Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 14 SB 72/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 SB 157/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12.06.2002 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Sozialgericht zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.
Mit Bescheid vom 05.11.1993 stellte der Beklagte beim 1957 geborenen Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen und von der Berufsgenossenschaft anerkannten Unfallfolgen am linken Arm und Hand fest.
Der im März 1999 gestellte Änderungsantrag blieb erfolglos (Bescheid vom 09.04.1999).
Im März 2000 beantragte der Kläger erneut die Feststellung eines höheren GdB. Mit Bescheid vom 29.03.2000 lehnte der Beklagte unter Berufung auf § 48 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) den Antrag ab. Eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen sei nicht erwiesen.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er trug vor, sein Gesamtbehinderungszustand sei mit der Annahme eines GdB von 30 nicht ausreichend bewertet. Neben seinen Unfallfolgen an der linken Hand leide er u.a. an Schäden in zwei Wirbelsäulenabschnitten, unter schweren, mindestens einmal jährlich auftretenden Gichtanfällen und einem Bluthochdruck. Daraufhin veranlaßte der Beklagte eine gutachterliche Untersuchung durch Dr. N. Am 22.01.2001 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Mit der am 13.02.2001 vor dem Sozialgericht (SG) erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft begehrt.
Das SG hat Gutachten von dem Orthopäden Dr. C und dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. L eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gutachten vom 25.10.2001 und 10.02.2002 verwiesen.
Am 12.06.2002 wurde eine mündliche Verhandlung unter dem Vorsitz von Richterin am Sozialgericht Seel durchgeführt. In dem Protokoll heißt es u.a.:
"Der Kläger stellt den Antrag, Dr. C zur Erläuterung seines Gutachtens mündlich zu hören. Den Antrag begründe ich damit, dass nach dem Gutachten von Dr. C nicht ersichtlich ist, dass er nicht zu anderen Ergebnissen gekommen wäre, wenn er davon ausgegangen wäre, dass Nervenwurzelreizerscheinungen, wie bisher festgestellt, weiterhin vorliegen.
Desweiteren beantragt der Kläger,
in Rahmen der Amtsermittlung ein Sachverständigengutachten über die geklagten Nervenwurzelreizerscheinungen zu erstellen und weist daraufhin, dass keiner der beiden Sachverständigen diese untersucht habe.
Desweiteren beantragt der Kläger hilfsweise gemäß § 109 SGG die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. L1, Krankenhaus der B - Kstr. 00 bis 00, L sowie ein internistischen Gutachten von Dr. I, V Weg 00, L einzuholen.
Die Klägerbevollmächtigte rügt, dass kein Hinweis auf die Handhabung der Richterin dahingehend erteilt wurde "Wird die Klage noch aufrechterhalten?" bedeutet, dass ein Antrag nach § 109 SGG innerhalb von 4 Wochen nach Erhalt der Gutachten gestellt werden muss.
Das SG hat ein Urteil mit folgender Urteilsformel verkündet:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten."
Das Urteil ist von der Kammervorsitzenden nicht schriftlich abgefasst und unterschrieben worden. Das SG hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass wegen einer längerer Arbeitsunfähigkeit der Kammervorsitzenden nicht abzusehen ist, ob eine Dienstaufnahme wieder erfolgen wird.
Am 25.11.2002 hat der Kläger beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Berufung eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12.06.2002 abzuändern und die Streitsache an das Sozialgericht Köln zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Schwerbehindertenakten des Beklagten Bezug genomen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig.
Die Berufung ist statthaft. Ausweislich der von der Kammervorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschriebenen Sitzungsniederschrift ist in der mündlichen Verhandlung am 12.06.2002 in der Streitsache S 14 SB 72/01 ein klageabweisendes Urteil verkündet worden. Mit der Verkündung ist das Urteil existent und wirksam und damit mit Rechtsmitteln anfechtbar geworden (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 135 Rdnr. 3 m.w.N).
