S 6 KR 161/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 6 KR 161/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 27.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2018 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit dem Hilfsmittel kontinuierliches Glukosemonitoring-System Eversense nebst dem erforderlichen Zubehör als Sachleistung zu versorgen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger mit dem System Eversense zur kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung mit Realtime-Messgerät (rt-CGM) nebst dem hierfür erforderlichen Zubehör zu versorgen. Der 1969 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet an Diabetes mellitus Typ 1. Für ihn stellte die behandelnde Diabetologin Frau M.-Sch. eine ärztliche Verordnung vom 12.12.2017 aus. Mit Bescheid vom 27.12.2017 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass es sich bei dem Produkt Eversense rt-CGM um kein im Hilfsmittelverzeichnis gelistetes Produkt handele, sondern um ein Implantat. Eine Kostenübernahme könne daher nicht erfolgen. Alternativ könne ein gelistetes rt-CGM System verordnet werden (z.B. Dexcom G4 oder G5, enlite rt-CGM System der Firma M.). Mit Widerspruch vom 08.01.2018 hiergegen wandte der Kläger ein, dass das Eversense rt-CGM System für ihn das geeignetste und alltagstauglichste sei. Er sei Insulinpumpenträger und müsse den Katheter alle zwei bis drei Tage wechseln. Die im Bescheid vorgeschlagenen Systeme würden mit Sensoren arbeiten, die im selben Bereich wie die Katheter der Pumpe gesetzt und im Abstand von sieben Tagen gewechselt werden müssten. Der Sensor des Eversense rt-CGM Systems werde am Oberarm implantiert und könne drei Monate genutzt werden. Es entstehe kein Konflikt mit dem Katheter der Pumpe. Es handele sich um ein zugelassenes Medizinprodukt und eine Verordnung sei auch ohne Listung im Hilfsmittelverzeichnis möglich. Am 20.02.2018 wurde ein Hilfsmittelgutachten des MDK Bayern erstellt. Der Gutachter führte aus, dass für das beantragte Medizinprodukt bisher keine Nachweise vorliegen würden, welche den medizinischen Nutzen im Sinne des § 139 Abs. 4 SGB V belegen würden. Es handle sich um ein implantierbares System, welches durch den GBA-Beschluss zur kassenärztlichen Versorgung mit einen rt-CGM vom 16.06./09.06.2016 nicht umfasst sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Bei dieser Methode werden mittels eines Sensors kontinuierlich der Glukosegehalt in einer interstitiellen Flüssigkeit des Unterhautfettgewebes gemessen. Anschließend überträgt ein mit dem Sensor verbundene Transmitter die Messwerte automatisch an das Empfangsgerät. Bei dem Eversense System wird ein Langzeitsensor als Implantat unter die Haut am Oberarm eingesetzt, wodurch das wöchentliche Setzen eines Sensors entfalle. Diese Behandlungsmethode sei vom Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 16.06.2016 nicht umfasst. Eine Aufnahme in die Anlage I der Richtlinie "Methoden vertragsärztliche Versorgung" sei bislang nicht erfolgt. Das beantragte Eversense rt-CGM System sei daher keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat in seiner Sitzung vom 16. Juni 2016 beschlossen, die kontinuierliche interstitielle Glukosemessung mit Realtime-Messgeräten rt-CGM) zur Therapiesteuerung bei Patientinnen und Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus in die Anlage I der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (=anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) aufzunehmen. CGM-Systeme dürfen danach zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung bei Patientinnen und Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus erbracht werden, die einer intensivierten Insulinbehandlung bedürfen, die in dieser geschult sind und diese bereits anwenden, insbesondere dann, wenn die zwischen Ärzten und Patienten sehr festgelegten individuellen Therapieziele zur Stoffwechseleinstellung auch bei Beachtung der jeweiligen Lebens-situation nicht erreicht werden können. Hiergegen erhob der Kläger am 20.04.2018 Klage zum Sozialgericht Landshut. Er habe häufig stark schwankende Blutzuckerwerte, zum einen Hypoglykämien auch nachts und zum anderen auch wieder häufig stark steigende Werte, die mit bisherigen Messmethoden nicht in den Griff zu bekommen seien. Das Eversense System ermögliche eine beliebige Ablesung. Zudem habe das System eine Warnfunktion, die mit Grenzwerten für stark sinkende oder steigende Werte programmiert werden könne. Der Transmitter könne ohne Aufwand abgenommen werden und über das hautverträgliche, wiederverwendbare Pflaster anschließend wieder aufgesetzt werden.