Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 1659/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 4706/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld ist die Bundesanstalt für Arbeit zur Aufhebung der Bewilligungsentscheidung mit Erstattung der gezahlten Leistungen durch den Arbeitslosen auch dann nichtberechtigt, den der Arbeitslose vom früheren Arbeitgeber auf Grund arbeitsgerichtlichen Vergleich nur das das monatliche Arbeitslosengeld übersteigende Nettoentgelt erhält ; dieser " Spitznbetrag" stand zur freien Disposition der Arbeitsvertragsparteien.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 12. Oktober 2001 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 10. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Mai 2001 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung über Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. Mai bis 30. September 1998 und die Pflicht zur Erstattung - einschließlich Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung - von insgesamt DM 14.830,90. Der 1941 geborene Kläger war seit Oktober 1977 bei der Vertriebsgesellschaft mbH (im Folgenden: GmbH) in F. beschäftigt; er war (nicht beherrschend) an der Gesellschaft beteiligt. Aufgrund Anstellungsvertrags vom 4. Februar 1985 konnte das Arbeitsverhältnis nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Zuletzt (1997) hatte der Kläger als kaufmännischer Leiter Anspruch auf ein Bruttomonatsentgelt - einschließlich vermögenswirksamer Leistung - von DM 5.752,00. Die GmbH befand sich ab November 1997 mit der Zahlung der Gehälter im Verzug. Nachdem der Kläger durch Mahnbescheid die Zahlung geltend gemacht hatte, beurlaubte ihn der Geschäftsführer am 21. Januar 1998 mit sofortiger Wirkung. Deswegen wurde Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht (4 Ca 49/98) erhoben. Am 26. Februar 1998 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt (ArbA) arbeitslos und beantragte Alg. Das ArbA prüfte zunächst den Eintritt einer Sperrzeit und machte demgemäss gegenüber der GmbH einen Anspruchsübergang erst ab 16. April 1998 geltend. Nachdem von einer Sperrzeit abgesehen worden war, wurde durch Bescheid vom 31. März 1998 Alg ab 26. Februar 1998 bewilligt (wöchentliches Bemessungsentgelt Dm 1.330,00, Leistungssatz C/0 DM 511,49, Anspruchsdauer 971 Kalendertage). Das Arbeitsgericht gab (hierzu verbundenes weiteres Verfahren 4 Ca 70/98) durch Urteil vom 3. Juni 1998 der Kündigungsschutzklage statt und verurteilte die GmbH zur Zahlung des Gehalts für November 1997 bis April 1998. In Kenntnis hiervon machte das ArbA mit Schreiben vom 20. August 1998 gegenüber der GmbH einen Anspruchsübergang für die Zeit vom 26. Februar bis 30. April 1998 geltend. Zur Erledigung der arbeitsgerichtlichen Verfahren (zuletzt 4 Ca 427/98, zwischenzeitlich Berufung beim Landesarbeitsgericht unter 22 Sa 8/99 anhängig gewesen) schlossen die Parteien den Vergleich vom 11. August 1999. Sie waren sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund Kündigung vom 21. Januar 1998 mit dem 30. September 1998 beendet worden sei (§ 1). Ferner wurde (§ 2) "unter Berücksichtigung des vom Kläger erhaltenen Arbeitslosengeldes" für die Monate Mai, Juli und August 1998 (Kalendermonate mit 31 Tagen) ein Nettoentgelt von jeweils DM 1.287,56, für die Monate Juni und September 1998 (jeweils 30 Tage) von je DM 1.360,63 vereinbart; hierbei handelte es sich genau um den Aufstockungsbetrag gegenüber dem zugeflossenen Alg zur Erzielung des (gleichbleibenden) Nettobetrags. Eine Abfindung in Höhe von DM 8.750,00 sollte in Monatsraten von DM 1.450,00 ab 1. September 1999 gezahlt werden. Frist zum (nicht erklärten) Widerruf wurde den Parteien bis 1. September 1999 eingeräumt; laut klägerischem Telefonvermerk vom 25. August 1999 wurde das ArbA an diesem Tag von den Formulierungen des Vergleichs unterrichtet und zeigte sich hiermit einverstanden. Anfang Juni 2000 waren die Beträge an den Kläger ausgezahlt. Durch Bescheid vom 10. November 2000 hob das ArbA die Bewilligungsentscheidung über Alg für die Zeit vom 1. Mai bis 30. September 1998 auf und verpflichtete den Kläger zur Erstattung von DM 11.179,71, ferner zum Ersatz der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von DM 3.651,19, insgesamt DM 14.830,90 (EUR 7.582,92). Den nicht weiter begründeten Widerspruch wies das ArbA durch Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2001 - zugegangen am 9. Mai 2001 - zurück. Am (Montag) 11. Juni 2001 hat der Kläger zum Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Eine Begründung hat er nicht vorgelegt. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Durch Gerichtsbescheid vom 12. Oktober 2001 hat das SG diese abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anspruch auf Alg habe vom 1. Mai bis 30. September 1998 wegen des nachträglich gezahlten Arbeitsentgelts, auf dessen Höhe es nicht ankomme, geruht. Auch die sonstigen Voraussetzungen für Aufhebung und Erstattung hätten vorgelegen. Gegen den am 17. Oktober 2001 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am (Montag) 19. November 2001 schriftlich beim SG Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, der Vergleich vom 11. August 1999 sei in § 2 bewusst so gefasst worden, dass die Leistungen des ArbA angerechnet würden. Die GmbH habe sich nur verpflichtet gesehen, die Lohnforderung des Klägers in dem über das Alg hinausgehenden Umfang auszugleichen. Man sei sich darin einig gewesen, dass die weiteren Ansprüche seitens der Beklagten gegenüber der GmbH geltend gemacht würden. Hätte das ArbA dem nicht zugestimmt, wäre der Vergleich widerrufen worden mit dem Ziel, die GmbH zur vollen Lohnzahlung zu verpflichten.
Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 12. Oktober 2001 und den Bescheid vom 10. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Mai 2001 aufzuheben. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihre Bescheide für zutreffend. Der Kläger habe die Verfügungsbefugnis über das Arbeitsentgelt verloren. Er habe nicht durch den Vergleich auf Ansprüche verzichten können. Die Zahlungen des Arbeitgebers würden vorsorglich genehmigt. Mithin könne nicht auf eine Rückforderung gegenüber der GmbH verwiesen werden. Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Leistungsakten des ArbA Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg. Die Beklagte hat zu Unrecht die Bewilligung von Alg für die streitbefangene Zeit vom 1. Mai bis 30. September 1998 aufgehoben; sie nimmt ihn auch zu Unrecht zur Erstattung von DM 14.830,90 in Anspruch.
Die Beklagte vermag entgegen ihrer Auffassung - die bereits durch Hinweis des Berichterstatters des Senats vom 13. Juni 2002 deutlich in Frage gestellt worden ist - gegenüber dem Kläger nicht nach den Vorschriften über die Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte mit Dauerwirkung nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) durchzudringen. Im materiellen Ausgangspunkt ist zwar richtig, dass der Anspruch auf Alg gemäß § 143 Abs. 1 SGB III während der Zeit ruht, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat. Hier hat jedoch das ArbA durch Bescheid vom 31. März 1998 Alg ab 26. Februar 1998 (Meldung und Antragstellung) bewilligt, weil ein Anspruch des Klägers auf Arbeitsentgelt seitens der GmbH für die Zeit nach der fristlosen Beurlaubung vom 21. Januar 1998 bestritten und nicht mehr erfüllt worden war und hierüber arbeitsgerichtliche Verfahren anhängig waren. In dieser Lage ist auf das entsprechende Begehren des Klägers - was auch ausdrücklich in dem diesem bekannt gegebenen und an den Arbeitgeber gerichtet gewesenen Schreiben ohne Datum (vgl. Bl. 11/14 der Leistungsakten des ArbA) so formuliert worden ist - Alg im Sinne der sogenannten "Gleichwohlgewährung" bewilligt worden. Deren Grundlage (jetzt § 143 Abs. 3 Satz 1 SGB III) war im Fall des Klägers noch die gleichlautende Vorschrift des § 117 Abs. 4 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), weil (vgl. § 242x Abs. 3 Satz 1 AFG) er innerhalb der Rahmenfrist (drei Jahre, § 104 AFG) mindestens 360 Kalendertage vor dem 1. April 1997 in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hatte. Nach den zitierten Vorschriften wird Alg auch für die Zeit geleistet, in der der Anspruch auf Alg ruht, soweit der - faktisch - Arbeitslose im Streit stehendes Arbeitsentgelt tatsächlich nicht erhält. Der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber geht auf den Sozialleistungsträger (hier die Beklagte) bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen über (vgl. § 115 Abs. 1 SGB X). Hat der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt trotz dieses Rechtsübergangs mit befreiender Wirkung an den Arbeitslosen gezahlt, hat dieser das Alg zu erstatten (vgl. § 143 Abs. 3 Satz 2 SGB III, gleichlautend § 117 Abs. 4 Satz 2 AFG). Dieser Anspruch setzt nicht voraus und rechtfertigt es auch nicht, dass die Bewilligungsentscheidung aufgehoben wird, weil diese auch in rückwirkender Betrachtung nicht fehlerhaft war (vgl. ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - BSGE 67, 221 = SozR 3-4100 § 117 Nr. 3; BSGE 83, 82 = SozR aaO Nr. 16 m.N.). Mit der Erstattung gegenüber dem Arbeitslosen macht die Beklagte nicht die Erstattung von Alg, sondern die Herausgabe des vom Arbeitslosen nach dem Forderungsübergang (§ 115 SGB X) zu Unrecht erlangten Arbeitsentgelts geltend (vgl. BSGE 60, 168, 172 = SozR 4100 § 117 Nr. 16; BSGE 67, 221, 225; BSGE 72, 111, 116 = SozR aaO Nr. 9; BSG SozR aaO Nr. 18 m.w.N.). Eine Umdeutung (vgl. hierzu § 43 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X) der zu Unrecht auf §§ 45 ff. SGB X gestützten Aufhebung der Bewilligungsentscheidung und der ebenfalls zu Unrecht mit § 50 SGB X begründeten Erstattung von Alg in eine solche nach § 117 Abs. 4 Satz 2 AFG ist ausgeschlossen, weil die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht erfüllt sind (vgl. § 43 Abs. 1 SGB X). Jedenfalls vermag sich die Beklagte nicht im Sinne ihrer bis zuletzt vertretenen Auffassung - ebenso das SG - auf die Darlegungen in der Entscheidung BSGE 67, 221, 223 f. (= SozR 3-4100 § 117 Nr. 3) zu stützen, weil dort die Erstattungspflicht nach einer bindend gewordenen - vom Arbeitslosen nicht angefochtenen - Aufhebung der Bewilligungsentscheidung zu prüfen war; aufgrund der bindend gewordenen Aufhebung durfte Erstattung nach § 50 SGB X gefordert werden und der Vorrang der Vorschriften - wie zitiert - über den Forderungsübergang nach Gleichwohlgewährung war nicht mehr zu beachten. Hier jedoch hat der Kläger die fehlerhafte Aufhebungsentscheidung fristgerecht angefochten.
Der Kläger hat den dem bezogenen Alg entsprechenden Teil des Arbeitsentgelts im Sinne von § 117 Abs. 4 Satz 1 AFG tatsächlich nicht erhalten. Dies ist in § 2 des arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom 11. August 1999 zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses bewusst und ausdrücklich so geregelt worden. Die Parteien waren sich bei Abschluss des Vergleichs einig, dass dem Kläger von Mai bis September 1998 sein volles Bruttomonatsentgelt von jeweils DM 5.752,00 zustand. Demgemäss wurde genau ausgerechnet, dass wegen des für die Monate Mai, Juli und August (jeweils 31 Kalendertage) zugeflossenen höheren Alg ein geringerer Aufstockungsbetrag zur Erreichung des einheitlichen Nettoentgelts zu zahlen war. Das Alg hatte in den "längeren" Monaten DM 2.265,17, in den kürzeren Monaten DM 2.192,10 betragen. Die Aufstockung um DM 1.287,56 bzw. DM 1.360,63 erbrachte den Betrag des zustehenden Nettoentgelts von einheitlich DM 3.552,73. Der dem Alg entsprechende Betrag wurde dem Kläger tatsächlich nicht ausbezahlt. Ob in § 2 des arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom 11. August 1999 überhaupt ein Verzicht des Klägers auf den dem Alg entsprechenden Betrag gewollt war, kann letztlich dahinstehen. Den Parteien des Vergleichs war der Anspruchsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X offenkundig bekannt; das ArbA war eingeschaltet (vgl. den zuletzt vorgelegten Telefonvermerk vom 25. August 1999). Ein Verzicht auf den Entgeltanspruch wäre insoweit unwirksam gewesen (einhellige Auffassung, vgl. Bundesarbeitsgericht ZIP 1981, 1364). Die Regelung im Vergleich vom 11. August 1999 hatte zur Folge, dass die Beklagte gemäß § 115 Abs. 1 SGB X gegen die GmbH vorgehen konnte und nicht der Umweg einer Auszahlung an den Kläger und einer Erstattungsforderung gegen diesen gesucht werden musste. Die von der GmbH an den Kläger ausgezahlten "Spitzbeträge" standen zur freien Disposition der Parteien (vgl. etwa Gagel/Vogt, Beendigung von Arbeitsverhältnissen, 4. Aufl., S. 72 Rdnr. 221). Bei der hier gewählten klaren Formulierung des Vergleichs findet sich auch keine Rechtfertigung dafür, die gezahlten Spitzbeträge als in Wirklichkeit auf das dem Alg entsprechende Arbeitsentgelt entfallend anzusehen. Ein manipulatives Verhalten der Parteien ist nicht ersichtlich.
