.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Leistungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen.

Zutreffend hat die Beklagte das Alg nach § 112 Abs 7 AFG bemessen und ein fiktives Arbeitsentgelt auf der Grundlage der Gehaltsgruppe V des Tarifvertrages der Bayer. Metallindustrie vom 01.11.1995, 1. Gruppenjahr, zugrunde gelegt.

Gemäß § 111 Abs 1 AFG idF des Gesetzes vom 21.12.1993 (BGBl I 2353) richtet sich die Höhe des Alg nach dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelt. Letzteres ist das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum - das sind die beim Ausscheiden aus einem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten 12 Monate (§ 112 Abs 2 Satz 1 AFG idF des Gesetzes vom 15.12.1995, BGBl I 1809) - durchschnittlich in der Woche verdient hat (§ 112 Abs 1 Satz 1 AFG). Liegt der letzte Tag des Bemessungszeitraumes bei Entstehung des Anspruchs länger als 3 Jahre zurück, so ist von dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Arbeitslosen maßgeblichen tariflichen oder mangels einer tariflichen Regelung von dem ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung auszugehen, für die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt (§ 112 Abs 7 AFG).

Da der letzte Tag des Bemessungszeitraums bei der Entstehung des Alg-Anspruchs (01.11.1996) länger als 3 Jahre zurück lag - der Kläger war vor der Arbeitslosmeldung vom 31.10.1996 letztmals 1984 beitragspflichtig beschäftigt gewesen - ist das Alg gemäß § 112 Abs 7 AFG nach dem erzielbaren Arbeitsentgelt zu bemessen. Eine vorherige Anhörung des Klägers war nicht erforderlich, da bei der hier vorliegenden Neubewilligung nicht in bestehende Rechte des Klägers eingegriffen wird (vgl. § 24 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -) und der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme im Widerspruchsverfahren hatte.

Ausgangspunkt für die Bestimmung des erzielbaren Einkommens ist zunächst die Feststellung, für welche Beschäftigung der Kläger in Betracht kommt (BSG SozR 4100 § 112 Nr 42).

Die Beklagte hat im November 1996 ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie auf eine Beschäftigung des Klägers in dem Metalltarifvertrag unterliegenden klein- bzw mittelständischen Betrieben der Metallindustrie gerichtet. Nach der sich seit der ersten Arbeitslosmeldung im November 1984 bis zum 31.10.1996 ergebenden beruflichen Entwicklung des Klägers hält der Senat diese Einschätzung der Beklagten für zutreffend. Im o.a. Zeitraum von nahezu 12 Jahren war der Kläger lediglich 1 bis 2 Jahre in einer der Tätigkeit des Gewerkschaftssekretärs vergleichbaren Beschäftigung tätig (Bund für Arbeitslose und sonstige Existenzbedrohte). Die Bemühungen der Beklagten, dem Kläger qualifikationsgerecht unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Arbeitsvermittlung zu vermitteln, zeigten keinen Erfolg.

Bei der Feststellung der für die Bemessung in Betracht kommenden Tätigkeit war zu berücksichtigen, dass sich die Zeit der Nichtbeschäftigung - auch unter Anerkennung der Eigenbemühungen des Klägers um Festigung und Aktualisierung seines Fachwissens - vermittlungshemmend auswirkten (vgl hierzu § 12 Zumutbarkeitsanordnung vom 16.03.1982 - ANBA S 523). Dies belegt nicht zuletzt die Aussage der Zeugin H. vom 09.11.1999. Danach waren alle Vermittlungsversuche bei caritativen Organisationen erfolglos und wegen der häufigen Krankheitszeiten des Klägers hat die Zeugin im Metallbereich Vermittlungsversuche erst gar nicht unternommen. Nach der Beurteilung der sachverständigen Zeugin hatte der Kläger im Oktober/November 1996 Beschäftigungsmöglichkeiten grundsätzlich nur in einem kleineren oder mittleren Metallbetrieb. Auch für diesen Bereich wurde von der Zeugin der Arbeitsmarkt als äußerst schwierig bezeichnet. Eine Tätigkeit bei Banken/Versicherungen/Einzelhandel und Großhandel schied wegen der langen Arbeitslosigkeit und der damit zusammenhängenden fehlenden Vermittelbarkeit aus. Günstigere Tarifverträge, wie zB für das Schreinerhandwerk und kaufmännische Angestellte, kamen aus den genannten Gründen und im Hinblick auf die Struktur des regionalen Arbeitsmarktes ebenfalls nicht in Betracht. Handwerksbetriebe (Schreiner, Heizungsbauer) stellen darüber hinaus bevorzugt im Steuerrecht bewanderte Bewerber ein.

Damit kamen realistischerweise und günstigstenfalls nur solche Tätigkeiten in Betracht, die der Gehaltsgruppe V des Metalltarifvertrages zugeordnet werden konnten. Abzustellen ist in diesem Zusammenhang auf die von den in Betracht kommenden Arbeitgebern festgelegten Einstellungsvoraussetzungen (BSG SozR 4100 § 36 Nrn 14, 16), so dass bereits aus diesem Grunde wegen des fehlenden Studiums eine Einstufung des Klägers nach BAT IIa ausschied. Ferner war zu beachten, dass eine Beschäftigung, in die der Kläger nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes nicht oder nur in Ausnahmefällen vermittelt werden konnte, außer Betracht zu bleiben hatte (BSG Urteil vom 09.11.1989 - 11/7 RAr 63/87; Heuer in Hennig/Kühl/Heuer, AFG, § 112 RdNr 45). Von daher stellt sogar sich die Frage, ob angesichts der äußerst schwierigen Situation in kleinen und mittleren Metallbetrieben (Zeugin H.) die Heranziehung der Gruppe V des Metalltarifvertrages zur Leistungsbemessung durch die Beklagte noch vertretbar war und nicht eine noch ungünstigere Einstufung hätte vorgenommen werden müssen. Das Begehren auf Heranziehung einer noch günstigeren tarifvertraglichen Regelung ist jedenfalls unbegründet.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 112 Abs 7 AFG - vom Kläger lediglich pauschal geltend gemacht - bestehen nicht. Liegt nämlich der Bemessungszeitraum weit zurück und ist die Anwartschaft zB (wie vorliegend) durch Krankengeldzahlung erworben worden (§ 107 Abs 1 Nr 5 AFG), ist die Vermutung nicht mehr gerechtfertigt, dass der Arbeitslose das bisherige Arbeitsentgelt auch in Zukunft verdienen kann (BR-Drucks 302/83 S.85; Brand in Niesel, AFG, 2. Auflage, § 112 RdNr 47). Der Leistungsanspruch ist daher an einem erzielbaren fiktiven Verdienst auszurichten (BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 13).

Die Beklagte hat zutreffend die übrigen Leistungsmerkmale (Leistungssatz, Nettolohnersatzquote, Leistungsgruppe) angewandt und mit Änderungsbescheid vom 09.10.2003 in Umsetzung des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes vom 21.12.2000 (§ 434 c Abs 1 Satz 1 SGB III) das dem Alg zugrunde liegende Bemessungsentgelt um 10 % erhöht. Der Alhi-Anspruch des Klägers nimmt an dieser pauschalisierten Erhöhung nicht teil (§ 434 c Abs 4 SGB III). Die Anpassung der Alhi nach § 136 Abs 2 b AFG idF des Gesetzes vom 24.06.1996 ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf höheres Alg bzw Alhi. Die Berufung ist daher zurückzuweisen und die Klage gegen den während des Berufungsverfahrens erlassenen Änderungsbescheid abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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