Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 12211/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Auch nach Feststellung dauerhafter Erwerbsminderung können noch Leistungen nach dem SGB II geltend gemacht werden, die in einem abschließenden Bescheid nach vorläufiger Bewilligung fehlerhaft berechnet wurden.
2. Hat das Jobcenter monatsgenau gerechnet, können mit Anfechtung nur einzelner Monate höhere Leistungen, die sich aus einer Durchschnittsberechnung nach § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II ergeben hätten, geltend gemacht werden.
3. Bei durchgehender Erkrankung ist laufendes von nachgezahltem Krankengeld danach abzugrenzen, dass der monatliche Krankengeldanspruch nach § 47 Abs. 1 Satz 7 SGB V laufendes Krankengeld ist, ungeachtet der in Abhängigkeit von der Abgabe der Auszahlscheine überwiesenen Zahlbeträge; soweit diese über den Monatsbetrag hinausgehen, handelt es sich um Nachzahlungen i.S.v. § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II.
4. Nachzahlungen sind auch im vorläufigen Bewilligungsabschnitt und bei der endgültigen Leistungsberechnung dem Zufluss-Folgemonat zuzuordnen; auch vorläufig gewährte Leistungen sind „erbrachte Leistungen“ i.S.v. § 11 Abs. 3 SGB II.
2. Hat das Jobcenter monatsgenau gerechnet, können mit Anfechtung nur einzelner Monate höhere Leistungen, die sich aus einer Durchschnittsberechnung nach § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II ergeben hätten, geltend gemacht werden.
3. Bei durchgehender Erkrankung ist laufendes von nachgezahltem Krankengeld danach abzugrenzen, dass der monatliche Krankengeldanspruch nach § 47 Abs. 1 Satz 7 SGB V laufendes Krankengeld ist, ungeachtet der in Abhängigkeit von der Abgabe der Auszahlscheine überwiesenen Zahlbeträge; soweit diese über den Monatsbetrag hinausgehen, handelt es sich um Nachzahlungen i.S.v. § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II.
4. Nachzahlungen sind auch im vorläufigen Bewilligungsabschnitt und bei der endgültigen Leistungsberechnung dem Zufluss-Folgemonat zuzuordnen; auch vorläufig gewährte Leistungen sind „erbrachte Leistungen“ i.S.v. § 11 Abs. 3 SGB II.
1. Der Bescheid vom 18.6.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.9.2018 wird dahingehend abgeändert, dass im Monat März 2018 ein monatliches Durchschnittseinkommen von 516,42 EUR als Einkommen angerechnet wird.
2. Der Bescheid vom 18.6.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.9.2018, dieser in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 10.10.2018 wird entsprechend der Berechnung nach Ziffer 1. abgeändert.
3. Der Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand:
Streitig ist die Einordnung im Bewilligungszeitraum durchgehend gezahlten Krankengeldes als laufendes oder nachgezahltes (Einmal)Einkommen und die sich daraus ergebende, endgültige Leistungsberechnung.
Die Klägerin bezog bis November 2018 Alg II, ergänzend zu Leistungen der Krankenversicherung (Krankengeld). Am 2.1.2018 hatte sie Rente wegen voller Erwerbsminderung (EM-Rente) beantragt, die ihr mit Bescheid vom 21.9.2018 mit Wirkung ab 1.1.2018 und Zahlbeginn 1.11.2018 gewährt wurde. Seit November 2018 wird die sehr geringe EM-Rente mit Grundsicherungsleistungen nach §§ 41 ff SGB XII aufgestockt.
Den Renten-Nachzahlungsbetrag für Januar bis Oktober 2018 hatte der Rentenversicherungsträger zur Erfüllung etwaiger Erstattungsansprüche einbehalten.
Weil die Höhe des jeweils rückwirkend mit Übersendung des Auszahlscheins gewährten Krankengeldes zu Beginn des Bewilligungsabschnitts Dezember 2017 bis Mai 2018 noch nicht feststand, hatte der Beklagte Alg II vorläufig mit einem fiktiven Krankengeld von monatlich 442 EUR bewilligt (Bescheid vom 17.11.2017, Änderungsbescheid – Anpassung an die Regelbedarf 2018 – vom 25.11.2017).
