L 8 AL 133/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AL 316/99 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 133/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 246/04 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15. November 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der vom Kläger übernommenen Kosten für Unterkunft und Verpflegung des Beigeladenen in der Zeit vom 11.09.1995 bis 10.09.1997 streitig.

Der 1973 geborene Beigeladene ist gehörlos und darüber hinaus lernbehindert. Er besuchte bis 1993 10 Jahre lang die staatlich anerkannte private Schule für lernbehinderte Gehörlose der R.-Stiftung in Z. und anschließend zwei Jahre lang die ebenfalls zu diesem Träger gehörende staatlich anerkannte private Berufsschule für lernbehinderte Gehörlose. Hierbei war er in einem zu dieser Stiftung gehörenden Wohnheim untergebracht, wobei er alle zwei Wochen nach Hause zu seiner Oma bzw. Mutter fuhr und dort auch die Ferien verbrachte.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 18.07.1995 als berufsfördernde Maßnahme die Teilnahme am Arbeitstraining in der F.-Werkstatt in Z. für die Zeit vom 11.09.1995 bis 10.09.1996, mit Bescheid vom 09.07.1996 bewilligte sie diese Leistungen für ein weiteres Jahr vom 11.09.1996 bis 10.09.1997. In dem Bescheid heißt es, die Maßnahme sei nicht mit einer internatsmäßigen Unterbringung verbunden. Der Beigeladene war während dieser Maßnahme weiterhin in Z. untergebracht.

Mit Schreiben vom 03.07.1996, bei der Beklagten eingegangen am 10.07.1996, forderte der Kläger von der Beklagten die Erstattung der seit 11.09.1995 angefallenen Unterbringungskosten. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 10.04.1998 ab.

Mit Schreiben vom 26.08.1999, beim Sozialgericht Landshut (SG) eingegangen am 31.08.1999, hat der Kläger Klage erhoben. Der Beigeladene habe gemäß § 56 Abs.3 Nr.3a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) gegen die Arbeitsverwaltung Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Kosten für Unterkunst und Verpflegung, wenn für die Teilnahme an der berufsfördernden Maßnahme eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen bzw. großelterlichen Haushaltes wegen Art und Schwere der Behinderung notwendig ist. Der Beigeladene habe überwiegend bei seinen Großeltern in Z. gelebt, aber auch bei seinen Eltern in Teisnach ein eigenes Zimmer gehabt. Im näheren Einzugsbereich des elterlichen sowie des großelterlichen Wohnortes bestehe zwar eine Behindertenwerkstätte in R. , jedoch würden dort keine Arbeitstrainingsmaßnahmen für Gehörlose bzw. hochgradig Hörbehinderte durchgeführt. Deshalb habe der Beigeladene zur Teilnahme am Arbeitstraining außerhalb des elterlichen bzw. großelterlichen Haushalts in Z. untergebracht werden müssen. Während der gesamten Schulzeit habe er alle 14 Tage die Wochenenden und alle Ferienzeiten bei den Großeltern bzw. Eltern verbracht. Auch nach Beendigung der Schulzeit habe er die Ferien von Juli bis Mitte September 1995 zu Hause verbracht. Erst mit Beginn des Arbeitstrainings in der Werkstätte für Behinderte (WfB) sei er wieder in der Einrichtung in Z. untergebracht gewesen.

In der mündlichen Verhandlung am 15.11.2001 hat die Mutter des Beigeladenen bestätigt, dass sich dieser alle 14 Tage entweder im elterlichen oder großelterlichen Haushalt aufhalte. Wäre er längere Zeit krank, würde man ihn nach Hause holen. Vor kurzem sei sein Vater gestorben, woraufhin er fünf Wochen zu Hause verblieben sei. Sollte er nicht mehr in der WfB arbeiten, würde man ihn auf jeden Fall wieder zu Hause aufnehmen und nicht in der Gehörloseneinrichtung belassen.