Die Berufung ist rechtzeitig eingelegt. Nach § 151 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich einzulegen. Mit Schreiben vom 22.11.2002 hat der Kläger am 25.11.2002 Berufung beim LSG eingelegt. Die Berufungsfrist gegen das Urteil des SG vom 12.06.2002 ist zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung noch nicht abgelaufen gewesen, da die Frist noch nicht zu laufen begonnen hatte. Erst mit Zustellung eines verkündeten Urteils wird die Berufungsfrist in Lauf gesetzt. Eine Zustellung des verkündeten Urteils i.S.v. § 135 SGG an den Kläger - Übersendung der vollständigen Urteilsausfertigung i.S.v. § 137 SGG mit Unterschrift der Richterin - ist vorliegend nicht erfolgt. Die Einlegung einer Berufung vor Zustellung des Urteils ist wirksam (BSG, Urteil vom 11.02.1981, 2 RU 37/80, SozR 1500 § 151 Nr. 9; Urteil vom 22.10.1998, B 5/4 RA 68/97 R, ZfS 1999,79). Das Berufungsrecht ist auch nicht verwirkt, da der Kläger unmittelbar nach Mitteilung des SG, das eine Zustellung der Urteilsausfertigung nicht absehbar ist, innerhalb der Jahresfrist Berufung eingelegt hat (vgl. zur Verwirkung von Rechtsmitteln Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 66 Rdnr. 13 f m.w.N.).
Das Urteil leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, so dass der Senat von der nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG eingräumten Möglichkeit zur Zurückverweisung Gebrauch gemacht hat.
Das Urteil verstößt gegen die zwingenden Verfahrensvorschriften §§ 134 S. 1, 135 SGG, wonach ein Urteil mit Tatbestand und Entscheidungsgründen von der Kammervorsitzenden zu unterschreiben und den Beteiligten zuzustellen ist. Desweiteren liegt ein Verstoß gegen die §§ 136 Abs. 1 Nr. 6, 128 Abs. 1 SGG vor. Danach muss ein Urteil Entscheidungsgründe enthalten. Es sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Eine Heilung dieser Verfahrensmängel durch eine nachträgliche Abfassung und Zustellung des Urteils mit Unterschriftleistung der mitwirkenden Kammervorsitzenden ist zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung am 25.11.2002 nicht mehr möglich gewesen. Selbst wenn die erforderlichen Handlungen - Urteilsabfassung und Unterschriftsleistung - durch die Kammervorsitzende noch nachgeholt werden, liegt ein Verfahrensfehler, der einen absoluten Revisionsgrund i.S.v. § 202 SGG i.V.m. § 551 Nr. 7 ZPO darstellt, vor. Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 05.05.1994, 2 BU 216/93; Urteil vom 03.03.1994, 1 RK 6/93, SozR 3-1750 § 551 Nr. 7; Urteil vom 22.09.1993, 12 RK 93/92, Die Beiträge 1994, 224) gelten Urteilsgründe als nicht existent, wenn der Tatbestand und die Entscheidungsgründe eines bei Verkündung noch nicht vollständig abgefassten Urteils nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, vom Richter besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Die mit der schriftlichen Urteilsabfassung erstrebte Sicherung der Beurkundungsform ist nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des Urteils nicht mehr erreichbar. Das am 12.06.2002 verkündete Urteil hätte spätestens bis zum 11.11.2002 vollständig abgefaßt und ordnungsgemäß unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben werden müssen. Dies ist unterblieben.
Das angefochtene Urteil beruht auf dem Verfahrensmangel. Nach § 202 SGG i.V.m. § 551 Nr. 7 ZPO ist eine Entscheidung, die nicht mit Gründen versehen ist, stets als auf eine Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen.