Ein Betriebskostenguthaben war mit vorläufigem Änderungsbescheid vom 24.1.2018 auf den KdU-Bedarf im Februar 2018 angerechnet worden.
Im Verlauf des Bewilligungsabschnitts Dezember 2017 bis Mai 2018 wurde durchgehend Krankengeld bewilligt und in Abhängigkeit der eingereichten Auszahlscheine wie folgt auf das Konto der Klägerin überwiesen:
Dezember 2017
Am 1.12.2017 442,80 EUR für den Zeitraum 2.11. – 28.11.2017
Januar 2018
Am 4.1.2018 524,80 EUR für den Zeitraum 29.11. – 31.12.2017
Am 9.1.2018 32,82 EUR für den Zeitraum 1.1.2018 – 2.1.2018
Februar 2018
Am 1.2.2018 443,07 EUR für den Zeitraum 3.1. – 29.1.2018
März 2018
Am 1.3.2018 459,48 EUR für den Zeitraum 30.1. – 27.2.2018
Am 26.3.2018 435,40 EUR für den Zeitraum 28.2. – 23.3.2018
April 2018
Am 23.4.2018 436,54 EUR für den Zeitraum 24.3. – 19.4.2018
Mai 2018
Am 28.5.2018 587,65 EUR für den Zeitraum 20.4. – 24.5.2018
Der Beklagte wertete die Krankengeldzahlungen als laufendes, im jeweiligen Zuflussmonat anzurechnendes Einkommen, woraus sich im März 2018 bei einem Hilfebedarf von 831,86 EUR (416 EUR Regelbedarf + 415,86 EUR Unterkunfts- und Heizkosten) ein bedarfsdeckender Einkommenszufluss ergab.
Folglich (§ 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II) errechnete der Beklagte den der Klägerin im Bewilligungszeitraum Dezember 2017 bis Mai 2018 endgültig zustehenden Leistungsanspruch monatsgenau nach dem jeweiligen Hilfebedarf und dem im betreffenden Monat zugeflossenen Krankengeld, abzüglich der 30 EUR-Versicherungspauschale (Bewilligungsbescheid vom 18.6.2018).
Die sich aus dieser endgültigen Berechnung ergebenden Nachzahlungen und Überzahlungen saldieren sich auf 376,40 EUR, die der Beklagte mit Erstattungsbescheid vom 18.6.2016 von der Klägerin zurückforderte.
Auf Widerspruch der Klägerin, mit dem die Anrechnung des Krankengeldes als laufendes Einkommen angegriffen wird, änderte der Beklagte die Bescheide unter Berücksichtigung einer Mieterhöhung geringfügig ab (Änderungs- und Erstattungsbescheide vom 27.9.2018 mit einem Saldo von 370,70 EUR), wies den Widerspruch im Übrigen aber als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 10.10.2018).
Hiergegen richtet sich die am 12. November 2018 erhobene Klage, mit der die Klägerin gegen die Leistungsberechnung für den Monat März 2018 geltend macht, allein das Kriterium der (Nach-)Fälligkeit sei geeignet, eine Nachzahlung (Einmaleinkommen) von laufendem Einkommen abzugrenzen.
Für März 2018 ergebe sich dann nur ein unter dem Hilfebedarf liegendes Einkommen mit der Folge, dass die Einkommensanrechnung im Bewilligungsabschnitt Dezember 2017 bis Mai 2018 nach einem Durchschnittseinkommen erfolgen müsse.
