L 16 RJ 80/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 27 RJ 2571/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RJ 80/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozial- gerichts Berlin vom 23. Oktober 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU), bzw. auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (EM), hilfsweise wegen teilweiser EM in Anspruch.

Der Kläger, geboren 1955, hatte - nach seinen Angaben - von 1971 bis 1974 eine Lehre als Maler absolviert, die Gesellenprüfung hatte er nicht bestanden. Er übte anschließend verschiedene Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes aus, so z.B. als Haushandwerker, Schiffsjunge und Bauhelfer; 1992 erwarb er den Führerschein der Klasse 3 und arbeitete dann bei der Spedition H bis 1995 als Kraftfahrer. Das letzte Beschäftigungsverhältnis bestand vom 1. September 1999 bis 31. August 2000 bei der Firma A es handelte sich um eine Tätigkeit als Auslieferungsfahrer.

Nach der Rentenantragstellung im Januar 2001 zog die Beklagte ein arbeitsamtsärztliches Gutachten der Ärztin S vom 15. Januar 2001 bei und ließ den Kläger durch die Ärztin L und den Dipl.-Psychologen und Arzt für Neurologie und Psychiatrie W untersuchen und begutachten. Die Ärztin L vertrat in ihrem allgemeinärztlichen Gutachten vom 17. April 2001 (Untersuchung am 30. März 2001) die Auffassung, als Kraftfahrer sei der Kläger nur noch unter drei Stunden einsatzfähig; im Übrigen bestehe ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr im Rahmen leichter bis mittelschwerer Tätigkeiten in allen Haltungsarten. Der Arzt W kam in seinem Gutachten vom 13. Juni 2001 (Untersuchung am 4. Mai 2001) zu dem Ergebnis, das Leistungsvermögen sei durch die beschriebenen Angstzustände und Depressionen allenfalls leicht eingeschränkt; leichte bis mittelschwere Tätigkeiten seien für sechs Stunden und mehr noch ausführbar.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2001 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Gewährung von Rente wegen EM nach neuem und ebenso nach dem alten bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht lägen nicht vor. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2001).

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin Befundberichte von den behandelnden Ärzten des Klägers erstatten lassen, und zwar von der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 14. März 2002 und von dem Facharzt für Allgemeinmedizin S vom 28. April 2002. Außerdem sind der Krankenhausbericht der C vom 24. März 2001, der Arztbericht der Ärztin für Orthopädie Dr. B-S über die Röntgenaufnahme vom 7. November 2001 und der Bericht der Radiologischen Gemeinschaftspraxis H/Dr. R vom 9. November 2001 über die Magnetresonanztomographie des rechten oberen Sprunggelenks beigezogen worden.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 23. Oktober 2002 die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Schon die Tatbestände der BU bzw. EU in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung der §§ 43, 44 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) seien nicht erfüllt. Zwar leide der Kläger, wie sich schon in den Begutachtungen durch die Beklagte im Verwaltungsverfahren herausgestellt habe, unter verschiedenen Erkrankungen, die sich auf seine Leistungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt auswirkten. Jedoch hätten sich keine Erkrankungen ergeben, die ausschlössen, dass der Kläger zumindest eine körperlich leichte Tätigkeit vollschichtig verrichten könne. Die behandelnden Ärzte hätten die ausdrückliche Frage des Gerichts, ob der Kläger noch fähig sei, zumindest leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten, bejaht. Dies stehe auch in Übereinstimmung mit dem ausführlichen Gutachten des Dipl.-Psychologen W im Verwaltungsverfahren, der herausgearbeitet habe, dass allenfalls eine leichte Einschränkung der Leistungsfähigkeit durch die vom Kläger beschriebenen Angstzustände und Depressionen, mithin durch die offenbar im Vordergrund stehenden Leiden, vorliege. Auch sei insoweit eine Besserung durch entsprechende Behandlung möglich. Die vom Kläger bei Klageerhebung angegebene Verletzung im rechten Fuß, die der Arzt Schulze in seinem Befundbericht bestätigt habe, könne in diesem Zusammenhang nicht erheblich sein, da es sich um eine vorübergehende Gesundheitsstörung handele. Da bei dem Kläger der Leitberuf des ungelernten Arbeiters zugrunde zu legen sei, ergebe sich danach schon nicht der Tatbestand der BU. Damit bestehe erst recht nicht der Tatbestand der EU. Auch nach den von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden geprüften Neuregelung des § 43 SGB VI ergebe sich kein Rentenanspruch ab dem 1. Januar 2001. Denn die darin geregelten Anforderungen bildeten eine Verschärfung gegenüber dem bisherigen Erwerbsminderungsrentenrecht. Auch die Voraussetzungen des § 240 SGB VI lägen nicht vor.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Rentenbegehren weiter. Er hält auch unter Berücksichtigung des im Berufungsverfahren eingeholten Gutachtens des Arztes M daran fest und verweist auf Ausführungen in diesem Gutachten, die seine große psychisch-seelische Belastung (Depressionen, Ängste) und den hohen Leidensdruck, unter dem er stehe, nicht richtig wiedergäben.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. Oktober 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2001 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. November 2000 Rente wegen Er- werbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, sowie hilfsweise ab 1. Januar 2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheides.