Die gemäß § 159 Abs. 1 SGG im Ermessen stehende Zurückverweisung erscheint angesichts der Kürze des Berufungsverfahrens, der Schwere des Verfahrensfehlers und zur Erhaltung einer Tatsacheninstanz geboten. Weder eine Bestätigung der Entscheidung des SG noch eine Stattgabe der Klage kommen derzeitig in Betracht. Der Rechtsstreit ist noch nicht entscheidungsreif. Wegen des Fehlens der dokumentierten Entscheidungsgründe fehlt es an einer für den Senat rechtlich nachprüfbaren Entscheidung, insbesondere im Hinblick auf die von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung am 12.06.2002 gestellten Verfahrensanträge. Welche Gründe das SG bewogen haben, den Verfahrensanträgen des Klägers nicht stattzugeben und die Klage abzuweisen, ist nicht ersichtlich. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Beweisantrag, den Sachverständigen Dr. C zur Erläuterung seines Gutachtens nach §§ 118 SGG, 411 Abs. 3 ZPO mündlich zu hören. Ein solcher Beweisantrag dient zur Sicherung der Ausübung des Fragerechtes eines Beteiligten nach §§ 116 SGG, 402, 397 ZPO als Ausfluss des Anspruches auf rechtlichem Gehör. Das Fragerecht eines Beteiligten besteht unabhängig von dem pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts bei einem erläuterungsbedürftigen schriftlichen Gutachtens nach § 411 Abs. 3 ZPO das Erscheinen des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuordnen (BSG, Urteil vom 12.04.2000, B 9 VS 2/99 R m.w.N.). Dies gilt auch, wenn das Gericht das Gutachten für überzeugend und vollständig hält (BGH, Urteil vom 17.12.1996, IV ZR 50/96, NJW 1997, 802; BVerfG, Beschluss vom 03.02.1998, 1 BvR 909/94, NJW 1998, 2273). Das Übergehen eines Antrages auf Ausübung des Fragerechtes stellt regelmäßig einen Verfahrensfehler - Verletzung des Anspruches auf rechtlichen Gehörs - dar, wenn der Antrag nicht verspätet, rechtsmissbräuchlich oder nicht objektiv sachdienlich ist (BSG, Urteil vom 12.04.2000 B 9 VS 2/99 R; BVerfG, Beschluss vom 03.02.1998 a.a.O.). Wegen des Fehlens der Entscheidungsgründe ist nicht nachvollziehbar, welche Gründe das SG bewogen haben, dem Beweisantrag nicht stattzugeben, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Gutachten des Sachverständigen Dr. C erläuterungsbedürftig ist. Das Gutachten hält keine nachvollziehbaren Darlegungen zur GdB-Bewertung der Funktionsstörungen in den beiden Funktionssystemen "Rumpf" und "Hände" sowie der wechselseitigen Einflussnahme ihrer Auswirkungen. Diese Feststellungen sind Voraussetzung für die Bildung eines Gesamt-GdB unter Beachtung der Vorgaben der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AP) 1996, die rechtsnormähnliche Wirkung haben und von den Sozialgerichten wie untergesetzliche Normen anzuwenden sind. Der von den Sachverständigen Dr. C gebildete Teil-GdB von 20 auf orthopädischem Fachgebiet verstößt gegen die Vorgaben der AP 1996 zur Gesamt-GdB-Bildung. Nach Nr. 18 Abs. 4 AP 1996 hat die GdB-Bewertung getrennt nach Funktionssystemen zu erfolgen, die Bildung eines Teil-GdB auf einem Fachgebiet ist nicht zulässig (BSG, Urteil vom 16.03.1994, 9 RVs 6/93; SozR 3870 § 4 Nr. 9). Es steht dem SG frei, in welcher Weise es den Sachverhalt weiter aufklären will. Es hat die Möglichkeit, weitere Sachverständigengutachten einzuholen. Es kann den Kläger gemäß §§ 118 SGG, 411 Abs. 4 ZPO aufgeben, die von ihm aufgeworfenen Fragen schriftlich zu konkretisieren und sie dann zur Beantwortung dem Sachverständigen Dr. C zuzuleiten. Auch besteht die Möglichkeit, von Dr. C eine schriftliche Ergänzung seines Gutachtens zu verlangen. Desweiteren hat das SG im Hinblick auf den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG die Streitsache nicht vertagt, sondern sie für entscheidungsreif gehalten. Ein Gericht ist grundsätzlich gehalten, ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, wenn es sich nicht um einen unzulässigen Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG handelt oder die Ablehnungsgründe nach § 109 Abs. 2 SGG vorliegen. Die Regelung des § 109 SGG stellt eine zwingende Verfahrensvorschrift dar. Welche Gründe das SG bewogen haben, die vom Kläger gestellten Anträge nach § 109 SGG durch eine Entscheidung in der Sache inzident abzulehnen, ist nich ersichtlich.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleiben dem Sozialgericht vorbehalten.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.
