L 4 AS 517/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AS 9/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 517/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
KANN GELÖSCHT WERDEN

Der 4. Senat des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt in Halle hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. November 2019 durch den Präsidenten des Landessozialgerichts Fock, die Richterin am Landessozialgericht Bücker und den Richter am Sozialgericht Schumann sowie die ehrenamtlichen Richter Erben und Weilbeer für Recht erkannt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren
nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger und Berufungskläger (im Weiteren: Kläger) begehrt im Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 1. Mai 2011.

Der am ... 1964 geborene alleinstehende Kläger erhielt nach vorangegangenem SGB II-Leistungsbezug seit Ende 2009 laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) vom Sozialamt des Landkreises Anhalt-B ...

Am 30. Mai 2011 stellte er bei dem Beklagten und Berufungsbeklagten einen Antrag auf SGB II-Leistungen und belegte ein monatliches Einkommen von 100 EUR aus einer geringfügigen Beschäftigung beim Köthener Sportverein 2009 e.V. und Unterkunftskosten für eine Mietwohnung in K. von monatlich 351 EUR. Mit Bescheid vom 10. März 2010 hatte das Versorgungsamt im Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt dem Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 ab dem 28. Oktober 2009 zuerkannt. Im Bescheid waren eine Hirnleistungsstörung und eine psychische Gesundheitsstörung als maßgebliche Funktionsbeeinträchtigungen genannt. Auf Anforderung des Beklagten übermittelte das Sozialamt auf das Ergebnis eines Ersuchens nach § 45 SGB XII (Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung) vom 11. November 2009 durch die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRV). Danach war der Kläger "zumindest seit 09.06.2005" unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI und es war unwahrscheinlich, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne.

Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Juni 2011 den Leistungsantrag für die Zeit ab 1. Mai 2011 ab. Da der Kläger aus medizinischer Sicht nicht erwerbsfähig sei, habe er keinen Anspruch auf SGB II-Leistungen. Er erhalte weiterhin Leistungen vom SGB XII-Leistungsträger.

Dagegen legte der Kläger am 30. Juni 2011 Widerspruch ein und führte aus, die medizinischen Belege seien nicht aktuell. Er legte ein ärztliches Attest seines behandelnden Arztes, Dr. med. Gerald Hölemann, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie (Köthen), vom 16. Juni 2011 vor, wonach er aus nervenärztlicher Sicht wieder in der Lage sei, eine vollschichtige Erwerbstätigkeit auszuüben. Weiter legte der Kläger die Kopie eines Beschlusses des Vormundschaftsgerichts des Amtsgerichts K. vom 27. Februar 2009 vor, mit dem seine Betreuung aufgehoben worden war.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach den Feststellungen der DRV aus dem November 2009 sei er dauerhaft voll erwerbsgemindert. Daran ändere das eingereichte ärztliche Attest nichts. Er müsse ggf. eine veränderte Mitteilung der DRV beibringen.

Mit Schreiben vom 30. Juni 2011 meldete der Landkreis Anhalt-B. (Sozialamt) bei dem Beklagten einen Erstattungsanspruch gemäß den §§ 102 ff. SGB X an und teilte mit, wegen der dem Kläger bescheinigten vollschichtigen Erwerbsfähigkeit habe er ein erneutes Ersuchen gemäß § 45 SGB XII an die DRV gerichtet. Diese teilte mit Stellungnahme vom 22. September 2011 mit, der Kläger sei (weiterhin) unabhängig von der Arbeitsmarktlage dauerhaft voll erwerbsgemindert. Eine Besserung sei unwahrscheinlich.

Am 18. März 2012 wandte sich der Kläger erneut an den Beklagten und stellte einen Antrag auf SGB II-Leistungen, der nach Rücksprache mit dem Sozialamt nicht weiter bearbeitet wurde. Am 3. August 2012 stellte er einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Zur Begründung führte er aus, nach Auffassung seines Arztes bestehe seit 2011 keine volle Erwerbsminderung mehr. Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 6. August 2012 ab. Es seien keine Tatsachen vorgetragen worden, die bisher noch nicht berücksichtigt worden seien. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2012 zurück. Er sei nicht verpflichtet, erneut in die Sachprüfung einzutreten. Das vorgelegte ärztliche Attest sei bereits Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewesen und von der DRV bei der Prüfung im Jahr 2011 berücksichtigt worden.

Am 3. Januar 2013 hat der Kläger beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) Klage erhoben, mit der er die Gewährung von SGB II-Leistungen ab Mai 2011 geltend gemacht hat. Er hat ausgeführt, er habe noch im Jahr 2009 SGB II-Leistungen bezogen, bis die DRV die dauerhafte Erwerbsunfähigkeit festgestellt habe. Deren Einschätzung vom 5. September 2011 sei unzutreffend. Die genannten Diagnosen seien nicht ordnungsgemäß verschlüsselt worden und eine konkrete Leistungsbeurteilung sei nicht enthalten. Fehlerhaft sei ihm ein unterhalbschichtiges Leistungsvermögen bescheinigt worden. Dies widerspreche der ärztlichen Beurteilung des behandelnden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Hölemann aus dem Juni 2011. Dem Umstand, dass er seit dem Jahr 2009 durchgehend Nebentätigkeiten ausübe, komme ein höherer Beweiswert zu als der gutachterlichen Stellungnahme der DRV. Diese binde gemäß § 44a SGB II Leistungsträger nur im Verwaltungsverfahren und hindere nicht eine andere Entscheidung im gerichtlichen Verfahren. Seine Erwerbsfähigkeit stehe aufgrund der ärztlichen Bewertung des behandelnden Neurologen fest.

Das SG hat einen Befundbericht von Dr. H. eingeholt. Dieser hat unter dem 9. September 2013 ausgeführt, er behandle den Kläger seit 1994. Auf die Frage nach geäußerten Beschwerden hat er ausgeführt, der Kläger sei subjektiv zufrieden, weiterhin abstinent und anfallsfrei. Er sei psychisch kooperativ und angepasst. Es bestünden blande hirnorganische Auffälligkeiten, aber keine psychotischen Symptome. Als Diagnosen hat er chronischen Alkoholismus (seit Jahren abstinent), eine symptomatische Epilepsie und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung benannt. Insgesamt sei eine deutliche gesundheitliche Stabilisierung eingetreten. Der Kläger sei aus seiner Sicht erwerbsfähig.

Nach einem Hinweis des Klägers hat das SG das am 5. September 2011 von Dr. med. Gabriele Jungbluth-Strube, Fachärztin für Psychiatrie/Suchtmedizin, für die DRV erstellte Gutachten beigezogen. Danach sei der Kläger am 5. September 2011 von 11:00 bis 12:00 Uhr untersucht worden. Er sei pünktlich und gepflegt zur Begutachtung erschienen. Er habe erklärt, er wolle sofort arbeiten gehen; er sei vollkommen leistungsfähig und es gehe ihm gut wie nie. Zu seinen Kindern habe er guten Kontakt, dass seien seine "Kumpel". Er habe fünf Sportplätze in Pflege, dafür mache er alles, und das schaffe er total gut. Er sei trocken und habe sogar seiner Schwester das Trinken abgewöhnt. Auf Frage zu Vorerkrankungen habe er ein Schädelhirntrauma angegeben. Unter Eigenanamnese ist notiert: "Alkoholismus, bekannte Persönlichkeitsstörung, bekannter Zustand nach Schädelhirntrauma mit Blutung und symptomatischer Epilepsie, ausgeprägtes hirnorganisches Psychosyndrom". Der psychopathologische Befund ist beschrieben als wach, ausreichend orientiert, affektiv flach, deutlich kritik- und distanzlos, stimmungsindolent, euphorisch, selbstüberschätzend, wenig mitschwingend, Kritik- und Urteilsfähigkeit deutlich reduziert, kein Anhalt für eigene oder Fremdgefährdung". Als Diagnosen sind genannt: 1. chronischer Alkoholismus – abstinent

2. kombinierte PKST

3. Z.n. SHT III. Grades mit Blutung 2005

4. sympt. Epilepsie

5. HOPS

Zusammenfassend führte die Gutachterin aus, im Vordergrund der bekannten Diagnosen stehe das deutliche hirnorganische Psychosyndrom, das sich trotz zuverlässiger Abstinenz zum Suchtmittel keinesfalls zurückgebildet habe. Das negative Leistungsbild betreffe die geistig/psychische Belastbarkeit, die Sinnesorgane sowie Gefährdungs- und Belastungsfaktoren. Sie hat ergänzt, das gesamte klinische Erscheinungsbild sei unverändert zu den Vorbefunden aus dem Jahre 2006. Im Vordergrund stehe eine gravierende Selbstüberschätzung. Die Leistungsfähigkeit des Klägers sei stabil auf sehr niedrigem Niveau; eine Besserung des so seit 2007 bestehenden Leistungsvermögens sei unwahrscheinlich Die Leistungsminderung sei voraussichtlich von Dauer. Leichte Arbeiten könnten im Wechsel zweistündig bis unter halbschichtig ausgeübt werden. Eine Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei keinesfalls gegeben.

