L 4 KA 57/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 400/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 57/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 49/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 4. September 2017 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Geldbuße in Höhe von 2.000 EUR, die die Beklagte als Disziplinarmaßnahme wegen der Verletzung vertragsärztlicher Behandlungspflichten verhängt hat.

Der Kläger ist als Zahnarzt für Kieferorthopädie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen forderte u.a. auf Eingaben von Krankenkassen hin unter dem Datum vom 16. Februar 2016 in sechs Behandlungsfällen die Behandlungsdokumentation an. Nach Übersendung und Auswertung verhängte der Vorstand der Beklagten mit Bescheid vom 22. Juli 2016 eine Disziplinarstrafe in Höhe von 2.500,- EUR wegen Verletzung vertragsärztlicher Behandlungspflichten. Über die Techniker Krankenkasse und die vdek-Landesvertretung seien der Beklagten mehrere Behandlungsfälle bekannt geworden, in denen der Kläger kieferorthopädische vertragszahnärztliche Leistungen entgegen der geltenden Rechtslage von einer Genehmigung der Krankenkassen abhängig gemacht habe. Auf den Umstand, dass eine Therapieergänzung nicht der Genehmigungspflicht unterliege und der Kläger vertragszahnärztliche Pflichten verletze, wenn er von ihm als notwendig erachtete Leistungen dennoch von einer Handlung der Krankenkasse abhängig mache, sei er hingewiesen worden, auch durch die Ausführungen des Bundessozialgerichts im Beschluss vom 20. März 2013 – B 6 KA 56/12 B. Hinsichtlich der einzelnen Behandlungsfälle wird auf die Begründung des Beschlusses (Bl. 248 f. der Verwaltungsakten) verwiesen. Auch die AOK Hessen habe mehrere Behandlungsfälle benannt, in denen die Fortführung einer Behandlung pflichtwidrig von einer Entscheidung der Krankenkasse abhängig gemacht worden sei. Nach § 16 Abs. 4 Bundesmanteltarifvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) sei die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch vom Vertragsarzt selbst zu treffen. Hinsichtlich der einzelnen Behandlungsfälle wird auf die Begründung des Beschlusses (Bl. 249 f. der Verwaltungsakten) verwiesen. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass durch den Widerspruch die vom Vorstand getroffene Entscheidung unwirksam werde. In diesem Fall werde ein ordentliches Disziplinarverfahren durchgeführt.

Der Kläger legte am 4. August 2016 Widerspruch ein. Er trug vor, es treffe nicht zu, dass aus den Anträgen an die Krankenkasse geschlossen werden könne, Behandler würden eine beantragte Maßnahme für medizinisch notwendig erachten. Vielmehr könne der Patient respektive die Eltern ihn dazu verpflichten, seine Einschätzung, die Maßnahmen seien medizinisch nicht erforderlich, bei der für diese Entscheidung zuständigen staatlichen Behörde überprüfen zu lassen (Petitionsfreiheit), da der Patient selbst kein Antragsrecht besitze. Das Bundessozialgericht habe in seinem Nichtannahmebeschluss ausdrücklich dargelegt, dass die Versorgungspflicht nur dann eingreife, wenn die medizinische Notwendigkeit gegeben sei. Eine medizinische Notwendigkeit bestehe jedoch in der Kieferorthopädie in den seltensten Fällen. Eine Studie lege dar, dass die medizinische Norm der Gebissgesundheit in einer Gebisssituation bestehe, wie sie von Natur aus nur bei 5% der Menschen vorkomme. Sie sei begründet nicht in medizinischen Kriterien, sondern in dem Schönheitsideal einer Zahnbogenform resp. Okklusion. Er habe nicht gegen medizinische Notwendigkeiten verstoßen, sie hätten in den fraglichen Fällen zumindest objektiv nicht vorgelegen. Die Notwendigkeit der Maßnahmen sei im Einzelfall darzulegen und wissenschaftlich zu untermauern. Eine gesetzliche Fiktion einer Notwendigkeit reiche jedenfalls nicht aus. Er habe in diversen Anschreiben an die Beklagte dargelegt, dass es sich nicht nur um ein Anzeige-, sondern um ein Genehmigungsverfahren handele. Der Beklagten sei mehrfach zur Entscheidung vorgelegt worden, die Vereinbarkeit des Einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche-Leistungen (BEMA-Z) mit höherrangigen Rechtsnormen zu klären. Dies sei nicht erfolgt. So habe der Kläger nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen entscheiden müssen. Die Kasse habe keinen Anspruch darauf, dass ein Behandler die Behandlung abbreche. In seinem Anhörungsschreiben vom 27. September 2016 vertiefte er darüber hinaus seine Rechtsauffassung zum Zusammenwirken von Kasse und Vertragsarzt in den beiden Konstellationen und nahm zu den einzelnen Fällen Stellung. Er reichte mit ergänzender Begründung vom 18. Oktober 2016 eine Studie von Bettin/Spassov/Werner ein. Das Bundessozialgericht habe sich in seinem Beschluss nicht mit der Frage befasst, was zu gelten habe, wenn die medizinische Notwendigkeit im Gesetz unterstellt werde, eine solche jedoch nach dem Wissensfortschritt nicht bestehe.

