Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 52/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 136/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten wegen der Feststellung von Folgen eines Arbeitsunfalls, der Gewährung weiteren Verletztengeldes und wegen weiterer medizinischer Leistungen zur Behandlung der streitigen Unfallfolgen.
Die 1956 geborene Klägerin war Mitarbeiterin in einer C-Filiale in C-Stadt und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Am 15.11.2010 wurde diese Filiale überfallen. Dabei wurden die Klägerin und ein Kunde mit einem Messer bedroht und zur Herausgabe der Kasseneinnahmen (ca. 800,00 EUR) gezwungen. Nach diesem Ereignis war die Klägerin krank geschrieben. Die Beklagte bot ihr zeitnah die Gewährung sogenannter probatorischer Sitzungen bei einem Psychologen an. Die Umsetzung gestaltete sich mit der Klägerin schwierig. Am 13.12.2010 stellte sie sich erstmals im Trauma- und Opferzentrum Frankfurt e. V. vor, dort wurden die probatorischen Sitzungen mit der Diplompsychologin D. durchgeführt. Diese stellte in einem ersten Bericht vom 13.12.2010 fest, derzeit bestehe aufgrund der psychischen Symptomatik keine Arbeitsfähigkeit für die derzeitige Tätigkeit als Kassiererin. Arbeitsunfähigkeit werde voraussichtlich bis zum 31.12.2010 bestehen. Nach Rücksprache mit der Bezirksleiterin der Firma C. nahm die Klägerin am 09.01.2011 ihre Tätigkeit in einer anderen Filiale in E-Stadt wieder auf, dort war auch Security-Personal eingesetzt. Diese Tätigkeit führte sie fort bis ca. Juni/Juli 2012, zu diesem Zeitpunkt schlossen alle C-Filialen in Deutschland wegen des für diese Firma anhängigen Insolvenzverfahrens.
Mit Schriftsatz vom 13.08.2013 wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin an die Beklagte mit dem Begehren, das Verwaltungsverfahren fortzuführen. Nach seinen Angaben sei die posttraumatische Weiterentwicklung sehr negativ verlaufen. Dies habe nach Auffassung seiner Mandantin daran gelegen, dass sie bis heute keine richtige Therapie durchgemacht habe. Die Ärzte hätten sie deshalb derzeit arbeitsunfähig geschrieben. Dem Antrag fügte er ein fachärztliches Attest der Neuropraxis F., C-Stadt, bei. Die Beklagte führte daraufhin weitere Ermittlungen durch, holte Befundberichte ein und einen Bericht über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung, die vom 08.01.2013 bis 15.01.2013 durchgeführt wurde. Darin werden u. a. eine depressive Anpassungsstörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Des Weiteren leitete sie eine Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt am Main (BGU), dort posttraumatisches Zentrum, ein und zog einen Arztbrief der BGU vom 07.01.2014 bei. Daraus ergibt sich, dass keine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), keine phobische Störung aber eine deutliche Angst vor Zunahme festgestellter kognitiver Defizite bestehe. Diese hätten sich im Herbst 2012, also zwei Jahre nach dem versicherten Ereignis, entwickelt. Weiter ist darin ausgeführt, dass die Therapeutin D. schon im Frühjahr 2011 festgestellt habe, dass die psychoreaktive Störung ausgeheilt sei. Mit Bescheid vom 13.01.2014 lehnte die Beklagte die Zahlung weiteren Verletztengeldes und Gewährung von Heilbehandlungsmaßnahmen, die über den 08.01.2011 hinausgingen, ab und führte zur Begründung aus, diese seien nicht auf das streitige Ereignis kausal zurückzuführen. Hiergegen legte die Klägerin rechtzeitig Widerspruch ein und fügte einen Bericht ihres behandelnden Neurologen F., C-Stadt, bei. Darin ist ausgeführt, dass die Klägerin ab Oktober 2012 in Behandlung sei, es sei von ihm eine PTBS diagnostiziert worden. Nach Auswertung dieses Berichts durch den Beratungsarzt der Beklagten (beratungsärztliche Stellungnahme vom 27.01.2014) wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2014 zurück.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 24.03.2014 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage. Sie ist der Ansicht, alle aktuell bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet seien auf das streitige Ereignis zurückzuführen. Weil sie deshalb nicht mehr arbeiten könne, beziehe sie seit 01.10.2014 volle Erwerbsminderungsrente von der Deutschen Rentenversicherung.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 13.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.03.2014 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls Verletztengeld für den Zeitraum vom 13.08.2013 bis 30.09.2014 zu gewähren sowie alle notwendigen Heilbehandlungsmaßnahmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die im Verfahren getroffenen Feststellungen.