Bezüglich der nach § 3 des arbeitsgerichtlichen Vergleichs zustehenden Abfindung in Höhe von DM 8.750,00 ergibt sich für den vorliegenden Streit nichts anderes. Die Abfindung war angesichts der langen Unternehmenszugehörigkeit des Klägers (zwanzig Jahre) und der offenkundigen Rechtswidrigkeit der ausgesprochenen Kündigung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach gerechtfertigt. Eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung, die als der Beklagten gegenüber unwirksam anzusehen wäre (vgl. etwa BSGE 52, 47 = SozR 4100 § 117 Nr. 7; BSG Breithaupt 1991, 708) liegt demgemäß nicht vor. Ob die Abfindung gemäß § 117 Abs. 2 und 3 AFG zu einem Ruhen des Anspruchs auf Alg für einen Zeitraum nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. hierzu BSG SozR 3-4100 § 117 Nr. 21) geführt hätte, ist hier nicht zu prüfen, da solches vom ArbA nicht verfügt worden ist.
Nachdem die Bewilligungsentscheidung über Alg nicht rechtmäßig aufgehoben worden ist, entfällt auch die Pflicht zum Ersatz der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. § 335 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 SGB III). Insoweit wären die Beiträge vom Arbeitgeber zu ersetzen (vgl. Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung über Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. Mai bis 30. September 1998 und die Pflicht zur Erstattung - einschließlich Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung - von insgesamt DM 14.830,90. Der 1941 geborene Kläger war seit Oktober 1977 bei der Vertriebsgesellschaft mbH (im Folgenden: GmbH) in F. beschäftigt; er war (nicht beherrschend) an der Gesellschaft beteiligt. Aufgrund Anstellungsvertrags vom 4. Februar 1985 konnte das Arbeitsverhältnis nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Zuletzt (1997) hatte der Kläger als kaufmännischer Leiter Anspruch auf ein Bruttomonatsentgelt - einschließlich vermögenswirksamer Leistung - von DM 5.752,00. Die GmbH befand sich ab November 1997 mit der Zahlung der Gehälter im Verzug. Nachdem der Kläger durch Mahnbescheid die Zahlung geltend gemacht hatte, beurlaubte ihn der Geschäftsführer am 21. Januar 1998 mit sofortiger Wirkung. Deswegen wurde Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht (4 Ca 49/98) erhoben. Am 26. Februar 1998 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt (ArbA) arbeitslos und beantragte Alg. Das ArbA prüfte zunächst den Eintritt einer Sperrzeit und machte demgemäss gegenüber der GmbH einen Anspruchsübergang erst ab 16. April 1998 geltend. Nachdem von einer Sperrzeit abgesehen worden war, wurde durch Bescheid vom 31. März 1998 Alg ab 26. Februar 1998 bewilligt (wöchentliches Bemessungsentgelt Dm 1.330,00, Leistungssatz C/0 DM 511,49, Anspruchsdauer 971 Kalendertage). Das Arbeitsgericht gab (hierzu verbundenes weiteres Verfahren 4 Ca 70/98) durch Urteil vom 3. Juni 1998 der Kündigungsschutzklage statt und verurteilte die GmbH zur Zahlung des Gehalts für November 1997 bis April 1998. In Kenntnis hiervon machte das ArbA mit Schreiben vom 20. August 1998 gegenüber der GmbH einen Anspruchsübergang für die Zeit vom 26. Februar bis 30. April 1998 geltend. Zur Erledigung der arbeitsgerichtlichen Verfahren (zuletzt 4 Ca 427/98, zwischenzeitlich Berufung beim Landesarbeitsgericht unter 22 Sa 8/99 anhängig gewesen) schlossen die Parteien den Vergleich vom 11. August 1999. Sie waren sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund Kündigung vom 21. Januar 1998 mit dem 30. September 