Mit Bescheid vom 05.11.1993 stellte der Beklagte beim 1957 geborenen Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen und von der Berufsgenossenschaft anerkannten Unfallfolgen am linken Arm und Hand fest.
Der im März 1999 gestellte Änderungsantrag blieb erfolglos (Bescheid vom 09.04.1999).
Im März 2000 beantragte der Kläger erneut die Feststellung eines höheren GdB. Mit Bescheid vom 29.03.2000 lehnte der Beklagte unter Berufung auf § 48 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) den Antrag ab. Eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen sei nicht erwiesen.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er trug vor, sein Gesamtbehinderungszustand sei mit der Annahme eines GdB von 30 nicht ausreichend bewertet. Neben seinen Unfallfolgen an der linken Hand leide er u.a. an Schäden in zwei Wirbelsäulenabschnitten, unter schweren, mindestens einmal jährlich auftretenden Gichtanfällen und einem Bluthochdruck. Daraufhin veranlaßte der Beklagte eine gutachterliche Untersuchung durch Dr. N. Am 22.01.2001 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Mit der am 13.02.2001 vor dem Sozialgericht (SG) erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft begehrt.
Das SG hat Gutachten von dem Orthopäden Dr. C und dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. L eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gutachten vom 25.10.2001 und 10.02.2002 verwiesen.
Am 12.06.2002 wurde eine mündliche Verhandlung unter dem Vorsitz von Richterin am Sozialgericht Seel durchgeführt. In dem Protokoll heißt es u.a.:
"Der Kläger stellt den Antrag, Dr. C zur Erläuterung seines Gutachtens mündlich zu hören. Den Antrag begründe ich damit, dass nach dem Gutachten von Dr. C nicht ersichtlich ist, dass er nicht zu anderen Ergebnissen gekommen wäre, wenn er davon ausgegangen wäre, dass Nervenwurzelreizerscheinungen, wie bisher festgestellt, weiterhin vorliegen.
Desweiteren beantragt der Kläger,
in Rahmen der Amtsermittlung ein Sachverständigengutachten über die geklagten Nervenwurzelreizerscheinungen zu erstellen und weist daraufhin, dass keiner der beiden Sachverständigen diese untersucht habe.
Desweiteren beantragt der Kläger hilfsweise gemäß § 109 SGG die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. L1, Krankenhaus der B - Kstr. 00 bis 00, L sowie ein internistischen Gutachten von Dr. I, V Weg 00, L einzuholen.
Die Klägerbevollmächtigte rügt, dass kein Hinweis auf die Handhabung der Richterin dahingehend erteilt wurde "Wird die Klage noch aufrechterhalten?" bedeutet, dass ein Antrag nach § 109 SGG innerhalb von 4 Wochen nach Erhalt der Gutachten gestellt werden muss.
Das SG hat ein Urteil mit folgender Urteilsformel verkündet:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten."
Das Urteil ist von der Kammervorsitzenden nicht schriftlich abgefasst und unterschrieben worden. Das SG hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass wegen einer längerer Arbeitsunfähigkeit der Kammervorsitzenden nicht abzusehen ist, ob eine Dienstaufnahme wieder erfolgen wird.
Am 25.11.2002 hat der Kläger beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Berufung eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12.06.2002 abzuändern und die Streitsache an das Sozialgericht Köln zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Schwerbehindertenakten des Beklagten Bezug genomen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig.
Die Berufung ist statthaft. Ausweislich der von der Kammervorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschriebenen Sitzungsniederschrift ist in der mündlichen Verhandlung am 12.06.2002 in der Streitsache S 14 SB 72/01 ein klageabweisendes Urteil verkündet worden. Mit der Verkündung ist das Urteil existent und wirksam und damit mit Rechtsmitteln anfechtbar geworden (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 135 Rdnr. 3 m.w.N).