Das Gericht hat der Klägerin mit Beschluss vom 05.05.2014 Prozesskostenhilfe für das Verfahren gewährt und sodann Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Amts wegen bei Dr. G., Institut für medizinische Begutachtung Kassel. Der Sachverständige kommt in seinem Gutachten vom 24.06.2014 zu dem Ergebnis, bei der Klägerin bestünden auf psychischem Fachgebiet eine spezifische Phobie (ICD-10 F40.2), kognitive Störungen (ICD-10 F06.7) und eine negative Antwortverzerrung. Diese Gesundheitsstörungen stünden in keinem Zusammenhang mit dem streitigen Ereignis vom 15.11.2010. Im Übrigen hätten sich bei der Durchführung der psychologischen Testverfahren in zwei von drei Testverfahren deutliche Hinweise auf eine negative Antwortverzerrung ergeben. Aufgrund dieser festgestellten negativen Antwortverzerrung seien die oben erhobenen neuropsychologischen Testergebnisse als nicht mehr valide anzusehen.
Die Klägerin hat sodann zur weiteren Begründung ihres Anspruchs ein neurologisch-psychiatrisches Privatgutachten ihres behandelnden Neurologen F. in das Verfahren eingeführt. Der Neurologe kommt in diesem Privatgutachten vom 28.08.2014 zu dem Ergebnis, seines Erachtens bestünde eine posttraumatische Belastungsstörung wegen des Ereignisses. Die Tatsache, dass es zu einer Verschlechterung erst zeitversetzt gekommen sei, und sie tatsächlich ihre Arbeit zwischenzeitlich wieder habe aufnehmen können, liege im Rahmen des Üblichen bei einem posttraumatischen Belastungssyndrom. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hierfür sei mit 30 v. H. zu beurteilen. Daraufhin hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme bei dem Gerichtssachverständigen Dr. G. eingeholt, der hierin weiter seine Ansicht aufrechterhalten hat.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Klage- und Verwaltungsakten der Beklagten über die Klägerin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 08.05.2015 gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Sachlich ist die Klage unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte mit Bescheid vom 13.01.2014 und Widerspruchsbescheid vom 14.03.2014 weitere Behandlungsbedürftigkeit und Zahlung von Verletztengeld über den 08.01.2011 hinaus abgelehnt, denn es bestehen über diesen Zeitpunkt hinaus keine Unfallfolgen mehr, die zur Gewährung der streitigen Leistung berechtigen würden.
Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) wird Verletztengeld erbracht, wenn die Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig ist oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztätige Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt werden kann. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beginnt das Verletztengeld an dem Tag, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird und endet gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VII mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit oder der Hinderung an einer ganztägigen Erwerbstätigkeit durch eine Heilbehandlungsmaßnahme. Abzustellen ist dabei auf die konkrete Tätigkeit der Versicherten, hier also auf die Tätigkeit als Filialmitarbeiterin bei der Firma C.
Dasselbe gilt gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII für Maßnahmen der Heilbehandlung und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 SGB VII bestimmen die Unfallversicherungsträger im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung und der Leistung zur Teilhabe nach pflichtgemäßem Ermessen. Aus beiden Vorschriften folgt, dass Leistungen gewährt werden, solange behandlungsbedürftige Unfallfolgen vorliegen.