1998 beendet worden sei (§ 1). Ferner wurde (§ 2) "unter Berücksichtigung des vom Kläger erhaltenen Arbeitslosengeldes" für die Monate Mai, Juli und August 1998 (Kalendermonate mit 31 Tagen) ein Nettoentgelt von jeweils DM 1.287,56, für die Monate Juni und September 1998 (jeweils 30 Tage) von je DM 1.360,63 vereinbart; hierbei handelte es sich genau um den Aufstockungsbetrag gegenüber dem zugeflossenen Alg zur Erzielung des (gleichbleibenden) Nettobetrags. Eine Abfindung in Höhe von DM 8.750,00 sollte in Monatsraten von DM 1.450,00 ab 1. September 1999 gezahlt werden. Frist zum (nicht erklärten) Widerruf wurde den Parteien bis 1. September 1999 eingeräumt; laut klägerischem Telefonvermerk vom 25. August 1999 wurde das ArbA an diesem Tag von den Formulierungen des Vergleichs unterrichtet und zeigte sich hiermit einverstanden. Anfang Juni 2000 waren die Beträge an den Kläger ausgezahlt. Durch Bescheid vom 10. November 2000 hob das ArbA die Bewilligungsentscheidung über Alg für die Zeit vom 1. Mai bis 30. September 1998 auf und verpflichtete den Kläger zur Erstattung von DM 11.179,71, ferner zum Ersatz der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von DM 3.651,19, insgesamt DM 14.830,90 (EUR 7.582,92). Den nicht weiter begründeten Widerspruch wies das ArbA durch Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2001 - zugegangen am 9. Mai 2001 - zurück. Am (Montag) 11. Juni 2001 hat der Kläger zum Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Eine Begründung hat er nicht vorgelegt. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Durch Gerichtsbescheid vom 12. Oktober 2001 hat das SG diese abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anspruch auf Alg habe vom 1. Mai bis 30. September 1998 wegen des nachträglich gezahlten Arbeitsentgelts, auf dessen Höhe es nicht ankomme, geruht. Auch die sonstigen Voraussetzungen für Aufhebung und Erstattung hätten vorgelegen. Gegen den am 17. Oktober 2001 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am (Montag) 19. November 2001 schriftlich beim SG Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, der Vergleich vom 11. August 1999 sei in § 2 bewusst so gefasst worden, dass die Leistungen des ArbA angerechnet würden. Die GmbH habe sich nur verpflichtet gesehen, die Lohnforderung des Klägers in dem über das Alg hinausgehenden Umfang auszugleichen. Man sei sich darin einig gewesen, dass die weiteren Ansprüche seitens der Beklagten gegenüber der GmbH geltend gemacht würden. Hätte das ArbA dem nicht zugestimmt, wäre der Vergleich widerrufen worden mit dem Ziel, die GmbH zur vollen Lohnzahlung zu verpflichten.
Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 12. Oktober 2001 und den Bescheid vom 10. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Mai 2001 aufzuheben. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihre Bescheide für zutreffend. Der Kläger habe die Verfügungsbefugnis über das Arbeitsentgelt verloren. Er habe nicht durch den Vergleich auf Ansprüche verzichten können. Die Zahlungen des Arbeitgebers würden vorsorglich genehmigt. Mithin könne nicht auf eine Rückforderung gegenüber der GmbH verwiesen werden. Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Leistungsakten des ArbA Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg. Die Beklagte hat zu Unrecht die Bewilligung von Alg für die streitbefangene Zeit vom 1. Mai bis 30. September 1998 aufgehoben; sie nimmt ihn auch zu Unrecht zur Erstattung von DM 14.830,90 in Anspruch.