Das SG hat ein nervenfachärztliches Gutachten von Prof. Dr. med. Beuche, Chefarzt der Klinik für Neurologie im Klinikum Sankt Georg gGmbH in L., vom 20. Februar 2015 eingeholt, das nach einer Untersuchung des Klägers am 23. Januar 2015 erstellt worden ist. Psychopathologisch sei der Kläger im Verhalten mitteilsam, jovial, bagatellisierend ohne Krankheitseinsicht oder Problembewusstsein. Er sei regelrecht orientiert; im Verhalten hätten sich keine Gedächtnisstörungen gezeigt. Die Auffassung erscheine bei niedrigem Bildungs- und Ausbildungsniveau begrenzt. Der Kläger bleibe zwar stets versammelt dabei, erzähle aber häufig immer wiederkehrend aus seinem Lebensalltag gleichartige Geschichten. Der Gedankengang sei nicht von Ich-Störungen oder psychotischen Gedankeninhalten beeinträchtigt. Formal sei das Denken geordnet, wobei durch das Bemühen, möglichst normal und beherrscht zu erscheinen, eine gewisse Dissimulation anzunehmen sei. In der Emotion sei er eher heiter, ohne Problembewusstsein, er bagatellisiere Schwierigkeiten und verneine, Probleme zu haben. Dabei sei er mitschwingungsfähig und jederzeit führbar. Zu den Krankheiten und Behinderungen führte der Gutachter aus, anamnestisch bestehe ein langjähriger Alkoholabusus, Schädel-Hirn-Trauma mit links temporaler Hirnkontusion. Möglich, aber nicht gesichert sei eine symptomatische Epilepsie. Es bestehe eine psychische Verhaltensstörung bei langjährigem Alkoholabusus, eine kombinierte Persönlichkeitsstörung sei möglich. Zur Auswirkung der Diagnosen auf das Leistungsvermögen hat der Gutachter ausgeführt, der Kläger sei in der Lage, einfach strukturierte Arbeiten in einem für ihn positiven menschlichen Umfeld, das ihn schätze und lobe, regelmäßig tätig zu sein. Der Kläger vermittele von sich selbst ein positives Leistungsbild. Inwieweit seine Angaben valide seien und wie das Leistungsvermögen von den Arbeitgebern eingeschätzt werde, müsse – mangels Befundunterlagen in der Gerichtsakte – offenbleiben. Es sei nach den Angaben des Klägers davon auszugehen, dass er für einfache Tätigkeiten regelmäßig Leistungen erbringen könne. Körperlich seien keine besonderen Einschränkungen gegeben; er sei für leichte und mittelschwere Arbeiten genügend kräftig. Zur Frage, ob das zeitliche Leistungsvermögen im Erwerbsleben eingeschränkt sei hat der Gutachter ausgeführt, der Kläger verbringe nach eigenen Angaben die meiste Zeit außerhalb seiner Wohnung, weil er sich sonst langweile. Er halte sich auch bei seiner Nebenbeschäftigung länger auf und sei immer bereit, Aufträge zu übernehme. Das mache er auch dann, wenn er dafür nicht direkt entlohnt werde. Hieraus sei zu schließen, dass er zumindest für leichte Tätigkeiten ein vollschichtiges Leistungsvermögen habe. Auf die Frage, ob der Kläger unter den sog. üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne, hat der Gutachter geantwortet: "Bei der Voraussetzung eines wohlwollenden Arbeitsplatzklimas und rücksichtsvoller Kollegen wäre der Kläger unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts in der Lage, drei Stunden täglich, z.B. in einem Hausmeister-Service, erwerbstätig zu sein." Zur Frage, ab wann dieses Leistungsvermögen bestehe, hat der Gutachter angegeben, dazu ergäben sich keine Erkenntnisse aus der Gerichtsakte. Da Dr. H. vermerkt habe, dass sich das Befinden des Klägers seit 2007 relativ stabilisiert habe, gehe er davon aus, dass der aktuelle Stand des Leistungsvermögens bereits seit 2008 gegeben gewesen sei.

Zur Begutachtung hatte der Kläger dem Gutachter einen u.a. von Dr. med. G. Jungbluth-Strube als Oberärztin unterzeichneten Befundbericht der Salus gGmbH, Fachklinikum B., vom 13. April 2007 über eine wiederholte Einweisung zur stationären Entgiftung des Klägers in der Suchtklinik des Fachkrankenhauses B. im Zeitraum vom 29. Januar bis zum 9. Februar 2007 überreicht, in der die Diagnosen

Alkoholabhängigkeit,

Gamma-Trink-Typ nach Jellinek in der chronischen Trinkphase, F 10.2

Alkoholintoxikation, F 10.0

Persönlichkeitsstörung, F 60.8

Z.n. Schädel-Hirn-Trauma mit intracerebraler Blutung links temporal

Z.n. Splenektomie, Z 92.4 und

Wernicke-Aphasie , R 47.0 aufgeführt sind.

Auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juli 2015 hat das SG den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab dem 1. Februar 2015 SGB II-Leistungen zu gewähren, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beweiserhebung habe ergeben, dass der Kläger jedenfalls seit dem 23. Januar 2015, dem Tag der Untersuchung durch den gerichtlichen Sachverständigen erwerbsfähig sei. Dieser habe im Gutachten hinreichend nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass der Kläger unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Soweit der Sachverständige in diesem Zusammenhang die Voraussetzungen eines wohlwollenden Arbeitsklimas und rücksichtsvoller Kollegen benenne, bedeute dies keine Einschränkung der sog. üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Für den Zeitraum vor der Untersuchung könne die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht beurteilt werden. Zwar habe der Sachverständige ausgeführt, das aktuelle Leistungsvermögen bestehe möglicherweise bereits seit 2008. Dem stehe jedoch das Ergebnis der durch die DRV veranlassten Begutachtung durch die Fachärztin für Psychiatrie/Suchtmedizin Dr. J. vom 5. September 2011 entgegen. Sie habe die Leistungsdefizite des Klägers überzeugend mit dem bestehenden hirnorganischen Psychosyndrom (HOPS) begründet. Mit deren Einschätzung habe sich der gerichtlich bestellte Gutachter nicht auseinandergesetzt. Auch unter Berücksichtigung der Einschätzung des behandelnden Neurologen und Psychiater D ... H. blieben erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger bereits in der Vergangenheit regelmäßig für mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit habe nachgehen können. Wahrscheinlich sei im Verlauf der Jahre zwischen 2011 und 2015 eine Besserung des Leistungsvermögens eingetreten. Ein konkreter Zeitpunkt könne nicht ermittelt werden. Daher sei der Beklagte ab Februar 2015 zur Leistungserbringung nach dem SGB II zu verurteilen.