In einem ersten Schritt sind deshalb die Unfallfolgen festzustellen. Unfallfolgen in diesem Sinne sind diejenigen Gesundheitsstörungen, die auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Dabei muss für den Zusammenhang nicht der Vollbeweis geführt werden, vielmehr reicht es aus, dass der Gesundheitsschaden mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist (vgl. BSG in SozR 2200 § 548 Nr. 38; § 551 Nr. 1; BSGE 32, 203, 209). Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn beim vernünftigen Abwägen aller Umstände, die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG in Breithaupt 1963, S. 60, 61; LSG Baden-Württemberg in Breithaupt 1985, S. 399, 404).
Diese Grundlagen der Theorie der wesentlichen Bedingung gelten für alle als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen und damit auch für psychische Störungen. Die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente für sie ist ebenso wie für andere Gesundheitsstörungen möglich. Denn auch psychische Reaktionen können rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis verursacht werden (vgl. schon BSG vom 18. Dezember 1962, BSGE 18, 173, 175 = SozR Nr. 61 zu § 542 RVO; BSG vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84 -; BSG vom 18. Dezember 1986, BSGE 61, 113 = SozR 2200 § 1252 Nr. 6; BSG vom 18. Januar 1990 - 8 RKnU 1/89 -; vgl. im Übrigen Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap 5.1, S 227 ff.).
Allerdings müssen zur Feststellung psychischer Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls dieselben, strengen Voraussetzungen gelten, wie bei anderen körperlichen Gesundheitsstörungen. Die Voraussetzungen zur Anerkennung hat das BSG in einer Grundsatzentscheidung (Urteil vom 9. Mai 2006 B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 BSGE 96, 196 - Breith 2007, 223 - NZS 2007, 212 - SGb 2007, 242) klar definiert. Danach sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen:
Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund von ihnen ist zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern (BSG Urteil vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84; vgl. BSG Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 50/02 R -). Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (z. B. ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung aus dem Jahre 1994, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 3. Aufl 2001). Denn je genauer und klarer die bei dem Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, umso einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht ausgeschlossen.
Für die im nächsten Schritt erforderliche Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und den festgestellten psychischen Gesundheitsstörungen gelten die obigen allgemeinen Grundsätze (so schon BSG vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84). Zunächst muss geprüft werden, welche Ursachen für die festgestellte(n) psychische(n) Gesundheitsstörung(en) nach der Bedingungstheorie gegeben sind, und dann in einem zweiten Schritt, ob die versicherte Ursache - das Unfallereignis - direkt oder mittelbar für diese Gesundheitsstörungen wesentlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung war.
Basis dieser Beurteilung müssen zum einen der konkrete Versicherte mit seinem Unfallereignis und seinen Erkrankungen und zum anderen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und psychischen Gesundheitsstörungen sein.
Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes mag gerade auf Gebieten, die derart in der Entwicklung begriffen sind, wie die Psychiatrie und Psychologie (vgl. aktuell nur MedSach 2006, Heft 2, S 49 ff. zu neuen Aspekten bei der Beurteilung psychoreaktiver und neuropsychologischer Störungen) schwierig sein, ist aber für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich. Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl. ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Fritze, Ärztliche Begutachtung, 6. Aufl. 2001, Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl. 2005; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O.; vgl speziell Venzlaff/ Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. 2004). Außerdem sind, soweit sie vorliegen und einschlägig sind, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen (vgl. Leitlinie Somatoforme Störungen 1, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/001; Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung, ICD-10: F 43.1, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/010; die nicht aktualisierte Leitlinie Ärztliche Begutachtung in der Psychosomatik und Psychotherapeutischen Medizin Sozialrechtsfragen AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/022, jeweils im Internet unter: www.uni-duesseldorf.de/awmf). Hinzu kommen andere aktuelle Veröffentlichungen (vgl. nur die Beiträge in: MedSach 2006, 49 ff. sowie M. Fabra, MedSach 2006, 26 ff.; V. Kaiser, BG 2005, 679 ff.; E. Wehking, MedSach 2004, 164 ff.; zu ähnlichen Anforderungen bei der Beurteilung psychischer Störungen im Rentenrecht: BSG, Beschluss vom 9. April 2003 - B 5 RJ 80/02 B -). Diese verschiedenen Veröffentlichungen sind jedoch jeweils kritisch zu würdigen, zumal ein Teil der Autoren aktive oder ehemalige Bedienstete von Versicherungsträgern sind oder diesen in anderer Weise nahe stehen.
