L 12 AS 458/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 41 AS 5428/17 WA
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 458/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 26.02.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Frage, ob der erstinstanzliche Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen S 41 AS 302/17 beendet ist.

Der am 00.00.1960 geborene Kläger bezog in der Vergangenheit wiederholt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) von dem Beklagten, zuletzt mit Bescheid vom 08.07.2014 für die Zeit ab 01.09.2014. Durch einen Datenabgleich wurde dem Beklagten am 14.07.2014 bekannt, dass der Kläger im Jahr 2012 aus einem Bausparvertrag einen steuerfreien Zinsbetrag in Höhe von 780 Euro erhalten hat. Der Beklagte forderte den Kläger unter dem 25.11.2014 auf, die kompletten Kontoauszüge seines Bausparvertrages vorzulegen und stellte zugleich die Leistungsgewährung vorläufig ein. Aufgrund Arbeitsaufnahme schied der Kläger zum 01.12.2014 zunächst aus dem Leistungsbezug aus. Zu dem Bausparvertrag übersandte er den Kontoauszug für das Jahr 2013, der ein Gesamtguthaben über 21.089,68 Euro aufwies. Er trug vor, dass der Bausparvertrag von seiner Tochter auf ihn umgeschrieben worden sei und weitere Kontoauszüge ihm nicht vorlägen. Im Rahmen des Weiterbewilligungsantrags vom 18.02.2015 legte der Kläger einen weiteren Kontoauszug für das Jahr 2014 vor (Kontostand Bausparkonto: 17.402,93 Euro; Sonderzinskonto: 4.509,65 Euro). Bei einer persönlichen Vorsprache am 30.03.2015 teilte er mit, dass der Bausparvertrag zwischenzeitlich aufgelöst worden sei. Das Geld sei auf seinen Wunsch auf das Konto seiner Mutter überwiesen worden. Über die Verwendung des Geldes könne er nichts sagen. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 23.04.2015 den Antrag des Klägers ab. Der Kläger sei nicht hilfebedürftig, da er über verwertbares Vermögen in Höhe von 17.402,93 Euro verfüge, das die Freibeträge in Höhe von 8.850 Euro übersteige. Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein und machte geltend, dass der Bausparvertrag aufgelöst und er hiermit ein Darlehen in Höhe von 12.000 Euro abgetragen habe, das ihm seine Eltern im Jahre 2002 gegeben hätten. Das weitere Geld sei durch Bestreitung des Lebensunterhalts verbraucht. Überdies sei das Geld aus dem Bausparvertrag nicht auf sein Konto geflossen. Ausweislich eines Schreibens der Bausparkasse vom 30.04.2015 ergab sich aus dem Bausparvertrag ein Auszahlungsbetrag in Höhe von 22.451,07 Euro, der auf das Konto der Mutter des Klägers überwiesen worden ist. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.2015 zurück. Der Kläger habe bislang nicht plausibel darlegen und nachweisen können, dass er über das Geld nicht habe verfügen können. Das hiergegen eingeleitete Klageverfahren war bei dem Sozialgericht Duisburg unter dem Aktenzeichen S 41 AS 3914/15 anhängig. In der Folge von dem Kläger gestellte weitere Weiterbewilligungsanträge lehnte der Beklagte aus den oben genannten Gründen ab. Hiergegen waren weitere Klageverfahren anhängig.

Auf den am 12.10.2016 erneut gestellten Leistungsantrag versagte der Beklagte mit Bescheid vom 30.11.2016 die Leistungen für die Zeit ab 01.10.2016 ganz. Der Kläger habe verschiedene Unterlagen, wie z.B. fortlaufende lückenlose Kontoauszüge seit dem 01.05.2015, welche mit Schreiben vom 21.10.2016 und 10.11.2016 angefordert worden seien, nicht vorgelegt. Diese Unterlagen seien für die Anspruchsprüfung notwendig. Da der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei, seien die Leistungen im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens ganz zu versagen gewesen. Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein und machte geltend, dass dem Beklagten die angeforderten Unterlagen vorliegen würden. Die vom Beklagten aufgeführten Punkte seien in keiner Weise leistungsversagend und entbehrten jeglicher Grundlage. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2017 zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 16.01.2017 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben und zur Begründung auf seinen Widerspruch Bezug genommen.