Der Disziplinarausschuss führte mit dem Kläger am 22. März 2017 eine mündliche Verhandlung durch.

Mit Bescheid vom 7. April 2017, dem Kläger zugestellt am 20. April 2017, verhängte der Disziplinarausschuss der Beklagten eine Geldbuße in Höhe von 2.000,- EUR und legte dem Kläger die Kosten des Verfahrens auf. Zur Begründung führte der Disziplinarausschuss aus, wegen mehrerer Verstöße gegen § 7 Abs. 1 Ersatzkassenvertrag-Zahnärzte (EKV Z) i. V. m. § 2 Abs. 6 Anlage 15 des EKV-Z sowie wegen mehrerer Verstöße gemäß § 16 Abs. 4 BMV-Z sei gem. § 5 der Disziplinarordnung der Beklagten gegen den Kläger eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen gewesen. Der Kläger habe gegen seine vertragszahnärztlichen Pflichten, die ihm aufgrund Gesetzes, der Satzung oder aus Vertrag oblägen, in erheblichem Maße verstoßen. Gemäß § 21 Ziffer 1 der Satzung der Beklagten könne eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden, wenn ein Mitglied die ihm nach Gesetz, Satzung oder Vertrag obliegenden Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt habe. In den Behandlungsfällen der Patientinnen C. C. und D. C. habe der Kläger eine Genehmigung für eine Therapieergänzung verlangt. Es bestehe aber keine Genehmigungspflicht der Krankenkassen für Therapieergänzungen. Die Vertragspartner des EKV-Z hätten für kieferorthopädische Leistungen, die ohne Therapieänderung über das ursprünglich Geplante hinausgingen, ein Anzeigeverfahren vorgesehen. Der Krankenkasse bleibe allein vorbehalten, diese Leistung innerhalb von vier Wochen begutachten zu lassen. Insofern liege ein Verstoß gegen die Verpflichtung des Vertragszahnarztes vor, die Versorgung der Versicherten nach den Bestimmungen des Vertrages durchzuführen, in dem der Kläger Leistungen von einer Genehmigung der Krankenkasse abhängig gemacht habe und sich nicht an die bloße Anzeige beschränkt habe. Dieses bewusste Ignorieren der vertraglichen Vorgaben für die vertragszahnärztliche Tätigkeit sei schuldhaft. Spätestens durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20. März 2013 habe dem Kläger klar sein müssen, dass es für Reparaturen oder Therapieergänzungen keinen besonderen Genehmigungsvorbehalt gebe. Darüber hinaus habe der Kläger in mehreren Fällen die AOK Hessen aufgefordert, eine Entscheidung über den Abbruch der jeweiligen Behandlung zu treffen. Im Behandlungsfall E. E. habe er die Auffassung vertreten, der Abbruch einer Behandlung sei eine hoheitliche Maßnahme, die nur von staatlicher Stelle erfolgen dürfe. Er weigere sich daher, Abbrüche durchzuführen. Im Behandlungsfall F. F. habe er Informationen zur weiteren Vorgehensweise von der Beklagten und vom Vorstandsvorsitzenden der AOK Hessen verlangt. Er habe bestimmte Bestätigungen verlangt, bevor er mit der Behandlung beginne. Im Behandlungsfall G. G. habe er um Mitteilung der Beklagten gebeten, wann er die Behandlung abbrechen solle. Im Behandlungsfall H. H. habe er bei der AOK Hessen angefragt, er bitte um Mitteilung, ob und wann diese die Behandlung abbrechen wolle. Im Hinblick auf diese vier Behandlungsfälle habe der Kläger geltend gemacht, dass es sich bei dem jeweiligen genehmigten Behandlungsplänen um begünstigende Verwaltungsakte für die Patienten handele, die nur durch die AOK Hessen widerrufen werden könnten. Im Übrigen habe er den Behandlungsabbruch selbst nicht verweigert, sondern vielmehr nur den Ausspruch über den Behandlungsabbruch gegenüber den Patienten. Gemäß § 4 Abs. 6 BMV-Z dürfe der Vertragszahnarzt die Behandlung oder Weiterbehandlung eines Versicherten in begründeten Fällen ablehnen. Über eine Ablehnung der Weiterbehandlung habe er die Krankenkasse unter Mitteilung der Gründe zu unterrichten. Gemäß § 16 Abs. 4 BMV-Z werde noch einmal betont, dass speziell beim Abbruch kieferorthopädischer Behandlung die Krankenkasse nur unterrichtet werden solle. Damit habe der Vertragszahnarzt selbständig zu entscheiden, ob begründete Fälle vorliegen, die es angezeigt erscheinen ließen, die Behandlung abzulehnen oder abzubrechen. Eine Ablehnung oder Abbruch einer Behandlung beinhalte auch, dieses gegenüber dem Patienten zu kommunizieren. Ein bloßes Untätigbleiben gegenüber