S 3 U 215/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 215/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 109/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 35/20 B
Datum
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des von der Beklagten zu zahlenden Verletztengeldes für einen von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall vom 25.08.2009.

Am 25.08.2009 war der Kläger als Einschaler auf der Großbaustelle D. beschäftigt, als er am Nachmittag von einer einstürzenden Decke begraben wurde. Die Beklagte hat dieses Ereignis mit Bescheid vom 22.11.2010 als Arbeitsunfall anerkannt und hat bei der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden zu Grunde gelegt. Hierbei legte sie ein von der KKH-Allianz vorgelegtes Schreiben zu Grunde, bei welchem der Kläger eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden angegeben hatte (L 44 der Beklagtenakten). Ferner eine vom Kläger übersandte Verdienstabrechnung für den Monat Juli, aus welcher sich ebenfalls eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden ergibt (L der Beklagtenakten). Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 16.12.2009 reichte der Kläger einen Arbeitsvertrag über 20 Wochenstunden ein (L 110 der Beklagtenakten). Ferner reichte der Kläger eine Stundenübersicht zu den Akten (L 111 der Beklagtenakten). Telefonisch erklärte der Kläger im Weiteren, der 1. Arbeitsvertrag über 20 Wochenstunden sei von ihm nicht unterschrieben worden, weil die Stundenangaben nicht stimmte. Die Beklagte versuchte im Folgenden Zahlungen des Arbeitgebers zu klären (L 94 der Beklagtenakten). Sie erhielt jedoch vom Arbeitgeber des Klägers keine Auskünfte. Aus einer Berechnung der Deutschen Rentenversicherung (L 119 der Beklagtenakten) ergab sich jedoch, dass der Kläger keine Beiträge an die Deutsche Rentenversicherung geleistet hat. Mit Schreiben vom 14.12.2009 begehrte der Kläger Verletztengeld nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden (L 119 der Beklagtenakten) und legte mit Schriftsatz vom 19.02.2013 einen Arbeitsvertrag über 40 Wochen Arbeitsstunden vor. Im Weiteren begehrte der Kläger einer Anpassung des Jahresarbeitsverdienstes unter Zugrundelegung einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden.

Mit Bescheid vom 26.08.2013 hat die Beklagte die Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 14.12.2009 abgelehnt. Verletztengeld sei von der KKH-Allianz in Höhe von kalendertäglich 24,64 EUR an den Kläger ausgezahlt worden. Das Verletztengeld sei aufgrund der vom Kläger eingereichten Verdienstbescheinigung für den Monat Juli 2009 berechnet worden, die ein Arbeitsentgelt i.H.v. 1012 EUR brutto und 793,38 EUR netto nachweise, welches in 92 Arbeitsstunden erzielt worden sei. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Monat Juli 2009 23 Arbeitstage hatte, ergäbe sich eine tägliche Arbeitszeit von 4 Stunden, was einer 20 Stunden-Woche entspreche. Aus den von dem Kläger eingereichten Kopien eines Arbeitsvertrages vom 05.06.2009 zwischen dem Kläger und dem Unfallbetrieb, der Firma E. GmbH, E-Stadt, ergäben sich widersprüchliche Angaben zur regelmäßigen Arbeitszeit. Aus der einen Kopie seien 20 Stunden pro Woche ersichtlich aus der anderen 40 Stunden pro Woche. Da bei der Berechnung des Verletztengeldes die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich seien und Grundlage hierfür die letzten Entgeltabrechnungszeiträume vor dem Unfall seien, sei beweisend für das tatsächlich erzielte Entgelt und die in diesem Zeitraum geleisteten Arbeitsstunden die Verdienstbescheinigung für den Monat Juli 2009. Andere Belege über das erzielte Entgelt lägen nicht vor. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2013 zurück.

Der Kläger behauptet, er habe mit seinem Arbeitgeber eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden vereinbart. Tatsächlich habe er jedoch weitaus mehr auf der Baustelle gearbeitet.

Er beantragt daher,
den Bescheid vom 26.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 14.12.2009 dem Kläger Verletztengeld für den Zeitraum vom 25.08.2009 bis 31.05.2010 unter Zugrundelegung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen F. und ferner Lesung zweier Aussagen des vorgenannten Zeugen vor der Staatsanwaltschaft Frankfurt in Auszügen.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichts- und Beklagtenakten sowie die Akten 4 Ca 1324/13 des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung der Kammer gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes unter Berücksichtigung einer Wochenarbeitszeit von mehr als 20 Stunden.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Liegen diese Voraussetzungen vor, hat der Betroffene insoweit einen Anspruch gegen den Träger auf Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach § 44 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB X längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wobei der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet wird, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung dieses Zeitraums an die Stelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).

Gemäß § 47 Abs 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) erhalten Versicherte, die Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt haben, Verletztengeld entsprechend § 47 Abs. 1 und 2 des Fünften Buches mit der Maßgabe, dass

1. das Regelentgelt aus dem Gesamtbetrag des regelmäßigen Arbeitsentgelts und des Arbeitseinkommens zu berechnen und bis zu einem Betrag in Höhe des 360. Teils des Höchstjahresarbeitsverdienstes zu berücksichtigen ist,

2. das Verletztengeld 80 vom Hundert des Regelentgelts beträgt und das bei Anwendung des § 47 Abs. 1 und 2 des Fünften Buches berechnete Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigt.

Nach § 47 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist Arbeitseinkommen bei der Ermittlung des Regelentgelts mit dem 360. Teil des im Kalenderjahr vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit [ ...] erzielten Arbeitseinkommens zugrunde zu legen.