Die komplette Rückforderung der für März vorläufig gewährten Leistungen sei daher rechtswidrig, insgesamt ergebe sich mit dem nach § 41a Abs. 4 SGB II zu bildenden Durchschnittseinkommen ein geringerer Saldo.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
1. Den Bescheid vom 18.6.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.9.2018 dahingehend abzuändern, dass der Klägerin im Monat März 2018 Leistungen unter Zugrundelegung eines monatlichen Durchschnittseinkommens gewährt werden;
2. den Bescheid vom 18.6.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.9.2018, dieser in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 10.10.2018 aufzuheben, soweit der Klägerin für den Monat März 2018 höhere Leistungen zu gewähren sind.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die naturgemäß rückwirkende Auszahlung des Krankengeldes, das daher als laufendes Einkommen zu qualifizieren sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Klage ist zulässig, insbesondere kann der Klägerin nicht entgegengehalten werden, es fehle an einer Beschwer, da eine saldierende Berechnung der Leistungsansprüche über alle Monate hinweg keinen höheren Leistungsanspruch ergeben würde.
Denn der Beklagte hat monatsgenau abgerechnet. Die Klägerin ist daher befugt, gezielt nur die Berechnung für einzelne Monate anzufechten, auch wenn sie die Klage auf eine Durchschnittsberechnung stützt, die die endgültige Feststellung des Hilfebedarfs an eine monatsübergreifende Saldierung der Nachzahlungen mit den Überzahlungen knüpft (s. dazu BSG vom 30.3.2017 – B 14 AS 18/16 R).
Die Klage ist auch begründet.
Dem geltend gemachte Anspruch auf eine Leistungsberechnung nach dem Durchschnittseinkommen gemäß § 41a Abs. 4 SGB II steht nicht entgegen, dass die Klägerin seit 1.1.2018 nach Feststellung des Rentenversicherungsträgers voll erwerbsgemindert ist. Denn bis zur Anerkennung eines Rentenanspruchs hat der Beklagte keine rechtswidrige Leistung erbracht (Rückschluss aus § 44a SGB II) und der auf die veränderte Leistungsberechnung gestützte Anspruch richtet sich auch nicht auf eine Leistung, die nur nicht erwerbsfähige Personen, die mit SGB II-leistungsberechtigten Personen eine Bedarfsgemeinschaft bilden, erhalten könnten (wie z. B. den Mehrbedarf für das Merkzeichen G, für den nach LSG Hamburg vom 24.4.2018 – L 4 AS 361/15 für alleinstehende Hilfesuchende daher der SGB XII-Träger rückwirkend aufkommen muss).
Überdies geht es im vorliegenden Fall um die Reduzierung einer Erstattungsforderung nach § 41a Abs. 6 SGB II, d. h. einen Leistungsfall, für den allenfalls im Rahmen der §§ 102 ff SGB X nachträglich ein anderer Leistungsträger zuständig werden kann.
Ein Erstattungsanspruch des Beklagten nach § 103 SGB X gegen den SGB XII-Träger, der die Rückforderung überzahlter Leitungen gegenüber der Klägerin ausschließen könnte, besteht jedoch nicht: Weder liegt ein Träger-Widerspruch i.S.v. § 44a Abs. 3 SGB II vor, noch sind die Voraussetzungen des § 103 Abs. 3 SGB X erfüllt.
Ob ggf. ein Erstattungsanspruch der Krankenkasse gegen den Rentenversicherungsträger nach § 50 SGB V i.V.m. § 103 SGB X besteht, hat auf die Leistungsansprüche der Klägerin gegenüber dem Beklagten keinen Einfluss.
Es kommt mithin darauf an, wie die Krankengeldzahlungen SGB II-leistungsrechtlich zu qualifizieren sind.
Im Ausgangspunkt ist dem Beklagten darin zu folgen, dass die regelmäßig in Abständen von bis zu einem Monat zufließenden Krankengeldzahlungen nach ihrem Zufluss-Turnus und ihrer Funktion als Entgelt-Ersatzleistung laufendes Einkommen sind, also gemäß § 11 Abs. 2 SGB II für den Monat berücksichtigt werden, in dem sie tatsächlich zufließen.
§ 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II fordert jedoch zusätzlich eine Abgrenzung zu Nachzahlungen, das sind Zahlungen laufenden Einkommens, "die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden". 0
Für die Auszahlung des Krankengeldes gilt die Besonderheit, dass erst die Übermittlung des Auszahlscheins an die Krankenkasse einen rückwirkenden Leistungsanspruch für die vom behandelnden Arzt festgestellte Dauer der Arbeitsunfähigkeit begründet.
