L 5 AS 443/14

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 24 AS 1081/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 443/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts M. vom 13. März 2014 und die Bescheide des Beklagten vom 12. Oktober 2011 und vom 30. Januar 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. März 2012 werden aufgehoben und der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. August 2011 bis 31. Juli 2012 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe unter Anrechnung der vorläufig bewilligten Leistungen für diesen Zeitraum zu bewilligen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die endgültige Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 1. August 2011 bis zum 31. Juli 2012.

Der am ... 1955 geborene Kläger ist selbstständiger Schriftsteller. Er hatte ab 2005 mit seiner Frau u. drei Töchtern Leistungen nach dem SGB II vom Jobcenter T.-S. bezogen.

Der Kläger lebte seit Mai 2008 von der Ehefrau getrennt. Er schloss ab 1. Mai 2008 einen Mietvertrag über eine 85 qm große Wohnung im Zuständigkeitsbereich des Beklagten ab. Die Gesamtmiete betrug von August 2011 bis Mai 2012 550 EUR/Monat und ab Juni 2012 600 EUR/Monat einschließlich 30 EUR/Monat für eine Garage. Ab 1. April 2011 vermietete der Kläger ein Zimmer unter. Die Untermiete betrug ab August 2011 150 EUR/Monat (130 EUR Miete + 20 EUR Nebenkostenpauschale).

Der Kläger ist Miterbe des am 10. Juli 2006 verstorbenen Erblassers, dessen Erbe im Rahmen einer Nachlasspflegschaft abgewickelt wurde. Am 23. Juni 2007 war eine Abschlagszahlung auf die Erbschaft i.H.v. 150.000 EUR auf dem Girokonto des Klägers eingegangen. Nach Mitteilung dieses Umstands durch den Kläger hatte das Jobcenter T.-S. die Leistungen zum 1. August 2007 eingestellt. Der Kläger hatte noch im Juni 2007 100.000 EUR auf ein "Quartals-Sparcard"-Konto (09663) sowie 19.000 EUR auf ein "SparCard 3000 plus"-Konto (07061) überwiesen. Für die Ehefrau und die Kinder wurden Sparkonten in Höhe von insgesamt 21.650 EUR eingerichtet. Auf allen Konten finden sich regelmäßig Umschichtungen. Von dem Girokonto überwies der Kläger ab Juni 2007 monatlich Unterhalt für Ehefrau und Kinder. Der Kläger beglich verschiedene private Schulden. Ab Sommer 2007 wurden diverse Reisen durchgeführt (Madeira, Portugal, Ägäis, Mallorca, Istanbul und Schweden). Es wurden Musikinstrumente erworben und Musikunterricht bezahlt. Die Töchter wurden auch mit größeren Einzelbeträgen unterstützt. Der Kläger schaffte verschiedene Elektronikgeräte (u.a. mehrere PC/Laptops, andere Gebrauchsgüter und Hausrat) an. Mit seinen Leistungsanträgen gegenüber dem Beklagten legte der Kläger auf Anforderung mehrfach Auflistungen über die ab 2007 getätigten größeren Ausgaben und auszugsweise Kontoauszüge und Belege vor.

Der Kläger bezog von September bis Dezember 2007 ein Stipendium S. i.H.v. 1.323 EUR/Monat. Im Februar 2009 wurde ihm ein Arbeitsstipendium i.H.v. 3.000 EUR für Januar bis März 2009 gutgeschrieben. Er bezog für Juli und August 2010 ein Stipendium der Kunststiftung des Landes ... i.H.v. 1.000 EUR/Monat. Er erhielt vom Literatur Kunsthaus A. ein Förderdarlehen für 2009 bis 2010 i.H.v. 10.000 EUR, das er im April 2010 zurückzahlte. Wesentliche Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit erzielte er nach seinen Angaben nicht.

Der Kläger bezog von dem Beklagten - nach einem Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht M. (S 24 AS 2548/08 B ER) - vorläufige Grundsicherungsleistungen für September 2008 bis Februar 2009. Im Herbst 2008 wurden ihm mehrfach Darlehen von Bekannten auf das Girokonto überwiesen. Diese enthielten als Verwendungszweck z.B. "Hilfs-Darlehen-Ueberleben" oder "Hilfe zum Leben Darlehen". Das im Februar 2009 bewilligte Arbeitsstipendium i.H.v. 3.000 EUR teilte der Kläger dem Beklagten mit und erklärte, die Leistungen für Januar und Februar 2009 zurückzahlen zu wollen.

