Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 45 SB 3167/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 9/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. November 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 70.
Der 1939 geborene Kläger beantragte im Februar 2000 bei dem Beklagten die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. Dem Antrag war ein Entlassungsbericht des U-Krankenhauses vom 23. August 1989, ein Attest des Allgemeinmediziners Dr. S sowie eine Hirnleistungs- und Persönlichkeitsdiagnostik des Diplom-Psychologen Dr. Z vom 9. Februar 1999 beigefügt, der eine Hirnleistungsschwäche leichten Grades angab. Der Grad der Behinderung(GdB) sei statusdiagnostisch mit 40 bis 50 einzuschätzen.
Der Beklagte holte einen Befundbericht von Dr. S sowie eine gutachtliche Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G ein. Mit Bescheid vom 11. April 2000 erkannte er dem Kläger die Schwerbehinderteneigenschaft zu und dabei folgende Behinderungen, deren Einzel-GdB sich aus den Klammerzusätzen ergeben, an:
a. seelische Störung, Hirnleistungsschwäche (50) b. Verschleiss der Wirbelsäule mit Reizzuständen bei Bandscheibenschaden (20).
Den Widerspruch hiergegen wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2000.
Auf die hiergegen erhobene Klage, die der Kläger mit einem Attest von Dr. Soltani begründet hat, hat das Sozialgericht ein allgemeinmedizinisches Gutachten des Arztes und Psychotherapeuten B vom 10. Juli 2001 eingeholt. Der Kläger habe das Bild einer Somatisierungsstörung geboten, Depressionen und Ängste seien nicht spürbar. Die Diagnose einer organisch bedingten Hirnleistungsschwäche erscheine zweifelhaft. Da der Kläger Analphabet sei und die Bereitschaft zur Kooperation nicht sonderlich ausgeprägt sei, seien die Befunde psychologischer Testverfahren nicht aussagekräftig. Es sei eher an eine Pseudodemenz im Rahmen einer Involutionsdepression zu denken. Der Schwergrad sei als mittelgradig einzuschätzen. Die seelische Störung sei als eine stärker behindernde Störung mit Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einzuschätzen und mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Die Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule im HWS- und LWS- Bereich überschritten das Altergemäße nicht wesentlich. Zusätzlich bestehe ein Wirbelgleiten 1. Grades. Der Einzel-GdB sei mit 10 einzuschätzen. Der Gesamt-GdB sei mit 30 angemessen gewürdigt.
Dem folgend hat das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 26. November 2001 abgewiesen.
Gegen den am 17. Januar 2002 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 5. Februar 2002 eingelegte Berufung des Klägers. Er macht geltend, seine Beschwerden seien weitaus ernster als in dem Gutachten des Arztes Brand dargestellt. Es ergebe sich ein GdB von 70.
Nach Anhörung des Klägers nahm der Beklagte durch Bescheid vom 27. März 2002 den Bescheid vom 11. April 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2000 mit Wirkung für die Zukunft teilweise zurück. Bei Erteilung des Bescheides vom 11. April 2000 sei lediglich nach Aktenlage entschieden und der Umfang der vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen unrichtig eingeschätzt worden. Dadurch sei der GdB von 50 unzutreffend gebildet worden. Nach den nunmehr vorhandenen medizinischen Unterlagen betrage der GdB lediglich 30. Gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes müsse der Vertrauensschutz in die mit den Verwaltungsakten getroffene Entscheidung zurücktreten.
Durch Bescheid vom selben Tag hat der Beklagte einen GdB von 30 wegen der Funktionsbeeinträchtigungen a. Seelische Störung, Hirnleistungsschwäche b. Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule festgesetzt. Beide Bescheide enthalten den Hinweis, sie würden gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Verfahrens.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. November 2001 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 11. April 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2000 zu ändern sowie die Bescheide vom 27. März 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihn als schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 70 anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen die Bescheide vom 27. März 2002 abzuweisen.