Der Senat hat im Berufungsverfahren erneut Befundberichte von den behandelnden Ärzten des Klägers erstatten lassen und zwar von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. N vom 28. Mai 2003 und von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B vom 18. August 2003.

Der Senat hat den Arzt M mit der Erstattung eines allgemeinmedizinischen Gutachtens beauftragt. In diesem Gutachten vom 14. Januar 2004 (Untersuchung am 16. Dezember 2003) teilt der Sachverständige die folgenden Diagnosen mit: Leberschaden (chronische Hepatitis C und toxische Komponente), seelisches Leiden (Angst und Depression gemischt), Wirbelsäulenverschleiß, Gelenkbeschwerden, Hauterkrankung (Vitiligo). Der Kläger könne noch regelmäßig vollschichtig leichte körperliche und geistige Tätigkeiten in allen Haltungsarten absolvieren, sofern die Möglichkeit zu einem gelegentlichen Wechsel der Haltungsarten bestehe und die im Übrigen bezeichneten qualitativen Leistungseinschränkungen beachtet würden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen, wegen der medizinischen Feststellungen auf die zum Verfahren eingeholten Befundberichte und das Sachverständigengutachten des Arztes M Bezug genommen.

Die Leistungsakte der Agentur für Arbeit Stendal, die Akte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger hat aufgrund seines im Januar 2001 gestellten Rentenantrages (vgl. § 99 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) weder einen Anspruch auf Rente wegen EU oder auch nur wegen BU mit einem Rentenbeginn vor dem 1. Januar 2001 nach den bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Rechtsvorschriften der §§ 44, 43 SGB VI alter Fassung (a.F.) noch einen Anspruch auf Rente wegen voller EM (§ 44 Abs. 2 SGB VI in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung = neuer Fassung) oder auf Rente wegen teilweiser EM nach § 44 Abs. 1 SGB VI neuer Fassung (n.F.) oder auf teilweise EM bei BU nach § 240 SGB VI n.F. Die Voraussetzungen aller dieser Vorschriften liegen auch unter Berücksichtigung der Ermittlungen im Berufungsverfahren nicht vor.

Die Vorschrift des § 44 SGB VI a.F. setzt zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EU voraus (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI a.F.). Darüber hinaus muss EU vorliegen (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI a.F.).

Erwerbsunfähig sind gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F. Versicherte, die wegen Erkrankung oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630,- DM bzw. den entsprechenden Gegenwert in Euro übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F.).

Der Kläger war bis einschließlich 30. November 2000 nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F. Denn er verfügte in dem maßgebenden Zeitraum noch über ein vollschichtiges Restleistungsvermögen zumindest für leichte körperliche und geistige Arbeiten, mit dem er regelmäßig einer achtstündigen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen und damit ein monatliches Einkommen von mehr als 630,- DM bzw. den entsprechenden Gegenwert in Euro erzielen konnte. Dass der Kläger über ein noch vollschichtiges Restleistungsvermögen verfügte und auch derzeit noch verfügt, folgt zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere aus den vorliegenden Gutachten der im Verwaltungsverfahren als Sachverständige eingesetzten Ärzten L und W und des im Berufungsverfahren bestellten Gerichtssachverständigen M. Denn alle diese Ärzte haben dem Kläger ebenso wie die Ä S in ihrem arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 15. Januar 2001 übereinstimmend ein derartiges vollschichtiges Restleistungsvermögen bescheinigt. Dabei lässt sich aufgrund des aktuellen Gerichtsgutachtens des Sachverständigen M vom 14. Januar 2004 zwar eine leichte Verschlechterung des bei dem Kläger vorliegenden Leberleidens feststellen, ohne dass sich daraus allerdings weitergehende Leistungseinschränkungen herleiten lassen; vielmehr stellt der Sachverständige M für den Fall, dass sich der Kläger einer Interferontherapie unterzöge, sogar eine Besserung des Leistungsvermögens insoweit in Aussicht, als der Kläger im Erfolgsfall wieder mittelschwere Arbeiten ausführen könnte.