Am 7. Januar 2009 wurde ihm ein weiterer Erbteil i.H.v. 63.333,34 EUR auf zwei seiner Konten gut geschrieben. Kurz darauf hob er 26.000 EUR und 22.000 EUR in bar ab, ohne diese auf das dritte Konto zu überweisen. Am 4. September 2009 ging eine weitere Zahlung i.H.v. 2.500 EUR auf seinem SparCard 3000 plus-Konto ein. Ab Herbst 2010 erhielt er wieder mehrfach von Bekannten Gelder mit Verwendungszwecken wie: "Überbrückungsdarlehen", "Überbrückungsdarlehen II" oder "Überbrückungsdarlehen III".

Der Kläger bezog vom Beklagten - im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (Beschluss des erkennenden Senats vom 21. September 2011, L 5 AS 182 und 183/11 B ER) - weitere vorläufige Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 17. Januar 2011 bis 31. Januar 2012. Für die Zeit vom 1. Februar bis zum 31. Juli 2012 bewilligte der Beklagte ihm mit Bescheid vom 27. März 2012 die vorläufigen Leistungen "im Interesse der gerichtlichen Verfahrensökonomie" weiter.

In den Anträgen auf Leistungsbewilligung vom 25. August 2011 und 20. Januar 2012 gab der Kläger Vermögen auf Konten und Geldanlagen i.H.v. 1.440,56 EUR bzw. 436,12 EUR an. Diese Anträge lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 12. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2012 sowie mit Bescheid vom 30. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2012 ab. Der Verbrauch der Erbschaft sei i.H.v. 93.000 EUR bzw. 76.789 EUR nicht belegt.

Dagegen hat der Kläger am 2. April 2012 Klage beim Sozialgericht M. erhoben. Er hat "Leistungen ab 01.02.2012" unter Aufhebung des Bescheids vom 30. Januar 2012 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. März 2012 begehrt und letztere in Kopie vorgelegt. Es sei kein Vermögen mehr vorhanden. Eine lückenlose Dokumentation aller Ausgaben sei ihm nicht möglich. Das ihm unterstellte Restvermögen müsse für den Lebensunterhalt der Familie ausgegeben worden sein.

Auf den weiteren Leistungsantrag von Juli 2012 hat der Beklagte mit Bescheid vom 26. Juli 2012 vorläufige Leistungen ab dem 1. August 2012 bis 31. Januar 2013 bewilligt. Die Vorläufigkeit hat er mit den zu ermittelnden Einkünften aus der selbstständigen Tätigkeit begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 13. März 2014 abgewiesen. Streitig sei nach Auslegung der Klage der Zeitraum von August 2011 bis Juli 2012. Der Beklagte habe die Leistungsanträge zu Recht abgelehnt. Bedarfsdeckendes Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit habe der Kläger nicht erzielt. Er habe aber mit dem Vermögen gemäß § 12 SGB II seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Die Anforderungen hinsichtlich des Verbrauchs von Vermögen führten nach den Umständen des Einzelfalls zu einer erhöhten Nachweispflicht. Denn der Kläger habe nur unzureichende Angaben gemacht und sei der Aufforderung, Nachweise über den Verbrauch der Erbschaft vorzulegen, nur lückenhaft nachgekommen. Bei Antragstellung im Juni 2008 habe er die Abschlagszahlung von 150.000 EUR nicht mitgeteilt. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren S 24 AS 2548/08 B ER habe er 2008 die Erbschaft wahrheitswidrig mit nur 50.000 EUR angegeben. Er habe den Zufluss der weiteren Abschlagszahlung von 66.333,33 EUR im Januar 2009 nicht angegeben. Er habe weitere Stipendien nicht mitgeteilt. Für den Zeitraum von Juni 2007 bis Juni 2010 sei von Einnahmen i.H.v. 242.881,89 EUR auszugehen. Dem stünden nachgewiesene und überwiegend glaubhaft gemachte Gesamtausgaben i.H.v. 183.000 EUR gegenüber. Einige der geltend gemachten Beträge seien nicht (z.B. Reise nach Madeira, da bereits in den Schuldentilgung an die Schwester i.H.v. 15.000 EUR enthalten) oder in geringerem Umfang als angegeben zu berücksichtigen. Die Lebenshaltungskosten der Familie seien bereits im geleisteten Unterhalt und den Abbuchungen von den Konten enthalten. Es verbleibe ein nicht nachgewiesener Betrag von ca. 60.000 EUR, der das Schonvermögen von 9.150 EUR überschreite.

