S 1 U 58/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 58/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 45/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 16/19 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.941,40 Euro zu zahlen.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage der Zuständigkeit für die Behandlungs- und sonstigen Kosten anlässlich eines bei der Jagd Verletzten und begehren wechselseitig Erstattung ihrer Aufwendungen. Die Klägerin und Widerbeklagte wäre die zuständige Berufsgenossenschaft des bei einer Gesellschaftsjagd verunglückten Treibers, die Beklagte und Widerklägerin ist dessen gesetzliche Krankenversicherung.

Der Verunglückte besitzt einen Begehungsschein bzw. eine Jagderlaubnis. Sein Begehungsschein ist ausgestellt vom Landrat des Main-Spessartkreises und ist für ganz Deutschland gültig.

Mit Schreiben vom 17.09.2014 lud ihn die Forstverwaltung der Stadt C-Stadt zu einer so bezeichneten Gesellschaftsjagd am 22. November 2014 als so wörtlich "Hundeführer/Treiber" ein. Es werde ein mehrstündiges Treiben abgehalten. Nach der Jagd treffe man sich zum Schüsseltreiben im Gasthaus "DE." in D-Stadt. Der Betroffene wurde auf die Unfallverhütungsvorschriften hingewiesen. Er wurde gebeten, seinen "brauchbaren Jagdhund (wenn derzeit einsetzbar)" und seine Warnkleidung nicht zu vergessen.

Die Stadt C-Stadt besitzt ca. 3000 ha Wald mit mehreren Jagdrevieren. Diese werde in Eigenregie bewirtschaftet. Um die Wildschadensproblematik in den Griff zu bekommen, finden so genannte Gesellschaftsjagden statt, zu denen Personen eingeladen werden, die die Teilnahme wollen. Man weiß, wer an so etwas teilnehmen will oder erfährt dies über andere. Die Eingeladenen erhalten hierfür kein Geld, sondern werden dann zum Essen eingeladen.

Der Betroffene war am Unfalltag selbst Mitpächter in einem anderen Gemeinschaftsjagdrevier. Am Unfalltag wurde er eigenen Angaben zufolge als so genannter Durchgehschütze bzw. Durchgangsschütze eingesetzt. Er führte neben seinem Jagdhund auch eine Jagdwaffe mit. Nach eigenen Angaben war er als Hundeführer zur Nachsuche eingeladen.

Zum Unfallereignis kam es, als der Betroffene nach seinen Angaben "beim Durchgehen als Durchgangsschütze bei der Treibjagd" von einem Stein oder einer Wurzel abrutschte und sich dabei das linke Knie verdrehte. Die zunächst angegangene Bayerische Landesunfallkasse erbrachte darauf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Die hiernach mit der Sache befasste zuständige Klägerin lehnte den Vorfall mit Bescheid vom 03.03.2015 als Arbeitsunfall ab und wies auch den dagegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2015 zurück. Dieser Bescheid wurde, soweit ersichtlich, so bestandskräftig.

In der Folge machten die Beteiligten wechselseitig Erstattungsansprüche geltend. Bereits mit Schreiben vom 03.03.2015 meldete die Klägerin ihre vermeintlichen Erstattungsansprüche bei der Beklagten an, die Beklagte (und Widerklägerin) die ihr vermeintlich zustehenden mit Schreiben vom 30.07.2015. Insgesamt wandte die Klägerin mindestens einen Betrag von 10.941,40 Euro, die Beklagte einen solchen von mindestens 4.051,96 Euro auf.

Mit Schreiben vom 07.04.2016 hat die Klägerin und Widerbeklagte am 15.04.2016 Leistungsklage zum Sozialgericht erhoben. Sie vertritt die Auffassung, als Durchgangsschütze sei der Betroffene bei ihr nicht versichert gewesen. Da nach den Angaben der Betroffenen und nach Bestätigung der Stadt C-Stadt keine Entlohnung für die Tätigkeit der Gesellschaftsjagd vereinbart worden sei und auch kein Arbeitsvertrag als Schweißhundeführer geschlossen worden sei, sei keine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Beschäftigung ausgeübt worden. Die Bestätigung der Stadt C-Stadt darüber, dass der Betroffene an die Weisungen bzgl. der zu durchtreibenden Waldfläche gebunden gewesen sei, mithin eine Beauftragung erfolgt sei, ändere nichts an der Abgrenzung einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII und an dem privaten Interesse an der Jagd. Der Betroffene sei im Besitz eines Jagderlaubnisscheines gewesen, habe zum Unfallzeitpunkt eine Waffe sowie einen Jagdhund geführt. Bei Treibern oder Durchgangsschützen stehe die nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherungsfreie Jagdgasteigenschaft im Vordergrund, eine abhängige Tätigkeit mit Arbeitnehmercharakter liege nicht vor.