Da das dem Kläger verbliebene Leistungsvermögen auch in der Zeit ab 1. Dezember 2000 und ebenso aufgrund seines derzeitigen Leidenszustandes noch einen vollschichtigen Arbeitseinsatz im Rahmen einfacher Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zulässt und nach den Feststellungen des Sachverständigen M der Kläger auch uneingeschränkt wegefähig war und ist, sind auch Rentenansprüche nach den seit 1. Januar 2001 geltenden rentenrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen. Denn die in § 43 SGB VI neuer Fassung (n.F.) getroffenen Regelungen setzen ein noch weiteres Absinken des Restleistungsvermögens auf unter drei Stunden täglich bei voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI n.F.) bzw. auf unter sechs Stunden täglich bei teilweiser EM (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI n.F.) voraus.

Das vollschichtige Restleistungsvermögen des Klägers war und ist nach den von den Sachverständigen festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen auch nicht derart reduziert, dass es einem Arbeitseinsatz des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter betriebsüblichen Bedingungen entgegenstünde. Der Kläger kann zwar nach den von den Sachverständigen getroffenen Feststellungen wegen seiner Leiden jedenfalls nur noch körperlich leichte Tätigkeiten (mit dem Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg) sitzend oder im Wechsel der Haltungsarten, falls die Möglichkeit zu einem gelegentlichen Wechsel gegeben ist, verrichten. Ausgeschlossen sind Arbeiten in Hitze und Kälte, unter Zeitdruck, an laufenden Maschinen und in Nachtschicht. Die Belastbarkeit der Wirbelsäule ist ebenso wie die Belastbarkeit der Arme, und zwar hier der Schultern, nach den Feststellungen des Arztes M in seinem Gutachten vom 14. Januar 2004 leicht reduziert. Sofern der Kläger zur Begründung seiner Berufung darauf verweist, dass der Arzt M die große psychisch-seelische Belastung und den hohen Leidensdruck, unter dem er stehe, nicht richtig wiedergebe, ist darauf hinzuweisen, dass der Arzt M in seinem allgemeinärztlichen Gutachten sich auch mit dem von ihm diagnostizierten seelischen Leiden des Klägers auf Seite 18 f. seines Gutachtens ausführlich auseinandergesetzt hat, auf der Grundlage des vorliegenden Gutachtens des Arztes W und seiner eigenen Untersuchung letztlich aber nur eine gering ausgeprägte Angststörung und eine nur gering ausgeprägte Depressivität hat feststellen können, und zwar mit daraus resultierenden Einschränkungen des geistigen Leistungsvermögens auf Tätigkeiten mit geringen Anforderungen. Soweit der Kläger sinngemäß darüber hinausgehende Leistungseinschränkungen geltend macht, fehlt es für eine Feststellung derartiger Leistungseinschränkungen an einer entsprechenden Befundlage. Da nach den Feststellungen der Ärzte L und W und vor allem des Gerichtssachverständigen M jedenfalls die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit ebenso wie die Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit im Rahmen geringer Anforderungen erhalten war und ist, besteht damit weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 1998 - B 5/4 RA 58/97 R - nicht veröffentlicht). Es lagen und liegen zwar bei dem Kläger Leistungseinschränkungen vor, die teilweise über den Rahmen dessen hinausgehen, was inhaltlich vom Begriff der körperlich leichten Tätigkeiten umfasst wird. Dies gilt besonders hinsichtlich der Notwendigkeit bestimmter äußerer Einwirkungen wie Hitze und Kälte (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 1999 - B 13 RJ 71/97 R - nicht veröffentlicht). Die bei dem Kläger von dem Arzt M festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen sind aber nicht geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Denn die vorliegenden Leistungseinschränkungen wie der Ausschluss von Arbeiten in Zwangshaltungen ode mit einseitiger körperlicher Belastung, in Hitze und Kälte, unter Zeitdruck, an laufenden Maschinen und in Nachtschicht zählen nicht zu den ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen und schon gar nicht zu den schweren spezifischen Leistungsbehinderungen (vgl. dazu die auf die Vorlagebeschlüsse des 13. Senats ergangenen Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 GS 1-4/95- GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Das Gleiche gilt hinsichtlich der eingeschränkten geistigen Fähigkeiten des Klägers, die keine besonderen Schwierigkeiten des Klägers hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz erkennen lassen, die eine spezifische schwere Leistungsbehinderung darstellen könnten (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 104, 117). Der Kläger war und ist vielmehr in der Lage, seiner geringen Vorbildung entsprechende einfache geistige Arbeiten zu verrichten. Insgesamt betreffen die bei dem Kläger festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen jedenfalls lediglich einen kleinen Teilbereich des allgemeinen Arbeitsmarktes, lassen aber ein weites Feld von Beschäftigungsmöglichkeiten unberührt.

