S 12 R 722/13

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 12 R 722/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 507/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 212/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte trägt 1/2 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Die am ... 1974 geborene Klägerin beantragte am 31. Oktober 2012 bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Die Klägerin absolvierte von Oktober 1990 bis Februar 1993 die Ausbildung zur Verkäuferin im Einzelhandel. Von 1994 bis 1995 arbeitete sie als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung. Von Februar 1995 bis Mai 1995 war sie kurzfristig als Kauffrau (kaufmännische Leitung) eingesetzt. Von Februar 1996 bis Dezember 1997 war sie für den Warenverkauf/Annahme zuständig. Von Juli 1999 bis Februar 2000 war sie selbständig. Seit Februar 2006 arbeitet sie als Außendienstmitarbeiterin in einem Großhandel. Die tägliche Wochenzeit betrug 35 Stunden. Als Grund für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erklärte sie, dass sie psychisch krank sei und sich die Arbeit nicht mehr zutraue. Derzeit sei sie mit dem Auto und dem vorhandenen Kundenkontakt überfordert.

Die Beklagte holte einen Befundbericht von dem behandelnden Arzt R., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ein. Dieser berichtete unter dem 13. November 2012, bei der Klägerin habe sich eine depressive Entwicklung seit ca. acht Jahren nach partnerschaftlicher Trennung (Existenzängste) entwickelt. Von 2009 bis 2011 habe eine Psychotherapie stattgefunden. Die Klägerin befinde sich seit 17. September 2012 in der psychiatrischen Tagesklinik S. Eine Belastbarkeit für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bestehe. Als Diagnose teilte er eine mittelgradige depressive Episode mit. Weiter wurde der Entlassungsbericht von der psychiatrischen Tagesklinik AMEOS Klinikum S. für den Zeitraum 17. September 2012 bis 22. November 2012 eingeholt. Als Diagnose wurde eine mittelgradige depressive Episode und eine posttraumatische Belastungsstörung mitgeteilt. Insgesamt sei eine gute Mitarbeit der Klägerin bei allen Therapien zu sehen gewesen. Aufgrund der Ausprägung der traumatisierenden Ereignisse in ihrer Vergangenheit und Einfluss auf ihr aktuelles Familien- und Berufsleben wäre langfristig eine ambulante psychotherapeutische Unterstützung vonnöten. Gegen Therapieende sei eine Grundstabilisierung und eine deutlich mehr in Struktur und weniger Rastlosigkeit bei der Klägerin zu beobachten gewesen. Gleichsam bestehe weiterer Therapiebedarf fort.

Durch Bescheid vom 25. Januar 2013 wurden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgelehnt. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Das Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 15. Februar 2013 wurde beigezogen. Die Klägerin meide die Öffentlichkeit, in Zusammenhang mit den Ängsten bestünden körperliche Beschwerden im Sinne einer somatoformen Störung. Die Versicherte befinde sich in einer ängstlich mittelgradig depressiven Episode mit beeinträchtigender Belastungs- und Leistungsfähigkeit, insbesondere in Bezug auf ihre letzte Tätigkeit. Es ließe sich ein zerrüttetes Verhältnis zwischen ihr und dem Arbeitgeber eruieren, die Versicherte würde sich beruflich umorientieren und habe deshalb Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt. Insgesamt bestehe eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit. Diplom-Psychologe S. berichtete unter dem 6. Mai 2013, es bestünde bei der Klägerin eine anhaltende mittelgradige depressive Episode, generalisierte Angststörung und eine somatoforme Störung. Zwei Bandscheibenvorfälle an der HWS seien diagnostiziert. Im psychotherapeutischen Behandlungszeitraum vom 12. Februar 2013 bis 22. April 2013 wirkte die Klägerin ruhiger und gelassener, insbesondere durch die begonnene Klärung einer sozialverträglichen Lösung des Arbeitsrechtsverhältnisses mit ihrem Arbeitgeber. Sie zeigte hierbei Eigeninitiative und ist um eine Lösung ihres Berufsproblems bemüht. Sie sei weiter bemüht, eine Teilhabe am Arbeitsleben unter Zuhilfenahme eines Beförderungswerks zu erreichen. Die abschlägige Beantwortung ihres Antrags ließen Existenz- und Zukunftsängste verstärkt auftreten. Ebenfalls symptomverstärkend sei die Erziehungsarbeit mit ihrem dreizehnjährigen Sohn ebenso wie ihre partnerschaftliche Beziehung. Diese lösten Erschöpfungsgefühle und Schlafstörungen aus. Die Klägerin sei bisher motiviert gewesen und pünktlich zu den neuen Gesprächsterminen erschienen. Eine Teilhabe am Arbeitsleben werde befürwortet. Durch Widerspruchsbescheid vom 4. September 2013 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Klägerin eine Tätigkeit als Einzelhandelskauffrau ohne Außendienst verrichten könne.