Auf die Regelung des § 41 SGB I mit der Annahme, dass der Anspruch auf Krankengeld mit dem Eintritt von Arbeitsunfähigkeit i.S. der AU-Richtlinien entsteht bzw. fällig wird, kann daher nicht abgestellt werden. Der Auszahlschein ist für die Begründung des Leistungsanspruchs konstitutiv.
Für dauerhaft erkrankte Personen, wie die Klägerin, führt die Regelung des § 47 Abs. 1 Satz 5 SGB V: "Das Krankengeld wird für Kalendertage gezahlt. Ist es für einen ganzen Kalendermonat zu zahlen, ist dieser mit dreißig Tagen anzusetzen" - zu einer sachgerechten Abgrenzung laufender, für den Zuflussmonat bestimmter Leistungen zu Nachzahlungen, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden.
Wendet man diesen Maßstab auf die im vorliegenden Fall geflossenen Zahlungen an, ergibt sich folgendes Bild:
Dezember 2017
442,80 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 492 EUR (16,40 EUR x 30 Tage) = 442,80 EUR laufende Zahlung
Januar 2018
557,62 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 492,30 EUR (16,41 EUR x 30 Tage) = 492,30 EUR laufende Zahlung + 65,32 EUR Nachzahlung
Februar 2018
443,07 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 492,30 EUR (16,41 EUR x 30 Tage) = 443,07 EUR laufende Zahlung + 65,32 EUR Nachzahlung aus Januar 2018
März 2018
894,88 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 503,70 EUR (16,79 EUR x 30 Tage) = 503,70 EUR laufende Zahlung + 391,18 EUR Nachzahlung.
April 2018
436,54 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 503,70 EUR (16,79 EUR x 30 Tage) = 436,54 EUR laufende Zahlung + 391,18 EUR Nachzahlung aus März 2018
Mai 2018
587,65 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 503,70 EUR (16,79 EUR x 30 Tage) = 503,70 EUR laufende Zahlung im maßgebenden Bewilligungszeitraum.
Dass Nachzahlungen, die wie Einmaleinkommen anzurechnen sind, auch bei einer endgültigen Leistungsberechnung nach zunächst nur vorläufiger Bewilligung im Folgemonat anzurechnen sind, ergibt sich zwingend daraus, dass auch vorläufig bewilligte Leistungen "erbrachte Leistungen" i.S.v. § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II sind. Angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts gibt es keinen Spielraum und auch keinen Bedarf für eine richterrechtlich abweichende Gesetzesauslegung (so aber LSG Berlin-Brandenburg vom 24.8.2017 – L 19 AS 2006/16).
Zu Recht hat das BSG unter schlichter Bezugnahme auf die Regelung in § 11 Abs. 3 SGB II die Auffassung verworfen, der Zuflusszeitpunkt von Einmaleinkommen sei im Fall von Aufhebungsentscheidungen nach §§ 45, 48 SGB X abweichend von der gesetzlichen Regelung auf den Zuflussmonat zu bestimmen (Urteil vom 24.8.2017 - B 4 AS 9/16 R).
Es gibt keinen Grund, dies für die Abrechnung vorläufiger Leistungen anderes zu werten.
Bei einem Hilfebedarf (ab 1.1.2018) von monatlich 831,86 EUR liegen demnach alle Krankengeldzahlungen in den einschlägigen Anrechnungsmonaten noch unter dieser Bedarfsschwelle, was nach § 41a Abs. 4 SGB II eine Durchschnittsberechnung erzwingt.
§ 41a SGB II unterscheidet bei der vorgeschriebenen Bildung eines Durchschnittseinkommens nicht zwischen laufendem und Einmaleinkommen. Die Zuordnungsregel in § 11 Abs. 3 SGB II bestimmt bei vorläufigen Bewilligungen mithin nur darüber, ob und ggf. mit welchem Betrag das Einmaleinkommen in den Bewilligungszeitraum fällt und dann in die durch die 6 Monate zu teilende Einkommenssumme einbezogen wird.