Sie beantragt daher,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.941,40 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie stellt sich auf den Standpunkt, die Treibertätigkeit mit Hund bzw. die Tätigkeit als Durchgehschütze begründe keine Jagdgasteigenschaft. Unbestritten sei das Interesse des Betroffenen an der Jagd. Dies habe aber nichts mit seiner Tätigkeit oder mit seinem Auftrag an diesem Tag zu tun. Der Betroffene sei an die Weisungen der Stadt bzw. deren Vertreter hinsichtlich der zu durchtreibenden Waldfläche gebunden gewesen und er sei nur als Treiber, nicht aber als aktiver Jäger eingesetzt worden. Als Treiber habe er auch nur eine entladene bzw. unterladene Waffe zum Eigenschutz mitführen dürfen. Er sei an diesem Tag damit als weisungsgebundener Treiber im Einsatz gewesen und somit versicherungspflichtig als Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 2 SGB VII. Seine Tätigkeit habe dem Unternehmen der Stadt C-Stadt gedient. Er habe Wild aufstöbern sollen, damit die Jagd für den Veranstalter überhaupt erfolgreich werden kann. Eine Entlohnung werde bei einer Beschäftigung als "Wie-Arbeitnehmer" nicht zwingend verlangt. Eine kleine Entlohnung als Sachbezug sei enthalten.

Widerklagend beantragt sie daher,
die Klägerin und Widerbeklagte zu verurteilen, an sie 4.051,96 Euro zu zahlen.

Die Klägerin und Widerbeklagte beantragt,
die Widerklage abzuweisen.

Sie hält eine weisungsgebundene Beauftragung des Betroffenen als Treiber am Unfalltag für nicht gegeben.

Hinsichtlich der weiteren wechselseitigen Begründungen ihrer Klagen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beteiligten (1 Hefter bzw. 1 Heftstreifen) Bezug genommen. Sämtliche Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und im Übrigen statthafte Leistungsklage hat in vollem Umfang Erfolg. Der Widerklage war der Erfolg zu versagen.

Nach § 105 SGB X ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, soweit der zuständige Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Vorliegend hat die Klägerin und Widerbeklagte als unzuständiger Leistungsträger Leistungen erbracht. Die Leistungshöhe ist zwischen den Beteiligten unstreitig und wird seitens der Kammer auch nicht in Zweifel gezogen. Zuständiger Leistungsträger ist die Beklagte. Denn der Betroffene war als Jagdgast versicherungsfrei.

Nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII sind nämlich Personen von der Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII frei, die aufgrund einer vom Fischerei- oder Jagdausübungsberechtigten erteilten Erlaubnis als Fischerei- oder Jagdgastfischen oder Jagen.

Zunächst scheidet Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 a SGB VII aus. Nach dieser Vorschrift sind Personen kraft Gesetzes versichert, die Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind. Nach § 123 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII gehören Jagden zu den landwirtschaftlichen Unternehmen. Unternehmer nach § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII ist derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht. Dies sind bei der Jagd diejenigen, denen das Recht zusteht, in eigenen oder fremden Geländen wildlebende jagdbare Tiere zu hegen und zu erlegen (vgl. HLSG, 01.12.2009 – L 3 U 229/06 -, juris). Es kann hier offenbleiben, ob der Betroffene in diesem Sinne im Zeitpunkt des Unfalls Unternehmer in diesem Sinne war. Jedenfalls war er dies nicht in Bezug auf das fremde Revier, auf dessen Gebiet die Gesellschaftsjagd stattfand. Er war auch nicht Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, weil kein Arbeitsverhältnis bestand.