Gegen das ihm am 8. August 2014 zugestellte Urteil der Kläger am 22. August 2014 Berufung beim Sozialgericht M. eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt: Für den Bescheid vom 27. März 2012 für Februar bis Juni 2012 hätten die Voraussetzungen für die vorläufige Bewilligung nicht vorgelegen. Dieser sei auch nicht als Ausführungsbescheid eines gerichtlichen Beschlusses anzusehen. Er habe aber auch nicht mehr über anzurechnendes Vermögen verfügt. Die Berechnungen des Gerichts seien teilweise falsch und bestimmte Positionen nicht berücksichtigt worden. Es sei ihm nicht möglich, den Verbrauch der Erbschaft lückenlos nachzuweisen. Weitere Ausgaben seien daher zu berücksichtigen. U.a. habe er von der Schwester nur 1.758 EUR für die Reise nach Madeira geliehen. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sei es um Abhebungen von dem Girokonto im Januar 2009 gegangen. Er habe nicht besser mitwirken können, denn der Beklagte habe keine konkreten Angaben zu den benötigten Unterlagen gemacht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts M. vom 13. März 2014 und die Bescheide des Beklagten vom 12. Oktober 2011 und vom 30. Januar 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. März 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm vom 1. August 2011 bis 31. Juli 2012 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Kläger habe seit 2008 versucht, die Höhe der Erbschaft zu verschleiern. Nach dem Zufluss der 63.333,34 EUR habe er mindestens grob fahrlässig erhebliche Ausgaben getätigt, um dann im August 2010 einen neuen Leistungsantrag zu stellen. Dies sei in hohem Maße sozialwidrig auf die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit gerichtet gewesen. Eine Schätzung der Ausgaben nach § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) komme nicht in Betracht. Die fehlende Aufklärung der Verwendung der Barabhebungen führe zur Beweislastumkehr. Die erfolgte Leistungsbewilligung ab August 2012 könne nicht mehr nachvollzogen werden.

Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Kontoauszüge des Klägers für drei Konten für die Zeiträume von Juni 2007 bis Juni 2012 haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.1.

Die Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 SGG).

2.

Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens sind die Bescheide des Beklagten vom 10. Oktober 2011 und 30. Januar 2012, beide in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. März 2012. Diese betreffen den Zeitraum vom 1. August 2011 bis zum 31. Juli 2012.

Die Auslegung des Klagebegehrens nach § 123 SGG durch das Sozialgericht ist nicht zu beanstanden. Zwar ist in der Klageschrift des Klägers der Bescheid vom 10. Oktober 2011 nicht genannt und eine streitige Leistungsbewilligung nur ab 1. Februar 2012 bezeichnet worden. Allerdings hat der Kläger den Widerspruchsbescheid für die Ablehnung des ersten Weiterzahlungsantrags von August 2011 im Klageantrag genannt und auch in Kopie vorgelegt. Auch das Vorbringen des Klägers im Klageverfahren zeigt, dass er von nicht vorhandenem Vermögen schon seit August 2011 ausgegangen ist. Anderenfalls wären die Ausführungsbescheide des Beklagten vom 12. Januar 2012 bestandskräftig geworden und der Kläger zur Rückzahlung verpflichtet gewesen. Dies wollte er erkennbar nicht.

II.

Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts M. vom 13. März 2014 und die Bescheide des Beklagten vom 12. Oktober 2011 und vom 30. Januar 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 2. März 2012 sind rechtswidrig und verletzen ihn in seinen Rechten.

1. a.

Streitbefangen ist hier die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II vom 1. August 2011 bis 31. Juli 2012 in gesetzlicher Höhe dem Grunde und der Höhe nach. Der Kläger hat keine wirksame Begrenzung des Streitgegenstands auf einzelne selbstständige Verfügungselemente vorgenommen.

b.

Der Senat konnte entsprechend dem Antrag des Klägers den Beklagten durch Grundurteil gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG verurteilen, diesem vom 1. August 2011 bis zum 31. Juli 2012 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Ein solches "Grundurteil im Höhenstreit" ist bei einer vollständigen Ablehnung der Leistungen wegen die Hilfebedürftigkeit ausschließenden Vermögens zulässig. Ein Anspruch die begehrten Leistungen ist hier zumindest wahrscheinlich, da der Kläger im streitigen Zeitraum kein den Hilfebedarf vollständig deckendes Einkommen erzielte (BSG, Urteil vom 23. August 2012, B 4 AS 167/11 R (12)).