In Anwendung dieser Grundsätze sind bei der Klägerin keine Unfallfolgen mehr festzustellen. Die originäre Behandlung der Klägerin war abgeschlossen mit dem 08.01.2011 und der Durchführung probatorischer Sitzungen durch die Diplompsychologin D. Diese hat festgestellt, dass darüber hinaus keine Arbeitsunfähigkeit mehr besteht. Die Klägerin hat auch tatsächlich danach ihre Arbeit anstandslos ausführen können und war nicht durch gesundheitliche Folgen sondern durch die Insolvenz der Firma C. ab Juni/Juli 2012 gezwungen gewesen, ihre Tätigkeit aufzugeben. Es verwundert insoweit schon an dieser Stelle, dass psychische Störungen aus dem Jahr 2013 in einem Zusammenhang mit dem streitigen Ereignis stehen sollen. Der behandelnde Psychiater der Klägerin F. diagnostiziert insoweit in seinem Privatgutachten vom 28.08.2014 eine sogenannte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), ohne diese nach ICD-10 oder DSM-IV zu kodieren. Er führt zur Begründung des kausalen Zusammenhangs wörtlich aus: "Die Tatsache, dass es zur Verschlechterung erst zeitversetzt kam und sie tatsächlich ihre Arbeit zwischenzeitlich wieder aufnehmen konnte, liegt im Rahmen des Üblichen im Rahmen eines posttraumatischen Belastungssyndroms." Diese Ansicht entspricht ausdrücklich nicht der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung und der Festlegung in den oben genannten internationalen Kodifizierungssystemen. In der ICD-10 (F 43.1) wird zur PTBS ausdrücklich ausgeführt, dass die Erkrankung in einem Zeitpunkt zwischen dem Ereignis und spätestens sechs Monate nach dem Ereignis erstmals in Volldiagnostik festgestellt sein muss und regelmäßig nicht länger als zwei Jahre andauere. Wenn der Neurologe und Psychiater F. in seinem Privatgutachten mit den obigen Ausführungen praktisch genau das Gegenteil behauptet, ohne eine für den Einzelfall der Klägerin nachvollziehbare Begründung abzuliefern, macht allein dies sein Gutachten unverwertbar.
Nach den weiteren im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholten Befunden und Gutachten bestehen aber keine Gesundheitsstörungen bei der Klägerin mehr, die auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Dies hat der Gerichtsgutachter Dr. G. in seinem Gutachten vom 24.06.2014 nachvollziehbar und überzeugend dargestellt. Hauptsächlich leide die Klägerin danach an einer kognitiven Störung, die sie sehr belastet. Dem Gericht sind insoweit mit dem Gutachter keinerlei Fälle bekannt, in denen kognitive Störungen auf einen Überfall zurückzuführen sind. Soweit die Klägerin an einer Angststörung leidet, ist hiermit auch kein Zusammenhang zu dem versicherten Ereignis im Vollbeweis zu sichern. Letztlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige in aller Deutlichkeit ausgeführt hat, dass bei der Klägerin eine deutliche Antwortverzerrung festgestellt worden ist. Die Leistungsdiagnostik ist durch diese Aggravationshandlungen nicht verwertbar. Es konnte für die Kammer deshalb letztendlich dahingestellt bleiben, ob die Klägerin bei der Untersuchung durch Dr. G. in Tränen ausgebrochen ist oder nicht, denn dies ändert nichts an der Kausalität. Vielmehr verstärkt es die Feststellungen von Dr. G. bezüglich der negativen Antwortverzerrung. Auf die Aussage der benannten Zeugin H. A., der Tochter der Klägerin, kam es deshalb für die Kammer nicht an. Letztendlich lässt sich kein Zusammenhang heute bestehender eventueller psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen mit dem streitigen Ereignis herstellen. Die Klage war deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
2) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten wegen der Feststellung von Folgen eines Arbeitsunfalls, der Gewährung weiteren Verletztengeldes und wegen weiterer medizinischer Leistungen zur Behandlung der streitigen Unfallfolgen.