Im vorliegenden Fall sind die Summen der Nachzahlungsbeträge ungeteilt im Folgemonat des Zuflusses anzurechnen bzw. diesem Monat für die endgültige Durchschnittsberechnung zuzuordnen.
Das ergibt bei einer dem Bewilligungszeitraum zuzuordnenden Gesamtsumme von 3.278,54 EUR: 6 einen monatlichen Anrechnungsbetrag von 546,42 EUR, bereinigt 516,42 EUR.
Die Klägerin hat im März 2018 demzufolge einen Leistungsanspruch in Höhe von 831,86 EUR - 516,46 EUR = 315,44 EUR. Vorläufig erhalten hatte sie 358,44 EUR.
Mit dem Überzahlungsbetrag für März von 43,28 EUR ergibt sich aus den im Übrigen nicht angefochtenen Leistungsbewilligungen ein Saldo von 45,26 EUR statt der geforderten Summe von 370,70 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Der Frage, wie laufende Krankengeldzahlungen anzurechnen sind und bei Nachzahlungen das Durchschnittseinkommen gemäß § 41a Abs. 4 SGB II zu bilden ist, kommt grundsätzliche Bedeutung zu, so dass die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG eröffnet ist.
2. Der Bescheid vom 18.6.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.9.2018, dieser in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 10.10.2018 wird entsprechend der Berechnung nach Ziffer 1. abgeändert.
3. Der Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand:
Streitig ist die Einordnung im Bewilligungszeitraum durchgehend gezahlten Krankengeldes als laufendes oder nachgezahltes (Einmal)Einkommen und die sich daraus ergebende, endgültige Leistungsberechnung.
Die Klägerin bezog bis November 2018 Alg II, ergänzend zu Leistungen der Krankenversicherung (Krankengeld). Am 2.1.2018 hatte sie Rente wegen voller Erwerbsminderung (EM-Rente) beantragt, die ihr mit Bescheid vom 21.9.2018 mit Wirkung ab 1.1.2018 und Zahlbeginn 1.11.2018 gewährt wurde. Seit November 2018 wird die sehr geringe EM-Rente mit Grundsicherungsleistungen nach §§ 41 ff SGB XII aufgestockt.
Den Renten-Nachzahlungsbetrag für Januar bis Oktober 2018 hatte der Rentenversicherungsträger zur Erfüllung etwaiger Erstattungsansprüche einbehalten.
Weil die Höhe des jeweils rückwirkend mit Übersendung des Auszahlscheins gewährten Krankengeldes zu Beginn des Bewilligungsabschnitts Dezember 2017 bis Mai 2018 noch nicht feststand, hatte der Beklagte Alg II vorläufig mit einem fiktiven Krankengeld von monatlich 442 EUR bewilligt (Bescheid vom 17.11.2017, Änderungsbescheid – Anpassung an die Regelbedarf 2018 – vom 25.11.2017).
Ein Betriebskostenguthaben war mit vorläufigem Änderungsbescheid vom 24.1.2018 auf den KdU-Bedarf im Februar 2018 angerechnet worden.
Im Verlauf des Bewilligungsabschnitts Dezember 2017 bis Mai 2018 wurde durchgehend Krankengeld bewilligt und in Abhängigkeit der eingereichten Auszahlscheine wie folgt auf das Konto der Klägerin überwiesen:
Dezember 2017
Am 1.12.2017 442,80 EUR für den Zeitraum 2.11. – 28.11.2017
Januar 2018
Am 4.1.2018 524,80 EUR für den Zeitraum 29.11. – 31.12.2017
Am 9.1.2018 32,82 EUR für den Zeitraum 1.1.2018 – 2.1.2018
Februar 2018
Am 1.2.2018 443,07 EUR für den Zeitraum 3.1. – 29.1.2018
März 2018
Am 1.3.2018 459,48 EUR für den Zeitraum 30.1. – 27.2.2018
Am 26.3.2018 435,40 EUR für den Zeitraum 28.2. – 23.3.2018
April 2018
Am 23.4.2018 436,54 EUR für den Zeitraum 24.3. – 19.4.2018
Mai 2018
Am 28.5.2018 587,65 EUR für den Zeitraum 20.4. – 24.5.2018
Der Beklagte wertete die Krankengeldzahlungen als laufendes, im jeweiligen Zuflussmonat anzurechnendes Einkommen, woraus sich im März 2018 bei einem Hilfebedarf von 831,86 EUR (416 EUR Regelbedarf + 415,86 EUR Unterkunfts- und Heizkosten) ein bedarfsdeckender Einkommenszufluss ergab.