Er war aber auch nicht als so genannter "Wie-Beschäftigter" nach § 2 Abs. 2 SGB VII versichert. Danach sind auch Personen unfallversichert, die wie nach Abs. 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Ein Jagdgast, der aufgrund einer vom Jagdausübungsberechtigten erteilten Erlaubnis jagt, ist allerdings bereits nach allgemeinen Grundsätzen nicht als "Wie-Beschäftigter" nach § 2 Abs. 2 SGB VII versichert (vgl. HLSG, 25.03.2014 – L 3 U 128/11 -, juris; unter Hinweis auf BSG, 11.11.2003, B 2 U 41/02 R -, juris). Der Betroffene war Jagdgast und als solcher von der Versicherung frei. Dagegen spricht nicht, dass der Betroffene lediglich als Hundeführer/Treiber und nicht als Schütze eingeladen war. Er war deshalb ebenso Jagdgast. Nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Bay. Jagdgesetz können Jagdausübungsberechtigte Dritten (so genannten Jagdgästen) Jagderlaubnisse erteilen. Jagdgast ist dann derjenige, der vom Jagdausübungsberechtigten eine Jagderlaubnis erhalten hat (vgl. HLSG, 25.02.2004 – L 3 U 128/11 -, juris zum Hess. Landesrecht, Bay. LSG, 04.02.2015 – L 17 U 73/14 -, zum Bay. Landesrecht). Dies hat zwar nicht unmittelbar zur Folge, dass der Betroffene nicht auch als "Wie-Beschäftigter" hat tätig werden können. Indes hat der Betroffene auch tatsächlich "gejagt". Dagegen spricht zunächst nicht, dass er als Durchgeh- oder Treiberschütze unter Zugrundelegung der einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften nur eine entladene Schusswaffe mit sich führen dürfte. Dagegen spricht auch nicht, dass er in einem bestimmten Gebiet aufgestellt war; auch der Schütze wird bei der Gesellschaftsjagd seinen Platz haben und ist nicht frei, Schüsse in beliebiger Richtung abzugeben. Dass der Durchgehschütze in diesem Rahmen Weisungen erhält, unterscheidet ihn kaum vom Schützen. Allein die Unfallverhütungsvorschriften und die konkreten Regeln der anstehenden Gesellschaftsjagd stellen ja keine Weisungen im engeren Sinne eines Arbeitgebers sondern überlebensnotwendige Regeln im Rahmen einer vielköpfigen Gesellschaftsjagd dar, an die sich jeder Beteiligte ausnahmslos halten muss, also auch der unbestreitbar als Jagdgast zu bezeichnende Schütze. Überdies war der Betroffene ja auch berechtigt, die Jagd auszuüben. Nach der Rechtsprechung des BSG ist zur Bestimmung dessen, was zur Jagdausübung gehört, von den einschlägigen Vorschriften des Jagdrechts auszugehen, weil es einen hiervon unterschiedlichen Begriff der Jagdausübung in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gibt (BSG, 11.11.2003 – B 2 U 41/02 R -, juris). Nach § 1 Abs. 1 BJagdG ist das Jagdrecht die ausschließliche Befugnis, auf einem bestimmten Gebiet wildlebende Tiere, die dem Jagdrecht unterliegen, zu hegen, auf sie die Jagd auszuüben und sie sich anzueignen. Die Jagdausübung erstreckt sich auch auf das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild (§ 1 Abs. 4 BJagdG). Nach § 22 a Abs. 1 BJagdG ist krankgeschossenes Wild unverzüglich zu erlegen. Auch diese Tätigkeit gehört zur Jagd (vgl. hierzu HLSG, 25.03.2014 - L 3 U 128/11 -, juris mit z.w.N. aus der Rechtsprechung).

In diesem Sinne hat der Kläger die Jagd ausgeübt. Nach den Feststellungen der Klägerin hatte der Betroffene eine Waffe dabei, wobei das Magazin in der Waffe gefüllt sein durfte, sich jedoch keine Patrone im Lauf befand. Der Betroffene war dabei nicht nur wie ein Treiber mit Hund tätig, sondern wie ein Schweißhundeführer in eigener Verantwortung. Er war, was auch durch den Vortrag der Beklagten bestätigt wird, berechtigt, von der Waffe für den Fangschuss oder für den Schuss auf vom Hund gestelltes Wild Gebrauch zu machen. Überdies ist der Betroffene nach eigenen Angaben zur Nachsuche eingeladen gewesen. Dass der Betroffene nicht konkret bei der Verfolgung eines dem Jagdrecht unterliegenden wildlebenden Tieres verletzt wurde, ist nicht erheblich. Aus § 1 Abs. 4 BJagdG folgt, dass sich die Jagdausübung auf das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild erstreckt. Bei der Tätigkeit des Betroffenen hat es sich damit um Jagdausübung in diesem Sinne gehandelt, weil er wenigstens beim Aufsuchen und Nachstellen beteiligt war. Der Betroffene war nicht lediglich eine eher am Rande stehende unbewaffnete treibende Hilfsperson. Im Vordergrund stand das wenn auch wegen der Eigenschaft als Durchgehschütze eingeschränkte aber gleichwohl bestehende Jagdvergnügen auch als "gesellschaftliches Ereignis". Ein solches ist versicherungsfrei.

Die Kosten hat die Beklagte und Widerklägerin zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 197 a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO).
Rechtskraft
Aus
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