Die Berufung ist rechtzeitig eingelegt. Nach § 151 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich einzulegen. Mit Schreiben vom 22.11.2002 hat der Kläger am 25.11.2002 Berufung beim LSG eingelegt. Die Berufungsfrist gegen das Urteil des SG vom 12.06.2002 ist zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung noch nicht abgelaufen gewesen, da die Frist noch nicht zu laufen begonnen hatte. Erst mit Zustellung eines verkündeten Urteils wird die Berufungsfrist in Lauf gesetzt. Eine Zustellung des verkündeten Urteils i.S.v. § 135 SGG an den Kläger - Übersendung der vollständigen Urteilsausfertigung i.S.v. § 137 SGG mit Unterschrift der Richterin - ist vorliegend nicht erfolgt. Die Einlegung einer Berufung vor Zustellung des Urteils ist wirksam (BSG, Urteil vom 11.02.1981, 2 RU 37/80, SozR 1500 § 151 Nr. 9; Urteil vom 22.10.1998, B 5/4 RA 68/97 R, ZfS 1999,79). Das Berufungsrecht ist auch nicht verwirkt, da der Kläger unmittelbar nach Mitteilung des SG, das eine Zustellung der Urteilsausfertigung nicht absehbar ist, innerhalb der Jahresfrist Berufung eingelegt hat (vgl. zur Verwirkung von Rechtsmitteln Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 66 Rdnr. 13 f m.w.N.).
Das Urteil leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, so dass der Senat von der nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG eingräumten Möglichkeit zur Zurückverweisung Gebrauch gemacht hat.
Das Urteil verstößt gegen die zwingenden Verfahrensvorschriften §§ 134 S. 1, 135 SGG, wonach ein Urteil mit Tatbestand und Entscheidungsgründen von der Kammervorsitzenden zu unterschreiben und den Beteiligten zuzustellen ist. Desweiteren liegt ein Verstoß gegen die §§ 136 Abs. 1 Nr. 6, 128 Abs. 1 SGG vor. Danach muss ein Urteil Entscheidungsgründe enthalten. Es sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Eine Heilung dieser Verfahrensmängel durch eine nachträgliche Abfassung und Zustellung des Urteils mit Unterschriftleistung der mitwirkenden Kammervorsitzenden ist zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung am 25.11.2002 nicht mehr möglich gewesen. Selbst wenn die erforderlichen Handlungen - Urteilsabfassung und Unterschriftsleistung - durch die Kammervorsitzende noch nachgeholt werden, liegt ein Verfahrensfehler, der einen absoluten Revisionsgrund i.S.v. § 202 SGG i.V.m. § 551 Nr. 7 ZPO darstellt, vor. Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 05.05.1994, 2 BU 216/93; Urteil vom 03.03.1994, 1 RK 6/93, SozR 3-1750 § 551 Nr. 7; Urteil vom 22.09.1993, 12 RK 93/92, Die Beiträge 1994, 224) gelten Urteilsgründe als nicht existent, wenn der Tatbestand und die Entscheidungsgründe eines bei Verkündung noch nicht vollständig abgefassten Urteils nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, vom Richter besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Die mit der schriftlichen Urteilsabfassung erstrebte Sicherung der Beurkundungsform ist nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des Urteils nicht mehr erreichbar. Das am 12.06.2002 verkündete Urteil hätte spätestens bis zum 11.11.2002 vollständig abgefaßt und ordnungsgemäß unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben werden müssen. Dies ist unterblieben.
Das angefochtene Urteil beruht auf dem Verfahrensmangel. Nach § 202 SGG i.V.m. § 551 Nr. 7 ZPO ist eine Entscheidung, die nicht mit Gründen versehen ist, stets als auf eine Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen.