2.

Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich für den Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli 2012 kein Anspruch auf endgültige Bewilligung der Leistungen aus dem Bescheid vom 27. März 2012. Mit diesem wurden Leistungen nur vorläufig bewilligt, und die Bewilligung gilt auch nicht auf grundgesetzliche Fiktion als endgültig. § 80 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II finden hier keine Anwendung. Es handelte sich nicht um einen Bescheid nach § 41a Abs. 1 SGB II über die vorläufige Bewilligung von Leistungen. Grund für die vorläufige Weiterbewilligung war gerade kein weiterer Ermittlungsbedarf hinsichtlich der Höhe der dem Kläger - mit Wahrscheinlichkeit - zu bewilligenden Leistungen. Der im Bescheid vom 27. März 2012 enthaltene Hinweis, die vorläufigen Leistungen würden "im Interesse der gerichtlichen Verfahrensökonomie" weitergezahlt, ist eindeutig. Es ging dem Beklagten um die Vermeidung eines weiteren Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes.

3.

Bei dem Kläger liegen die Voraussetzungen für die begehrte Bewilligung von Leistungen nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II vor. Berechtigt, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erhalten sind nach § 7 Abs.1 SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Erwerbsfähig ist nach § 8 Abs. 1 SGB II, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Der Kläger hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, er war erwerbsfähig und im entsprechenden Alter.

Der Kläger war auch hilfebedürftig. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

a.

Aus der selbstständigen Tätigkeit als Schriftsteller erzielte der Kläger im streitigen Zeitraum keine für den Hilfebedarf einzusetzenden Einkünfte.

b.

Der Kläger konnte seinen Hilfebedarf auch nicht mit vorhandenem Vermögen aus der Erbschaft decken.

Es kann dahinstehen, ob das dem Kläger zwischen Juni 2007 und Januar 2009 zugeflossene Erbe zunächst Einkommen oder Vermögen war. Denn der Kläger stand vor den hier streitigen Weiterbewilligungsanträgen vom 25. August 2011 und 20. Januar 2012 für mehr als einen Monat nicht im Leistungsbezug. Sollte es sich bei dem Erbe ursprünglich um Einkommen gehandelt haben, hätte es sich nach Überwindung des Hilfebedarfs aus eigener Kraft für einen Monat in Vermögen umgewandelt (BSG, Urteil vom 25. Januar 2012, B 14 AS 101/11 R (23)).

Zur Überzeugung des Senats konnte der Kläger ab August 2011 nicht auf die Verwertung von den Vermögensfreibetrag von 9.150 EUR übersteigendem Vermögen zur Bestreitung des Hilfebedarfs verwiesen werden. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass ihm im streitigen Zeitraum bereite Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung gestanden hätten.

Der Kläger hatte in seinen Anträgen von August 2011 und Januar 2012 jeweils angegeben, nur noch über Vermögen auf Konten/Geldanlage i.H.v. 1.440,56 EUR bzw. 436,12 EUR zu verfügen. Er hat dies mit entsprechenden Kontoauszügen belegt. Es ist auch zur Überzeugung des Senats nicht feststellbar, dass der Kläger auf unbekannten Bankkonten oder Geldanlagen über weitere, nicht mitgeteilte Geldmittel verfügt hätte,. Der Senat hat im Berufungsverfahren die (fast) vollständigen Kontoauszüge der Konten des Klägers beigezogen und eingesehen. Bei dem erst im Berufungsverfahren bekannt gewordenen Spar Card 3000 plus-Konto (Endziffer 880) hat es sich um das Mietkautionskonto gehandelt.

Auch die Differenz zwischen den erfolgten Geldabhebungen zwischen 2007 und 2010 und den vom Kläger vorgelegten Kaufbelegen/Verwendungsnachweisen lässt nicht den Schluss zu, dass dieser über zumutbar einzusetzendes Vermögen in Form einer Barschaft verfügt hätte.

Grundsätzlich ist der Kläger beweispflichtig für die Darlegung, das ihm zugeflossene Vermögen bis unterhalb des Vermögensfreibetrags verbraucht zu haben. Für die streitigen Leistungsbewilligungen trifft daher den Kläger die Beweislast für die Höhe des bei Antragstellung vorhandenen Einkommens/Vermögens. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache grundsätzlich zulasten desjenigen, der aus ihr eine günstige Rechtsfolge herleitet. Dies gilt sowohl für das Vorliegen der positiven als auch für das Fehlen der negativen Tatbestandsmerkmale (BSG, Urteil vom 25. Juni 2015, B 14 AS 30/14 R (30)).