Die 1956 geborene Klägerin war Mitarbeiterin in einer C-Filiale in C-Stadt und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Am 15.11.2010 wurde diese Filiale überfallen. Dabei wurden die Klägerin und ein Kunde mit einem Messer bedroht und zur Herausgabe der Kasseneinnahmen (ca. 800,00 EUR) gezwungen. Nach diesem Ereignis war die Klägerin krank geschrieben. Die Beklagte bot ihr zeitnah die Gewährung sogenannter probatorischer Sitzungen bei einem Psychologen an. Die Umsetzung gestaltete sich mit der Klägerin schwierig. Am 13.12.2010 stellte sie sich erstmals im Trauma- und Opferzentrum Frankfurt e. V. vor, dort wurden die probatorischen Sitzungen mit der Diplompsychologin D. durchgeführt. Diese stellte in einem ersten Bericht vom 13.12.2010 fest, derzeit bestehe aufgrund der psychischen Symptomatik keine Arbeitsfähigkeit für die derzeitige Tätigkeit als Kassiererin. Arbeitsunfähigkeit werde voraussichtlich bis zum 31.12.2010 bestehen. Nach Rücksprache mit der Bezirksleiterin der Firma C. nahm die Klägerin am 09.01.2011 ihre Tätigkeit in einer anderen Filiale in E-Stadt wieder auf, dort war auch Security-Personal eingesetzt. Diese Tätigkeit führte sie fort bis ca. Juni/Juli 2012, zu diesem Zeitpunkt schlossen alle C-Filialen in Deutschland wegen des für diese Firma anhängigen Insolvenzverfahrens.
Mit Schriftsatz vom 13.08.2013 wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin an die Beklagte mit dem Begehren, das Verwaltungsverfahren fortzuführen. Nach seinen Angaben sei die posttraumatische Weiterentwicklung sehr negativ verlaufen. Dies habe nach Auffassung seiner Mandantin daran gelegen, dass sie bis heute keine richtige Therapie durchgemacht habe. Die Ärzte hätten sie deshalb derzeit arbeitsunfähig geschrieben. Dem Antrag fügte er ein fachärztliches Attest der Neuropraxis F., C-Stadt, bei. Die Beklagte führte daraufhin weitere Ermittlungen durch, holte Befundberichte ein und einen Bericht über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung, die vom 08.01.2013 bis 15.01.2013 durchgeführt wurde. Darin werden u. a. eine depressive Anpassungsstörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Des Weiteren leitete sie eine Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt am Main (BGU), dort posttraumatisches Zentrum, ein und zog einen Arztbrief der BGU vom 07.01.2014 bei. Daraus ergibt sich, dass keine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), keine phobische Störung aber eine deutliche Angst vor Zunahme festgestellter kognitiver Defizite bestehe. Diese hätten sich im Herbst 2012, also zwei Jahre nach dem versicherten Ereignis, entwickelt. Weiter ist darin ausgeführt, dass die Therapeutin D. schon im Frühjahr 2011 festgestellt habe, dass die psychoreaktive Störung ausgeheilt sei. Mit Bescheid vom 13.01.2014 lehnte die Beklagte die Zahlung weiteren Verletztengeldes und Gewährung von Heilbehandlungsmaßnahmen, die über den 08.01.2011 hinausgingen, ab und führte zur Begründung aus, diese seien nicht auf das streitige Ereignis kausal zurückzuführen. Hiergegen legte die Klägerin rechtzeitig Widerspruch ein und fügte einen Bericht ihres behandelnden Neurologen F., C-Stadt, bei. Darin ist ausgeführt, dass die Klägerin ab Oktober 2012 in Behandlung sei, es sei von ihm eine PTBS diagnostiziert worden. Nach Auswertung dieses Berichts durch den Beratungsarzt der Beklagten (beratungsärztliche Stellungnahme vom 27.01.2014) wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2014 zurück.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 24.03.2014 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage. Sie ist der Ansicht, alle aktuell bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet seien auf das streitige Ereignis zurückzuführen. Weil sie deshalb nicht mehr arbeiten könne, beziehe sie seit 01.10.2014 volle Erwerbsminderungsrente von der Deutschen Rentenversicherung.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 13.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.03.2014 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls Verletztengeld für den Zeitraum vom 13.08.2013 bis 30.09.2014 zu gewähren sowie alle notwendigen Heilbehandlungsmaßnahmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die im Verfahren getroffenen Feststellungen.