dem Patienten wäre andernfalls nichts anderes als die Verweigerung vertragszahnärztlicher Leistungen. Dadurch, dass der Vertragszahnarzt zu erkennen gebe, dass er aus wichtigen Gründen die Behandlung nicht mehr fortsetzen wolle, mache er deutlich, dass aus seiner Sicht die Grenzen der bereitzustellenden Versorgung überschritten seien. Damit treffe der Vertragszahnarzt aber nicht eine Entscheidung über den Leistungsanspruch der Versicherten. Nach Auffassung der Rechtsprechung umfasse die Bewilligung der Krankenkasse zur Durchführung einer kieferorthopädischen Behandlung nach vorgelegtem ärztlichem Behandlungsplan die gesamte Maßnahme in vorgesehenem Umfang. Sie stehe aber als Verwaltungsakt unter der Bedingung, dass die Behandlung planmäßig durchgeführt werde. Die Entscheidung des Vertragszahnarztes, auf Grund des unplanmäßigen Verlaufes der Behandlung diese abzubrechen, könne nicht die Bindungswirkung des Verwaltungsaktes entgegenstehen. Indem der Kläger in den genannten Fällen diese Entscheidung zum Handlungsabbruch einschließlich ihrer Kommunikation gegenüber dem Versicherten nicht habe treffen wollen, habe er sich einer Verpflichtung aus dem BMV-Z entzogen. Er habe auch schuldhaft gehandelt. So sei gegen den Kläger etwa in der Sache E. mit Schreiben vom 26. Januar 2015 durch die AOK Hessen mitgeteilt worden, dass der Behandler die Entscheidung zu treffen habe, ob im Rahmen einer wirtschaftlichen Behandlungsweise eine weitere Behandlung zulasten der GKV erfolgen könne. Soweit dem Kläger vorgeworfen werde, dass er sich wahrheitswidrig auf eine angebliche Mitteilung der Beklagten berufe und der Kläger in diesem Zusammenhang unterlassen habe, eine Erklärung abzugeben, zukünftig diese Aussagen zu unterlassen, sei eine Schuld des Klägers mit der für den Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme erforderlichen Gewissheit nicht festzustellen. Soweit dem Kläger vorgeworfen werde, im Behandlungsfall J. zum einen wahrheitswidrig der Mutter des Patienten mitgeteilt zu haben, dass der Kläger durch die AOK Hessen verpflichtet worden sei, die Behandlung abzubrechen, und zum anderen seine Verpflichtung zur Kassenneutralität verletzt zu haben, indem er die Patienteneltern zu einem Wechsel der Krankenkasse aufgefordert habe, sei ebenfalls eine Schuld mit der erforderlichen Gewissheit nicht nachgewiesen. Bei der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme sei zu berücksichtigen, dass sich das Verhalten des Klägers nicht etwa als Augenblicksversagen oder einmaliger Vorgang darstelle, sondern der Kläger seine eigenen Vorstellungen über die rechtlichen Grundlagen des vertragszahnärztlichen Systems anstelle der geltenden Rechtslage gesetzt habe. Trotz mehrfacher Hinweise sowohl von Seiten der Beklagten, als auch von Seiten der Krankenkassen habe der Kläger auf dem von ihm einmal eingenommenen Rechtsstandpunkt beharrt. Selbst eine Entscheidung des Bundessozialgerichts habe nicht zu einer Änderung der Verhaltensweise geführt. Angesichts dessen erscheine der Ausspruch einer Verwarnung oder eines Verweises als ungeeignet. In den Fällen C. C. und D. C. seien darüber hinaus nach der eigenen Einlassung des Klägers die Nachanträge gestellt worden, obwohl sie nicht medizinisch notwendig gewesen seien und der Kläger sie selbst für unwirtschaftlich gehalten habe. Der Kläger verletze mit seinem Verhalten nicht nur Verfahrensvorschriften, auf Grund seines Verhaltens ergebe sich auch eine Gefährdung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit. Zu berücksichtigen sei auch der nicht unerhebliche Verwaltungsaufwand, der durch das Verhalten des Klägers entstehe, dessen Kosten letztlich die dem System der GKV zur Verfügung stehenden begrenzten Mittel schmälere. Angesichts der bisherigen Uneinsichtigkeit des Klägers halte der Disziplinarausschuss es für erforderlich, eine deutliche Geldbuße festzusetzen, die der Nachhaltigkeit gerecht werde. Hierbei habe er berücksichtigt, dass der Kläger, um seiner Rechtsauffassung Geltung zu verschaffen, nicht davor zurückgeschreckt habe, wider besseren Wissens zu behaupten, dass durch das Justitiariat der Beklagten seine Rechtsauffassung geteilt worden sei.