Allerdings kann bei besonderen Beweisschwierigkeiten - wie dem Nachweis einer negativen Tatsache - eine Modifizierung der Darlegungslast notwendig sein. So kann vom Prozessgegner das substantiierte Bestreiten einer negativen Tatsache unter Darlegung der dafür sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (Greger in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 284 Rn. 24). Unzulässig ist es jedoch, einen der Annahme von Hilfebedürftigkeit entgegen stehenden Zufluss von Einkommen lediglich zu unterstellen oder zu mutmaßen (BSG, Urteil vom 18. Februar 2019, B 14 AS 32/08 R (18)). Denn existenzsichernde Leistungen wie das SGB II dürfen nicht aufgrund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn sich diese Ablehnungen auf vergangene Umstände stützen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05 (28)). Etwas anders gilt jedoch, wenn in der persönlichen Sphäre oder dem Verantwortungsbereich wurzelnde Vorgänge eines Beteiligten nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung erschwert oder verhindert wurden (BSG, Urteil vom 15. Juni 2016, B 4 AS 41/15 B (30)). Dann kann es - im Hinblick auf die objektive Beweislast - zu einer Umkehr der Beweislast kommen. Übertragen auf die vorliegende Konstellation des Darlegungserfordernisses einer negativen Tatsache kann dem Beweispflichtigen eine Beweiserleichterung dann nicht zu Gute kommen können.

Der Senat geht nach einer Gesamtwürdigung der Angaben des Klägers in den früheren Verwaltungsverfahren zum Verbleib des Vermögens, der Sichtung der Kontenbewegungen und der vorgelegten Belege bzw. seiner Angaben für verschiedenste Ausgaben sowie der Befragung in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits davon aus, dass der Kläger der ihm obliegenden Darlegungspflicht des Verbrauchs des Vermögens in ausreichend Maße nachgekommen ist.

Der Beklagte mutmaßt lediglich, dass das aus der Erbschaft zugeflossene Vermögen nicht aufgebraucht sein könne. Das einzige belastbare Indiz, das er insoweit anführen kann, ist die Lücke zwischen den belegten/genannten Ausgaben und den Einnahmen in den Jahren 2007 bis 2010.

Der Kläger hatte in seinen Anträgen von August 2011 und Januar 2012 wahrheitsgemäße Angaben zu den aktuell auf seinen drei Konten vorhandenen Guthaben gemacht. Er war dabei gegenüber dem Beklagten nicht verpflichtet, Geldzuflüsse aus der Vergangenheit darzulegen. Der Kläger hatte sodann im Rahmen der Mitwirkungspflichten mehrfach Auflistungen über getätigte (größere) Ausgaben vorgelegt. Er hatte - für den Senat nachvollziehbar - einen "Nachholbedarf" der Familie geschildert.

Eine exakte Auflistung des Verbrauchs des Erbes im Einzelnen konnte von ihm nicht gefordert werden. Denn solange er nicht im Leistungsbezug stand, war er keinerlei Regelungen gegenüber dem Beklagten unterworfen. Aber auch während des zeitweisen vorläufigen Leistungsbezugs traf ihn insoweit keine besondere, im SGB II normierte Obliegenheit zur Dokumentation seiner früheren wirtschaftlichen Betätigung im Detail.

Die geringe Eignung des Indizes der Differenz von Einnahmen zu belegten Ausgaben für die Annahme des Vermögensverbrauchs zeigt sich auch an den unterschiedlichen Würdigungen seitens des Beklagten und des Sozialgerichts: So hat der Beklagte in den beiden streitigen Verwaltungsverfahren einen Verbrauch der Erbschaft i.H.v. 93.000 EUR bzw. 76.789 EUR als nicht nachgewiesen angesehen. Berechnungen über die Ermittlung dieser unterschiedlichen Summen finden sich in den Verwaltungsvorgängen aber nicht. Ausweislich des Bescheids vom 26. Juli 2012 sind die Sachbearbeiter des Beklagten ab August 2012 sogar davon ausgegangen, dass das Vermögen ab diesem Zeitpunkt verbraucht gewesen sei. Auch insoweit enthalten die Verwaltungsvorgänge keinen Hinweis auf die Entscheidungsfindung. Im Berufungsverfahren hat der Beklagte nach Aufforderung durch den Senat auch keine Angaben zu den unterschiedlichen Berechnungen machen können. Das Sozialgericht hat hingegen einen nicht nachgewiesenen/glaubhaft gemachten Betrag von ca. 60.000 EUR kalkuliert. Dabei sind aber hinsichtlich einzelner abgesetzter Ausgabeposten wie z.B. die Reise nach Madeira Einwände des Klägers zu der von der Schwester geliehenen Summe nicht berücksichtigt worden.