Der Senat hat einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. S vom 22. Februar 2004 eingeholt und den Arzt für Psychiatrie und Neurologie K zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 28. April 2004 für den neurologischen Bereich die Diagnose einer anhaltenden sonmatoformen Schmerzstörung bei degenerativen Veränderungen der LWS, HWS und der Knie gestellt. Die geschilderte Schwindelsymptomatik lasse sich ebenfalls auf degenerative Veränderungen der HWS zurückführen. Es sei jedoch eine psychogene Verstärkung der Schwindelsymptomatik und der Schmerzzustände erkennbar. Es bestehe eine Dysthymie, die mit einem Einzel- GdB von 20 zu bewerten sei, da stärkere Beeinträchtigungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht erkennbar seien. Des weiteren bestehe eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und beider Knie, die mit einem GdB von 10 zu bewerten sei. Es ergebe sich ein Gesamt-GdB von 20, da wesentliche Einschränkungen der Lebensgestaltung durch die psychische Störung nicht erkennbar seien und die körperliche Störung nicht zu wesentlichen Behinderungen der Mobilität des Klägers geführt habe.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Schwerbehindertenakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung und die Klage gegen die Bescheide vom 27. März 2002 sind unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des die Anerkennung als Schwerbehinderter zurücknehmenden Bescheides vom 27. März 2002 und Anerkennung eines höheren GdB als 30. Die Bescheide vom 27. März 2002 sind gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz(SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden, da sie die ursprünglich angefochtenen Bescheide ersetzen. Über sie ist im Wege der Klage zu entscheiden, § 153 Abs.1 SGG.
Nach §§ 2 Abs.1, 69 Abs.1 Sätze 3,4 des ab 1. Juli 2001 geltenden Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX), sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Gesundheitsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz und der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Anhaltspunkte) in der Fassung des Jahres 2004 ( deren Vorgänger die Anhaltspunkte 1996 waren) zu bewerten, die als antizipierte Sachverständigengutachten mit normähnlicher Qualität gelten.
Der Senat ist nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen davon überzeugt, dass das Gesamtausmaß der bei dem Kläger bestehenden Behinderungen keinen höheren als den von dem Beklagten mit Bescheid vom 27. März 2002 zuerkannten GdB von 30 bedingt. Nach den übereinstimmenden Feststellungen der beiden Gerichtssachverständigen läßt sich bei dem Kläger eine organisch bedingte Hirnleistungsschwäche nicht hinreichend sicher feststellen. Der Allgemeinmediziner B hat Zweifel an der Aussagekraft der diesem Befund zugrunde liegenden psychologischen Testverfahren aufgrund der Tatsache geäußert, dass der Kläger Analphabet sei und nicht sonderlich kooperativ erscheine. Der Neurologe und Psychiater K hat damit übereinstimmend darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar eine starke Einschränkung der Merkfähigkeit demonstriere, die Beantwortung der Fragen im Einzelnen jedoch eine Widersprüchlichkeit aufweise, die eine Tendenz zur Aggravation deutlich mache. Eine stärkere Einschränkung des Gedächtnisses oder der Konzentrationsfähigkeit sei nicht erkennbar geworden.
Des weiteren gelangen beide Sachverständige übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass allenfalls eine geringe Depressivität vorliege. Diese schildert der Gutachter K als neurotischen Ursprungs, während der Allgemeinmediziner B von einer Involutionsdepression ausgeht. Schließlich beschreiben beide übereinstimmend eine Somatisierungsstörung. Während jedoch der Arzt B die seelischen Leiden als stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bewertet, legt der Psychiater Kdar, dass das genaue Ausmaß der Störung aufgrund des Aggravationsverhaltens des Klägers nicht festzustellen sei. Stärkere Einschränkungen der Lebensgestaltung seien aus den Angaben des Klägers, z.B. der Beschreibung seines Tagesablaufes oder seiner sonstigen Aktivitäten, nicht ableitbar. Ob hiernach für die seelischen Leiden des Klägers lediglich ein Einzel-GdB von 20 anzusetzen ist, kann der Senat jedoch dahinstehen lassen, da Streitgegenstand lediglich die Feststellung eines GdB von mehr als 30 ist, weil der Beklagte in dem Bescheid vom 27.März 2002 einen GdB von 30 zuerkannt hat.
Als weitere Funktionsbeeinträchtigung sind Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule zu berücksichtigen. Diese sind nach übereinstimmender Auffassung der Sachverständigen mit einem GdB von 10 ausreichend bewertet, da sie geringgradig sind und kaum das Altersgemäße überschreiten. Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung unzutreffend sein könnte, sind nicht ersichtlich. Nach den Vorgaben der Anhaltspunkte 2004 in Nr. 26.18, S. 116 (=S. 140 Anhaltspunkte 1996) sind Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen mit einem GdB von 10 zu bewerten. Soweit der Kläger über weitgehende Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit klagt, hat der Sachverständige Kdarauf hingewiesen, dass das Ausmaß der geklagten, dauerhaften Schmerzsymptomatik bereits nach geringfügigen Anstrengungen nicht durch die objektiven Befunde erklärbar sei. Auch unter Berücksichtigung einer somatoformen Schmerzstörung hat der Sachverständige jedoch einen GdB von 10 für ausreichend erachtet, weil keine fachspezifische Behandlung erfolge und keine wesentliche Einschränkung der Mobilität durch diese Störungen erkennbar sei. Diese Bewertung erscheint dem Senat nachvollziehbar.