Hiergegen hat der Kläger am 19. Mai 2017 Klage erhoben. Er hat vorgetragen, der angefochtene Bescheid gehe nicht darauf ein, dass ein gesundheitlicher Schaden nicht entstanden sei. In den vergangenen ca. 100 Jahren seit Bestehen des Fachgebietes Kieferorthopädie habe der Nachweis nicht erbracht werden können, dass kieferorthopädische Maßnahmen einen medizinischen Nutzen hätten. Sie dienten mit hoher Wahrscheinlichkeit nur kosmetisch-ästhetischen Zwecken. Wenn das Erbringen kieferorthopädischer Maßnahmen keinen medizinischen Effekt habe, dann führe auch das Unterlassen (schein-)medizinischer Maßnahmen nicht zu einem objektiven Schaden. In Fällen, wo ein Unterlassen angeklagt sei, habe er nach objektiven Maßstäben einen Schaden am Vermögen der Versichertengemeinschaft verhindert. Sein Sachvortrag sei z. T. gar nicht zur Kenntnis genommen worden. Die aufgeworfenen Rechtsfragen seien nicht aufgegriffen und entschieden worden.

Die Beklagte hat auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen und ergänzend vorgetragen, der Vortrag des Klägers sei nur schwer erwiderungsfähig. Der Kläger bestreite die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht. Vielmehr stelle er den medizinischen Nutzen von kieferorthopädischen Behandlungen insgesamt in Frage. Er sei offenbar der Ansicht, dass aus diesem Grund auch keine patientenseitigen Schäden durch eine KFO-Behandlung verursacht werden könnten. Dieser Einwand sei bereits deshalb unzutreffend, weil sie der geltenden Vertragslage im vertragszahnärztlichen Bereich wiederspreche.