Die gemäß § 159 Abs. 1 SGG im Ermessen stehende Zurückverweisung erscheint angesichts der Kürze des Berufungsverfahrens, der Schwere des Verfahrensfehlers und zur Erhaltung einer Tatsacheninstanz geboten. Weder eine Bestätigung der Entscheidung des SG noch eine Stattgabe der Klage kommen derzeitig in Betracht. Der Rechtsstreit ist noch nicht entscheidungsreif. Wegen des Fehlens der dokumentierten Entscheidungsgründe fehlt es an einer für den Senat rechtlich nachprüfbaren Entscheidung, insbesondere im Hinblick auf die von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung am 12.06.2002 gestellten Verfahrensanträge. Welche Gründe das SG bewogen haben, den Verfahrensanträgen des Klägers nicht stattzugeben und die Klage abzuweisen, ist nicht ersichtlich. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Beweisantrag, den Sachverständigen Dr. C zur Erläuterung seines Gutachtens nach §§ 118 SGG, 411 Abs. 3 ZPO mündlich zu hören. Ein solcher Beweisantrag dient zur Sicherung der Ausübung des Fragerechtes eines Beteiligten nach §§ 116 SGG, 402, 397 ZPO als Ausfluss des Anspruches auf rechtlichem Gehör. Das Fragerecht eines Beteiligten besteht unabhängig von dem pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts bei einem erläuterungsbedürftigen schriftlichen Gutachtens nach § 411 Abs. 3 ZPO das Erscheinen des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuordnen (BSG, Urteil vom 12.04.2000, B 9 VS 2/99 R m.w.N.). Dies gilt auch, wenn das Gericht das Gutachten für überzeugend und vollständig hält (BGH, Urteil vom 17.12.1996, IV ZR 50/96, NJW 1997, 802; BVerfG, Beschluss vom 03.02.1998, 1 BvR 909/94, NJW 1998, 2273). Das Übergehen eines Antrages auf Ausübung des Fragerechtes stellt regelmäßig einen Verfahrensfehler - Verletzung des Anspruches auf rechtlichen Gehörs - dar, wenn der Antrag nicht verspätet, rechtsmissbräuchlich oder nicht objektiv sachdienlich ist (BSG, Urteil vom 12.04.2000 B 9 VS 2/99 R; BVerfG, Beschluss vom 03.02.1998 a.a.O.). Wegen des Fehlens der Entscheidungsgründe ist nicht nachvollziehbar, welche Gründe das SG bewogen haben, dem Beweisantrag nicht stattzugeben, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Gutachten des Sachverständigen Dr. C erläuterungsbedürftig ist. Das Gutachten hält keine nachvollziehbaren Darlegungen zur GdB-Bewertung der Funktionsstörungen in den beiden Funktionssystemen "Rumpf" und "Hände" sowie der wechselseitigen Einflussnahme ihrer Auswirkungen. Diese Feststellungen sind Voraussetzung für die Bildung eines Gesamt-GdB unter Beachtung der Vorgaben der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AP) 1996, die rechtsnormähnliche Wirkung haben und von den Sozialgerichten wie untergesetzliche Normen anzuwenden sind. Der von den Sachverständigen Dr. C gebildete Teil-GdB von 20 auf orthopädischem Fachgebiet verstößt gegen die Vorgaben der AP 1996 zur Gesamt-GdB-Bildung. Nach Nr. 18 Abs. 4 AP 1996 hat die GdB-Bewertung getrennt nach Funktionssystemen zu erfolgen, die Bildung eines Teil-GdB auf einem Fachgebiet ist nicht zulässig (BSG, Urteil vom 16.03.1994, 9 RVs 6/93; SozR 3870 § 4 Nr. 9). Es steht dem SG frei, in welcher Weise es den Sachverhalt weiter aufklären will. Es hat die Möglichkeit, weitere Sachverständigengutachten einzuholen. Es kann den Kläger gemäß §§ 118 SGG, 411 Abs. 4 ZPO aufgeben, die von ihm aufgeworfenen Fragen schriftlich zu konkretisieren und sie dann zur Beantwortung dem Sachverständigen Dr. C zuzuleiten. Auch besteht die Möglichkeit, von Dr. C eine schriftliche Ergänzung seines Gutachtens zu verlangen. Desweiteren hat das SG im Hinblick auf den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG die Streitsache nicht vertagt, sondern sie für entscheidungsreif gehalten. Ein Gericht ist grundsätzlich gehalten, ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, wenn es sich nicht um einen unzulässigen Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG handelt oder die Ablehnungsgründe nach § 109 Abs. 2 SGG vorliegen. Die Regelung des § 109 SGG stellt eine zwingende Verfahrensvorschrift dar. Welche Gründe das SG bewogen haben, die vom Kläger gestellten Anträge nach § 109 SGG durch eine Entscheidung in der Sache inzident abzulehnen, ist nich ersichtlich.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleiben dem Sozialgericht vorbehalten.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
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