In dem Verfahren S 41 AS 302/17 sowie weiteren Verfahren des Klägers hat das Sozialgericht am 01.06.2017 einen Erörterungstermin durchgeführt, an dem der Kläger in Begleitung seines damaligen Prozessbevollmächtigten teilgenommen hat. In diesem Termin haben die Beteiligten einen Vergleich geschlossen. Vor Abschluss des Vergleichs wurde die Sitzung ausweislich der Sitzungsniederschrift in der Zeit von 10.52 Uhr bis 11.07 Uhr unterbrochen, damit sich der Kläger und sein damaliger Prozessbevollmächtigter außerhalb des Sitzungssaals beraten können. Mit diesem Vergleich haben die Beteiligten zu den Ansprüchen für die Zeit von Februar 2015 bis August 2017 eine Regelung getroffen und die Modalitäten für die Anspruchsprüfung bei einem etwaigen Weiterbewilligungsantrag ab September 2017 geregelt. Unter Ziffer 8 des Vergleichs ist folgendes formuliert: "Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass durch den vorstehenden Vergleich die Verfahren S 41 AS 1419/17 ER, S 41 AS 3914/15, S 41 AS 1081/17, S 41 AS 302/17 und S 41 AS 5190/16 vollständig und endgültig erledigt sind." Der Vergleich wurde ausweislich der Sitzungsniederschrift laut diktiert, vorgespielt und genehmigt. In der Sitzungsniederschrift ist ferner festgehalten, dass der Termin um 9 Uhr begann und um 11.45 Uhr endete. Die Sitzungsniederschrift wurde vom Kammervorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts unterschrieben.

Mit Schreiben vom 29.06.2017, eingegangen beim Sozialgericht am 03.07.2017, hat der Kläger erklärt, dass er den geschlossenen Vergleich anfechte. Es habe weder von Seiten des Gerichts noch von anwaltlicher Seite eine Belehrung über das Widerrufsrecht gegeben. Er sei arglistig getäuscht worden und hätte unter diesen Umständen dem Vergleich nicht zugestimmt, § 119 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Das Sozialgericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 21.12.2017 darauf hingewiesen, dass, nachdem der Kläger der Ansicht sei, das vorliegende Verfahren sei wegen Anfechtung des Vergleichs vom 01.06.2017 noch offen, das Verfahren wieder aufzunehmen sei. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme binnen vier Wochen.

Das Sozialgericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 25.01.2018, dem Kläger zugestellt am 29.01.2018, zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört, zur Sach- und Rechtslage auf den im Prozesskostenhilfeverfahren ergangenen Beschluss Bezug genommen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 23.02.2018 eingeräumt. Der Kläger hat mit Schreiben vom 22.02.2018 erklärt, mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht einverstanden zu sein.

Das Sozialgericht stellte mit Gerichtsbescheid vom 26.02.2018 fest, dass das Verfahren S 41 AS 302/17 durch gerichtlichen Vergleich vom 01.06.2017 beendet sei. Entstehe Streit darüber, ob ein Rechtsstreit wirksam durch Rücknahme, Vergleich etc. beendet worden sei, sei der Rechtsstreit fortzusetzen und vorrangig zu prüfen, ob die Beendigung tatsächlich eingetreten sei. Komme das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Rechtsstreit wirksam beendet worden sei, stelle es dies entsprechend fest. Andernfalls werde der Rechtsstreit in der Sache fortgeführt. Hier sei das Verfahren S 41 AS 302/17 wirksam durch Vergleich gem. § 101 Abs. 1 SGG beendet worden. Eine Anfechtung des Vergleichs sei nicht möglich, da es sich um eine Prozesshandlung handele. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 179, 180 SGG, 578ff Zivilprozessordnung (ZPO) seien nicht ersichtlich. Schließlich sehe das Gesetz entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht vor, dass die Beteiligten vor Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs über ein Widerrufsrecht zu belehren wären. Das Verfahren S 41 AS 302/17 sei daher beendet, was folglich entsprechend festzustellen gewesen sei.