Gegen das ihm am 24. Juli 2015 zugestellt Urteil hat der Kläger am 7. August 2015 Berufung eingelegt und eine Leistungsgewährung nach dem SGB II bereits ab Mai 2011 geltend gemacht. Zur Begründung hat er ausgeführt, das von der DRV eingeholte Gutachten der Dr. J. sei nicht zu verwerten. Eine körperliche Untersuchung sei nicht erfolgt und die Begutachtung habe nur 20 Minuten gedauert. In deren Verlauf sei es zum Streit zwischen ihm und der Gutachterin gekommen und die Begutachtung abgebrochen worden. Das Gutachten sei nicht aussagekräftig. Daher müsse man entscheidend auf die Einschätzung des behandelnden Neurologen und Psychiater Dr. H. abstellen. Während des früheren SGB II-Leistungsbezugs habe der Beklagte keine Zweifel an der Erwerbsfähigkeit gehabt und der Kläger noch im August 2009 einen Vermittlungsvorschlag übersandt. Die Betreuung sei bereits im Jahr 2009 aufgehoben worden. Schließlich habe das SG bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass er seit dem Jahr 2010 ununterbrochen gearbeitet habe – zunächst als Hausmeister beim Sportverein. Ab April 2012 sei er als Aushilfe beim Hausmeisterservice Roland und ab April 2013 bei dem Taxiunternehmen Sturm als Helfer/Haushaltshilfe beschäftigt gewesen.

Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. med. Ehrhardt (Allgemeinmedizin) und Dr. H. (Neurologie/Psychiatrie) eingeholt sowie beim Amtsgericht K. die Akte des Betreuungsverfahrens sowie Verwaltungsvorgänge der DRV und des Landkreises Anhalt-B. (Sozialamt) beigezogen.

Dr. med. Hölemann hat unter dem 3. Dezember 2015 mitgeteilt, er habe den Kläger zuletzt am 3. Dezember 2015 gesehen. Dieser habe keine relevanten Beschwerden geäußert. Sein Befinden sei subjektiv gut. Nach den erhobenen psychischen Befunden sei er bewusstseinsklar, voll orientiert, angepasst und kooperativ. Es bestünde blande hirnorganische Auffälligkeiten, aber keine psychotischen Symptome. An Diagnosen hat er chronischen Alkoholismus (abstinent), eine symptomatische Epilepsie sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung benannt. Die letzte stationäre Behandlung in der Neurologie sei im April 2014 (nach einem Schlaganfall) erfolgt. Der Kläger sei seit 2009 gesundheitlich stabil. Er halte an seiner bisherigen Einschätzung fest; der Kläger sei weiterhin arbeitsfähig. Unterlagen aus dem Zeitraum von 2011 bis 2015 lägen ihm nicht vor – mit Ausnahme einer beigefügten vorläufigen Epikrise des Städtischen Klinikum D., Klinik für Neurologie, vom 2. Mai 2014 über eine stationäre Behandlung des Klägers im Zeitraum vom 29. April bis zum 2. Mai 2014, in der folgende Diagnosen genannt werden:

subakuter Posteriorinfarkt rechts, Quadrantenanopsie nach oben links

Z.n. ICB links 2005

bekannte Epilepsie

Nikotinabusus

Die Allgemeinmedizinerin Dr. med. Barbara Ehrhardt hat unter dem 23. Dezember 2015 mitgeteilt, sie habe den Kläger im Zeitraum von 2011 bis 2015 behandelt und folgende Diagnosen gestellt:

Epilepsie

Zustand nach Milzentfernung

Zustand nach chronischem Alkoholmissbrauch

spezifische Persönlichkeitsstörungen

rezeptive Sprachstörung

hirnorganisches Psychosyndrom

Zustand nach Hirninfarkt rechts mit Quadrantenanopsie nach oben links

Zustand nach ICB links 2005

Vitamin B 12-Mangel

Coxarthrose links, Hüftkopfnekrose links

Die Befunde hätten sich seit 2011 nicht wesentlich verändert. Der Hirninfarkt habe zu einer vorübergehenden Beeinträchtigung, vordergründig Sehstörungen, geführt. Zusätzlich bestünden Knie- und Hüftprobleme. Der Kläger gebe keine Beschwerden an. Zur Erwerbsfähigkeit hat sie ausgeführt, aus hausärztlicher Sicht habe sich das Krankheitsbild seit 2011 nicht geändert. Der Kläger wolle gerne arbeiten und "sich nützlich machen". Dabei seien ihm aufgrund seiner Belastbarkeit Grenzen gesetzt. Die geistigen Fähigkeiten seien aufgrund der Vorerkrankungen deutlich reduziert; auch fehle die Krankheitseinsicht. Schwere körperliche Arbeiten seien ihm nicht zuzumuten. Aus hausärztlicher Sicht sei nicht von einer vollen Erwerbsfähigkeit auszugehen.

Aus der beigezogenen Betreuungsakte des Amtsgerichts K. (Az.: 10 XVII 61/05) ergibt sich ein Antrag auf Einrichtung einer Betreuung aus dem Juni 2005 vom Städtischen Klinikum D., in das der Kläger mit den Diagnosen u.a. schweres SHT, chronischer Alkoholabusus, Z.n. Delirium tremens und alkoholindizierte Enzephalopathie aufgenommen worden war. Der Patient sei verwirrt und es hätten keine Angehörigen ermittelt werden können. Eine Betreuerbestellung sei zur Klärung einer Reha sowie sonstiger sozialer Belange erforderlich. Vom neurologischen Rehabilitationszentrum L. wurde am 20. Juli 2005 ein neurologisches Gutachten erstellt, in dem folgende Diagnosen genannt werden:

Schädelhirntrauma III. Grades mit intracerebraler Blutung links temporal mit osteoplatischer Trepanation und Hämatomausräumung, aktuell: Wernicke Aphasie und Sprechapraxie

.

4. chronischer Alkoholabusus mit Delir und alkoholtoxischer Encephalopathie

5. Zustand nach Splenektomie mit Thrombozytose

6. Verdacht auf Trochlearisparese links mit Doppelbildsehen

Aufgrund der Beeinträchtigungen sei eine unterstützende Betreuung für die Bereiche Vermögenssorge, Behördenangelegenheiten und Wohnungsangelegenheiten angezeigt. Zwar seien aktuell die Beschwerden leicht rückläufig, jedoch werde aufgrund der Schwere der Erkrankung eine Betreuung für mindestens ein halbes Jahr notwendig. Im Anschluss solle abhängig von der nebenbefundlich bestehenden Alkoholerkrankung eine erneute Begutachtung erfolgen. Mit Beschluss vom 22.Juli 2005 wurde eine vorläufige Betreuerbestellung bis zum 22. Januar 2006 angeordnet.

Ein psychiatrisches Gutachten vom 29. November 2005 des Assistenzarztes für Psychiatrie Reimann aus L. gelangte bei der maßgeblichen Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms bei Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma mit vor allem motorischer Aphasie und Alkoholabhängigkeit zu der Einschätzung, der Kläger sei weiterhin nicht in der Lage, die Angelegenheiten seines Lebens selbst zu bewältigen. Mit Beschluss vom 21. März 2006 wurde eine Fortsetzung der Betreuung angeordnet.

Unter dem 27. Januar 2009 erstellte derselbe Assistenzarzt für Psychiatrie, nunmehr Sankt Josef-Krankenhaus Dessau, Psychiatrische Klinik, ein erneutes Gutachten in der Betreuungssache, das mit den Diagnosen leichtes hirnorganisches Psychosyndrom bei Zustand nach SHT mit leichter motorischer Aphasie sowie Alkoholabhängigkeit in der abstinenten Phase zu dem Ergebnis gelangte, eine Fortführung der Betreuung sei derzeit nicht erforderlich. Mit Beschluss vom 27. Februar 2009 hob das Amtsgericht K. die Betreuung auf.