Folglich (§ 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II) errechnete der Beklagte den der Klägerin im Bewilligungszeitraum Dezember 2017 bis Mai 2018 endgültig zustehenden Leistungsanspruch monatsgenau nach dem jeweiligen Hilfebedarf und dem im betreffenden Monat zugeflossenen Krankengeld, abzüglich der 30 EUR-Versicherungspauschale (Bewilligungsbescheid vom 18.6.2018).
Die sich aus dieser endgültigen Berechnung ergebenden Nachzahlungen und Überzahlungen saldieren sich auf 376,40 EUR, die der Beklagte mit Erstattungsbescheid vom 18.6.2016 von der Klägerin zurückforderte.
Auf Widerspruch der Klägerin, mit dem die Anrechnung des Krankengeldes als laufendes Einkommen angegriffen wird, änderte der Beklagte die Bescheide unter Berücksichtigung einer Mieterhöhung geringfügig ab (Änderungs- und Erstattungsbescheide vom 27.9.2018 mit einem Saldo von 370,70 EUR), wies den Widerspruch im Übrigen aber als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 10.10.2018).
Hiergegen richtet sich die am 12. November 2018 erhobene Klage, mit der die Klägerin gegen die Leistungsberechnung für den Monat März 2018 geltend macht, allein das Kriterium der (Nach-)Fälligkeit sei geeignet, eine Nachzahlung (Einmaleinkommen) von laufendem Einkommen abzugrenzen.
Für März 2018 ergebe sich dann nur ein unter dem Hilfebedarf liegendes Einkommen mit der Folge, dass die Einkommensanrechnung im Bewilligungsabschnitt Dezember 2017 bis Mai 2018 nach einem Durchschnittseinkommen erfolgen müsse.
Die komplette Rückforderung der für März vorläufig gewährten Leistungen sei daher rechtswidrig, insgesamt ergebe sich mit dem nach § 41a Abs. 4 SGB II zu bildenden Durchschnittseinkommen ein geringerer Saldo.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
1. Den Bescheid vom 18.6.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.9.2018 dahingehend abzuändern, dass der Klägerin im Monat März 2018 Leistungen unter Zugrundelegung eines monatlichen Durchschnittseinkommens gewährt werden;
2. den Bescheid vom 18.6.2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.9.2018, dieser in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 10.10.2018 aufzuheben, soweit der Klägerin für den Monat März 2018 höhere Leistungen zu gewähren sind.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die naturgemäß rückwirkende Auszahlung des Krankengeldes, das daher als laufendes Einkommen zu qualifizieren sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Klage ist zulässig, insbesondere kann der Klägerin nicht entgegengehalten werden, es fehle an einer Beschwer, da eine saldierende Berechnung der Leistungsansprüche über alle Monate hinweg keinen höheren Leistungsanspruch ergeben würde.
Denn der Beklagte hat monatsgenau abgerechnet. Die Klägerin ist daher befugt, gezielt nur die Berechnung für einzelne Monate anzufechten, auch wenn sie die Klage auf eine Durchschnittsberechnung stützt, die die endgültige Feststellung des Hilfebedarfs an eine monatsübergreifende Saldierung der Nachzahlungen mit den Überzahlungen knüpft (s. dazu BSG vom 30.3.2017 – B 14 AS 18/16 R).
Die Klage ist auch begründet.