Gegen den ihm am 01.03.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21.03.2018 Berufung eingelegt. Zur Begründung seiner Berufung trägt er vor, dass sich die widerrechtliche Fristauslegung (21.12.2017/29.12.2017/19.01.2018) wie eine Kette durch den ganzen Verfahrensstrang ziehe. Sämtliche Schreiben und Entscheidungen seien rechtswidrig. In der Sache selbst seien folgende Tatbestände missachtet worden: BSG-Urteil zu Kontoauszügen, SGB-Gesetze zum Selbstbehalt, SG-Urteil zu Schadenersatz bei Verkehrsunfall, Missachtung von SGB Gesetzgebung § 60, Missachtung von Einsprüchen (hier: Urteil durch Gerichtsbeschluss), arglistige Täuschung durch das Gericht durch das Verschweigen des Widerrufsrechts bei einem Vergleich.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 26.02.2018 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2017 zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Vermögen für die Zeit vom 01.10.2016 bis zum 31.08.2017 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat mit Beschluss vom 27.08.2018 die Beschwerde des Klägers gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch das Sozialgericht mit Beschluss vom 19.01.2018 zurückgewiesen. Der Senat hat ferner den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren unter Beiordnung eines Rechtsanwalts mit weiterem Beschluss vom 27.08.2018 abgelehnt. Der Beschluss ist dem Kläger am 29.08.2018 zugestellt worden. Den erneuten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 07.10.2018 hat der Senat mit Beschluss vom 14.01.2019 abgelehnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig, sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt und auch statthaft im Sinne von §§ 143, 144 Abs. 1 SGG. Bei Berufungen, die sich gegen die Feststellung eines Sozialgerichts wenden, der Rechtsstreit sei erledigt, ist § 144 Abs. 1 SGG mit der Maßgabe zu prüfen, was Streitgegenstand des ursprünglichen Klageverfahrens war (vgl. BSG Urteil vom 10.10.2017, B 12 KR 3/16 R, Rn. 12 bei juris; Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt Urteil vom 30.01.2013, L 5 AS 347/12). Dem Rechtsstreit, dessen Fortsetzung der Kläger begehrt, lag die Versagung von Leistungen nach dem SGB II (Antrag vom 12.10.2016) zugrunde. Im Vergleich vom 01.06.2017 wurde eine Regelung bis zum August 2017 getroffen. Am 11.08.2017 hat der Kläger einen Weiterbewilligungsantrag gestellt. Dem hat der Beklagte mit Bescheid vom 18.08.2017 für die Zeit ab September 2017 Rechnung getragen. Damit ist streitgegenständlich der Zeitraum ab 01.10.2016 bis zum 31.08.2017, für den der Kläger Leistungen (Regelbedarf und Bedarfe für Unterkunft und Heizung) begehrt (vgl. zur Beschränkung des Streitgegenstandes bei Bescheidung eines weiteren Antrages: BSG Urteil vom 01.06.2010, B 4 AS 67/09 R). Die für den streitigen Zeitraum begehrten Leistungen übersteigen mithin den Berufungsstreitwert in Höhe von 750 Euro.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid zu Recht festgestellt, dass der Rechtsstreit S 41 AS 302/17 durch den im Erörterungstermin vom 01.06.2017 geschlossenen gerichtlichen Vergleich beendet worden ist.

An einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid war das Sozialgericht nicht gehindert, obwohl der Kläger hiermit ausdrücklich nicht einverstanden war. Nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören, § 105 Abs. 1 S. 2 SGG. Das Sozialgericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 25.01.2018, dem Kläger zugestellt am 29.01.2018, in ausreichender Weise angehört. Ein Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist nicht erforderlich, das Gesetz sieht lediglich eine Anhörung vor.

Soweit der Kläger mehrere Fristverletzungen durch das Sozialgericht beanstandet, macht er die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheides bereits aus formalen Gründen geltend. Die von dem Kläger behauptete widerrechtliche Fristauslegung hat jedoch keine rechtliche Relevanz. Dies käme allein in Betracht, wenn darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 62 SGG i.V.m. Art. 103 Grundgesetz (GG) zu sehen wäre. Dafür gibt es indes keine Anhaltspunkte. Der Kläger hatte bis zum Abschluss des Verfahrens durch Gerichtsbescheid, auch in Anbetracht der vom Sozialgericht gesetzten Fristen, ausreichend Gelegenheit, in der Sache Stellung zu nehmen. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang moniert, dass er das Schreiben vom 21.12.2017 erst Anfang Januar erhalten habe, mag dies so sein, da das Schreiben laut Absendevermerk der Geschäftsstelle des Sozialgerichts erst am 29.12.2017 abgesandt worden ist. Allerdings handelte es sich bei der darin gesetzten Frist um keine Ausschlussfrist und bestand, wie auch die Anhörung vom 25.01.2018 zeigte, weiterhin Gelegenheit zur Stellungnahme. Im Übrigen wäre, selbst wenn eine Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Sozialgericht vorliegen würde, diese dadurch als geheilt anzusehen, dass im Berufungsverfahren ausreichend Gelegenheit bestand, sich zur Sache zu äußern (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 62 Rn. 11e).