Am 19. September 2013 hat die Klägerin beim Sozialgericht Magdeburg Klage erhoben.

Die Klägerin trägt vor, zwischenzeitlich sei die Tätigkeit bei S. (Großhandel und letzter Arbeitgeber) aufgehoben worden. Bei der Klägerin seien Lumbalgien und psychosomatische Schmerzen diagnostiziert. Sie habe die Tätigkeit einer Einzelhandelskauffrau nicht erlernt, sondern die Tätigkeit als Verkäuferin.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 25. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer Rechtsauffassung fest.

In dem Befund des behandelnden Orthopäden Dr. F. wurde berichtet, dass bei der Klägerin chronische Lumbalgien bestünden und eine akute Ischialgie links. Darüber hinaus wurden eine depressive Verstimmung und ein psychosomatischer Beschwerdekomplex aufgeführt. In dem Befundbericht vom 17. März 2014 berichtete der Internist Dipl.-Med. F., bei der Klägerin bestünden Angstzustände mit Panikattacken. Die Klägerin könne noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter 3 Stunden ausüben. Dipl.-Psych. S. berichtete unter dem 24. März 2014, dass er die Klägerin zuletzt am 15. Juli 2013 untersucht und behandelt habe. Er berichtete von einem chronischen Schmerzerleben mitbedingt durch muskuläre Verspannungszustände, diese wiederum bedingt durch Angstzustände, Minderwertigkeitserleben, mangelnde Selbstsicherheit, mangelndes Selbstvertrauen, Schwindelgefühl und Somatisierungstendenzen. Es bestehe eine depressive Verstimmung mit sozialem Rückzugserleben. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten verrichten. Für eine berufliche Um- bzw. Neuorientierung bestünde eine Belastbarkeit ab 6 Stunden.

Das Gericht hat ein psychotherapeutisches Gutachten bei Dr. F. in Auftrag gegeben. Nach einer Untersuchung berichtete er in seinem Gutachten vom 14. November 2014, bei der Klägerin bestehe eine Angst- und depressive Störung mit Somatisierung. Die Klägerin habe gelegentlich Angstzustände, Kontaktscheue und neige zur Isolation. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen oder Stehen seien möglich. Derzeit bestehe eine leichtere Ermüdbarkeit und geringere Reaktionsfähigkeit. Weiter berichtet er, dass eine Langzeitpsychotherapie dringend notwendig sei. Wenn die bisherige psychotherapeutische Behandlungen betrachte werde, so waren diese insgesamt zu kurz und nicht ausreichend. Es lasse sich keine positive Aussage darüber treffen, dass ein Berufswechsel allein einen positiven Einfluss auf den Gesundheitszustand der Klägerin haben würde. Die Störungen der Klägerin seien seit der Kindheit entstanden. Es sei zu befürchten, dass Konflikte bei der Klägerin auch in anderen Tätigkeitsfeldern auftreten. Dies bedeute, dass es ohne eine vorhergehende erfolgreiche psychotherapeutische Behandlung überhaupt nicht sicher sein kann, dass lediglich durch einen Berufswechsel der Gesundheitszustand der Klägerin wieder vollständig stabilisiert werde.

Dazu trägt die Klägerin vor, sie sehe sich in der Lage, die Tätigkeit eines gerichtlichen Betreuers auszuüben, wenn ihr hierfür eine entsprechende Umschulung gewährt werde.

Der Sachverständige Dr. F. wurde nochmals aufgefordert, eine ergänzende Stellungnahme zu der Frage der Klägerin abzugeben, ließe der derzeitige Zustand der Klägerin eine Beschäftigung als Einzelhandelskauffrau zu. Der Sachverständige erklärte dazu am 25. Februar 2015, erst nach einer Psychotherapie sei davon auszugehen, dass die Klägerin wieder stabil sei. Erst danach könne sie Konflikte im Berufsbereich bewältigen.