So konnte und kann der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen etwa noch leichte Bürotätigkeiten verrichten, wie sie in der Tarifgruppe X des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) erfasst sind. Das Gleiche gilt für leichte Sortier- und Verpackungstätigkeiten. Schließlich war und ist der Kläger mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen gesundheitlich und geistig derzeit auch noch in der Lage, die Tätigkeit eines einfachen Pförtners im Tages- und Wechselschichtdienst vollschichtig zu verrichten. Im Hinblick darauf, dass nach der Leistungsbeurteilung des Gerichtssachverständigen M keine relevanten Einschränkungen bezüglich der Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit, der Auffassungsgabe und der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit bestehen, konnte und kann der Kläger auch noch derart einfache Tätigkeiten, wie sie mit der Tarifgruppe X BAT tariflich vergütet werden, nach einer Zeit der Einarbeitung bis zu drei Monaten vollwertig verrichten, ebenso wie leichte Sortier- und Verpackungstätigkeiten.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen BU gegen die Beklagte aufgrund eines bis zum 30. November 2000 eingetretenen Leistungsfalls der BU nach § 43 SGB VI a.F. Denn der Kläger war und ist nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. bzw. im Sinne des § 240 Abs. 2 SGB VI n.F.

Berufsunfähig sind nach § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte (bzw. auf weniger als sechs Stunden - § 240 Abs. 3 Satz 1 SGB VI n.F. -) derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F. bzw. § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI n.F.).

Ausgangspunkt für die Prüfung von BU nach neuem wie nach dem alten Recht ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der "bisherige Beruf" des Versicherten. Das ist in der Regel die zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Beschäftigung (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 130, 164; BSG, Urteil vom 11. Mai 2000 - B 13 RJ 43/99 R - nicht veröffentlicht). Danach ist als bisheriger Beruf des Klägers der Beruf des Kraftfahrers (Auslieferungsfahrers) der rentenrechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen. Den Beruf des Kraftfahrers bzw. des Auslieferungsfahrers hatte der Kläger zuletzt vom 1. September 1999 bis 31. August 2000 bei der Firma A versicherungspflichtig ausgeübt; das ergibt sich aus der beigezogenen Leistungsakte der Agentur für Arbeit Stendal. Fest steht zwar, dass der Kläger den Beruf des Kraftfahrers bzw. Auslieferungsfahrers aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten konnte und auch nicht mehr verrichten kann. Denn mit dem verbliebenen Leistungsvermögen, das nach der übereinstimmenden Auffassung der im Verwaltungsverfahren und im Gerichtsverfahren gehörten Sachverständigen auf körperlich leichte Tätigkeiten unter Ausschluss des Hebens und Tragens von Lasten von mehr als 10 kg beschränkt ist, kann der Kläger seinem bisherigen Beruf nicht mehr regelmäßig vollschichtig nachgehen. Denn die Tätigkeit eines Auslieferungsfahrers setzt, wie allgemein bekannt ist, auch die Fähigkeit zum Heben und Tragen von Lasten von mehr als 10 kg voraus.

