L 5 KA 596/02 W-A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KA 4825/00 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 596/02 W-A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Gegenstandswert bei Streitigkeiten von Ärzten eines konkurrierenden Ärztenetzes gegen die Beteiligung ihrer KV an einem anderen Ärztenetz.
Der Wert des Gegenstandes des Beschwerdeverfahren L 5 KA 5097/00 ER-B wird auf 143.162,- EUR festgesetzt. Kosten des Antragsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

In dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren S 5 KA 4825/00 ER hatte das Sozialgericht Stuttgart (SG) der Beschwerdegegnerin im Wege der Einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache untersagt, ihre Rechte als Gesellschafterin in der M. GmbH und/oder an den M. -Regionalgesellschaften auszuüben sowie ihr untersagt, eine M. GmbH, eine M. GbR sowie die V. Vereinigung N. - Ärzteinitiative e.V. zukünftig finanziell oder durch Gewährung geldwerter Vorteile zu fördern, ferner ihr untersagt, bei Vermeidung von Ordnungsgeld bis zu 50.000,- DM in Bezug auf die m. GmbH und/oder das von ihr geführte m. -Verbundsystem Dritten gegenüber wörtlich oder sinngemäß zu erklären, es handle sich bei m. nicht um einen Ärzteverbund, sondern um einen Betrieb, der Profit machen wolle und m. strebe die Spaltung der Ärzte an.

Im anschließenden Beschwerdeverfahren begehrten die Beschwerdeführer die Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart abzuändern und über die mit Beschluss vom 14.11.2000 tenorierten Untersagungen hinaus

1. die Beschwerdegegnerin vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, ihre Gesellschafterstellung an der Beigeladenen zu 1 und dem Beigeladenen zu 2 bis 13 unverzüglich aufzugeben;

2. der Beschwerdegegnerin bei Vermeidung von Ordnungsgeld bis zu 50.000,- DM für jeden einzelnen Fall einer künftigen Zuwiderhandlung - unter Ausschluss der Grundsätze der Rechtsprechung zum Fortsetzungszusammenhang - zu untersagen, die M. -V. GmbH und die M. GbRen durch Verbreitung werbender Aussagen zu unterstützen.

Mit Schreiben vom 19.2.2002 beantragten die Bevollmächtigten der Beschwerdeführer den Gegenstandswert auf 150.000,- EUR festzusetzen. Sie führten zur Begründung aus, das wirtschaftliche Interesse der Beschwerdeführer ergebe sich aus der hohen Vertrauensstellung der Beschwerdegegnerin bei potenziellen Partnern des Verbundnetzes der Beschwerdeführer und der hierauf beruhenden massiven Minderung der Wettbewerbschancen des Verbundnetzes der Beschwerdeführer auf dem Gebiet der integrierten Versorgung. Der Erfolg des M. -Verbundes habe zu einem erheblichen Anteil auf dem öffentlichen Eindruck beruht, der Verbund sei Teil der Beschwerdegegnerin. Damit sei die Position des im Aufbau begriffenen Verbundnetzes der Beschwerdeführer massiv geschwächt worden. Eine weitere gesellschaftsrechtliche Beteiligung der Beschwerdegegnerin an dem M. -Verbund habe konkurrierende Netze nahezu unmöglich gemacht. Die vom Gesetzgeber eröffneten Erwerbschancen gingen damit gegen Null. Gegenstandswerterhöhend hätten sich die Werbemaßnahmen der Beschwerdegegnerin erwiesen. Insbesondere die sogenannte "Angstwerbung" mit dem Szenario eines Nachfragekartells der Krankenkassen mit "Rosinenpickerei" habe die Etablierung konkurrierender Netze erheblich beeinträchtigt.

Die Beschwerdegegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hält einen Gegenstandswert von 4.000,- EUR für angemessen. Zur Begründung hat sie sich auf verschiedene Entscheidungen des Senats berufen, in denen im Zusammenhang mit Ärztenetzen der Auffangstreitwert von 8.000,- DM festgestellt wurde. Im vorliegenden Verfahren bestünden Anhaltspunkte für eine Schätzung des wirtschaftlichen Interesses der 11 antragstellenden Ärzte nicht. Auch dies lege ein Heranziehen des Auffangwertes nahe. Wenn sie tatsächlich die Erfolgschancen konkurrierender Ärztenetze beeinträchtigt hätte, müssten diese nach erfolgreichem einstweiligen Anordnungsverfahren deutlich bessere Wettbewerbschancen haben. Dies sei aber nicht der Fall. Es bestünden Zweifel, inwieweit die wirtschaftlichen Interessen der Beschwerdeführer tatsächlich durch die Beteiligung der Beschwerdegegnerin an der M. -Verbund GmbH betroffen gewesen seien. Die Höhe des wirtschaftlichen Interesses sei nicht begründet. Es sei nicht dargelegt, welchen Gewinn die Beschwerdeführer durch erfolgreiche integrierte Versorgung hätten erzielen können.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Wertfestsetzungsakte des Senats sowie die Akten des einstweiligen Rechtschutzverfahrens L 5 KA 5097/00 ER-B Bezug genommen.