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2018 zu verurteilen, ihm mit dem Hilfsmittel kontinuierliches Glukosemonitoring-System Eversense nebst dem hierfür erforderlichen Zubehör als Sachleistung zu versorgen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie führt aus, dass es sich bei der beantragten Versorgung um eine neue Behandlungsmethode handele, für die der GBA noch keine abschließende Bewertung in der Anlage I der Richtlinien "Methoden vertragsärztliche Versorgung" abgegeben habe. Daher bestehe für das beantragte System keine Möglichkeit einer Kostenübernahme zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten. Mit Attest vom 04.06.2018 führt die behandelnde Diabetologin M.-Sch. aus, der Kläger leide an einem Diabetes mellitus Typ 1 mit neurologischen Komplikationen sowie einem diabetischen Fußsyndrom. Es zeigten sich zunehmend schwankende Blutzuckerwerte mit gehäuften Hypoglykämien durch die sehr schwankende körperliche Belastung des Patienten trotz Insulinpumpentherapie. Die Stoffwechsellage habe sich mit der Zeit verschlechtert, die Blutzuckerwerte seien instabiler geworden mit gehäuften Hypoglykämien, auch nachts trotz der Insulinpumpentherapie. Durch die instabile Lage der Blutzuckerwerte bei einem sehr sportlichen und sehr gut geschulten Versicherten werde ihm zur Anwendung eines CGM-Systems geraten. Er würde deutlich von einem Warnsystem für hohe und niedrige Werte sowie Blutzuckerabfälle und Blutzuckeranstiege profitieren. Mit Schreiben vom 05.06.2018 teilte Frau M.-Sch. mit, dass der Kläger sich seit 2014 in ihrer kontinuierlichen diabetologischen Betreuung befinde. Er sehr gut geschult im Umgang mit der intensivierten Insulintherapie. Aufgrund einer beginnenden Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung bemerke der Kläger Unterzucker erst sehr spät oder gar nicht. Zudem würden gehäuft Unterzuckerungen in der Nacht auftreten. Er neige durch häufige körperliche Belastung zu Hypoglykämien. Besonders nachts komme es zu unbemerkten Hypoglykämien mit unsteten Nüchtern-Blutzuckermessungen. Da der Kläger sehr häufig sein Blutzucker messen müsse, wäre ein CGM-System aus ihrer Sicht medizinisch sinnvoll und notwendig. Damit könnten nächtliche Hypoglykämien besser erkannt und verhindert werden. Eine Schulung zu sicheren Anwendungen eines CGM-Gerätes sei geplant. Mit sozialmedizinischem Gutachten vom 25.06.2018 befürwortete der Gutachter bei dem Kläger grundsätzlich die Versorgung mit einem rt-GM-Gerät. Dem folgte auch die Beklagte. Allerdings hielt sie am Standpunkt fest, dass das beantragte Eversense System nicht vom Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses umfasst sei und kein positiver Beschluss diesbezüglich bestehe. Allerdings könnte den Kosten für die Versorgung eines rt-CGM-Systems zugestimmt werden, welches den Kriterien des GBA-Beschlusses vom 16.06.2016 entspreche. Der Hersteller des Eversense Systems beantragte die Eintragung in das Hilfsmittelverzeichnis. Der Antrag wurde am 10.10.2017 vom GKV-Spitzenverband abgelehnt. Bei dem System handele es sich um ein Implantat. Implantate seien keine Hilfsmittel. Bei den bereits aufgenommenen Systemen handele es sich um CGM-Systeme mit Sensoren, die vom Anwender selbst appliziert würden und unter 30 Tagen unter der Haut verblieben. Daher handele es sich nicht um Implantate. In Bezug auf die Cochlear-Implantate und aktiven Neuroprothesen sei in diesen Verfahren die Frage, ob es sich um ein Implantat handele, nicht Streitgegenstand gewesen. Mit Schreiben vom 18.10.2018 teilte der Hersteller R. mit, dass gegen die Entscheidung mit Rechtsmitteln vorgegangen werde. Zudem wurde vom Kläger ein Gutachten von der IGES Institut GmbH für R. Diabetes Care Deutschland GmbH, vom Mai 2018 vorgelegt (Blatt 124 ff. der Gerichtsakte - IGES-Gutachten, Hoffmann, Huster, Kersting). Mit Antwort vom 05.11.2018 teilte der GKV-Spitzenverband mit, dass eine Ablehnung des Eversense Smart erfolgt sei, weil es sich dabei nicht um ein Hilfsmittel handele. Die Hilfsmitteleigenschaft setze voraus, dass das Produkt von dem Versicherten selbst oder mit Hilfe von Angehörigen verwendet werden könne. Der Sensor als wesentliche Teilkomponente könne nur von Ärzten implantiert werden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitgegenstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

A. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 27.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2018 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz - SGG), mit dem die Beklagte die Kostenübernahme für die Versorgung mit einem kontinuierlichen Glukosemonitoring-System Eversense nebst dem hierfür erforderlichen Zubehör abgelehnt hat. Die dagegen gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1 und Abs. 4, 56 SGG) statthaft sowie im Übrigen zulässig und begründet.

B. Der Bescheid vom 27.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Versorgung mit einem kontinuierlichen Glukosemonitoring-System Eversense nebst dem hierfür erforderlichen Zubehör jeweils als Sachleistung gegen die Beklagte. 1. Versicherte haben nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB V Anspruch auf Leistungen zur Verhütung von Krankheiten und deren Verschlimmerung. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben sie Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u. a. die Versorgung mit Hilfsmitteln (Satz 2 Nr. 3). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB V). Diese Voraussetzungen liegen vor. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Versorgung mit dem streitgegenständlichen CGM-System Eversense zusteht und es sich hierbei um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V handelt. Die Versorgung mit dem streitgegenständlichen Hilfsmittel ist erforderlich, um beim Kläger den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Es ist nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen und auch nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen. Dabei stützt sich das Gericht auf eine Gesamtwürdigung der in den Akten enthaltenen ärztlichen Unterlagen von Frau M.-Sch. sowie das Gutachten des MDK Bayern vom 25.06.2018. Die Klage ist schon deshalb begründet, weil das streitgegenständliche Hilfsmittel medizinisch notwendig ist, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (§ 33 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGB V). Nach Ansicht des Gerichts handelt es sich bei dem System Eversense um ein Hilfsmittel gemäß § 33 Abs. 1 SGB V. Dass das Eversense-System nicht im Hilfsmittelverzeichnis gelistet ist, führt nicht zum Ausschluss des Anspruchs. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung dem Hilfsmittelverzeichnis die Funktion einer abschließenden Auflistung zu Lasten der GKV verordnungsfähiger Hilfsmittel abgesprochen und es rechtlich nur als Auslegungs- und Orientierungshilfe für die medizinische und pflegerische Praxis qualifiziert (s. § 4 Abs. 1 S. 2 und § 6 Abs. 5 S. 2 Hilfsmittel-RL, zu recherchieren unter www.g-ba.de und zuvor bereits: etwa BSG Urt. v. 15.3.2012 - B 3 KR 6/11 R, juris Rn. 15).