Die Bildung eines Gesamt-GdB von 30, wie er in dem angefochtenen Bescheid vom 27. März 2002 vorgenommen worden ist, ist nach alledem nicht zu beanstanden. Selbst wenn man für das seelische Leiden des Klägers einen Einzel-GdB von 30 ansetzt und die Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit einem GdB von 10 bewertet entspricht die Bildung eines Gesamt-GdB von 30 der Vorschrift des § 69 Abs.3 SGB IX. Danach ist dann, wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vorliegen, der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen.
Die Vorschrift stellt klar, dass der Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen oder Behinderungen unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren medizinischen Fachbereichen vorliegen, nicht durch bloße Zusammenrechnung der für jede Funktionsbeeinträchtigung oder Behinderung nach den Tabellen in den Anhaltspunkten festzustellenden oder festgestellten Einzel-GdB zu bilden ist, sondern durch eine Gesamtbeurteilung. In der Regel ist von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, um dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft größer wird. Dabei führen grundsätzlich leichte Funktionsbeeinträchtigungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtauswirkung, die bei dem Gesamt-GdB berücksichtigt werden könnte.
Der Bescheid vom 27. März 2002, mit dem der Beklagte den Bescheid vom 11. April 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2000 teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat, ist ebenfalls rechtmäßig. Nach § 45 Abs.1 SGB X darf ein Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Eine derartige Rücknahme setzt in jedem Fall eine Ermessensentscheidung voraus. Eine derartige Ermessensentscheidung ist in dem Bescheid vom 27. März 2002 unter umfänglicher Darlegung der maßgeblichen Gesichtspunkte getroffen worden. Die Zweijahresfrist, innerhalb derer ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gemäß § 45 Abs.3 S.1 SGB X nur zurückgenommen werden kann, ist ebenfalls eingehalten worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 70.
Der 1939 geborene Kläger beantragte im Februar 2000 bei dem Beklagten die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. Dem Antrag war ein Entlassungsbericht des U-Krankenhauses vom 23. August 1989, ein Attest des Allgemeinmediziners Dr. S sowie eine Hirnleistungs- und Persönlichkeitsdiagnostik des Diplom-Psychologen Dr. Z vom 9. Februar 1999 beigefügt, der eine Hirnleistungsschwäche leichten Grades angab. Der Grad der Behinderung(GdB) sei statusdiagnostisch mit 40 bis 50 einzuschätzen.
Der Beklagte holte einen Befundbericht von Dr. S sowie eine gutachtliche Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G ein. Mit Bescheid vom 11. April 2000 erkannte er dem Kläger die Schwerbehinderteneigenschaft zu und dabei folgende Behinderungen, deren Einzel-GdB sich aus den Klammerzusätzen ergeben, an:
a. seelische Störung, Hirnleistungsschwäche (50) b. Verschleiss der Wirbelsäule mit Reizzuständen bei Bandscheibenschaden (20).
Den Widerspruch hiergegen wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2000.
Auf die hiergegen erhobene Klage, die der Kläger mit einem Attest von Dr. Soltani begründet hat, hat das Sozialgericht ein allgemeinmedizinisches Gutachten des Arztes und Psychotherapeuten B vom 10. Juli 2001 eingeholt. Der Kläger habe das Bild einer Somatisierungsstörung geboten, Depressionen und Ängste seien nicht spürbar. Die Diagnose einer organisch bedingten Hirnleistungsschwäche erscheine zweifelhaft. Da der Kläger Analphabet sei und die Bereitschaft zur Kooperation nicht sonderlich ausgeprägt sei, seien die Befunde psychologischer Testverfahren nicht aussagekräftig. Es sei eher an eine Pseudodemenz im Rahmen einer Involutionsdepression zu denken. Der Schwergrad sei als mittelgradig einzuschätzen. Die seelische Störung sei als eine stärker behindernde Störung mit Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einzuschätzen und mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Die Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule im HWS- und LWS- Bereich überschritten das Altergemäße nicht wesentlich. Zusätzlich bestehe ein Wirbelgleiten 1. Grades. Der Einzel-GdB sei mit 10 einzuschätzen. Der Gesamt-GdB sei mit 30 angemessen gewürdigt.