Das Gericht hat der Klägerin mit Beschluss vom 05.05.2014 Prozesskostenhilfe für das Verfahren gewährt und sodann Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Amts wegen bei Dr. G., Institut für medizinische Begutachtung Kassel. Der Sachverständige kommt in seinem Gutachten vom 24.06.2014 zu dem Ergebnis, bei der Klägerin bestünden auf psychischem Fachgebiet eine spezifische Phobie (ICD-10 F40.2), kognitive Störungen (ICD-10 F06.7) und eine negative Antwortverzerrung. Diese Gesundheitsstörungen stünden in keinem Zusammenhang mit dem streitigen Ereignis vom 15.11.2010. Im Übrigen hätten sich bei der Durchführung der psychologischen Testverfahren in zwei von drei Testverfahren deutliche Hinweise auf eine negative Antwortverzerrung ergeben. Aufgrund dieser festgestellten negativen Antwortverzerrung seien die oben erhobenen neuropsychologischen Testergebnisse als nicht mehr valide anzusehen.
Die Klägerin hat sodann zur weiteren Begründung ihres Anspruchs ein neurologisch-psychiatrisches Privatgutachten ihres behandelnden Neurologen F. in das Verfahren eingeführt. Der Neurologe kommt in diesem Privatgutachten vom 28.08.2014 zu dem Ergebnis, seines Erachtens bestünde eine posttraumatische Belastungsstörung wegen des Ereignisses. Die Tatsache, dass es zu einer Verschlechterung erst zeitversetzt gekommen sei, und sie tatsächlich ihre Arbeit zwischenzeitlich wieder habe aufnehmen können, liege im Rahmen des Üblichen bei einem posttraumatischen Belastungssyndrom. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hierfür sei mit 30 v. H. zu beurteilen. Daraufhin hat das Gericht eine ergänzende Stellungnahme bei dem Gerichtssachverständigen Dr. G. eingeholt, der hierin weiter seine Ansicht aufrechterhalten hat.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Klage- und Verwaltungsakten der Beklagten über die Klägerin Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 08.05.2015 gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Sachlich ist die Klage unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte mit Bescheid vom 13.01.2014 und Widerspruchsbescheid vom 14.03.2014 weitere Behandlungsbedürftigkeit und Zahlung von Verletztengeld über den 08.01.2011 hinaus abgelehnt, denn es bestehen über diesen Zeitpunkt hinaus keine Unfallfolgen mehr, die zur Gewährung der streitigen Leistung berechtigen würden.
Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) wird Verletztengeld erbracht, wenn die Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig ist oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztätige Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt werden kann. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beginnt das Verletztengeld an dem Tag, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird und endet gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VII mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit oder der Hinderung an einer ganztägigen Erwerbstätigkeit durch eine Heilbehandlungsmaßnahme. Abzustellen ist dabei auf die konkrete Tätigkeit der Versicherten, hier also auf die Tätigkeit als Filialmitarbeiterin bei der Firma C.
Dasselbe gilt gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII für Maßnahmen der Heilbehandlung und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 SGB VII bestimmen die Unfallversicherungsträger im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung und der Leistung zur Teilhabe nach pflichtgemäßem Ermessen. Aus beiden Vorschriften folgt, dass Leistungen gewährt werden, solange behandlungsbedürftige Unfallfolgen vorliegen.