In der medizinischen Beiakte der Versichertenakte der DRV ist im ersten Bericht des Kreiskrankenhauses K., Innere Abteilung, vom 24. Mai 1994 die Diagnose chronischer Alkoholabusus mit epileptischem Anfallsäquivalent benannt. Nach Mitbehandlung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. Gerald Hölemann habe ein cerebrales Anfallsleiden nicht gesichert, aber auch nicht ausgeschlossen werden können. Im August 1999 erfolgte im Kreiskrankhaus K. eine neuntägige stationäre Behandlung zur Krisenintervention bei chronischem Alkoholabusus. Unter dem 15. Februar 2000 berichtete die Salus gGmbH Fachkrankenhaus B. über eine stationäre Behandlung des Klägers in der Suchtklinik im Zeitraum vom 13. September 1999 bis zum 16. November 1999 mit den Diagnosen: Alkoholabhängigkeitssyndrom und ängstlich, vermeidende Persönlichkeitsstörungen. Der Kläger sei seit 1996 sechs mal zur stationären Entgiftung in der Suchtklinik aufgenommen worden. Eine weitere stationäre Behandlung in der Suchtklinik des Fachkrankenhauses B. erfolgte im Dezember 2000 mit den Diagnosen chronischer Alkoholismus, Delta-Trink-Typ in der chronischen Phase sowie alkoholtoxischer Leberparenchymschaden. Im März 2001 erfolgte wieder eine Entgiftung im Fachkrankenhaus B ... Es wurden als Diagnosen eine Alkoholabhängigkeit vom Gamma-Trink-Typ in der chronischen Phase auf der Basis einer schwer gestörten Persönlichkeitsentwicklung sowie ein alkoholtoxisches PNP-Syndrom genannt. Im Juli 2001 erfolgte dort eine erneute Entgiftung mit den bekannten Diagnosen. Im Januar 2002 war der Kläger für einen Tag erneut in der Suchtklinik des Fachkrankenhauses B. in stationärer Behandlung (BAK bei Aufnahme: 3,7 ‰). Im März 2005 war der Kläger im Kreiskrankenhaus K. in stationärer Behandlung nach notärztlicher Einweisung wegen eines epileptischen Anfalls, der vermutlich auf ein Alkoholentzugssyndrom zurückzuführen war.

Nach einer intracerebralen Blutung links temporal am 9. Juni 2005 wurde der Kläger in K. und in der Neurochirurgie des Klinikums Dessau behandelt (Trepanation und Ausräumung der Blutung). Im Zeitraum vom 29. Juni bis zum 14. Juli 2005 erfolgte eine stationäre neurologische Rehabilitationsbehandlung in L.-Bennwitz. Im Reha-Entlassungsbericht werden die Diagnosen: "diffuse Hirnkontusionen mit intracerebraler Blutung links temporal, mit Wernicke Aphasie" sowie Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Schädlicher Gebrauch genannt. Im neuropsychologischen Bericht wird ausgeführt, der Kläger habe leichte Orientierungsschwierigkeiten im Gebäude gehabt. Sein Kommunikationsverhalten sei durch ausgeprägte phonematische und semantische Paraphasien deutlich beeinträchtigt. Defizite im Sprachverständnis seien deutlich geworden. Im Verhalten sei er zunächst unflexibel; er reagiere auf Änderungen im Tagesablauf impulsiv gereizt. Er könne sich gut ca. 45 Minuten auf relevante Aufgabenaspekte konzentrieren und sei in relativ reizarmer Umgebung nicht wesentlich ablenkbar. Bei Entlassung hätten sich die Aufmerksamkeitsbefunde nicht wesentlich geändert; er sei damit in der Lage, den Anforderungen des häuslichen Alltags gerecht zu werden. Einschränkungen bestünden bei komplexen Aufmerksamkeitsanforderungen und bei der nonverbalen Lernfähigkeit. Spontansprachlich dominierten weiterhin Paraphasien und Neologismen sowie eine erhöhte Sprechanstrengung. Er könne jedoch seine Anliegen adäquat äußern. Die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit sei derzeit nicht möglich. Sprachliche Schwierigkeiten verhinderten eine bei der Arbeit notwendige adäquate Kommunikation. Es sei jedoch denkbar, dass sich im weiteren Verlauf Verbesserungen zeigten und eine alternative Berufstätigkeit möglich werden könnte. Dabei solle es dann um einfache, klar strukturierte (eher handwerkliche) Tätigkeiten mit hohem Routineanteil gehen – möglicherweise mit längerer Einarbeitungszeit und flexiblen Pausenzeiten. Die Aufmerksamkeitsleistungen entsprächen nicht den Mindestanforderungen an die psychische Leistungsfähigkeit für Kraftfahrer im Straßenverkehr. Wegen der Sprach-, Kommunikations- und Gedächtnisstörung könne der Kläger innerhalb der nächsten sechs Monate nicht in der letzten sozialmedizinisch relevanten Tätigkeit als Landschaftsgärtnergehilfe tätig sein. Seine berufliche Leistungsfähigkeit in dieser Tätigkeit werde auf unter drei Stunden täglich eingeschätzt. Der Kläger selbst schätze seine Leistungsfähigkeit besser ein. Im Verlauf des Jahres 2007 erfolgte sieben stationäre Aufenthalte zur Entgiftung in der Suchtklinik des Fachkrankenhauses B. (zuletzt im November 2007).

Im Februar 2008 stellte der Kläger einen Rentenantrag wegen Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeit. Dazu berichtete die Hausärztin Dr. med. Barbara Ehrhardt unter den 28. Februar 2008, aktuelle Beschwerden bestünden in der Sprachstörung und Kopfschmerzen. Der Kläger sei jetzt seit vier Monaten alkoholfrei, aber nur eingeschränkt belastbar. Er könne einfache körperliche Tätigkeiten verrichten, es seien aber keine Ausdauerleistungen möglich. Es habe Probleme beim Lesen und Schreiben.

Unter dem 9. Juni 2008 fertigte die Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie PD Dr. Dr. S. (Köthen) im Auftrag der DRV ein nervenärztliches Gutachten nach einer Untersuchung des Klägers am 3. Juni 2008. Auf Befragen habe der Kläger keine Beschwerden nennen wollen. Er wolle unbedingt einer Arbeit nachgehen und spreche ohne Punkt und Komma. Psychisch sei er bewusstseinsklar, zeitlich, örtlich und zur Person ausreichend orientiert. Eine depressive Symptomatik bzw. inhaltliche oder formale Denkstörungen seien nicht erfassbar. Auffällig seien eine Logorrhoe und gelegentliche Wortfindungsstörungen. Es bestehe ein hirnorganisches Psychosyndrom auf der Basis eines chronischen Alkoholmissbrauches und ein SHT III. Grades. Im Verlauf der Leistungsdiagnostik habe sich der Kläger plötzlich geweigert, die Testfragebögen zu bearbeiten, sei aufgestanden und gegangen. Zusammenfassend stellte die Gutachterin fest, dass es sich um einen chronischen Alkoholmissbrauch (seit fünf Monaten abstinent), ein hirnorganisches Psychosyndrom mit Hirnleistungsstörungen bei Zustand SHT III. Grades und intrazerebraler Blutung links temporal, eine alkoholtoxische Enzephalopathie, ein Zustand nach Splenektomie sowie ein sensibles lumbales Neuropathie-Syndrom (alkoholtoxisch) handle. Aufgrund des ausgeprägten hirnorganischen Psychosyndroms bestehe eine deutliche Hirnleistungsminderung mit eingeschränkter Kritik- und Urteilsfähigkeit bei Selbstüberschätzung. Erschwerend komme der jahrzehntelange Alkoholmissbrauch hinzu, der zu einer alkoholtoxisch bedingten Enzephalopathie geführt habe. Bei bisherigen Arbeitsversuchen sei der Kläger an fehlender Ausdauer, mangelnder Konzentration und Belastbarkeit gescheitert. Er sei bedingt durch den Alkoholmissbrauch mit sekundären Folgeschäden weder qualitativ noch quantitativ den Anforderungen auf dem freien Arbeitsmarkt gewachsen. Er sei erwerbsunfähig und könne lediglich in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) integriert werden. In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung schätzte die Gutachterin ein, leichte Arbeiten könnten im Wechsel unter zwei Stunden täglich ausgeübt werden. Eine Tätigkeit als Dachdecker sei nicht möglich. Eine Besserung sei unwahrscheinlich. Es sei von einer Dauer der Leistungsminderung von nicht weniger als drei Jahren auszugehen. Leistungen zu medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben seien nicht vorzuschlagen.

Der Prüfärztliche Dienst der DRV bestätigte die Einschätzung, der Kläger sei unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht einsetzbar, und vermerkte ergänzend, bei weiterer Abstinenz sei eine Integration in eine WfbM zu erwägen. Mit Bescheid vom 26. September 2008 lehnte die DRV den Rentenantrag ab. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lägen nicht vor.