Dem folgend hat das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid vom 26. November 2001 abgewiesen.
Gegen den am 17. Januar 2002 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 5. Februar 2002 eingelegte Berufung des Klägers. Er macht geltend, seine Beschwerden seien weitaus ernster als in dem Gutachten des Arztes Brand dargestellt. Es ergebe sich ein GdB von 70.
Nach Anhörung des Klägers nahm der Beklagte durch Bescheid vom 27. März 2002 den Bescheid vom 11. April 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2000 mit Wirkung für die Zukunft teilweise zurück. Bei Erteilung des Bescheides vom 11. April 2000 sei lediglich nach Aktenlage entschieden und der Umfang der vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen unrichtig eingeschätzt worden. Dadurch sei der GdB von 50 unzutreffend gebildet worden. Nach den nunmehr vorhandenen medizinischen Unterlagen betrage der GdB lediglich 30. Gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes müsse der Vertrauensschutz in die mit den Verwaltungsakten getroffene Entscheidung zurücktreten.
Durch Bescheid vom selben Tag hat der Beklagte einen GdB von 30 wegen der Funktionsbeeinträchtigungen a. Seelische Störung, Hirnleistungsschwäche b. Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule festgesetzt. Beide Bescheide enthalten den Hinweis, sie würden gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Verfahrens.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. November 2001 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 11. April 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2000 zu ändern sowie die Bescheide vom 27. März 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihn als schwerbehinderten Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 70 anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen die Bescheide vom 27. März 2002 abzuweisen.
Der Senat hat einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. S vom 22. Februar 2004 eingeholt und den Arzt für Psychiatrie und Neurologie K zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 28. April 2004 für den neurologischen Bereich die Diagnose einer anhaltenden sonmatoformen Schmerzstörung bei degenerativen Veränderungen der LWS, HWS und der Knie gestellt. Die geschilderte Schwindelsymptomatik lasse sich ebenfalls auf degenerative Veränderungen der HWS zurückführen. Es sei jedoch eine psychogene Verstärkung der Schwindelsymptomatik und der Schmerzzustände erkennbar. Es bestehe eine Dysthymie, die mit einem Einzel- GdB von 20 zu bewerten sei, da stärkere Beeinträchtigungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht erkennbar seien. Des weiteren bestehe eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und beider Knie, die mit einem GdB von 10 zu bewerten sei. Es ergebe sich ein Gesamt-GdB von 20, da wesentliche Einschränkungen der Lebensgestaltung durch die psychische Störung nicht erkennbar seien und die körperliche Störung nicht zu wesentlichen Behinderungen der Mobilität des Klägers geführt habe.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Schwerbehindertenakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung und die Klage gegen die Bescheide vom 27. März 2002 sind unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des die Anerkennung als Schwerbehinderter zurücknehmenden Bescheides vom 27. März 2002 und Anerkennung eines höheren GdB als 30. Die Bescheide vom 27. März 2002 sind gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz(SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden, da sie die ursprünglich angefochtenen Bescheide ersetzen. Über sie ist im Wege der Klage zu entscheiden, § 153 Abs.1 SGG.
Nach §§ 2 Abs.1, 69 Abs.1 Sätze 3,4 des ab 1. Juli 2001 geltenden Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX), sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Gesundheitsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz und der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Anhaltspunkte) in der Fassung des Jahres 2004 ( deren Vorgänger die Anhaltspunkte 1996 waren) zu bewerten, die als antizipierte Sachverständigengutachten mit normähnlicher Qualität gelten.
Der Senat ist nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen davon überzeugt, dass das Gesamtausmaß der bei dem Kläger bestehenden Behinderungen keinen höheren als den von dem Beklagten mit Bescheid vom 27. März 2002 zuerkannten GdB von 30 bedingt. Nach den übereinstimmenden Feststellungen der beiden Gerichtssachverständigen läßt sich bei dem Kläger eine organisch bedingte Hirnleistungsschwäche nicht hinreichend sicher feststellen. Der Allgemeinmediziner B hat Zweifel an der Aussagekraft der diesem Befund zugrunde liegenden psychologischen Testverfahren aufgrund der Tatsache geäußert, dass der Kläger Analphabet sei und nicht sonderlich kooperativ erscheine. Der Neurologe und Psychiater K hat damit übereinstimmend darauf hingewiesen, dass der Kläger zwar eine starke Einschränkung der Merkfähigkeit demonstriere, die Beantwortung der Fragen im Einzelnen jedoch eine Widersprüchlichkeit aufweise, die eine Tendenz zur Aggravation deutlich mache. Eine stärkere Einschränkung des Gedächtnisses oder der Konzentrationsfähigkeit sei nicht erkennbar geworden.