Nach Abs. 4 ist das Verletztengeld nach billigem Ermessen festzustellen, wenn die nach Absatz 3 berechnete Höhe des Regelentgelts nicht der Ersatzfunktion des Verletztengeldes und der Stellung der Versicherten im Erwerbsleben entspricht. Dabei werden insbesondere die Fähigkeiten, die Ausbildung, die Lebensstellung und die Tätigkeit der Versicherten vor und nach dem Zeitpunkt des Versicherungsfalles berücksichtigt.

Der Begriff des Arbeitseinkommens wird in § 15 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) grundsätzlich definiert: es ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ist Einkommen als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV bestimmt, dass Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung sind, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. § 14 Abs. 1 Satz 3 SGB IV legt fest, dass steuerfreie Aufwandsentschädigungen und die in § 3 Nummer 26 und 26a des Einkommensteuergesetzes genannten steuerfreien Einnahmen nicht als Arbeitsentgelt gelten. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Denn soweit der Kläger ein höheres Einkommen erzielt haben sollte, ist dieses Einkommen zum einen nicht nachgewiesen. Zum anderen steht es zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger zwar tatsächlich mehr als 20 Wochen Arbeitsstunden gearbeitet hat. Die darüber hinausgehende Arbeitszeit wurde jedoch nicht in einem im Rahmen eines ordnungsgemäß sozial Versicherten Beschäftigungsverhältnis verrichtet. Die Kammer ist der Überzeugung, dass der Arbeitgeber des Klägers im Einverständnis mit dem Kläger lediglich eine Wochenarbeitszeit von 20 Stunden sozialversicherungspflichtig angemeldet hat und zwischen beiden Einverständnis dahingehenden, dass die darüber hinausgehende Arbeitszeit des Klägers "schwarz" als so genannte Schwarzarbeit ohne Versicherungsbeiträge erbracht werden sollte. Die Kammer stützt ihre Überzeugung auf die Aussagen des Zeugen G. bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt und die vom Kläger zu den Akten gereichten Dokumente und seine persönliche Anhörung. Der Zeuge G. hat sich gegenüber der Staatsanwaltschaft Frankfurt dahingehend eingelassen, dass es auf der Baustelle ein "Lohnsplitting" gegeben hat. Dabei wurde den Arbeitnehmern ein Teil des Lohnes als offiziell angemeldete Tätigkeit ausgezahlt. Der übrige Teil des Lohnes wurde inoffiziell in bar ausgezahlt. Diese Angaben vermögen die Existenz von 2 Arbeitsverträgen zu erklären. Im Übrigen geht die Kammer davon aus, dass die auf der gesamten Baustelle übliche Praxis dem Kläger nicht verborgen geblieben ist, sondern vielmehr selbstbewusst daran partizipiert hat. Dies ergibt sich für die Kammer nicht zuletzt aus dem Umstand, dass das Geld an den Kläger bar ausgezahlt worden ist und er im Besitz zweier Arbeitsverträge gewesen ist. Die Erklärung des Klägers, er habe den einem Arbeitsvertrag nicht unterschreiben wollen erscheint hier insoweit als Schutzbehauptung. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es der Kläger war, der als 1. den Arbeitsvertrag über eine Wochenarbeitszeit von 20 Arbeitsstunden an die Beklagte weitergereicht hat. Ferner spricht der Umstand, dass die aus den Abrechnungen ersichtlichen Zahlungen nicht mit der vom Kläger genannten Wochenarbeitszeit übereinstimmen dafür, dass dem Kläger das Procedere auf der Baustelle bekannt war und er so verfahren wollte. Nicht übereinstimmenden Beträge ergeben sich insoweit aus der vom Zeugen G. beschriebenen Zahlungspraxis.

Soweit der Kläger weitere Arbeitsstunden in Schwarzarbeit verrichtet hat, kann dies nicht dazu führen, dass diese Arbeitszeit bei der Berechnung des Jahresarbeitslohnes zu berücksichtigen ist.

Dies folgt zum einen aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Nichtigkeit von Schwarzarbeiterverträgen (grundlegend BGH, Urteil v. 31.05.1990, Az. VII ZR 336/89). Denn demnach ist der Schwarzarbeitervertrag gemäß § 134 BGB nichtig. Dem vorleistenden Schwarzarbeiter kann zwar unter Umständen ein Anspruch auf Wertersatz aus den §§ 812, 818 Abs. 2 BGB zustehen. Hierbei handelt es sich dann aber nicht um Einkommen im Sinne des § 15 SGB IV sondern eben nur um einen Wertersatz, der für die Berechnung des Verletztengeldes nicht zu berücksichtigen ist.

Diese Wertung entspricht auch dem Willen des Sozialgesetzgebers. Würde man diese Arbeitszeit berücksichtigen schüfe dies einen Anreiz für Arbeitnehmer, in Zukunft nur einen Teil ihrer Arbeitszeit als versicherungspflichtige Arbeit zu verrichten, um in den Genuss der Rechte und Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu kommen. Nachteile müsste ein Arbeitnehmer hier aufgrund der Schwarzarbeit bei Eintritt eines Versicherungsfalles nicht befürchten. Aus der Systematik des SGB 7 ergibt sich jedoch der eindeutige Wille des Gesetzgebers, gerade keinen Anreiz für Schwarzarbeit zu setzen. Vielmehr zeigt die Regelung des §§ 110 SGB VII eindeutig, dass es bei groben Verschulden nicht mehr gerechtfertigt erscheint einen Schädiger der gesetzlichen Unfallversicherung auf Kosten der Beitragszahler zu privilegieren.

Der der Berechnung zugrunde gelegte JAV ist mithin nicht in erheblichem Maße unbillig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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