Gleichwohl ist der Kläger nicht berufsunfähig. Denn ein Anspruch auf Rente wegen BU steht dem Versicherten nicht schon dann zu, wenn er seinen bisherigen Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann. Hinzukommen muss vielmehr, dass für den Versicherten auch keine sozial zumutbare Erwerbstätigkeit im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI bzw. des § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI n.F. mehr vorhanden ist, die er mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen noch ausführen kann. Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich dabei nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zwecks Vornahme dieser Bewertung hat die höchstrichterliche Rechtsprechung das sogenannte Mehrstufenschema entwickelt. Dieses Schema untergliedert die Arbeiterberufe in verschiedene Berufsgruppen. Diese Berufsgruppen werden durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 132, 138, 140; BSG, Urteil vom 11. Mai 2000 - B 13 RJ 43/99 R -).

Es kann dahinstehen, ob der bisherige Beruf des Klägers der untersten Gruppe des ungelernten Arbeiters zuzuordnen ist, wie das SG, ohne entsprechende Feststellungen zu treffen, angenommen hat, oder ob der Kläger dem unteren Bereich der Anlerntätigkeiten (Berufsgruppe des angelernten Arbeiters) hinzuzurechnen ist. Fest steht jedenfalls, dass der bisherige Beruf des Klägers nicht als Anlerntätigkeit im oberen Bereich im Rahmen der Berufsgruppe des angelernten Arbeiters oder gar einer höheren Berufsgruppe zu bewerten ist. Denn ausweislich der vom Kläger eingereichten Fotokopie seines Führerscheins besitzt der Kläger nur die Fahrerlaubnis der Klasse 3 und nicht die Fahrerlaubnis der Klasse 2, über die ein gelernter Berufskraftfahrer verfügt (vgl. die Verordnung Berufsausbildung zum Berufskraftfahrer vom 26. Oktober 1973 - BGBl. I S. 1518). Bereits aus diesem Grunde kann der Kläger nicht einem gelernten Berufskraftfahrer gleichgestellt werden. Der Kläger ist auch nicht aufgrund tarifvertraglicher Gleichstellung als Angelernter im oberen Bereich anzusehen. Das ergibt sich aus den in der Leistungsakte der Agentur für Arbeit Stendal aufgeführten und bei der Firma A erzielten Arbeitsentgelte. So erzielte der Kläger im Monat März 2000 ein Bruttoarbeitsentgelt von 2.100,- DM, das entspricht einem stündlichen Arbeitsentgelt von 12,12 DM. Die einschlägigen - in das Verfahren eingeführten - Tarifverträge weisen aber für "Führer von Kraftwagen der Führerscheinklasse II" einen Stundenlohn von 18,10 DM im Zeitraum vom 1. April 1999 bis 31. August 2000 aus (Vergütungstarifvertrag West für das Speditionsgewerbe) sowie von 18.10 DM nach dem maßgebenden Vergütungstarifvertrag Ost. Selbst Wächter erhielten nach dem Vergütungstarifvertrag West schon einen Stundenlohn von 13,77 DM bzw. 12,94 DM nach dem Vergütungstarifvertrag Ost. Daraus erhellt, dass der Kläger einen weit untertariflichen Stundenlohn bezog.

Da danach eine Bewertung des bisherigen Berufs des Klägers als einer Anlerntätigkeit im oberen Bereich ausscheidet, ist der Kläger als Angelernter im unteren Bereich ebenso wie als Ungelernter sozial zumutbar auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, für die sein Restleistungsvermögen noch ausreicht. Denn grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächst niedrigere Berufsgruppe verwiesen werden (ständige Rechtsprechung: vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 143 m.w.N.; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 5; BSG, Urteil vom 11. Mai 2000 - B 13 RJ 43/99 R -). Ein Berufsschutz, der die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit erforderte, steht dem Kläger nicht zu. Da das Restleistungsvermögen des Klägers, wie bereits ausgeführt, einen Arbeitseinsatz auf dem weiten Feld des allgemeinen Arbeitsmarktes auf einer Vielzahl von Arbeitsfeldern weiterhin in vollschichtigem Umfang zulässt, ohne dass eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung von Leistungseinschränkungen vorlägen, ist demgemäß ein Anspruch auf Rente wegen BU bzw. auf Rente wegen teilweiser EM bei BU (§§ 43 SGB VI a.F., 240 SGB VI n.F.) ebenso ausgeschlossen wie Ansprüche auf Rente wegen EU oder wegen voller oder teilweiser EM.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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