II.

Nach § 116 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BRAGO werden in Verfahren nach § 51 Abs. 2 S. 1 SGG, beide Vorschriften jeweils in der bis zum 1.1.2002 geltenden Fassung, die hier noch maßgeblich ist, die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet. Bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich um ein solches Verfahren. Mangels einschlägiger Wertvorschriften für das sozialgerichtliche Verfahren ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 8 Abs. 2 S. 2 BRAGO). In Anlehnung an § 13 GKG ist dabei auf die sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebende Bedeutung der Sache abzustellen, also das wirtschaftliche Interesse an der angestrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen. Erstrecken sich die Auswirkungen auf eine längere Zeit, ist dies gebührend zu berücksichtigen (BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6; SozR 3-1930 § 8 Nr. 1).

Anders als in den bisher vom Senat entschiedenen Fällen (vgl. Beschluss vom 26.8.2002 - L 5 KA 58/02 W-B und Beschluss des Berichterstatters vom 05.06.2001 - L 5 KA 192/01 W-A) ging der vorliegende Rechtsstreit nicht allein um die nichtvermögensrechtliche Frage, ob Mitgliedschaftsrechte einzelner Ärzte verletzt werden, wenn sich die Beschwerdegegnerin an einem Ärztenetz beteiligt. Die in großer Zahl aufgeworfenen Rechtsfragen sind nach dem Willen der Beteiligten nur Mittel für den Zweck gewesen, ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzen zu können. Mit der Einführung der integrierten Versorgung in den §§ 140 a ff. SGB V verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, dass Krankenkassen neben und außerhalb der Kassenärztlichen Vereinigungen mit Gemeinschaften von Ärzten Versorgungsverträge abschließen können. Das Gesetz geht dabei offensichtlich von miteinander konkurrierenden Ärztegemeinschaften aus. Es liegt auf der Hand, dass Ärztegemeinschaften solche Verträge nur abschließen, wenn für die beteiligten Ärzte damit wirtschaftliche Vorteile verbunden sind. Mit dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren ging es für die Beschwerdeführer darum, sich im Vorfeld eventueller Verhandlungen mit den Krankenkassen überhaupt als Ärztenetz etablieren zu können. Zugrunde liegt dabei die Vorstellung, dass nur zahlenmäßig starke und gut geführte Ärztegemeinschaften für die Krankenkassen ein akzeptabler Partner sind und mit ihnen wirtschaftlich erfolgreich verhandeln können.

Das vorliegende Verfahren ist durch eine subjektive Beschwerdehäufung (§172 SGG iVm § 113 Abs. 1 SGG) gekennzeichnet. Die Beschwerde wurde zum einen von 11 Ärzten als natürlichen Einzelpersonen, zum anderen von einer juristischen Person eingelegt. Genauso gut hätten auch 12 verschiedene Beschwerden eingelegt werden können. Der Streitwert ist daher für jeden einzelnen der Beschwerdeführer gesondert festzustellen. Die Beschwerdeführer Ziffer 1 bis 11 haben als Angehörige einer Ärztegemeinschaft durch die Tätigkeit ihrer Ärztegemeinschaft für sich Vorteile für ihre konkrete vertragsärztliche Tätigkeit erwartet. Ihr Begehren war auf das gleiche Interesse gerichtet, individuelle Unterschiede sind insoweit nicht erkennbar gewesen. Die konkrete Höhe ihres wirtschaftlichen Interesses im Einzelfall als Folge der Mitgliedschaft in einem erfolgreichen Ärztenetz lässt sich allerdings mangels konkreter Anhaltspunkte nicht näher festlegen. Wie sich ihr Einkommen im Falle einer Mitwirkung an einem Ärztenetz entwickeln würde, bleibt völlig spekulativ. Der Senat hält deshalb an der mit Beschluss vom 26.8.2002 vertretenen Rechtsauffassung fest, dass in einem solchen Fall wegen des Fehlens genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung auf den Auffangwert des § 8 Abs. 2 S. 1 2. Halbsatz BRAGO von 8.000,- DM zurückzugreifen ist. Da dieser Auffangwert für jeden der beschwerdeführenden Ärzte anzusetzen ist, hält es der Senat für angemessen, einen Betrag von 11 x 8.000,- DM = 88.000,- DM anzusetzen.

Dass dieser Wert nach Lage des Falles (vgl. § 8 Abs. 2 BRAGO) nicht anders zu bestimmen ist, zeigt folgende abstrakte Kontrollüberlegung: Bei einem durchschnittlichen ärztlichen Einkommen vor Steuern von ca 160 000 DM führen zusätzliche 8000 DM zu einer Einkommenssteigerung von 5 %. Bei geringeren Einkommenssteigerungen scheint es fraglich, ob Ärzte die Umstellung auf eine Tätigkeit im Ärztenetz auf sich nehmen und an entsprechenden Verträgen überhaupt interessiert sind. Andererseits erscheinen deutlich größere Einkommenssteigerungen angesichts der weiterhin geltenden Grundsätze der Beitragstabilität und der begrenzten Gesamtvergütung jedenfalls für eine größere Zahl von Ärzten wohl eher unrealistisch.