Dem geltend gemachte Anspruch auf eine Leistungsberechnung nach dem Durchschnittseinkommen gemäß § 41a Abs. 4 SGB II steht nicht entgegen, dass die Klägerin seit 1.1.2018 nach Feststellung des Rentenversicherungsträgers voll erwerbsgemindert ist. Denn bis zur Anerkennung eines Rentenanspruchs hat der Beklagte keine rechtswidrige Leistung erbracht (Rückschluss aus § 44a SGB II) und der auf die veränderte Leistungsberechnung gestützte Anspruch richtet sich auch nicht auf eine Leistung, die nur nicht erwerbsfähige Personen, die mit SGB II-leistungsberechtigten Personen eine Bedarfsgemeinschaft bilden, erhalten könnten (wie z. B. den Mehrbedarf für das Merkzeichen G, für den nach LSG Hamburg vom 24.4.2018 – L 4 AS 361/15 für alleinstehende Hilfesuchende daher der SGB XII-Träger rückwirkend aufkommen muss).
Überdies geht es im vorliegenden Fall um die Reduzierung einer Erstattungsforderung nach § 41a Abs. 6 SGB II, d. h. einen Leistungsfall, für den allenfalls im Rahmen der §§ 102 ff SGB X nachträglich ein anderer Leistungsträger zuständig werden kann.
Ein Erstattungsanspruch des Beklagten nach § 103 SGB X gegen den SGB XII-Träger, der die Rückforderung überzahlter Leitungen gegenüber der Klägerin ausschließen könnte, besteht jedoch nicht: Weder liegt ein Träger-Widerspruch i.S.v. § 44a Abs. 3 SGB II vor, noch sind die Voraussetzungen des § 103 Abs. 3 SGB X erfüllt.
Ob ggf. ein Erstattungsanspruch der Krankenkasse gegen den Rentenversicherungsträger nach § 50 SGB V i.V.m. § 103 SGB X besteht, hat auf die Leistungsansprüche der Klägerin gegenüber dem Beklagten keinen Einfluss.
Es kommt mithin darauf an, wie die Krankengeldzahlungen SGB II-leistungsrechtlich zu qualifizieren sind.
Im Ausgangspunkt ist dem Beklagten darin zu folgen, dass die regelmäßig in Abständen von bis zu einem Monat zufließenden Krankengeldzahlungen nach ihrem Zufluss-Turnus und ihrer Funktion als Entgelt-Ersatzleistung laufendes Einkommen sind, also gemäß § 11 Abs. 2 SGB II für den Monat berücksichtigt werden, in dem sie tatsächlich zufließen.
§ 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II fordert jedoch zusätzlich eine Abgrenzung zu Nachzahlungen, das sind Zahlungen laufenden Einkommens, "die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden". 0
Für die Auszahlung des Krankengeldes gilt die Besonderheit, dass erst die Übermittlung des Auszahlscheins an die Krankenkasse einen rückwirkenden Leistungsanspruch für die vom behandelnden Arzt festgestellte Dauer der Arbeitsunfähigkeit begründet.
Auf die Regelung des § 41 SGB I mit der Annahme, dass der Anspruch auf Krankengeld mit dem Eintritt von Arbeitsunfähigkeit i.S. der AU-Richtlinien entsteht bzw. fällig wird, kann daher nicht abgestellt werden. Der Auszahlschein ist für die Begründung des Leistungsanspruchs konstitutiv.
Für dauerhaft erkrankte Personen, wie die Klägerin, führt die Regelung des § 47 Abs. 1 Satz 5 SGB V: "Das Krankengeld wird für Kalendertage gezahlt. Ist es für einen ganzen Kalendermonat zu zahlen, ist dieser mit dreißig Tagen anzusetzen" - zu einer sachgerechten Abgrenzung laufender, für den Zuflussmonat bestimmter Leistungen zu Nachzahlungen, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden.