In einem ersten Schritt sind deshalb die Unfallfolgen festzustellen. Unfallfolgen in diesem Sinne sind diejenigen Gesundheitsstörungen, die auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Dabei muss für den Zusammenhang nicht der Vollbeweis geführt werden, vielmehr reicht es aus, dass der Gesundheitsschaden mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen ist (vgl. BSG in SozR 2200 § 548 Nr. 38; § 551 Nr. 1; BSGE 32, 203, 209). Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn beim vernünftigen Abwägen aller Umstände, die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG in Breithaupt 1963, S. 60, 61; LSG Baden-Württemberg in Breithaupt 1985, S. 399, 404).
Diese Grundlagen der Theorie der wesentlichen Bedingung gelten für alle als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen und damit auch für psychische Störungen. Die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente für sie ist ebenso wie für andere Gesundheitsstörungen möglich. Denn auch psychische Reaktionen können rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis verursacht werden (vgl. schon BSG vom 18. Dezember 1962, BSGE 18, 173, 175 = SozR Nr. 61 zu § 542 RVO; BSG vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84 -; BSG vom 18. Dezember 1986, BSGE 61, 113 = SozR 2200 § 1252 Nr. 6; BSG vom 18. Januar 1990 - 8 RKnU 1/89 -; vgl. im Übrigen Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap 5.1, S 227 ff.).
Allerdings müssen zur Feststellung psychischer Gesundheitsstörungen als Folge eines Arbeitsunfalls dieselben, strengen Voraussetzungen gelten, wie bei anderen körperlichen Gesundheitsstörungen. Die Voraussetzungen zur Anerkennung hat das BSG in einer Grundsatzentscheidung (Urteil vom 9. Mai 2006 B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 BSGE 96, 196 - Breith 2007, 223 - NZS 2007, 212 - SGb 2007, 242) klar definiert. Danach sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen:
Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund von ihnen ist zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern (BSG Urteil vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84; vgl. BSG Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 50/02 R -). Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (z. B. ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung aus dem Jahre 1994, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 3. Aufl 2001). Denn je genauer und klarer die bei dem Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, umso einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht ausgeschlossen.
Für die im nächsten Schritt erforderliche Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und den festgestellten psychischen Gesundheitsstörungen gelten die obigen allgemeinen Grundsätze (so schon BSG vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84). Zunächst muss geprüft werden, welche Ursachen für die festgestellte(n) psychische(n) Gesundheitsstörung(en) nach der Bedingungstheorie gegeben sind, und dann in einem zweiten Schritt, ob die versicherte Ursache - das Unfallereignis - direkt oder mittelbar für diese Gesundheitsstörungen wesentlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung war.
Basis dieser Beurteilung müssen zum einen der konkrete Versicherte mit seinem Unfallereignis und seinen Erkrankungen und zum anderen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und psychischen Gesundheitsstörungen sein.
Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes mag gerade auf Gebieten, die derart in der Entwicklung begriffen sind, wie die Psychiatrie und Psychologie (vgl. aktuell nur MedSach 2006, Heft 2, S 49 ff. zu neuen Aspekten bei der Beurteilung psychoreaktiver und neuropsychologischer Störungen) schwierig sein, ist aber für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich. Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl. ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Fritze, Ärztliche Begutachtung, 6. Aufl. 2001, Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl. 2005; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O.; vgl speziell Venzlaff/ Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. 2004). Außerdem sind, soweit sie vorliegen und einschlägig sind, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen (vgl. Leitlinie Somatoforme Störungen 1, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/001; Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung, ICD-10: F 43.1, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/010; die nicht aktualisierte Leitlinie Ärztliche Begutachtung in der Psychosomatik und Psychotherapeutischen Medizin Sozialrechtsfragen AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/022, jeweils im Internet unter: www.uni-duesseldorf.de/awmf). Hinzu kommen andere aktuelle Veröffentlichungen (vgl. nur die Beiträge in: MedSach 2006, 49 ff. sowie M. Fabra, MedSach 2006, 26 ff.; V. Kaiser, BG 2005, 679 ff.; E. Wehking, MedSach 2004, 164 ff.; zu ähnlichen Anforderungen bei der Beurteilung psychischer Störungen im Rentenrecht: BSG, Beschluss vom 9. April 2003 - B 5 RJ 80/02 B -). Diese verschiedenen Veröffentlichungen sind jedoch jeweils kritisch zu würdigen, zumal ein Teil der Autoren aktive oder ehemalige Bedienstete von Versicherungsträgern sind oder diesen in anderer Weise nahe stehen.