Die Beklagte vermag entgegen ihrer Auffassung - die bereits durch Hinweis des Berichterstatters des Senats vom 13. Juni 2002 deutlich in Frage gestellt worden ist - gegenüber dem Kläger nicht nach den Vorschriften über die Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte mit Dauerwirkung nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) durchzudringen. Im materiellen Ausgangspunkt ist zwar richtig, dass der Anspruch auf Alg gemäß § 143 Abs. 1 SGB III während der Zeit ruht, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat. Hier hat jedoch das ArbA durch Bescheid vom 31. März 1998 Alg ab 26. Februar 1998 (Meldung und Antragstellung) bewilligt, weil ein Anspruch des Klägers auf Arbeitsentgelt seitens der GmbH für die Zeit nach der fristlosen Beurlaubung vom 21. Januar 1998 bestritten und nicht mehr erfüllt worden war und hierüber arbeitsgerichtliche Verfahren anhängig waren. In dieser Lage ist auf das entsprechende Begehren des Klägers - was auch ausdrücklich in dem diesem bekannt gegebenen und an den Arbeitgeber gerichtet gewesenen Schreiben ohne Datum (vgl. Bl. 11/14 der Leistungsakten des ArbA) so formuliert worden ist - Alg im Sinne der sogenannten "Gleichwohlgewährung" bewilligt worden. Deren Grundlage (jetzt § 143 Abs. 3 Satz 1 SGB III) war im Fall des Klägers noch die gleichlautende Vorschrift des § 117 Abs. 4 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), weil (vgl. § 242x Abs. 3 Satz 1 AFG) er innerhalb der Rahmenfrist (drei Jahre, § 104 AFG) mindestens 360 Kalendertage vor dem 1. April 1997 in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hatte. Nach den zitierten Vorschriften wird Alg auch für die Zeit geleistet, in der der Anspruch auf Alg ruht, soweit der - faktisch - Arbeitslose im Streit stehendes Arbeitsentgelt tatsächlich nicht erhält. Der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber geht auf den Sozialleistungsträger (hier die Beklagte) bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen über (vgl. § 115 Abs. 1 SGB X). Hat der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt trotz dieses Rechtsübergangs mit befreiender Wirkung an den Arbeitslosen gezahlt, hat dieser das Alg zu erstatten (vgl. § 143 Abs. 3 Satz 2 SGB III, gleichlautend § 117 Abs. 4 Satz 2 AFG). Dieser Anspruch setzt nicht voraus und rechtfertigt es auch nicht, dass die Bewilligungsentscheidung aufgehoben wird, weil diese auch in rückwirkender Betrachtung nicht fehlerhaft war (vgl. ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - BSGE 67, 221 = SozR 3-4100 § 117 Nr. 3; BSGE 83, 82 = SozR aaO Nr. 16 m.N.). Mit der Erstattung gegenüber dem Arbeitslosen macht die Beklagte nicht die Erstattung von Alg, sondern die Herausgabe des vom Arbeitslosen nach dem Forderungsübergang (§ 115 SGB X) zu Unrecht erlangten Arbeitsentgelts geltend (vgl. BSGE 60, 168, 172 = SozR 4100 § 117 Nr. 16; BSGE 67, 221, 225; BSGE 72, 111, 116 = SozR aaO Nr. 9; BSG SozR aaO Nr. 18 m.w.N.). Eine Umdeutung (vgl. hierzu § 43 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X) der zu Unrecht auf §§ 45 ff. SGB X gestützten Aufhebung der Bewilligungsentscheidung und der ebenfalls zu Unrecht mit § 50 SGB X begründeten Erstattung von Alg in eine solche nach § 117 Abs. 4 Satz 2 AFG ist ausgeschlossen, weil die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht erfüllt sind (vgl. § 43 Abs. 1 SGB X). Jedenfalls vermag sich die Beklagte nicht im Sinne ihrer bis zuletzt vertretenen Auffassung - ebenso das SG - auf die Darlegungen in der Entscheidung BSGE 67, 221, 223 f. (= SozR 3-4100 § 117 Nr. 3) zu stützen, weil dort die Erstattungspflicht nach einer bindend gewordenen - vom Arbeitslosen nicht angefochtenen - Aufhebung der Bewilligungsentscheidung zu prüfen war; aufgrund der bindend gewordenen Aufhebung durfte Erstattung nach § 50 SGB X gefordert werden und der Vorrang der Vorschriften - wie zitiert - über den Forderungsübergang nach Gleichwohlgewährung war nicht mehr zu beachten. Hier jedoch hat der Kläger die fehlerhafte Aufhebungsentscheidung fristgerecht angefochten.