Auf das erste Ersuchen nach § 45 SGB XII des Landkreis Anhalt-B. vom 3. November 2009 stellte die DRV unter dem 11. November 2009 fest, der Kläger sei – zumindest seit dem 9. Juni 2005 – unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert und es sei unwahrscheinlich, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne.

Im Rahmen des zweiten Ersuchens nach § 45 SGB XII holte die die DRV im August 2011 beim behandelnden Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. einen Befundbericht ein, der mit den Diagnosen chronischer Alkoholismus, kombinierte Persönlichkeitsstörung, Zustand nach SHT mit intracerebraler Blutung 2005, symptomatische Epilepsie, hirnorganisches Psychosyndrom und den jetzigen Beschwerden "wechselnde Befindlichkeiten, eingeschränkte Leistungsfähigkeit" als von der Norm abweichende klinische Befunde die eingeschränkte Compliance sowie Kritik- und Urteilfähigkeit nennt. Er behandle den Kläger seit 1994. Dieser sei in den letzten zwei Jahren nicht arbeitsunfähig gewesen; Befundänderungen hätten sich in den letzten zwölf Monaten nicht ergeben. Eine Besserung der Leistungsfähigkeit sei nicht möglich.

Zudem erstellte die Fachärztin für Psychiatrie/Suchtmedizin Dr. med. Jungbluth-Strube (B.) im September 2011 für die DRV ein psychiatrisches Gutachten, das bereits das SG beigezogen hatte (vgl. Seite 4 bis 5 des Tatbestands). Der Prüfärztliche Dienst der DRV bestätigte die Einschätzung, die bereits 2008 getroffenen Feststellungen würden weiterhin gelten. Unter dem 22. September 2011 teilte die DRV dem Landkreis Anhalt-B. auf das neuerliche Ersuchen vom 30. Juni 2011 mit, der Kläger sei (weiterhin) seit dem 9. Juni 2005 unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 2 SGB VI, und es sei unwahrscheinlich, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne.

Aus dem Verwaltungsvorgang des Sozialhilfeträgers ergeben sich folgende Nebentätigkeiten des Klägers:

Sportverein Köthen e.V.: 02.2010 bis 02.2012 monatlich 100 EUR,

Hausmeisterservice Krätsch: 04.2012 bis 12.2012 monatlich 90 EUR

Taxi Sturm: 04.2013 bis 06.2015, monatlich 50 EUR

Im Erörterungstermin am 24. Februar 2016 hat der Kläger erklärt, er sei seit Mai 2008 durchgehend erwerbstätig. Beim Sportverein sei er zunächst im Rahmen eines Ein-Euro-Jobs beschäftigt gewesen. Nach dem Ende der Arbeitsgelegenheit habe er beim Verein eine geringfügige Beschäftigung aufgenommen. Seine Bemühungen, für den erheblichen zeitlichen Aufwand eine bessere Bezahlung oder ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu erreichen, seien gescheitert. Es gehe ihm im Berufungsverfahren darum, "sein Geld zurückzubekommen". Bei der Sozialhilfe werde das Nebeneinkommen fast vollständig auf den Bedarf angerechnet, im SGB II seien 100 EUR anrechnungsfrei. Dies sei sein Geld, das er vom Beklagten zurückhaben wolle.

Zur weiteren Begründung der Berufung hat der Kläger ausführen lassen, bereits aus dem psychiatrischen Gutachten vom 27. Januar 2009 (in der Betreuungssache) ergebe sich nur noch ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom und Alkoholabhängigkeit in der abstinenten Phase. Das Gutachten von Dr. med. Jungbluth-Strube für die DRV sei nicht verwertbar. Diese kenne den Kläger aus vorangegangenen stationären Aufenthalten zur Entgiftung im Fachkrankenhaus B. und sei ihm gegenüber voreingenommen. Sie komme fehlerhaft zu dem Schluss, dass ein deutliches hirnorganisches Psychosyndrom im Vordergrund stehe und die Befunde seit dem Jahr 2006 insgesamt unverändert seien. Damals sei er noch wenig krankheitseinsichtig und verhaltensauffällig gewesen. Aufgrund der weitgehenden Einkommensanrechnung nach dem SGB XII seien ihm im Zeitraum von Mai 2011 bis Januar 2015 ca. 1.681 EUR vorenthalten worden.

Unter dem 3. Juli 2019 hat die Berichterstatterin darauf hingewiesen, dass der Kläger im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X beweisbelastet sei für die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheids vom 9. Juni 2011. Aus den Akten ergebe sich außer der Angabe des behandelnden Neurologen kein Anhalt für eine vor dem 23. Januar 2015 eingetretene Erwerbsfähigkeit. Da nach Angaben des behandelnden Neurologen zum streitigen Zeitraum 2011 bis 2015 keine weiteren Behandlungsunterlagen vorlägen, ergebe sich kein Ansatz für weitere Ermittlungen von Amts wegen.

Zuletzt hat der Kläger ausgeführt, der Ablehnungsbescheid des Beklagten aus dem Juni 2011 sei rechtswidrig, weil er auf unzureichende medizinische Unterlagen gestützt sei. Die Einschätzung der DRV vom 11. November 2009 sei rechtswidrig, da sie nicht auf nachvollziehbaren medizinischen Grundlagen beruhe. Das Gutachten von Dr. J. aus dem September 2011 sei zu beanstanden und daher unverwertbar. Maßgeblich sei, dass der behandelnde Neurologe und Psychiater in den Jahren 2011, 2013 und 2015 die Erwerbsfähigkeit des Klägers bestätigt habe. Zudem sei der Kläger seit Mai 2009 durchgehend erwerbstätig und habe regelmäßig mehr als drei Stunden täglich gearbeitet. Nach der Rechtsprechung habe der Umstand, dass jemand trotz medizinisch festgestellter Erwerbsunfähigkeit einer Tätigkeit konkret nachgehe, einen stärkeren Beweiswert als entgegenstehende Gutachten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 15. Juli 2015 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 6. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 2012 zu verpflichten, seinen Bescheid vom 9. Juni 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2011 abzuändern und dem Kläger auch für den Zeitraum vom 1. Mai 2011 bis zum 31. Januar 2015 Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er weist darauf hin, dass er gemäß § 44a Abs. 1a Satz 2 SGB II an die Entscheidung der DRV gebunden sei. Er könne keine abweichende Feststellung zur Erwerbsfähigkeit zu treffen. Der Überprüfungsantrag sei abzulehnen gewesen, weil keine neuen Tatsachen angegeben worden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, des Sozialamts des Landkreises Anhalt-B. sowie die Versichertenakte der DRV und die Gerichtsakte des Betreuungsverfahrens beim Amtsgericht K. Az.: 10 XVII 61/05 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung des Senats ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden und zulässig. Die Beschwerdewertgrenze für eine zulassungsfreie Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG von 750 EUR ist überschritten. Denn bei einem Erfolg des Begehrens des Klägers beliefen sich die für den streitigen Zeitraum nachzuzahlenden SGB II-Leistungen auf einen Gesamtbetrag von rund 1.000 EUR, die sich aus den abweichenden Regelungen zur Einkommensbereinigung ergeben.

Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Er hat in dem im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Zeitraum von Mai 2011 bis Januar 2015 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Insoweit sind die angegriffenen Bescheide des Beklagten im Ergebnis rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht im Sinne der §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Streitgegenständlich ist nach dem Urteil des SG, das den Beklagten rechtskräftig zur Leistungsgewährung nach dem SGB II an den Kläger ab dem 1. Februar 2015 verurteilt hat, noch der Zeitraum nach seiner Leistungsantragstellung am 30. Mai 2011. Insoweit wirkt der Leistungsantrag gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl. I 453) auf den Ersten des Monats zurück. Dementsprechend hat der Beklagte mit dem bestandskräftigen Bescheid vom 9. Juni 2011 die Bewilligung von SGB II-Leistungen ab dem 1. Mai 2011 abgelehnt. Daher ist im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X ein Anspruch auf SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1. Mai 2011 bis zum 31. Januar 2015 streitig.

Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 2014, B 4 AS 22/13 R, juris). Der Kläger begehrt mit der Anfechtungsklage die Aufhebung des – die Überprüfung des Bescheids vom 9. Juni 2011 ablehnenden – Verwaltungsakts vom 6. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2012. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids gerichtet, mit dem der Beklagte den Bescheid vom 9. Juni 2011 aufhebt und Leistungen nach dem SGB II gewährt. Mit der Leistungsklage wird die Erbringung höherer Leistungen nach dem SGB II – anstelle der bewilligten und zugeflossenen Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII im streitigen Zeitraum – geltend gemacht.

Indes liegen für den hier noch streitigen Zeitraum vom 1. Mai 2011 bis zum 31. Januar 2015 die Voraussetzungen für eine Änderung der Leistungsablehnung im Überprüfungsverfahren nicht vor. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Da hier eine Sachprüfung nicht schon aus Fristgründen oder mangels ausreichender Substantiiertheit des Überprüfungsantrags ausscheidet, erstreckt sich jedenfalls bei Anträgen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 SGB X ("das Recht richtig angewandt") diese auf die Rechtmäßigkeit der zu Überprüfung gestellten Verfügungssätze unter jedem in Betracht kommenden Gesichtspunkt. Ob wegen unrichtiger Rechtsanwendung Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, beurteilt sich nach Übereinstimmung der zuerkannten Leistungen der objektiven Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsakts.

Vorliegend lässt sich im Überprüfungsverfahren die Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Leistungsablehnung nicht feststellen. Denn es gibt für den hier streitgegenständlichen Zeitraum von Mai 2011 bis Januar 2015 keine aussagekräftigen Befundunterlagen zum Gesundheitszustand bzw. damaligen Leistungsvermögen des Klägers. Dies wirkt sich vorliegend nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers aus. Denn im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens trägt er die Beweislast dafür, dass sich ein Sachverhalt als unrichtig erwiesen hat, weil maßgebende Norm für die Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreits – anders als im Ausgangsverwaltungsverfahren, in dem der Beklagte den Leistungsantrag nach dem SGB II des Klägers bestandskräftig abgelehnt hat – § 44 Abs. 1 SGB X ist (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2002, B 11 AL 3/02 R, juris 1. Orientierungssatz, RN 17). Es geht daher zu Lasten des Klägers, wenn das Vorliegen eines maßgeblichen Tatbestandsmerkmals (hier: Erwerbsfähigkeit) durch das Gericht nicht festgestellt werden kann (vgl. auch Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 44 RN 12).

Denn der Kläger kann nur dann für den streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf SGB II-Leistungen haben, wenn er dem Grunde nach leistungsberechtigt ist. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a (SGB II) noch nicht erreicht haben,

erwerbsfähig sind,

hilfebedürftig sind und

ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Im streitigen Zeitraum ist der 1964 geborene Kläger im passenden Alter, hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und ist hilfebedürftig. Indes lässt sich nicht feststellen, dass er im streitigen Zeitraum auch erwerbsfähig war. Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wenn nicht wegen Krankheit und Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Die Erwerbsfähigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum (Mai 2011 bis Januar 2015) lässt sich vorliegend nicht zu Überzeugung des Senats feststellen. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Feststellungen der DRV vom 11. November 2009 und 22. September 2011, die jeweils auf Ersuchen nach § 45 SGB XII durch den zuständigen Sozialhilfeträger erstellt wurden und die für den Beklagten verbindlich sind, fehlerhaft oder rechtswidrig sind. Nach beiden Ersuchen hat die DRV auf der Grundlage von Sachverständigengutachten und nach eigener Prüfung des Leistungsvermögens des Klägers unter Einbeziehung der vorliegenden Befundunterlagen im Ergebnis festgestellt, dass dieser unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) ist und es unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Zudem hat sie eingeschätzt, dass die volle Erwerbsminderung (zumindest) bereits seit dem 9. Juni 2005 besteht. Diese Einschätzungen sind plausibel, nachvollziehbar und überzeugend (vgl. nachfolgend 1.). Zudem ergibt sich aus der Gesamtheit der dem Senat zur Verfügung stehenden medizinischen Unterlagen weder ein greifbarer Anhaltspunkt dafür, dass die Einschätzungen in den Jahren 2009 und 2011 fehlerhaft waren (vgl. nachfolgend 2.) noch dafür, dass sich seit der letzten Feststellung im September 2011 bis zum Ende des streitigen Zeitraums (31. Januar 2015) der Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen des Klägers maßgeblich derart geändert haben, dass eine Erwerbsfähigkeit wieder festgestellt werden kann (vgl. nachfolgend 3.).

1. Nach den vorliegenden Befundunterlagen ist zweifellos seit der im Juni 2005 erlittenen intracerebaralen Blutung nach einem SHT von der Erwerbsunfähigkeit des Klägers auszugehen. Zusammen mit der bereits seit 2001 diagnostizierten Alkoholabhängigkeit vom Gamma-Trink-Typ in der chronischen Phase mit einer schwer gestörten Persönlichkeitsentwicklung sowie den Folgeerkrankungen (epileptischem Anfallsäquivalent, chronischer Leberparenchymschaden, alkoholtoxisches Polyneuropathiesyndrom, Wernicke-Aphasie sowie einer Sprechapraxie) war auch nach der einmonatigen stationären Rehabilitation von einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich auszugehen. Insoweit wird auf die Ausführungen im Reha-Entlassungsbericht verwiesen, der die Einschränkungen für die berufliche Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in den Bereichen geistig/psychische Belastbarkeit, sprachliche Schwierigkeiten und bei (komplexen) Aufmerksamkeitsanforderungen deutlich ausweist und einschätzt, der Kläger werde innerhalb der nächsten sechs Monate voraussichtlich eine berufliche Leistungsfähigkeit von mehr als drei Stunden täglich nicht erreichen. Es sei denkbar, dass sich im Verlauf weitere Verbesserungen zeigten. Der Kläger selbst schätze seine Leistungsfähigkeit besser ein.

Im Zusammenhang mit diesem stationären Aufenthalt wurde auch vom Amtsgericht K. erstmalig am 22. Juli 2005 (zunächst für sechs Monate) eine Betreuung eingerichtet. Dieser Entscheidung lag ein neurologisches Gutachten vom 20. Juli 2005 zugrunde, wonach angesichts der psychischen Erkrankungen sowie der Alkoholerkrankung mit Zustand nach Delirium Tremens und derzeit bestehender alkoholtoxischer Enzephalopathie eine Betreuung des Klägers für die Bereiche Vermögenssorge, Behörden- und Wohnungsangelegenheiten angezeigt sei. Die Betreuung des Klägers wurde nach erneuter Begutachtung im Dezember 2005 bis zum Februar 2009 aufrechterhalten.

Im Ergebnis des nach Rentenantragstellung des Klägers von der DRV eingeholten Gutachtens durch Dr. S. im Juni 2008 war der Kläger weiterhin nicht erwerbsfähig. Zwar war er im Begutachtungszeitpunkt seit sechs Monaten alkoholabstinent, indes gelangte die Gutachterin unter Auswertung der Befunde zu der überzeugenden Einschätzung, dass aufgrund des ausgeprägten hirnorganischen Psychosyndroms bei Zustand nach SHT III. Grades und intracerebraler Blutung eine deutliche Hirnleistungsminderung mit eingeschränkter Kritik- und Urteilsfähigkeit bei Selbstüberschätzung bestehe. Der jahrzehntelange Alkoholmissbrauch habe zu einer alkoholtoxisch bedingten Enzephalopathie geführt. Bisherige Arbeitsversuche seien an fehlender Ausdauer, mangelnder Konzentration und Belastbarkeit gescheitert. Der Kläger sei weder qualitativ noch quantitativ den Anforderungen auf dem freien Arbeitsmarkt gewachsen und daher erwerbsunfähig. Berufliche Tätigkeiten könne er nur in einem zeitlichen Umfang von unter drei Stunden ausüben. Eine Besserung sei unwahrscheinlich. Es sei nicht davon auszugehen, dass die beschriebene Leistungsminderung weniger als drei Jahre andauere. Wie bereits der Reha-Entlassungsbericht im Jahr 2005 wies die Gutachterin im Jahr 2008 darauf hin, dass eine deutliche Diskrepanz zwischen der objektiven Leistungsfähigkeit und der Selbstwahrnehmung und -einschätzung des Klägers bestehe. Die von ihr attestierte dauernde volle Erwerbsminderung seit dem 9. Juni 2005 (Beginn stationärer Aufenthalt nach dem SHT), die sich die DRV zu eigen gemacht hat, ist aus Sicht des Senats zutreffend und nicht zu beanstanden.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit der DRV auf das Ersuchen des Grundsicherungsträgers aus dem November 2009 sei ohne nachvollziehbare medizinische Prüfung oder Grundlage erfolgt, ist dies unzutreffend. Denn der DRV lag das hinreichend aktuelle, aus Anlass des Rentenantrags des Klägers erstellte psychiatrisch-neurologische Gutachten von Frau Dr. S. aus dem Juni 2008 und die Stellungnahme des eigenen prüfärztlichen Dienstes aus dem September 2008 vor. Auf Grundlage dieser Unterlagen konnte die DRV unter Einbeziehung der umfänglich vorliegenden Vorbefunde sachgerecht über die Erwerbsfähigkeit des Klägers entscheiden.