Des weiteren gelangen beide Sachverständige übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass allenfalls eine geringe Depressivität vorliege. Diese schildert der Gutachter K als neurotischen Ursprungs, während der Allgemeinmediziner B von einer Involutionsdepression ausgeht. Schließlich beschreiben beide übereinstimmend eine Somatisierungsstörung. Während jedoch der Arzt B die seelischen Leiden als stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bewertet, legt der Psychiater Kdar, dass das genaue Ausmaß der Störung aufgrund des Aggravationsverhaltens des Klägers nicht festzustellen sei. Stärkere Einschränkungen der Lebensgestaltung seien aus den Angaben des Klägers, z.B. der Beschreibung seines Tagesablaufes oder seiner sonstigen Aktivitäten, nicht ableitbar. Ob hiernach für die seelischen Leiden des Klägers lediglich ein Einzel-GdB von 20 anzusetzen ist, kann der Senat jedoch dahinstehen lassen, da Streitgegenstand lediglich die Feststellung eines GdB von mehr als 30 ist, weil der Beklagte in dem Bescheid vom 27.März 2002 einen GdB von 30 zuerkannt hat.
Als weitere Funktionsbeeinträchtigung sind Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule zu berücksichtigen. Diese sind nach übereinstimmender Auffassung der Sachverständigen mit einem GdB von 10 ausreichend bewertet, da sie geringgradig sind und kaum das Altersgemäße überschreiten. Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung unzutreffend sein könnte, sind nicht ersichtlich. Nach den Vorgaben der Anhaltspunkte 2004 in Nr. 26.18, S. 116 (=S. 140 Anhaltspunkte 1996) sind Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen mit einem GdB von 10 zu bewerten. Soweit der Kläger über weitgehende Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit klagt, hat der Sachverständige Kdarauf hingewiesen, dass das Ausmaß der geklagten, dauerhaften Schmerzsymptomatik bereits nach geringfügigen Anstrengungen nicht durch die objektiven Befunde erklärbar sei. Auch unter Berücksichtigung einer somatoformen Schmerzstörung hat der Sachverständige jedoch einen GdB von 10 für ausreichend erachtet, weil keine fachspezifische Behandlung erfolge und keine wesentliche Einschränkung der Mobilität durch diese Störungen erkennbar sei. Diese Bewertung erscheint dem Senat nachvollziehbar.
Die Bildung eines Gesamt-GdB von 30, wie er in dem angefochtenen Bescheid vom 27. März 2002 vorgenommen worden ist, ist nach alledem nicht zu beanstanden. Selbst wenn man für das seelische Leiden des Klägers einen Einzel-GdB von 30 ansetzt und die Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit einem GdB von 10 bewertet entspricht die Bildung eines Gesamt-GdB von 30 der Vorschrift des § 69 Abs.3 SGB IX. Danach ist dann, wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vorliegen, der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen.
Die Vorschrift stellt klar, dass der Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen oder Behinderungen unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren medizinischen Fachbereichen vorliegen, nicht durch bloße Zusammenrechnung der für jede Funktionsbeeinträchtigung oder Behinderung nach den Tabellen in den Anhaltspunkten festzustellenden oder festgestellten Einzel-GdB zu bilden ist, sondern durch eine Gesamtbeurteilung. In der Regel ist von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, um dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft größer wird. Dabei führen grundsätzlich leichte Funktionsbeeinträchtigungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtauswirkung, die bei dem Gesamt-GdB berücksichtigt werden könnte.
Der Bescheid vom 27. März 2002, mit dem der Beklagte den Bescheid vom 11. April 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2000 teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen hat, ist ebenfalls rechtmäßig. Nach § 45 Abs.1 SGB X darf ein Verwaltungsakt nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Eine derartige Rücknahme setzt in jedem Fall eine Ermessensentscheidung voraus. Eine derartige Ermessensentscheidung ist in dem Bescheid vom 27. März 2002 unter umfänglicher Darlegung der maßgeblichen Gesichtspunkte getroffen worden. Die Zweijahresfrist, innerhalb derer ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gemäß § 45 Abs.3 S.1 SGB X nur zurückgenommen werden kann, ist ebenfalls eingehalten worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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