Der Kläger hat den dem bezogenen Alg entsprechenden Teil des Arbeitsentgelts im Sinne von § 117 Abs. 4 Satz 1 AFG tatsächlich nicht erhalten. Dies ist in § 2 des arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom 11. August 1999 zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses bewusst und ausdrücklich so geregelt worden. Die Parteien waren sich bei Abschluss des Vergleichs einig, dass dem Kläger von Mai bis September 1998 sein volles Bruttomonatsentgelt von jeweils DM 5.752,00 zustand. Demgemäss wurde genau ausgerechnet, dass wegen des für die Monate Mai, Juli und August (jeweils 31 Kalendertage) zugeflossenen höheren Alg ein geringerer Aufstockungsbetrag zur Erreichung des einheitlichen Nettoentgelts zu zahlen war. Das Alg hatte in den "längeren" Monaten DM 2.265,17, in den kürzeren Monaten DM 2.192,10 betragen. Die Aufstockung um DM 1.287,56 bzw. DM 1.360,63 erbrachte den Betrag des zustehenden Nettoentgelts von einheitlich DM 3.552,73. Der dem Alg entsprechende Betrag wurde dem Kläger tatsächlich nicht ausbezahlt. Ob in § 2 des arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom 11. August 1999 überhaupt ein Verzicht des Klägers auf den dem Alg entsprechenden Betrag gewollt war, kann letztlich dahinstehen. Den Parteien des Vergleichs war der Anspruchsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X offenkundig bekannt; das ArbA war eingeschaltet (vgl. den zuletzt vorgelegten Telefonvermerk vom 25. August 1999). Ein Verzicht auf den Entgeltanspruch wäre insoweit unwirksam gewesen (einhellige Auffassung, vgl. Bundesarbeitsgericht ZIP 1981, 1364). Die Regelung im Vergleich vom 11. August 1999 hatte zur Folge, dass die Beklagte gemäß § 115 Abs. 1 SGB X gegen die GmbH vorgehen konnte und nicht der Umweg einer Auszahlung an den Kläger und einer Erstattungsforderung gegen diesen gesucht werden musste. Die von der GmbH an den Kläger ausgezahlten "Spitzbeträge" standen zur freien Disposition der Parteien (vgl. etwa Gagel/Vogt, Beendigung von Arbeitsverhältnissen, 4. Aufl., S. 72 Rdnr. 221). Bei der hier gewählten klaren Formulierung des Vergleichs findet sich auch keine Rechtfertigung dafür, die gezahlten Spitzbeträge als in Wirklichkeit auf das dem Alg entsprechende Arbeitsentgelt entfallend anzusehen. Ein manipulatives Verhalten der Parteien ist nicht ersichtlich.
Bezüglich der nach § 3 des arbeitsgerichtlichen Vergleichs zustehenden Abfindung in Höhe von DM 8.750,00 ergibt sich für den vorliegenden Streit nichts anderes. Die Abfindung war angesichts der langen Unternehmenszugehörigkeit des Klägers (zwanzig Jahre) und der offenkundigen Rechtswidrigkeit der ausgesprochenen Kündigung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach gerechtfertigt. Eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung, die als der Beklagten gegenüber unwirksam anzusehen wäre (vgl. etwa BSGE 52, 47 = SozR 4100 § 117 Nr. 7; BSG Breithaupt 1991, 708) liegt demgemäß nicht vor. Ob die Abfindung gemäß § 117 Abs. 2 und 3 AFG zu einem Ruhen des Anspruchs auf Alg für einen Zeitraum nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. hierzu BSG SozR 3-4100 § 117 Nr. 21) geführt hätte, ist hier nicht zu prüfen, da solches vom ArbA nicht verfügt worden ist.
Nachdem die Bewilligungsentscheidung über Alg nicht rechtmäßig aufgehoben worden ist, entfällt auch die Pflicht zum Ersatz der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. § 335 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 SGB III). Insoweit wären die Beiträge vom Arbeitgeber zu ersetzen (vgl. Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
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