Zutreffend hat das Sozialgericht über das Begehren des Klägers im Rahmen einer Feststellungsklage entschieden. Bei einem Streit über die Beendigung eines Rechtsstreits ist der ursprüngliche Rechtsstreit von dem bis zur Beendigung des Rechtsstreits zuständigen Gericht fortzuführen. Dieses entscheidet dann entweder, dass die Beendigung des Rechtsstreits durch Endurteil festgestellt wird, oder, wenn eine Beendigung nicht vorliegt, in der Sache selbst (BSG Urteil vom 28.11.2002, B 7 AL 26/02 R, Rn. 20 bei juris).

Der Rechtsstreit S 41 AS 302/17 ist durch gerichtlichen Vergleich vom 01.06.2017 beendet worden. Nach § 101 Abs. 1 SGG können die Beteiligten zu Protokoll des Gerichts einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können, um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen.

Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht Duisburg am 01.06.2017 einen wirksamen Prozessvergleich geschlossen, der auch das Ausgangsverfahren (S 41 AS 302/17) einbezog. In Ziffer 8 des Vergleichs haben die Beteiligten übereinstimmend u.a. das Ausgangsverfahren für erledigt erklärt. Vor dem mit der Sache befassten Gericht haben der Kläger und der Beklagte somit sich deckende Erklärungen abgegeben und eine zwischen den Beteiligten bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt (vgl. § 54 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) und § 779 BGB). Der Kläger war in Begleitung seines damaligen Prozessbevollmächtigten anwesend und hat gemeinsam mit diesem eine wirksame Willenserklärung zum Abschluss des Vergleichs abgegeben. Die Erklärungen der Beteiligten wurden entsprechend § 101 Abs. 1 SGG in die Sitzungsniederschrift aufgenommen sowie vorgespielt und genehmigt (§ 122 SGG i.V.m. § 162 Abs. 1, § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Dies wurde in der Sitzungsniederschrift vermerkt (§ 162 Abs. 1 S. 3 ZPO), die unterschrieben wurde (§ 163 ZPO).

Der Prozessvergleich ist weder aus prozess- noch aus materiell-rechtlichen Gründen nichtig oder unwirksam.

Der Prozessvergleich hat eine Doppelnatur. Er ist sowohl Prozesshandlung als auch materiell-rechtlicher Vertrag. Die Prozesshandlung beendet den Rechtsstreit unmittelbar. Ihre Wirksamkeit richtet sich nach den Grundsätzen des Prozessrechts (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 101 Rn. 3, 10). Prozesshandlungen - wie die Zustimmung zu einem gerichtlichen Vergleich - können nur unter engen Voraussetzungen, z.B. beim Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes im Sinne von § 179 SGG, §§ 578ff ZPO, widerrufen werden oder dann, wenn aus dem Grundsatz von Treu und Glauben sich ein Festhalten an der Prozesshandlung verbietet (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, Vor § 60 Rn. 121). Für derartige Gründe ist hier nichts ersichtlich. Der Vortrag des Klägers, nach dem er nicht über die Widerrufsmöglichkeit eines Vergleichs belehrt worden sei, genügt hierfür nicht. Weder besteht eine allgemeine Belehrungspflicht, sei es vom Gericht, sei es vom Prozessbevollmächtigten, über ein mögliches Widerrufsrecht, noch ist eine Widerrufsmöglichkeit regelmäßiger Bestandteil eines gerichtlichen Vergleichs. Dem widerspricht schon die gesetzliche Regelung sowie der Sinn und Zweck von Vergleichen. Vergleiche sollen den Rechtsstreit regelmäßig endgültig beilegen. Lediglich in Ausnahmefällen, wenn einer der Beteiligten im Rahmen der Erörterung über eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits hierfür nachvollziehbare Gründe angibt, z.B. ein Kläger im Termin nicht persönlich anwesend ist und der Prozessbevollmächtigte vor Abschluss des Verfahrens durch Vergleich Gelegenheit zur Rücksprache mit diesem benötigt, kann der Vergleich im Einzelfall eine Regelung vorsehen, nach der für einen der Beteiligten oder für beide Beteiligte eine Widerrufsmöglichkeit eingeräumt wird.