Mit Urteil vom 15.11.2001 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger die in der Zeit vom 11.09.1995 bis 10.09.1997 im Wohnheim der Gehörloseneinrichtung Z. entstandenen Unterbringungskosten zu erstatten. Der Kläger habe nach § 104 Abs.1 Satz 1 SGB X einen Anspruch gegen die Beklagte. Danach sei nämlich der Leistungsträger, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch habe oder gehabt habe, dem nachrangig verpflichteten Leistungsträger, hier dem Kläger, der Sozialleistungen erbracht habe, erstattungspflichtig. Nachrangig verpflichtet sei nach Satz 2 ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungspflicht eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Der Beigeladene habe gegenüber der Beklagten einen Anspruch nach § 56 Abs.2 Nr.3a, Abs.3a AFG auf Übernahme der erforderlichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Nach § 58 Abs.2 AFG bestimme die Bundesanstalt das Nähere durch Anordnung. Hierzu regle § 33 Abs.1 Anordnung Reha (A-Reha), dass die Bundesanstalt für Kosten der Unterkunft und Verpflegung Leistungen gewähre, wenn für die Teilnahme an der berufsfördernden Maßnahme eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder elterlichen Haushaltes wegen Art und Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges der Rehabilitation nötig sei. Nach Überzeugung der Kammer habe der Beigeladene während der Dauer der von der Beklagten geförderten Maßnahme wegen Art und Schwere seiner Behinderung in der Gehörloseneinrichtung der F.-Werkstätten untergebracht werden müssen. Er sei zwar auch während seiner jetzigen Arbeit in der WfB dort untergebracht, das Heim stelle jedoch nicht seinen Lebensmittelpunkt dar. Er sei nach Überzeugung des Gerichts weiterhin im elterlichen bzw. im großelterlichen Haushalt auf Dauer wohnhaft. Er selbst habe keinen eigenen Haushalt. Damit sei die Unterbringung allein durch die Maßnahme veranlasst gewesen. Die Überzeugung der Kammer stütze sich dabei insbesondere auf die Angaben der Betreuerin des Beigeladenen. Diese habe glaubhaft versichert, den Sohn wieder zu Hause aufzunehmen, falls er einmal nicht mehr in der Werkstätte für Behinderte arbeiten könne. Sie sei dazu nach Überzeugung der Kammer auch in der Lage.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Auf ihre Anregung hin hat der Senat mit Einverständnis des Klägers mit Beschluss vom 30.07.2002 im Hinblick auf ein gegen ein in einem gleichgelagerten Fall ergangenes Urteil des Senats vom 22.02.2002, L 8 AL 234/01, beim BSG anhängigen Revisionsverfahrens das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Der Kläger hat mit Schreiben vom 14.04.2003 die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt und das Protokoll des Verfahrens vor dem BSG B 11 AL 41/02 R vorgelegt, in dem sich die Beklagte vergleichsweise verpflichtet hat, auf den geltend gemachten Erstattungsanspruch 80.000,00 DM zu zahlen. Diese Summe entspreche 2/3 des in diesem Verfahren geltend gemachten Anspruches, weil durch eine verspätete Anmeldung der Kostenerstattungsanspruchs und dadurch teilweise Verfristung (§ 111 SGB X) nicht der ganze Anspruch durchsetzbar gewesen sei.

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, der Beigeladene habe sich vor der Maßnahme und auch nach der Maßnahme in diesem Heim aufgehalten und würde dort auch verbleiben, wenn er nicht mehr in der WfB arbeiten würde. Die Auffassung des SG, das Heim stelle nicht den Lebensmittelpunkt dar, vielmehr sei der Beigeladene weiterhin im elterlichen bzw. großelterlichen Haushalt auf Dauer wohnhaft, widerspreche grob den tatsächlichen Verhältnissen. Hierzu solle Beweis erhoben werden durch Beiziehung des maßgeblichen Heimvertrages des Beigeladenen mit dem Gehörlosenheim Z. sowie durch Einvernahme des Heimleiters-/der Heimleiterin dieser Einrichtung; hierdurch solle festgestellt werden, dass der Beigeladene auch dann in einem entsprechenden Heim hätte untergebracht werden müssen, wenn er nicht an der Maßnahme teilgenommen hätte. Nach Auffassung der Beklagten sei der Beigeladene nicht in der Lage, einen eigenen Haushalt zuführen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15.112001 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise beantragt sie, die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Mutter des Beigeladenen habe erwogen, diesen die WfB in R. besuchen zu lassen. Da diese WfB jedoch nicht speziell auf Gehörlose ausgerichtet sei, sei letztlich nur die WfB der R.-Stiftung in Betracht gekommen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, ein Ausschließungsgrund liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Beklagte zur Erstattung der Kosten für die Unterkunft und Verpflegung, die während des Aufenthaltes des Beigeladenen im Arbeitstrainingsbereich der WfB in Z. angefallen sind, verurteilt. Der Senat folgt den Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil und sieht gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Diese Ausführungen decken sich mit den Darlegungen des Senats in den Entscheidungsgründen der Urteile vom 12.12.1995, L 8 AL 204/93, und 22.02.2002, L 8 AL 234/01. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte in dem anhängigen Verfahren weiterhin die auch in den früheren Verfahren vertretene Auffassung vertritt, ein privater Haushalt außerhalb des Heimes liege nicht vor, wenn ein Rehabilitand sowohl vor der Arbeitstrainingsmaßnahme als auch nachher sich in dem Heim aufhalte. Gegen diese Auffassung sprechen im vorliegenden Fall eindeutig die Angaben der Mutter des Beigeladenen, die glaubhaft und nachvollziehbar sind. Demgegenüber war dem Beweisantrag der Beklagten nicht zu folgen, da die Vernehmung des Heimleiters/der Heimleiterin nicht geeignet ist, zu beweisen, dass sich der Beigeladene auch dann in dem Heim der R.-Stiftung aufgehalten hätte, wenn er dort nicht die Arbeitstrainingsmaßnahme absolviert hätte. Da dies nicht von der Entscheidung des Heimleiters abhängt, sondern von der des Beigeladenen und seiner Betreuerin, können lediglich letztere hierzu Angaben machen. Hierbei kommt es auch nicht darauf an, ob der Beigeladenen selbst einen eigenen Haushalt zu führen in der Lage ist; ausreichend und entscheidungserheblich ist vielmehr, dass er, hätte er nicht die Arbeitstrainingsmaßnahme in Z. absolviert, sich im Haushalt seiner Eltern oder Großeltern aufgehalten hätte. Der Aufenthalt in Z. ist ausschließlich dadurch bedingt, dass der Beigeladene zum einen einer Maßnahme in einer Einrichtung für Gehörlose bedarf, und es zum anderen eine solche Einrichtung nicht im Einzugsbereich des elterlichen bzw. großelterlichen Wohnortes gibt.