Der Senat sieht das Vorbringen des Klägers als plausibel an. So ist im Rahmen einer Schätzung die Behauptung des Klägers des vollständigen Verbrauchs des Vermögens durchaus nachvollziehbar. Insoweit wird auf die Darstellung einer überschlägigen Schätzung im Schriftsatz des Senatsvorsitzenden vom 21. Januar 2019 Bezug genommen.

Der Kläger hat auch - entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und des Beklagten - nicht durch vorwerfbares Verhalten die Feststellung des Vermögensverbrauchs erschwert oder unmöglich gemacht. Ein Verschleiern oder der Versuch des Erschwerens der Ermittlungen hinsichtlich seines Vermögensverbrauchs kann der Senat nicht erkennen. Der Kläger hat mehrfach nach Aufforderung vorhandene Quittungen für Käufe und Belege für sonstige Verwendungen wie Schuldentilgen vorgelegt und mehrere Listen gefertigt. Er hat dem Beklagten die "Verwaltungsabrechnung 19. Juni 2009" sowie Kontoauszüge für die hier maßgeblichen Geldzuflüsse in Kopie vorgelegt.

Er hatte in der Vergangenheit während des Leistungsbezugs zweimal wahrheitsgemäß zufließendes Vermögen/Einkommen mitgeteilt: Er hatte gegenüber dem Jobcenter T.-S. den Zufluss der 150.000 EUR unverzüglich angegeben und sich aus dem Leistungsbezug abgemeldet. Er teilte ferner dem Beklagten im Februar 2009 das ihm bewilligte Stipendium mit und legte eine Kopie eines Kontoauszugs bei. Zugleich kündigte er die Rückzahlung der vorläufigen Leistungen für Januar und Februar 2009 an. Aus seiner Sicht war es daher nicht erforderlich, auch den im Januar 2009 erfolgten Zufluss der zweiten Abschlagszahlung des Erbes mitzuteilen. Er hatte dann auch längere Zeit ohne die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II gelebt.

Auch eine Verschleierung des Zuflusses von 150.000 EUR bei der Antragstellung am 11. Juni 2008 lässt sich nicht bestätigen. Zwar hatte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers im Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 10. September 2008 angegeben, im Jahr 2007 sei "eine größere Erbschaft in Höhe von 50.000 EUR" gemacht worden. Der Kläger selbst hatte dies in dem Leistungsantrag aber nicht so mitgeteilt und auch auf die Nachfragen des Beklagten eine solche Summe nicht behauptet. Der Beklagte hat dann im Januar 2009 durch Zusendung der Verwaltungsvorgänge des Jobcenter T.-S. von dem Zufluss von 150.000 EUR Kenntnis erlangt. Mit dem Leistungsantrag von August 2010 hatte der Kläger dann die "Verwaltungsabrechnung" vom 19. Juni 2009 vorgelegt, aus der sich alle einzelnen Erbteils-Auszahlungen ergaben.

Schließlich weisen die in den Kontoauszügen dokumentierten Geldzuflüsse ("Hilfs-Darlehen-Überleben", "Überbrückungsdarlehen" und ähnliche Bezeichnungen) von Freunden/Bekannten ab 2008 und ab Herbst 2010 darauf hin, dass das Vermögen jeweils zur Neige gegangen war. Der Senat schließt aus, dass der Kläger insoweit zur Verschleierung der echten Vermögenssituation Schein-Transaktionen getätigt haben könnte. Vielmehr fügt sich diese Häufung von Privatkrediten in die Darstellung des Klägers, den ersten Teil des Vermögens Ende 2008 und den zweiten Teil ab Ende 2010 aufgebraucht zu haben. In diesem zeitlichen Zusammenhang wurden auch die Weiterzahlungsanträge nach dem SGB II gestellt.

Der Vorwurf des Beklagten eines sozialwidrigen Verhaltens ist im vorliegenden Verfahren unbeachtlich; dies kann allenfalls in einem späteren Verfahren nach § 34 SGB II zu prüfen sein.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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