Das Sozialgericht hat nach Anhörung mit Verfügung vom 16. August 2017 die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. September 2017 abgewiesen. Die Klage sei zulässig. Gegenstand des Verfahrens sei ausschließlich die Disziplinarbescheid vom 7. April 2017, der rechtmäßig sei. Die Kammer sehe hinsichtlich der materiellen Rechtmäßigkeit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da sie der Begründung des angefochtenen Bescheides folge. Der Kläger habe sich mit seiner Klage weder bezüglich der tatsächlichen noch rechtlichen Feststellungen im angefochtenen Disziplinarbescheid geäußert. Er habe lediglich allgemein vorgetragen, sein Sachvortrag sei zum Teil gar nicht zur Kenntnis genommen worden, ohne die strittigen Tatsachen zu bezeichnen. Soweit er weiter vorgetragen habe, die Beklagte habe die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht aufgegriffen und entschieden, habe er diese ebenfalls nicht bezeichnet. Soweit der Kläger die kieferorthopädische Behandlungen für unwirtschaftlich halte, sie aber als zugelassener Kieferorthopäde offensichtlich in größerem Umfang ausführe, bestätige er im Übrigen die Annahme, auch das Wirtschaftlichkeitsgebot zu gefährden.

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 7. September 2017 zugestellt worden.

Die hiergegen gerichtete Berufung zum Hessischen Landessozialgericht ist am 4. Oktober 2017 bei dem Sozialgericht Marburg eingegangen.

Der Kläger trägt vor, auch das Sozialgericht habe über das einzelne Vorbringen des Klägers, wie es vorgetragen worden sei, in seinen Hauptzügen nicht entschieden. Das Sozialgericht habe daher missbräuchlich per Gerichtsbescheid entschieden. Bereits im Verwaltungsverfahren sei nicht zur Kenntnis genommen worden, was der Kläger für bedeutsam gehalten habe. Weitere Sachverhaltsermittlungen seien trotz Hinweisen nicht angestellt worden.

Der Kläger hat schriftsätzlich den sinngemäßen Antrag gestellt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 4. September 2017 und den Disziplinarbescheid und Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 7. April 2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt zur Begründung Bezug auf den Bescheid und die angegriffene Entscheidung.

Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung, zu der die Beteiligten mit Verfügung vom 8. August 2018 geladen worden waren, wird auf das Protokoll vom 24. Oktober 2018 Bezug genommen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Senat konnte auch in Abwesenheit des Klägers am 24. Oktober 2018 hierüber entscheiden, da der Kläger hierauf in der Ladung hingewiesen worden war. Die Ladung und die Umladung sind dem Kläger ordnungsgemäß zugestellt worden, wie sich aus den Postzustellungsurkunden vom 31. Juli 2018 (ursprüngliche Ladung mit Hinweis zur Entscheidung bei Nichterscheinen, vgl. Bl. 52 d.A., PZU Bl. 73 d.A), vom 14. August 2018 (Umladung auf den 24. Oktober 2018 mit Verfügung des Vorsitzenden vom 8. August 2018, Bl. 76 d.A.) sowie vom 5. September 2018 ergibt (nochmalige Übersendung der Umladung auf den 24. Oktober 2018 mit Verfügung des stellvertretenden Vorsitzenden vom 3. September 2018, Bl. 75 d.A.).

Die Anfechtungsklage ist zwar zulässig. Streitgegenstand ist insoweit allein der Bescheid vom 7. April 2017; der Bescheid vom 22. Juli 2016 ist nach seiner Rechtsmittelbelehrung, die § 21 Abs. 3 der Satzung der Beklagten entspricht, mit der Einlegung des Widerspruchs unwirksam geworden. Bezüglich des Disziplinarbescheides des Disziplinarausschusses vom 7. April 2017 findet ein Vorverfahren nicht statt (§ 81 Abs. 5 Satz 4 SGB V).

Sie ist indes nicht begründet.

Rechtsgrundlage der Disziplinarmaßnahme ist § 81 Abs. 5 Satz 1 SGB V in Verbindung mit der Satzung der Beklagten. Nach § 81 Abs. 5 Satz 1 SGB V müssen die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen – und damit nach § 77 Abs. 1 SGB V die der Beklagten als kassenzahnärztliche Vereinigung – die Voraussetzungen und das Verfahren zur Verhängung von Maßnahmen gegen Mitglieder bestimmen, die ihre vertragsärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen. Die Norm füllt die Aufgabenzuweisung nach § 75 Abs. 1 SGB V aus, wonach die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen verpflichtet sind, die vertragsärztliche Versorgung in dem durch § 73 Abs. 2 SGB V bezeichneten Umfang sicherzustellen. Hierzu haben sie nach § 75 Abs. 2 Satz 2 SGB V die Erfüllung der den Vertragszahnärzten obliegenden Pflichten zu überwachen und die Vertragszahnärzte unter Anwendung der in § 81 Abs. 5 SGB V vorgesehenen Sanktionen zur Pflichterfüllung anzuhalten. Als Disziplinarmaßnahme kommen nach § 81 Abs. 5 Satz 2 SGB V je nach Schwere der Verfehlung eine Verwarnung, ein Verweis, eine Geldbuße oder die Anordnung des Ruhens der Zulassung bis zu zwei Jahren in Betracht. Das Höchstmaß der Geldbußen kann bis zu 10.000 EUR (§ 81 Abs. 5 Satz 3 SGB V i.d.F. bis 22. Juli 2015) bzw. bis zu 50.000 EUR (§ 81 Abs. 5 Satz 3 SGB V i.d.F. ab 23. Juli 2015) betragen.