Außerdem handelt es sich auch um ein Hilfsmittel. Dass das Einsetzen des Sensors dazu führen soll, dass das gesamte System ein Implantat wird, überzeugt das Gericht nicht. Hier wird im Bescheid darauf Bezug genommen, dass nach der Verordnung EU 2017/17 in Art. 2 Nr. 5 ein Medizinprodukt dann als ein "implantierbares Produkt" bezeichnet wird, auch wenn es vollständig oder teilweise resorbiert werden soll, das dazu bestimmt ist, durch einen klinischen Eingriff - ganz in den menschlichen Körper eingeführt zu werden oder

- eine Epitheloberfläche oder die Oberfläche des Auges zu ersetzen und nach dem Eingriff dort zu verbleiben. Als implantierbares Produkt gilt auch jedes Produkt, das dazu bestimmt ist, durch einen klinischen Eingriff teilweise in den menschlichen Körper eingeführt zu werden und nach dem Eingriff mindestens 30 Tage dort zu verbleiben. Hier ist für die Einsetzung des Sensors schon kein klinischer Eingriff nötig, da der Sensor ambulant eingesetzt wird (IGES-Gutachten, Hoffmann, Huster, Kersting, S. 20). Zudem ist etwa im Hilfsmittelverzeichnis auch das Cochlear-Implantat gelistet, bei dem unstreitig ein stationärer Eingriff für das Setzen des Implantats unter stationären Bedingungen erfolgt.

Mit Schreiben vom 05.11.2018 teilte der GKV-Spitzenverband mit, dass eine Ablehnung des Eversense Smart erfolgt sei, weil es sich dabei nicht um ein Hilfsmittel handele. Die Hilfsmitteleigenschaft setze voraus, dass das Produkt von dem Versicherten selbst oder mit Hilfe von Angehörigen verwendet werden könne. Der Sensor als wesentliche Teilkomponente könne nur von Ärzten implantiert werden. Eine derartige Abgrenzung von Hilfsmitteln erschließt sich dem Gericht nicht. Jedenfalls ist keine Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bekannt, die diese Abgrenzung vornimmt. Im Urteil vom 02. September 2014 - B 1 KR 12/13 R -, juris Rn. 17 führt das BSG aus, der Zahnersatz sei - isoliert betrachtet - zwar ein Hilfsmittel. Er ersetze ein nicht vorhandenes oder verloren gegangenes Körperteil (Zahn). In diesem Verfahren begehrte die Klägerin Eingliederung von Zahnersatz. Sie leidet an einer angeborenen doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. 2. Auch handelt es sich nicht mehr um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, da der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) mit Beschluss vom 16.06.2016 die Versorgung mit der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten anerkannt hat. Das beantragte Eversense System unterfällt nach Ansicht des Gerichts dem Beschluss vom 16.06.2016 und ist daher Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung. Ein Hilfsmittel, das als Bestandteil einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode eingesetzt wird, die ohne positive Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) in der vertragsärztlichen Versorgung nicht erbracht werden darf, fällt erst dann in die Leistungspflicht der Krankenkassen, wenn der GBA die Methode positiv bewertet hat (zum Continuous Glucosemonitoring System für Diabetiker (vgl. BSG, Urteil vom 08. Juli 2015 - B 3 KR 5/14 R, juris Rn. 13). Seit dem 07.09.2016 ist die Versorgung mit der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Patientinnen und Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus offiziell als Kassenleistung anerkannt. In der Anlage I der Richtlinie des GBA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung i.d.F. vom 20.09.2018 (Methoden, die als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen) ist Nr. 20 enthalten. Die Voraussetzungen der Indikation gemäß § 2 der Richtlinie liegen beim Kläger vor. Danach darf die kontinuierliche interstitielle Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten (rt-CGM) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden

1. bei Patientinnen und Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus, 2. die einer intensivierten Insulinbehandlung bedürfen, in dieser geschult sind und diese bereits anwenden, 3. insbesondere dann, wenn die zwischen Ärzten und Arzt und Patientin oder Patient festgelegten individuellen Therapieziele zur Stoffwechseleinstellung auch bei Beachtung der jeweiligen Lebenssituation der Patientin oder des Patienten nicht erreicht werden können 4. und wenn die Voraussetzungen des § 3 vorliegen. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Beschlusses sind zur Durchführung der Methode rt-CGM im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung Fachärzte für innere Medizin und Endokrinologie und der Diabetologie berechtigt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. In ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 04.06.2018 hat die behandelnde Diabetologin M.-Sch. schlüssig dargelegt, der Kläger leide an einem Diabetes mellitus Typ 1. Es zeigten sich zunehmend schwankende Blutzuckerwerte mit gehäuften Hypoglykämien durch sehr schwankende körperliche Belastung des Patienten trotz Insulinpumpentherapie. Die Stoffwechsellage habe sich mit der Zeit verschlechtert, die Blutzuckerwerte seien instabiler geworden mit gehäuften Hypoglykämien, auch nachts trotz der Insulinpumpentherapie. Durch die instabile Lage der Blutzuckerwerte bei einem sehr sportlichen und sehr gut geschulten Versicherten werde ihm zur Anwendung eines CGM-Systems geraten. Er würde deutlich von einem Warnsystem für hohe und niedrige Werte sowie Blutzuckerabfälle und Blutzuckeranstiege profitieren. Mit Schreiben vom 05.06.2018 teilte Frau M.-Sch. mit, dass der Kläger sich seit 2014 in ihrer kontinuierlichen diabetologischen Betreuung befinde. Er sehr gut geschult im Umgang mit der intensivierten Insulintherapie sei. Aufgrund einer beginnenden Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung bemerke der Kläger Unterzucker erst sehr spät oder gar nicht. Zudem würden gehäuft Unterzuckerungen in der Nacht auftreten. Er neige durch häufige körperliche Belastung zu Hypoglykämien. Besonders nachts komme es zu unbemerkten Hypoglykämien mit unsteten Nüchtern-Blutzuckermessungen. Da der Kläger sehr häufig seinen Blutzucker messen müsse, wäre ein CGM-System medizinisch sinnvoll und notwendig. Die Notwendigkeit der Versorgung mit einem rt-CGM gemäß der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses wurde auch im Gutachten des MDK Bayern vom 25.06.2018 bestätigt. Das vom Kläger beantragte Gerät Eversense erfüllt nach Ansicht des Gerichts auch die Voraussetzungen nach § 1 der Richtlinie. Bei der Intervention der Kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten wird mittels eines Sensors kontinuierlich der Glukosegehalt in der interstitiellen Flüssigkeit des Unterhautfettgewebes gemessen. Anschließend überträgt ein mit dem Sensor verbundener Transmitter die Messwerte automatisch an das Empfangsgerät. Es werden kontinuierlich Messwerte und der Trend zum Glukosegehalt ausgegeben. Anhand einer Alarmfunktion mit individuell einstellbaren Grenzwerten warnt das Gerät vor dem Erreichen zu hoher oder zu niedriger Glukosewerte, § 1 der Richtlinie. Kontinuierlich messende Glukosemesssysteme messen die Gewebsglukosekonzentration (interstitielle Messung) im Unterhautfettgewebe. Die kontinuierliche Glukosemessung (engl.: Continuous Glucose Monitoring, CGM) ergänzt die herkömmliche Blutzuckermessung, um die Therapie besser steuern zu können.