Das Begehren der Beschwerdeführer war in die Zukunft gerichtet und zwar unbeschränkt. Um diesen Zeitfaktor angemessen zu berücksichtigen, hält es der Senat für sachgerecht, entsprechend den Grundsätzen in vertragsärztlichen Zulassungssachen einen 5-Jahres-Zeitraum anzunehmen. Dem gemäß erhöht sich der Gegenstandswert auf 440.000,- DM.

Bei der Festsetzung des wirtschaftlichen Interesses der Beschwerdeführerin zu 12 ist zu beachten, dass sie in der Rechtsform einer GmbH organisiert ist und - ebenso wie die M. GmbH - als Geschäftsführungsgesellschaft konzipiert ist. Mit dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren wollte die Beschwerdeführerin Ziffer 12 im Ergebnis erreichen, dass das konkurrierende M. -Ärztenetz von der Beschwerdegegnerin nicht länger unterstützt wird und auch der Anschein einer solchen Unterstützung vermieden wird. Wie hoch der materielle und immaterielle Wert der Unterstützung der M. -Verbund GmbH durch die Beschwerdegegnerin war, kann im Wertfestsetzungsverfahren offen bleiben. Denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 13 GKG, auf den § 8 Abs. 1 BRAGO Bezug nimmt, ist allein auf die sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebende Bedeutung der Sache abzustellen. Zu prüfen ist somit der Wert, der sich aus der Besserung der eigenen Position der Beschwerdeführerin zu 12 ergibt, wenn die Beschwerdegegnerin die Beigeladenen zu 1 bis 13 nicht mehr finanziell und durch geldwerte Vorteile in fachlicher, personeller und organisatorischer Hinsicht unterstützen darf.

Auch für die Ermittlung dieses Wertes bestehen keinerlei konkrete tatsächliche Anhaltspunkte. Für diesen Fall sieht § 8 BRAGO eine Schätzung des Gegenstandswerts, auf 8.000,- DM, nach Lage des Falles höher oder niedriger, jedoch nicht über eine Million DM vor. Bei der Schätzung des Wertes des Gegenstands ist im vorliegenden Fall allerdings zu beachten, dass die Beschwerdeführerin zu 12 praktisch um ihr geschäftliches Überleben gekämpft hat. Angesichts der organisatorischen, finanziellen und personellen Übermacht der Beschwerdegegnerin und damit auch der von ihr ausschließlich unterstützen Gesellschaften des M. -Verbundes bestanden für andere Ärztegemeinschaften keine realistischen Chancen, sich als eigenes, unabhängiges Ärztenetz zu etablieren. Damit verblieb für die Beschwerdeführerin zu 12 auch kaum Raum, in der angestrebten Aufgabe als Geschäftsführungs-GmbH, etwa bei erhofften Verhandlungen mit den Krankenkassen und bei der Ausführung und Durchführung der danach abgeschlossenen Vereinbarungen, wirtschaftlich tätig zu werden. Für eine höhere Schätzung des Gegenstandswerts je nach Lage des Falles spricht vorliegend auch das Engagement, mit dem die Beteiligten den Rechtsstreit geführt haben. Sie haben dem Rechtstreit eine weit höhere Bedeutung zugemessen, als im Regelstreitwert zum Ausdruck kommt, und zwar nicht nur wegen des grundsätzlichen Charakters der Rechtsprobleme, sondern insbesondere bei der Beschwerdeführerin zu 12 auch wegen der langfristig erhofften Erwerbschancen. Wäre es nur um einen Betrag von jährlich ca. 8.000,- DM gegangen, hätte es solch umfangreichen Vortrags und solch eingehender Diskussionen in der mündlichen Verhandlung nicht bedurft. Bei einer Abgeltung des Zeitaufwandes der Bevollmächtigten nach Stundensätzen wären die Anwaltskosten weit höher als der Regelstreitwert. Der Senat schätzt daher in diesem besonders gelagerten Ausnahmefall den Wert des Gegenstands dieses Rechtsstreits mit dem dreifachen Regelwert ein. Bezogen auf die Zukunft sind dies 3 x 8.000,-x 5 = 120.000,- DM.

Zusammenfassend ergibt sich somit ein Gegenstandswert von 440.000,- DM + 120.000,- DM = 560.000,- DM. Für das Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes setzt der Senat grundsätzlich 50 % des Werts des Hauptsacheverfahrens an, so dass sich ein Betrag von 280.000,- DM ergibt. Dieser Betrag entspricht 143.162,- EUR.

Außergerichtliche Kosten für das Wertfestsetzungsverfahren selbst sind nicht zu erstatten (§ 10 Abs. 2 S. 3 BRAGO).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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