Diese Vorgaben sind im Satzungsrecht der Beklagten dahingehend umgesetzt, dass nach § 21 Nr. 1 der Satzung der KZVH, die am 5. Dezember 2015 von der Vertreterversammlung beschlossen und am 15. Januar 2016 vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration genehmigt wurde, eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden kann, wenn ein Mitglied die ihm nach Gesetz, Satzung oder Vertrag obliegenden Pflicht nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt. Nach § 21 Nr. 2 der Satzung wurde die Ausübung der Disziplinarbefugnis auf den Disziplinarausschuss übertragen und das Verfahren in der Disziplinarordnung geregelt (Disziplinarordnung, beschlossen am 5. Dezember 2015 und am 15. Januar 2016 vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration genehmigt). Aus § 5 der Disziplinarordnung ergibt sich die Möglichkeit, gegen Vertragszahnärzte, die gegen diese Pflichten verstoßen, eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen.

Gegen die gesetzlichen Regelungen des vertragsärztlichen Disziplinarrechts bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere sind sie hinreichend bestimmt (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2016 – B 6 KA 38/15 R –, juris Rn. 18).

Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides werden weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.

Der Bescheid vom 7. April 2017 ist auch materiell rechtmäßig.

Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme setzt materiell neben der objektiven Verletzung vertragsärztlicher Pflichten voraus, dass das Mitglied diese Pflichten schuldhaft verletzt hat (stRspr, vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2016 – B 6 KA 38/15 R –, juris Rn. 17 m.w.N.). Während die Pflichtverletzung und ihre subjektive Vorwerfbarkeit uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegen (vgl. Schroeder-Printzen, in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Auflage 2017, § 17 Rn. 29 m.w.N.), ist die Auswahl von Art und Höhe der Disziplinarmaßnahme als Rechtsfolge nur auf Ermessensfehler hin zu kontrollieren (BSG, Urteil vom 3. September 1987 – 6 RKa 30/86 –, BSGE 62, 127 (129), zitiert nach juris, Rn. 27).