2. Für den nachfolgenden Zeitraum bis zum Ergebnis der erneuten Überprüfung der Erwerbsfähigkeit durch die DRV im September 2011 ergeben sich aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen keine belastbaren Anhaltspunkte oder gar Belege für eine maßgebliche Änderung im Sinne einer wesentlichen Besserung des Gesundheitszustands und des Leistungsvermögens des Klägers. Soweit der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. H. unter dem 16. Juni 2011 attestiert hat, aus nervenärztlicher Sicht sei der Kläger wieder in der Lage, eine vollschichte Erwerbstätigkeit auszuüben, handelt es sich um Parteivorbringen, dem nur ein eingeschränkter Beweiswert zukommt.

Die Richtigkeit dieser Einschätzung wird bestätigt durch die merklich zurückhaltender formulierten Angaben von Dr. H. im Befundbericht vom 16. August 2011 für die DRV: Er bestätigt wechselnde Befindlichkeiten und eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Klägers. Er benennt als von der Norm abweichende klinische Befunde die eingeschränkte Compliance und die Beeinträchtigung der Kritik- und Urteilsfähigkeit. Angaben zu einem bestehenden vollschichtigen Leistungsvermögen oder einer wiedereingetretenen Erwerbsfähigkeit sind im Befundbericht nicht enthalten. Vielmehr erachtet der behandelnde Neurologe eine Besserung der Leistungsfähigkeit als nicht möglich. In den letzten zwölf Monaten (d.h. seit August 2011) habe sich keine Befundänderung ergeben. Soweit er im Befundbericht weiter ausgeführt hat, gesundheitlich sei der Kläger seit dem Jahr 2007 relativ stabilisiert, kann das in der bestätigten Form nicht zutreffen, weil aktenkundig ist, dass der Kläger im Verlauf des Jahres 2007 fünf stationäre Entgiftungen (zuletzt im Oktober 2007) absolvierte und mithin eine Alkoholkarenz frühestens seit November 2007 bestanden haben kann.

Insoweit ergibt sich aus den bis dahin eingeholten medizinischen Befunden kein greifbarer Anhalt für eine signifikante Verbesserung des Gesundheitszustands und/oder des Leistungsvermögens des Klägers im Jahr 2011 im Vergleich zur Vorbegutachtung durch Dr. S. im Juni 2008, die zur Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung führte.

Das nachfolgend durch die DRV eingeholte ärztliche Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie/Suchtmedizin Dr. med. Jungbluth-Strube, das nach ihren Angaben – entgegen den Bekundungen des Klägers – aufgrund einer Untersuchung am 5. September 2011 erstellt worden ist, gelangt im Wesentlichen zum selben Ergebnis wie die Begutachtung im Juni 2008 durch Dr. S ... Die Gutachterin betont im psychopathologischen Befund die deutliche Kritik- und Distanzlosigkeit sowie Stimmungsindolenz bei euphorischer Selbstüberschätzung des Klägers und gelangt zusammenfassend zu der Einschätzung, dass im Vordergrund der bekannten Diagnosen das deutliche hirnorganische Psychosyndrom stehe, das sich trotz Abstinenz nicht zurückgebildet habe. Ein Einsatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei unmöglich. Die Leistungsfähigkeit des Klägers sei stabil, aber auf sehr niedrigem Niveau. Im Vordergrund stehe eine gravierende Selbstüberschätzung. Das Leistungsvermögen liege bei weniger als drei Stunden täglich, eine Besserung sei unwahrscheinlich. Die Leistungsminderung werde voraussichtlich länger als drei Jahre anhalten. Dieser Einschätzung hat sich der ärztliche Prüfdienst der DRV mit Hinweis auf die Vorbegutachtung des Jahres 2008 angeschlossen.

Soweit der Kläger den Ablauf der Begutachtung im September 2011 bei der Gutachterin J. beanstandet, ist dies aus dem Gutachten heraus nicht nachzuvollziehen. Der Kläger hat nicht ausgeführt, welche Untersuchung er für notwendig gehalten hat, die nicht durchgeführt worden ist. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass die Untersuchung nach 20 Minuten abgebrochen worden ist. Soweit der Kläger die Gutachterin für voreingenommen hält, ist dies ebenfalls aus dem Gutachten nicht nachvollziehbar. Es trifft zu, dass die Epikrisen mehrerer Entgiftungsbehandlungen (aus April, Mai und August 2006, Januar 2007) u.a. von der Gutachterin unterschrieben sind, die damals Oberärztin im Fachkrankenhaus B. war. Wahrscheinlich kannte sie den Kläger; dieser Umstand allein ist jedoch kein Hinweis auf eine Voreingenommenheit.

Auf der Grundlage dieser Gutachten sowie der weiteren der DRV vorliegenden Befundunterlagen (seit 1994) ist aus Sicht des Senats für den Zeitpunkt September 2011 die weitere Feststellung einer vollen Erwerbsminderung nicht zu beanstanden. Insoweit weist der Senat besonders darauf hin, dass die zugrundeliegenden ärztlichen Bewertungen von zwei medizinischen Sachverständigen stammen, die auf unbestrittener diagnostische Grundlage übereinstimmend zu der Einschätzung gelangt sind, dass das noch bestehende Leistungsvermögen des Klägers nicht ausreicht, um auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung unzutreffend sein könnte, sind nicht ersichtlich. Der Umstand, dass der der Kläger seine Einsatzfähigkeit anders bewertet, ist demgegenüber nicht relevant, da alle Ärzte – einschließlich des behandelnden Neurologen – eine beeinträchtigte Kritik- und Urteilsfähigkeit im Sinne einer Tendenz zur Selbstüberschätzung bestätigen.

3. Für den weiteren streitgegenständlichen Zeitraum bis zum 31. Januar 2015 hat sich in der Folge während des gerichtlichen Verfahrens kein Hinweis auf eine eingetretene Verbesserung des Gesundheitszustands und des Leistungsvermögens des Klägers ergeben. Im Befundbericht für das SG schätzte Dr. H. im September 2013 – ähnlich wie im ärztlichen Attest im Juni 2011 – erneut ein, der Kläger sei insgesamt gesundheitlich stabilisiert und aus nervenärztlicher Sicht erwerbsfähig.