Das Eversense CGM-System besteht aus drei Systemkomponenten. Es beinhaltet: 1) einen Sensor, der subkutan von einem Arzt eingesetzt wird, 2) einen abnehmbaren, am Körper getragenen Smart Transmitter und 3) eine Mobilgeräte-App, mit der die Glukosemesswerte angezeigt werden. Der Eversense Sensor ist weniger als 2 cm lang und 3 mm dick. Er wird von einem Arzt unter örtlicher Betäubung unter die Haut (am Oberarm) implantiert. Der abnehmbare, wiederaufladbare Smart Transmitter versorgt den eingesetzten Sensor mit Energie, berechnet die Glukosewerte und speichert bzw. sendet die Werte an die Eversense App. Er verfügt über einen Akku, der täglich über eine Ladestation geladen wird. Der Smart Transmitter wird mittels eines Einmal-Klebepflasters auf der Haut, direkt über dem Sensor, befestigt. Das Einmal-Klebepflaster wird täglich erneuert. Das Klebepflaster hat eine Seite mit Acrylkleber, die auf der Rückseite des Smart Transmitters angebracht wird, und eine Seite mit Silikonkleber, die auf der Haut angebracht wird. Zusätzlich beinhaltet der Smart Transmitter eine Warnfunktion in Form eines Vibrationsalarms. In Abhängigkeit der vorab definierten, patientenindividuellen Glukosewerte wird die Alarmfunktion bei Über- oder Unterschreiten dieser ausgelöst. Die Glukosedaten werden drahtlos (über Bluetooth) an die Mobilgeräte-App gesendet. Die Beschreibung stammt aus dem IGES-Gutachten, Hoffmann, Huster, Kersting, S. 20.

Nach § 3 Abs. 4 der Richtlinie muss das eingesetzte Gerät ein zugelassenes Medizin-produkt zur kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung mit Real-Time-Messung sein. Anhand einer Alarmfunktion mit individuell einstellbaren Grenzwerten muss das Gerät vor dem Erreichen zu hoher oder zu niedriger Glukosewerte warnen können. Eversense XL CGM-System ist als Medizinprodukt zugelassen. Das CE-Kennzeichen wurde erteilt.

Das vom Kläger begehrte Gerät entspricht den Anforderungen, die der GBA in der Richtlinie aufgestellt hat.

3. Die erstrebte Hilfsmittelversorgung muss im Einzelfall geeignet, erforderlich und angemessen sein, um dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot der gesetzlichen Krankenversicherung zu genügen.

Hier hat der Kläger dargetan, dass aufgrund der Versorgung mit einer Insulinpumpe es für ihn von wesentlichem Vorteil ist, dass der Sensor in den Oberarm eingesetzt wird und nicht mit der ebenfalls vorhandenen Insulinpumpe im gleichen Bereich gemessen wird. Daher ist nach Ansicht des Gerichts das beantragte Hilfsmittel geeignet, erforderlich und angemessen. Im Übrigen wird die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit nicht von der Beklagten bestritten. Erforderlichkeit bedeutet ferner konkret, dass das Hilfsmittel im Einzelfall geeignet ist und kein kostengünstigeres und zumindest gleichermaßen geeignetes Hilfsmittel zur Verfügung steht. Dass der Kläger zur Implantation des Sensors einen Arzt aufsuchen muss, führt nach Ansicht des Gerichts nicht dazu, das Eversense System insgesamt nicht als Hilfsmittel einzustufen. Dass das Hilfsmittel nur unter Einschaltung Dritter genutzt werden und seinen Zweck erfüllen kann, steht seiner Zweckmäßigkeit nicht grundsätzlich entgegen (s.a. BSG SozR 4&8201;-&8201;2500 § 33 Nr. 10 Rn. 20, Nolte, KassKomm, § 33 SGB V, Rn. 18f.).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache selbst.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Bayer. Landessozialgericht in elektronischer Form einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Sozialgericht Landshut in elektronischer Form eingelegt wird. Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und - von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder - von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird. Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.
Rechtskraft
Aus
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