Die Beklagte ist zunächst zutreffend auf der Grundlage der Rechtslage bei Ersatzkassen von einer Pflicht des Klägers ausgegangen, eigenverantwortlich über kieferorthopädische Leistungen, die ohne Therapieänderung über das ursprünglich Geplante eines genehmigten Behandlungsplanes hinausgehen, zu entscheiden und die die Fortführung der Behandlung nicht von einer im Recht nicht vorgesehene Nachtragsgenehmigung oder Genehmigung der Therapieergänzung abhängig machen zu dürfen. Zwar folgt diese Pflicht nur zum Teil aus §§ 7 Abs. 1, 2 Abs. 6 EKV-Z i.V.m. Anlage 15. Soweit dort lediglich Informations- und Anzeigepflichten geregelt sind, wird gegen diese – d.h. bei isolierter Betrachtung nur dieser Pflichten – nicht verstoßen, wenn ein Vertragszahnarzt in überflüssiger Weise die Ersatzkasse kontaktiert. Die Bezugnahme auf diese Vorschriften durch die Beklagte ist aber unschädlich, denn bereits aus der rahmenrechtlichen Konzeption des Leistungsanspruches des Versicherten folgt, dass die Pflicht des Vertragsarztes besteht, eine dem Behandlungsanspruch korrespondierende Leistung zu erbringen, wenn dem weder formale Genehmigungserfordernisse noch aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgende Begrenzungen der vom Vertragsarzt zu erbringenden Leistungen im kollektivvertraglichen Regelwerk entgegenstehen. Besteht ein Anspruch nach §§ 27, 29 SGB V auf eine kieferorthopädische Behandlung, so verstößt der Vertragszahnarzt gegen diese Pflicht, wenn er den Versicherten nicht versorgt, obwohl nach den Bestimmungen des Leistungserbringerrechts nichts entgegensteht. Dass die Weigerung der Fortsetzung der Behandlung ohne rechtlich nicht vorgesehene Genehmigung insoweit auch ein sanktionswürdiger Pflichtenverstoß ist, hat das Bundessozialgericht bereits in einem Verfahren, an dem der Kläger beteiligt war, unmissverständlich verdeutlicht (BSG, Beschluss vom 20. März 2013 – B 6 KA 56/12 B –, juris Rn. 7): Hiernach liegt es "auf der Hand, dass der Kläger mit zahnmedizinisch notwendigen Reparaturen nicht warten darf, bis die Krankenkasse auf die Einleitung eines Prüfverfahrens verbindlich verzichtet. Sollte der Kläger so verstanden werden wollen, dass er ein solches Vorgehen erwäge, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass damit eine Verletzung vertragszahnärztlicher Pflichten verwirklicht würde, auf die die Träger der vertragszahnärztlichen Versorgung mit den vom Gesetz zur Verfügung gestellten Mitteln (§ 81 Abs. 5, § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V) reagieren können." Die Pflichtenstellung des Vertragsarztes wird dabei durch die Genehmigung des Behandlungsplans, die den Sachleistungsanspruch des Versicherten konkretisiert (Fahlbusch, in: jurisPK-SGB V, § 29 Rn. 33), aber gegenüber dem Vertragsarzt keine Bindungswirkung entfaltet (BSG, Urteil vom 18. Januar 1996 - 1 RK 22/95 – juris, Rn. 15 ff.), nur mittelbar berührt; eine nachträgliche Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V ist ausgeschlossen, soweit die Behandlung im Einklang mit dem genehmigten Behandlungsplan durchgeführt worden ist und die Ausführung sachgerecht gemäß dem Stand der medizinischen Erkenntnisse erfolgt ist (vgl. BSG, Beschluss vom 19. Juli 2006 - B 6 KA 5/06 B -, juris Rn. 8 f.). Im Umkehrschluss überantwortet es das Vertragsarztrecht der eigenverantwortlichen Prüfung des Vertragsarztes, notwendige Ergänzungen, Reparaturen oder Korrekturen der Behandlung, die ohne Therapieänderung über die ursprünglich geplanten hinausgehen, der Krankenkasse anzuzeigen und durchzuführen (vgl. § 2 Abs. 6 Anlage 15 EKV-Z). Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass wegen dieser Pflichtenstellung des Vertragsarztes keine Möglichkeit besteht, vom gesetzlichen Leistungsanspruch nach §§ 27, 29 SGB V abweichende allgemeine Bewertungen über die medizinische Notwendigkeit kieferorthopädischer Behandlungen jenseits der Genehmigung des Behandlungsplans über eine nicht vorgesehene weitere Genehmigungsanfrage an die Krankenkasse durchzusetzen.

Hiergegen hat der Kläger in den Behandlungsfällen D. C. und C. C. verstoßen. In beiden Fällen verweigerte der Kläger die Fortsetzung der Behandlung.

Dies geschah auch schuldhaft, da dem Kläger die Rechtslage spätestens mit der Entscheidung des BSG vom 20. März 2013 – B 6 KA 56/12 B – klar sein musste. Die Einlassungen in vorgelagerten Verfahren und im vorliegenden Rechtsstreit zeigen in Übereinstimmung mit der Würdigung im angegriffenen Bescheid, dass der Kläger ganz bewusst die Rechtslage, wie sie das Bundessozialgericht sieht, ignorierte, weil er die damit einhergehende Risikoverteilung im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht anerkennen wollte.