Der Senat hat den zwischen der R.Stiftung und dem Beigeladenen geschlossenen Heimvertrag vom 16.12.2002 beigezogen. Von Seiten der Stiftung ist mitgeteilt worden, dass vorher ein solcher Heimvertrag nicht existiert hat, da die Erstellung eines solchen nicht üblich gewesen sei. Somit können aus diesem Heimvertrag keine Rückschlüsse auf die Verhältnisse während der hier streitigen Arbeitstrainingsmaßnahme gezogen werden, auch wenn diesem Vertrag Rückwirkung für die Zeit ab 12.09.1982, als der Beigeladenen erstmals in das Heim aufgenommen wurde, beigemessen wurde. Im Übrigen regelt der Vertrag in § 13 Abs.5, dass er spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats für den Ablauf desselben Monats schriftlich gekündigt werden kann. Weiterhin enthält er in § 4 Regelungen für die Zeiten der Abwesenheit und die hieraus resultierenden Rückvergütung der Unterkunftskosten. Auch hieraus lassen sich keine Anhaltspunkte dafür gewinnen, dass für den Beigeladenen außerhalb des Heimes ein elterlicher bzw. großelterlicher Haushalt nicht existierte.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger die Jahresfrist für die Anmeldung seines Erstattungsanspruches nach § 111 SGB X eingehalten, so dass er Anspruch auf Erstattung der gesamten Unterkunftskosten während der zweijährigen Arbeitstrainingsmaßnahme hat. Wie der Senat bereits in dem Urteil vom 22.02.2002 dargelegt hat, kann dem Erstattungsanspruch auch nicht die objektiv unrichtige Passage in dem Bewilligungsbescheiden entgegengehalten werden, wonach "die Teilnahme an der Maßnahme nicht mit einer internatsmäßigen Unterbringung verbunden" sei. Soweit dies als Ablehnung der Erstattung von Kosten für Unterkunft und Verpflegung gegenüber dem Beigeladenen angesehen werden müsste, würde es sich um eine gemäß § 44 Abs.1 SGB X auf Antrag hin aufzuhebende Entscheidung handeln, die im Rahmen des Erstattungsverfahrens unbeachtlich wäre, weil sie zu Lasten des Sozialleistungsberechtigten und damit auch zu Lasten des Erstattungsberechtigten offenkundig fehlerhaft ist (BSG SozR 1.300 § 103 Nr.2; SozR 3-1300 § 103 Nr.4). Dieser Auffassung ist offensichtlich auch die Beklagte, wie ihr Verhalten in dem Revisionsverfahren B 11 AL 41/02 R zeigt, in dem sie den geltend gemachten Erstattungsanspruch anerkannt hat, soweit nicht die Ausschlussfrist des § 111 SGB X entgegenstand.

Somit war die Berufung der Beklagten gegen das zutreffende Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15.11.2001 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht gemäß § 160 Abs.1 Nrn.1 oder 2 SGG zuzulassen, da sich der Senat durch den Ausgang des Revisionsverfahrens B 11 AL 41/02 R in seiner Auffassung bestätigt sieht.
Rechtskraft
Aus
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