Dr. S. teilte unter dem 6. November 2015 mit, sie habe die Klägerin lediglich einmalig am 19. Februar 2014 untersucht. Damals bestanden eine Antriebsminderung und ein Erschöpfungsgefühl mit Panikattacken. Insgesamt diagnostizierte sie eine mittelgradige Depression und eine Agoraphobie. Dipl. Med. W. berichtete unter dem 15. Dezember 2015 (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie), bei der Klägerin bestünden Stresssituationen und eine Überforderung bei Menschenansammlungen. Sie habe Angst und eine depressive Störung gemischt. Im stabilen Zustand könnte sie leichte bis mittelschwere Tätigkeiten verrichten. Eine geeignete Berufsfindung sei möglich.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht erfolgreich.

Der Bescheid vom 25. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2013 ist im Ergebnis rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben können erbracht werden, wenn die persönli-chen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Nach § 10 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) sind die persönlichen Voraussetzungen erfüllt, wenn

1. die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und

voraussichtlich

a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann,

oder

b) bei geminderten Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt und hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann,

oder

c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer zu der Ansicht gekommen, dass derzeit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsplatz nicht sinnvoll sind. Die Kammer ist der Ansicht, dass die Erwerbsfähigkeit zumindest erheblich gefährdet ist. Derzeit stehen psychische Probleme im Vordergrund. Insoweit wird auf die ausführlichen Befundberichte und auf das Sachverständigengutachten von Dr. F. verwiesen. Aber die Klägerin begehrt ausdrücklich keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, sondern möchte sich beruflich umorientieren. Bevor tatsächlich Umschulungsmaßnahmen im Wege von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben angeboten werden können, muss der Gesundheitszustand der umzuschulenden Personen stabil sein. Dazu ist es erforderlich, dass die Klägerin langfristig eine Psychotherapie durchführt, die derzeit nicht stattfindet. Der Sachverständige Dr. F. führt in seinem Gutachten vom 14. November 2014 aus, folgende psychischen Diagnosen bestünden: Angst und depressive Störung, gemischt mit Somatisierungsstörung auf der Basis einer ängstlich Persönlichkeitsstörung. Weiter kommt er zum Ergebnis, dass eine intensive tiefenpsychologisch fundierte oder analytische Psychotherapie dringend indiziert sei. Die bisherigen psychotherapeutischen Behandlungen seien nicht ausreichend gewesen. Dementsprechend lasse sich derzeit keine positive Aussage darüber treffen, ob ein Berufswechsel allein einen positiven Einfluss auf den Gesundheitszustand der Klägerin haben würde. Die Kammer folgt dem Sachverständigengutachten, die Ausführungen sind in sich schlüssig und nachvollziehbar und überzeugen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Beklagte hat ein ½ der außergerichtlichen Kosten zu tragen, da alle behandelnden Ärzte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben befürworten, es wäre bereits im Verwaltungsverfahren notwendig gewesen, eine weitere medizinische Sachaufklärung durchzuführen, ggf. die Klägerin daraufhin hinzuweisen, dass zunächst nach dem Aufenthalt in der Tagesklinik im Kalenderjahr 2012 eine weiter ambulante intensive Psychotherapie durchgeführt werden sollte, um einen stabilen Zustand der Klägerin zu gewährleisten und danach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen. Dagegen lehnte die Beklagte den Anspruch mit der Begründung ab, sie könne die Tätigkeit als Einzelhandelskauffrau ohne Außendienst ohne Gefährdung bzw. Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit weiter verrichten. Die Begründung überzeugt nicht und damit hat sie Mitveranlassung zur Klage gegeben. Der behandelnde Psychologe berichtete im Mai 2013, dass sich nach der Tagesklinik weiterhin eine Symptomreduzierung gezeigt habe, aber die Psychotherapie wurde nicht langfristig fortgesetzt und dieser Zustand hat im Klageverfahren bis zur mündlichen Verhandlung nicht angehalten, deshalb musste die Klage abgewiesen werden. Auch der Psychologe hat damals Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben befürwortet.
Rechtskraft
Aus
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