Es bestehen auch keine Zweifel an der materiell-rechtlichen Wirksamkeit des Vergleichs. Eine nach § 119 Abs. 1 BGB wirksame Anfechtung durch den Kläger ist nicht erfolgt. Danach kann derjenige, der bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war (Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (Erklärungsirrtum), diese anfechten. Die Anfechtung muss ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Diese Voraussetzungen liegen offensichtlich nicht vor. Es ist schon nicht erkennbar, dass die Erklärung vom 29.06.2017 ohne schuldhaftes Zögern erfolgt ist. Das kann aber dahinstehen, da der angegebene Grund - fehlende Belehrung über ein Widerrufsrecht - die Wirksamkeit des Prozessvergleichs im Sinne von § 119 Abs. 1 BGB nicht berühren kann. Wie bereits oben ausgeführt, besteht kein regelhaftes Widerrufsrecht bei gerichtlichen Vergleichen, weswegen auch eine etwaige Belehrungspflicht hierzu nicht existiert. Im Übrigen läge darin auch kein Irrtum, der eine Anfechtung im Sinne von § 119 BGB begründen könnte. Nicht wegen Irrtums anfechtbar sind nämlich gemäß § 119 BGB Erklärungen, die auf einem während der Willensbildung unterlaufenden Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum) beruhen. Ebenso wenig lässt sich ein Anfechtungsrecht aus einer Fehlvorstellung über die Rechtsfolgen herleiten, die kraft Gesetzes eintreten (Rechtsfolgenirrtum) (vgl. Arnold in Ermann, BGB, 15. Auflage 2017, § 119 Rn. 28, 43). Der Kläger hat in Begleitung seines damaligen Prozessbevollmächtigten die Sach- und Rechtslage im Erörterungstermin mit dem Gericht und dem Vertreter des Beklagten über mehr als 2 1/2 Stunden erörtert, wobei auch eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der Schwester als Zeugin durchgeführt worden ist. Sodann hat er sich ausweislich der Sitzungsniederschrift 15 Minuten außerhalb des Sitzungssaals mit seinem Prozessbevollmächtigten beraten, bevor im Anschluss der Vergleich geschlossen worden ist. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger und seinem damaligen Prozessbevollmächtigten der Inhalt und die Rechtswirkungen des Vergleichs nicht bewusst gewesen sind. Auch soweit der Kläger geltend macht, dass Schadensersatzzahlungen zu Unrecht einbezogen worden seien, gilt nichts anderes. Die Beteiligten haben im Hinblick auf die Ungewissheit, ob ein verwertbares, die Vermögensfreigrenzen des § 12 SGB II übersteigendes Vermögen bei dem Kläger vorlag, einen Vergleich geschlossen und damit die in Bezug auf die Hilfebedürftigkeit bestehende Unsicherheit durch ein gegenseitiges Nachgeben geregelt. Daran ist der Kläger gebunden.

Eine Täuschung im Sinne von § 123 BGB ist ebenfalls nicht gegeben. Die Täuschung durch positives Tun besteht in der ausdrücklichen oder stillschweigenden wahrheitswidrigen Behauptung von Tatsachen. Eine Täuschung durch Unterlassen kann durch ein Verschweigen von Tatsachen erfolgen, falls der Betreffende zu einer solchen Aufklärung verpflichtet ist (Ellenberger in Palandt, BGB, 77. Auflage 2018, § 123 Rn. 5). Für eine Täuschung durch aktives Tun fehlt im Vortrag des Klägers und auch im zu beurteilenden Sachverhalt jeglicher Anhaltspunkt. Eine Täuschung durch Unterlassen liegt ebenso eindeutig nicht vor, da weder für das Sozialgericht noch für den Prozessbevollmächtigten Veranlassung bestand, über ein - nicht bestehendes - allgemeines Widerrufsrecht zu belehren.

Die öffentlich-rechtliche Natur des Prozessrechts verlangt im Interesse der Rechtssicherheit und eines geordneten Gangs des Gerichtsverfahrens, dass bei einer eindeutigen Erklärung einer Partei über die Beendigung des Rechtsstreits die Rechtswirksamkeit der Erklärung nicht ohne weiteres deshalb zurückgenommen werden kann, weil diese im Nachhinein nicht mehr dem inneren Willen entspricht. Der Ablauf des Verfahrens gibt keinen Anlass für die Annahme, dass der Kläger, zumal anwaltlich vertreten, im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben wollte. Damit liegen zusammenfassend auch keine Gründe vor, die es rechtfertigen könnten, den Kläger nicht mehr an seiner einmal abgegebenen Prozesserklärung festzuhalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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