Demgegenüber ist das vom SG eingeholte nervenärztliche Gutachten des Prof. Dr. med. Beuche vom 20. Februar 2015 für den Senat wenig aussagekräftig bzw. überzeugend. Der Gutachter gelangt – ohne dass ihm Vorbefunde des Klägers vorlagen – nach persönlicher Untersuchung am 23. Januar 2015 zusammenfassend zu der Einschätzung, der Kläger sei in der Lage, einfach strukturierte Arbeiten in "einem für ihn positiv empfundenen menschlichen Umfeld, was ihn auch schätzt und lobt, regelmäßig" zu verrichten". Er hält eine kombinierte Persönlichkeitsstörung für möglich und stellt eine psychische Verhaltensstörung fest. Ausführungen zu Kritik- und Urteilsvermögen des Klägers oder zu dessen Selbstwahrnehmung fehlen. Ergänzend führt er aus, psychopathologisch sei der Kläger "wie viele Personen nach jahrelangem Alkoholabusus bei geistigem Abbau ohne wesentliche Krankheitseinsicht" und "bemüht, eine positive Fassade aufrechtzuerhalten". Gleichwohl übernimmt er im Weiteren die Angaben des Klägers zu seinen Arbeitsverhältnissen ungeprüft und gelangt so zu dem (positiven) Leistungsbild, nach dem der Kläger für einfache Tätigkeiten regelmäßig eingesetzt werden könne.

Zwar weist der Gutachter darauf hin, dass er nicht beurteilen könne, inwieweit die Angaben des Klägers, der von sich selbst ein positives Leistungsbild vermittle, valide seien, zieht daraus aber keine Konsequenzen. Vielmehr deckt der die insoweit bestehende Unkenntnis damit zu, dass den Kläger "unter der Voraussetzung eines wohlwollenden Arbeitsplatzklimas und rücksichtsvoller Kollegen" in der Lage sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes drei Stunden täglich – z.B. in einem Hausmeister-Service – erwerbstätig zu sein. Diese ungeprüfte Übernahme der Angaben des Klägers zu seinem Leistungsvermögen stellt die maßgebliche Schwachstelle des Gutachtens dar, das es aus Sicht des Senats – insbesondere vor dem Hintergrund der von allen Gutachtern einschließlich des behandelnden Neurologen bestätigten Neigung zur Selbstüberschätzung – nur sehr eingeschränkt aussagekräftig und verwertbar erscheinen lässt. Eine eigene Prüfung der Leistungsfähigkeit ist durch den Gutachter nicht erfolgt. Vielmehr legt dieser sodann – ebenfalls ungeprüft – die (wie oben ausgeführt unzutreffende) Angabe des behandelnden Neurologen, das Befinden des Klägers sei seit 2007 relativ stabilisiert, seiner weiteren Bewertung zugrunde und schätzt ein, es sei davon auszugehen, dass der aktuelle Stand des Leistungsvermögens bereits seit 2008 gegeben gewesen sei. Damit sind die beiden maßgeblichen Aussagen des Gutachtens zum aktuellen Leistungsvermögen und dazu, seit wann dieser Leistungsstand besteht, nicht fundiert und im Ergebnis unzutreffend. Denn wie bereits ausgeführt kann es zum einen frühestens nach Ende der letzten stationären Entgiftung, d.h. ab November 2007, zu einer Stabilisierung des gesundheitlichen Befindens des Klägers gekommen sein. Zum anderen schätzen die beiden von der DRV eingeholten Gutachten aus dem Juni 2008 und September 2011 das verbliebene Leistungsvermögen des Klägers fachlich fundiert und überzeugend abweichend ein.

Selbst wenn man mit dem SG von einer Erwerbsfähigkeit des Klägers ab Februar 2015 ausgeht, ergeben sich aus den nachfolgenden Ermittlungen des Senats im Berufungsverfahren keine neuen Erkenntnisse zu einer Besserung des Gesundheitszustands und des Leistungsvermögens des Klägers vor diesem Zeitpunkt.

Im neuerlichen Befundbericht vom 3. Dezember 2015 hat Dr. H. unter Bezugnahme auf seine Einschätzung aus dem Jahr 2013 ausgeführt, der Kläger sei seit 2009 gesundheitlich stabil, es bestünde kein spezifisches Behandlungserfordernis, er sei weiterhin arbeitsfähig. Auf ausdrückliche Frage zur Befundunterlagen aus dem Zeitraum 2011 bis 2015 hat er angegeben, über die mitübersandte Epikrise (vom 2. Mai 2014 zum stationären Aufenthalt im Städtischen Klinikum D. vom 29. April bis zum 2. Mai 2014 nach einem subakuten Posteriorinfarkt rechts) hinaus verfüge er nicht über medizinische Unterlagen.

Im Befundbericht der Hausärztin Dr. med. Ehrhardt vom 23. Dezember 2015 ist ausgeführt, die Befunde hätten sich seit 2011 nicht wesentlich verändert. Der Hirninfarkt habe zu einer vorübergehenden Beeinträchtigung, vordergründig des Sehvermögens, geführt. Zusätzlich bestünden Knie- und Hüftprobleme. Zur Erwerbsfähigkeit hat sie erklärt, es gebe keine Änderung seit 2011. Der Kläger wolle gern arbeiten und sich nützlich machen. Dabei seien ihm Grenzen gesetzt in der Belastbarkeit. Auch seien die geistigen Fähigkeiten aufgrund der Vorerkrankungen deutlich reduziert. Ihm fehle die Krankheitseinsicht. Schwere körperliche Arbeit seien ihm nicht zuzumuten. Aus hausärztlicher Sicht sei nicht einer vollen Erwerbsfähigkeit auszugehen. Aus den von der Hausärztin vorgelegten weiteren Befundunterlagen ergeben sich keine Erkenntnisse zu einer Veränderung des Leistungsvermögens.

Angesichts dieser Sachlage des Fehlens von ärztlichen Befundunterlagen aus den Jahren 2012 bis 2015, aus denen sich Feststellungen zum Leistungsvermögen des Klägers ergeben, gibt es auch keinen Ansatz für weitere Ermittlungen des Senats.

Nach alledem ist für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Mai 2011 bis zum 31. Januar 2015 eine Änderung des Leistungsvermögens des Klägers nicht nachgewiesen. Daher kann auch nicht festgestellt werden, dass der im Überprüfungsverfahren angegriffene Ablehnungsbescheid des Beklagten für diesen Zeitraum rechtswidrig war.

Entgegen der Auffassung des Klägers sind allein die Bescheinigungen des behandelnden Neurologen Dr. H. aus den Jahren 2011, 2013 und 2015, die eine Stabilisierung seines Gesundheitszustands und seine Erwerbsfähigkeit attestieren, weder ein Beleg für die Unrichtigkeit der Einschätzung der DRV der bestehenden vollen Erwerbsminderung auf Dauer noch stellen sie eine belastbare, d.h. plausible und nachvollziehbare Einschätzung des tatsächlichen Leistungsvermögens des Klägers dar.

Soweit der Kläger auf seine Tätigkeiten als Hausmeister seit Mai 2009 verweist und geltend macht, durchgängig mehr als drei Stunden täglich beschäftigt gewesen zu sein, kann dies so nicht zutreffen. Es ist richtig, dass der Kläger seit Februar 2010 fast durchgängig – mit nur kurzen Unterbrechungen und zumindest bis Juni 2015 – bei verschiedenen Arbeitgebern geringfügig beschäftigt war. Er erzielte damit monatliche Entgelte in Höhe von 50 EUR, 90 EUR bzw. maximal 100 EUR. Eine regelmäßige werktägliche Arbeitszeit von mindestens drei Stunden kann jedoch nicht festgestellt werden; dazu sind die erzielten Monatsentgelte zu gering. Zudem bezog sich der Arbeitsvertrag beim Hausmeisterservice auf sieben Stunden wöchentlich. Vom Taxi-Unternehmen wurden dem Kläger fünf bis sechs Arbeitsstunden monatlich bestätigt. Für den Senat ist vielmehr ist der Umstand, dass es dem Kläger trotz entsprechender Bemühungen über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren nicht gelungen ist, den Umfang seiner entgeltlichen Beschäftigungen auszubauen, ein Indiz dafür, dass sein Leistungsvermögen in dem festgestellten Umfang tatsächlich eingeschränkt und er damit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht konkurrenzfähig ist.

Nach alledem lässt sich im Berufungsverfahren nicht feststellen, dass der angegriffene Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 9. Juni 2011 in Ansehung des streitigen Zeitraums vom 1. Mai 2011 bis zum 31. Januar 2015 rechtswidrig war, weil ihm eine fehlerhafte Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des Klägers zugrunde lag. Die Berufung war daher insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision des § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage.
Rechtskraft
Aus
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