In Anwendung dieser Grundsätze sind bei der Klägerin keine Unfallfolgen mehr festzustellen. Die originäre Behandlung der Klägerin war abgeschlossen mit dem 08.01.2011 und der Durchführung probatorischer Sitzungen durch die Diplompsychologin D. Diese hat festgestellt, dass darüber hinaus keine Arbeitsunfähigkeit mehr besteht. Die Klägerin hat auch tatsächlich danach ihre Arbeit anstandslos ausführen können und war nicht durch gesundheitliche Folgen sondern durch die Insolvenz der Firma C. ab Juni/Juli 2012 gezwungen gewesen, ihre Tätigkeit aufzugeben. Es verwundert insoweit schon an dieser Stelle, dass psychische Störungen aus dem Jahr 2013 in einem Zusammenhang mit dem streitigen Ereignis stehen sollen. Der behandelnde Psychiater der Klägerin F. diagnostiziert insoweit in seinem Privatgutachten vom 28.08.2014 eine sogenannte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), ohne diese nach ICD-10 oder DSM-IV zu kodieren. Er führt zur Begründung des kausalen Zusammenhangs wörtlich aus: "Die Tatsache, dass es zur Verschlechterung erst zeitversetzt kam und sie tatsächlich ihre Arbeit zwischenzeitlich wieder aufnehmen konnte, liegt im Rahmen des Üblichen im Rahmen eines posttraumatischen Belastungssyndroms." Diese Ansicht entspricht ausdrücklich nicht der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung und der Festlegung in den oben genannten internationalen Kodifizierungssystemen. In der ICD-10 (F 43.1) wird zur PTBS ausdrücklich ausgeführt, dass die Erkrankung in einem Zeitpunkt zwischen dem Ereignis und spätestens sechs Monate nach dem Ereignis erstmals in Volldiagnostik festgestellt sein muss und regelmäßig nicht länger als zwei Jahre andauere. Wenn der Neurologe und Psychiater F. in seinem Privatgutachten mit den obigen Ausführungen praktisch genau das Gegenteil behauptet, ohne eine für den Einzelfall der Klägerin nachvollziehbare Begründung abzuliefern, macht allein dies sein Gutachten unverwertbar.
Nach den weiteren im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholten Befunden und Gutachten bestehen aber keine Gesundheitsstörungen bei der Klägerin mehr, die auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Dies hat der Gerichtsgutachter Dr. G. in seinem Gutachten vom 24.06.2014 nachvollziehbar und überzeugend dargestellt. Hauptsächlich leide die Klägerin danach an einer kognitiven Störung, die sie sehr belastet. Dem Gericht sind insoweit mit dem Gutachter keinerlei Fälle bekannt, in denen kognitive Störungen auf einen Überfall zurückzuführen sind. Soweit die Klägerin an einer Angststörung leidet, ist hiermit auch kein Zusammenhang zu dem versicherten Ereignis im Vollbeweis zu sichern. Letztlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige in aller Deutlichkeit ausgeführt hat, dass bei der Klägerin eine deutliche Antwortverzerrung festgestellt worden ist. Die Leistungsdiagnostik ist durch diese Aggravationshandlungen nicht verwertbar. Es konnte für die Kammer deshalb letztendlich dahingestellt bleiben, ob die Klägerin bei der Untersuchung durch Dr. G. in Tränen ausgebrochen ist oder nicht, denn dies ändert nichts an der Kausalität. Vielmehr verstärkt es die Feststellungen von Dr. G. bezüglich der negativen Antwortverzerrung. Auf die Aussage der benannten Zeugin H. A., der Tochter der Klägerin, kam es deshalb für die Kammer nicht an. Letztendlich lässt sich kein Zusammenhang heute bestehender eventueller psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen mit dem streitigen Ereignis herstellen. Die Klage war deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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