Wendet man diesen Maßstab auf die im vorliegenden Fall geflossenen Zahlungen an, ergibt sich folgendes Bild:
Dezember 2017
442,80 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 492 EUR (16,40 EUR x 30 Tage) = 442,80 EUR laufende Zahlung
Januar 2018
557,62 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 492,30 EUR (16,41 EUR x 30 Tage) = 492,30 EUR laufende Zahlung + 65,32 EUR Nachzahlung
Februar 2018
443,07 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 492,30 EUR (16,41 EUR x 30 Tage) = 443,07 EUR laufende Zahlung + 65,32 EUR Nachzahlung aus Januar 2018
März 2018
894,88 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 503,70 EUR (16,79 EUR x 30 Tage) = 503,70 EUR laufende Zahlung + 391,18 EUR Nachzahlung.
April 2018
436,54 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 503,70 EUR (16,79 EUR x 30 Tage) = 436,54 EUR laufende Zahlung + 391,18 EUR Nachzahlung aus März 2018
Mai 2018
587,65 EUR bei einem monatlichen Anspruch von 503,70 EUR (16,79 EUR x 30 Tage) = 503,70 EUR laufende Zahlung im maßgebenden Bewilligungszeitraum.
Dass Nachzahlungen, die wie Einmaleinkommen anzurechnen sind, auch bei einer endgültigen Leistungsberechnung nach zunächst nur vorläufiger Bewilligung im Folgemonat anzurechnen sind, ergibt sich zwingend daraus, dass auch vorläufig bewilligte Leistungen "erbrachte Leistungen" i.S.v. § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II sind. Angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts gibt es keinen Spielraum und auch keinen Bedarf für eine richterrechtlich abweichende Gesetzesauslegung (so aber LSG Berlin-Brandenburg vom 24.8.2017 – L 19 AS 2006/16).
Zu Recht hat das BSG unter schlichter Bezugnahme auf die Regelung in § 11 Abs. 3 SGB II die Auffassung verworfen, der Zuflusszeitpunkt von Einmaleinkommen sei im Fall von Aufhebungsentscheidungen nach §§ 45, 48 SGB X abweichend von der gesetzlichen Regelung auf den Zuflussmonat zu bestimmen (Urteil vom 24.8.2017 - B 4 AS 9/16 R).
Es gibt keinen Grund, dies für die Abrechnung vorläufiger Leistungen anderes zu werten.
Bei einem Hilfebedarf (ab 1.1.2018) von monatlich 831,86 EUR liegen demnach alle Krankengeldzahlungen in den einschlägigen Anrechnungsmonaten noch unter dieser Bedarfsschwelle, was nach § 41a Abs. 4 SGB II eine Durchschnittsberechnung erzwingt.
§ 41a SGB II unterscheidet bei der vorgeschriebenen Bildung eines Durchschnittseinkommens nicht zwischen laufendem und Einmaleinkommen. Die Zuordnungsregel in § 11 Abs. 3 SGB II bestimmt bei vorläufigen Bewilligungen mithin nur darüber, ob und ggf. mit welchem Betrag das Einmaleinkommen in den Bewilligungszeitraum fällt und dann in die durch die 6 Monate zu teilende Einkommenssumme einbezogen wird.
Im vorliegenden Fall sind die Summen der Nachzahlungsbeträge ungeteilt im Folgemonat des Zuflusses anzurechnen bzw. diesem Monat für die endgültige Durchschnittsberechnung zuzuordnen.
Das ergibt bei einer dem Bewilligungszeitraum zuzuordnenden Gesamtsumme von 3.278,54 EUR: 6 einen monatlichen Anrechnungsbetrag von 546,42 EUR, bereinigt 516,42 EUR.
Die Klägerin hat im März 2018 demzufolge einen Leistungsanspruch in Höhe von 831,86 EUR - 516,46 EUR = 315,44 EUR. Vorläufig erhalten hatte sie 358,44 EUR.
Mit dem Überzahlungsbetrag für März von 43,28 EUR ergibt sich aus den im Übrigen nicht angefochtenen Leistungsbewilligungen ein Saldo von 45,26 EUR statt der geforderten Summe von 370,70 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Der Frage, wie laufende Krankengeldzahlungen anzurechnen sind und bei Nachzahlungen das Durchschnittseinkommen gemäß § 41a Abs. 4 SGB II zu bilden ist, kommt grundsätzliche Bedeutung zu, so dass die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG eröffnet ist.
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