Der Kläger hat auch in den Fällen der bei der AOK Hessen versicherten Patientinnen und Patienten die entsprechenden Pflichten verletzt, die sich einerseits aus der Pflicht zur rechtskonformen Versorgung der Versicherten entsprechend ihrem Leistungsanspruch im Rahmen der Teilnahme des Klägers an der vertragsärztlichen Versorgung ergeben, andererseits aus dem Fehlen eines entsprechenden Genehmigungsverfahrens bei kieferorthopädischen Leistungen (einschließlich der zahntechnischen Leistungen), die ohne Therapieänderung über die ursprünglich geplanten hinausgehen (§ 2 Abs. 6 Anlage 15 BMV-Z, vgl. auch § 16 Abs. 4 BMV-Z). Nach § 4 Abs. 6 BMV-Z darf der Vertragszahnarzt die Behandlung oder Weiterbehandlung eines Versicherten in begründeten Fällen ablehnen. Hieraus folgt die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung und Entscheidung, ob ein begründeter Fall vorliegt. Ebenso wie nach der Rechtslage bei den Ersatzkassen kann der Vertragsarzt also nicht im Zweifel, ob ein solcher Fall vorliegt, die Entscheidung an die Kasse delegieren. Im Umkehrschluss hat der Vertragsarzt den Versicherten weiter zu behandeln, wenn er sich nicht entscheidet, unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 BMV-Z die Behandlung abzubrechen.

Hinsichtlich dieser Pflichtverstöße im Einzelnen und deren Vorwerfbarkeit wird insoweit auf den angegriffenen Bescheid Bezug genommen.

Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.

Bei der Auswahl der Maßnahme ist der Disziplinarausschuss grundsätzlich berechtigt, nach seinem Ermessen zu handeln, sodass die Entscheidung insoweit nur einer eingeschränkten gerichtlichen Prüfung zugänglich ist. Der Verwaltungsakt ist daher nach § 54 Abs. 2 SGG nur bei Ermessensüberschreitung, Ermessensnicht- oder Ermessensfehlgebrauch rechtswidrig. Das Gericht hat dazu die Voraussetzungen des Ermessens festzustellen, d. h. insbesondere zu prüfen, ob die Behörde von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und sich von sachgerechten Erwägungen hat leiten lassen; dabei ist es auf die im Verwaltungsakt mitgeteilten Ermessenserwägungen beschränkt (vgl. BSG, Urteil vom 6. November 2002, a.a.O., Rn. 23, BSG, Urteil vom 30. November 2016, a.a.O., Rn. 20).

Insbesondere unterliegt die Einschätzung, dass angesichts der Vorgeschichte eine Verwarnung oder ein Verweis sich als ungeeignet dargestellt hätten, keinen Bedenken. Eine Verwarnung war insbesondere nicht als milderes Mittel angezeigt, da es sich nicht um eine erstmalige und einmalige geringfügige Pflichtverletzung handelte (vgl. zu diesem Maßstab Clemens, in Quaas/Zuck, Medizinrecht, 3. Aufl. 2014, § 24 Rn. 28 m.w.N.). Die auf Seite 9 des Bescheides ausführlich dargelegten Erwägungen, warum die Beklagte auch eine Verwarnung nicht als zweckgemäß angesehen hat, begegnen ebenfalls keinen Bedenken. Ausschlaggebend ist hier insbesondere der Umstand, dass der Kläger nicht etwa einem Rechtsirrtum unterlegen ist, sondern wider besseren Wissen handelte und damit auch nach Einschätzung der Beklagten einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand produzierte. Diese Einschätzung ist angesichts des vorangegangenen Rechtsstreits (vgl. BSG, Beschluss vom 20. März 2013 – B 6 KA 56/12 B –) und der dargestellten Kommunikation zwischen den Beteiligten und gegenüber Dritten nicht zu beanstanden. Schließlich hat sich die Beklagte dazu entschieden, die Geldbuße im unteren Bereich des Rahmens anzusiedeln. Unerheblich ist insoweit, dass der Disziplinarausschuss der Beklagten hinsichtlich der erst nach der Änderung des § 81 SGB V zum 23. Juli 2015 und der entsprechenden Anpassung des § 5 Disziplinarordnung mit Inkrafttreten der am 15. Januar 2016 genehmigten Fassung begangenen Pflichtverletzungen den Sanktionsrahmen verkannt haben könnte (10.000 EUR statt tatsächlich 50.000 EUR). Denn dies kann sich denknotwendig nur zugunsten des Klägers ausgewirkt haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Revisionszulassungsgründe sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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