L 14 RJ 162/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 10 RJ 2130/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 RJ 162/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Altersrente unter Anrechnung von Versicherungszeiten, die der Kläger in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegt hat.

Der 1936 in O. (Ukraine) geborene Kläger reiste am 10.09. 1992 als jüdischer Emigrant mit sowjetischer Staatsangehörigkeit aus der ehemaligen UdSSR in die Bundesrepublik Deutschland ein. Es wurde ihm der Status eines Kontingentflüchtlings bescheinigt und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Nach anfänglicher Arbeitslosigkeit und vorübergehender versicherungspflichtiger Beschäftigung bezieht er seit 1996 Sozialhilfe. Eine Anerkennung als Vertriebener bzw. Aussiedler erfolgte nicht; die 1995 vom Kläger beantragte Ausstellung einer Bescheinigung zur Feststellung des Vertriebenenstatus (§ 100 Abs.2 S.3 Bundesvertriebenengesetz - BVFG -) wurde mit Schreiben des Ausgleichsamts der Stadt M. vom 18.04.1996 abgelehnt, da der Kläger ohne den erforderlichen Aufnahmebescheid gem. § 27 Abs.1 BVFG in das Bundesgebiet eingereist sei. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 28.11.1996 zurückgewiesen, da die Antragsfrist für einen Vertriebenenausweis bereits am 31.12.1993 abgelaufen und ein eigenständiges Antragsrecht des Klägers auf Feststellung des geltend gemachten Status nach dem BVFG ausgeschlossen sei. Die hiergegen erhobene Klage nahm der Kläger am 18.02.1997 zurück, das Verfahren wurde eingestellt (Beschluss des Bayer. Verwaltungsgerichts München vom 19.02. 1997).

In einem Kontenklärungsantrag hatte der Kläger 1995 Angaben über Abstammung, Ausbildung und Tätigkeiten gemacht und dazu verschiedene Urkunden in russischer Sprache vorgelegt, darunter sein im Jahre 1956 ausgestelltes Arbeitsbuch. Danach hatte er in der Sowjetunion eine Ausbildung zum Techniker und dann zum Elektroingenieur durchlaufen und zunächst Tätigkeiten als Kontrolleur und Ingenieur in O. und ab 1963 bis zu seiner Ausreise in M. Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Projektleiter und Abteilungsleiter verrichtet.

Am 04.06.1996 stellte er bei der Beklagten Antrag auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gem. § 38 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 03.07.1996 wegen Nichterfüllung der erforderlichen Wartezeit ab. Es seien lediglich 28 Monate an Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung und anschließende Arbeitslosigkeit in Deutschland vorhanden. Die Anrechnung der in der Sowjetunion bis 1992 zurückgelegten Zeiten auf die Wartezeit lehnte die Beklagte ab, da die persönlichen Voraussetzungen des § 1 Fremdrentengesetz (FRG) nicht erfüllt seien. Die Anerkennung als Vertriebener sei am 18.04.1996 vom Ausgleichsamt abgelehnt worden.

Mit seinem Widerspruch regte der Kläger zum einen an, die Beklagte möge sich wegen der Feststellung seiner Vertriebeneigenschaft an das Ausgleichsamt wenden, da diese nurmehr auf Ersuchen von Behörden, die für die Gewährung von Rechten und Vergünstigungen an Vertriebene und Flüchtlinge zuständig seien, erfolge. Zum anderen machte er geltend, er erfülle die Voraussetzungen des § 17a FRG, denn er habe in seiner Heimat zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) gehört; er habe deutsche Vorfahren gehabt, in seinem Elternhaus sei deutsch gesprochen worden, in der Schule und auch während des Studiums habe er deutsch gelernt und deutsche Zeitungen gelesen; auch sei er auf Grund seiner jüdischen Volkszugehörigkeit den allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, der Kläger gehöre weder zum Personenkreis der Vertriebenen i.S.d. § 1 FRG noch zu dem des deutschsprachigen Judentums nach § 17a FRG. M. habe nie zum nationalsozialistischen Einflussbereich gehört.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) berief sich der Kläger erneut darauf, in der Sowjetunion dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört und die Voraussetzungen des § 17a Buchstabe a Ziff.2, 2. Alternative FRG erfüllt zu haben, welche den Anwendungsbereich des § 17a FRG auch auf Personen erweitere, die das 16. Lebensjahr im Zeitpunkt der Erstreckung des nationalsozialistischen Einflussbereichs noch nicht vollendet hatten, die aber im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörten. Er bezog sich zum Nachweis dieser Voraussetzungen auf zuvor beim Ausgleichsamt vorgelegte schriftliche Zeugenerklärungen des L. I. B. , C. , (ohne Datum) und der R. V. S. , M. , vom 15.03.1995.

Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Zugehörigkeit des Klägers zum deutschen Sprach- und Kulturkreis sei weder nachgewiesen noch glaubhaft; auch werde nach § 17a FRG ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verlassen des Heimatgebietes und nationalsozialistischer Maßnahmen vorausgesetzt, davon könne aber bei einem Zuzug nach Deutschland im Jahre 1992 nicht die Rede sein.

Auf Anfrage der Beklagten teilte das Zentrale Ausgleichsamt Bayern - Außenstelle M. - mit Schreiben vom 29.10.1999 mit, dass der Kläger zu keiner Zeit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Vertriebenausweises erfüllt habe.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 11.10.2001 ab. Altersrente nach § 38 SGB VI sei nicht zu gewähren. Die erforderliche Wartezeit sei nicht erfüllt. Der Kläger gehöre weder zum Personenkreis des § 1 FRG noch seien die Voraussetzungen des § 17a FRG gegeben; die in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Versicherungszeiten seien damit nicht anrechenbar. Insoweit werde gemäß § 136 Abs.3 SGG auf die Gründe des Widerspruchsbescheids Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er bringt vor, er habe seit Geburt dem Judentum und auch dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört; das 16. Lebensjahr habe er zwar erst 1952 vollendet, nach der 2.Alternative der Ziff.2 des § 17a FRG Buchstabe a reiche es aber aus, wenn er im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört habe; die Bestimmung bezwecke, die deutschstämmigen Juden aus Osteuropa den deutschstämmigen Aussiedlern gleichzustellen; auf die Ursache für das Verlassen des Vertreibungsgebietes komme es nicht an, sodass ein ursächlicher Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zum dSK gerade nicht notwendig sei; auch müsse das Auswanderungsgebiet nicht das ursprüngliche Heimatgebiet sein; ausschlaggebend sei allein, dass er im Zeitpunkt der nationalsozialistischen Einflussnahme seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort gehabt habe. Dies sei der Fall gewesen: er habe bis 1941 in O./Ukraine gewohnt, wo am 01.09.1941 die nationalsozialistische Einflussnahme begonnen habe.

Die Beklagte trug vor, es sei nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht davon auszugehen, dass sich der Kläger im Zeitpunkt des "Verlassens des Vertreibungsgebietes" im persönlichen Bereich überwiegend der deutschen Sprache bedient und dadurch dem dSK angehört habe; von deutschen Sprachkenntnissen, soweit diese vorhanden gewesen seien, könne er allenfalls in zweiter oder dritter Linie Gebrauch gemacht haben, z.B. bei bestimmten Gelegenheiten oder für begrenzte Zwecke im Rahmen einer geplanten Ausreise nach Deutschland. Sie verwies dazu auf das Urteil des BGH vom 25.03.1970 (RzW 1970,503).

Der Senat zog die BVFG-Akten des Zentralen Ausgleichsamts Bayern - Außenstelle M. - sowie die Akte M 2 K 96.6821 des Bayerischen Verwaltungsgerichts M. bei. Aus den Ausgleichsakten ist ersichtlich, dass der Kläger 1995 einen Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 100 BVFG gestellt und dazu u.a. folgende Angaben gemacht hatte: Er sei 1941 wegen des beginnenden Krieges zusammen mit seiner Mutter aus O. , dem damaligen Familienwohnort, nach Usbekistan evakuiert und später dort eingeschult worden; nach seiner Rückkehr im Jahre 1945 habe er in O. die Mittelschule besucht, die eine deutsche Leiterin gehabt habe. Er habe dort andere deutschstämmige Mitschüler gehabt, deutsch sei als Unterrichtsfach gelehrt worden. Seine ebenfalls in der Ukraine beheimateten Großeltern mütter- und väterlicherseits seien 1941 von den nationalsozialistischen Faschisten erschossen worden; dies habe ihm die Mutter erzählt. Die Akte enthält Unterlagen über die weitere Ausbildung des Klägers in O. sowie die (notariell beglaubigten) Zeugenaussagen der in M. lebenden Cousine R.V.S. vom 15.03.1995 und des in C. lebenden ehemaligen Schulfreundes L.I.B. über die Vorfahren des Klägers, die im Elternhaus gesprochenen Sprachen (russisch, jüdisch und deutsch), die dort gepflegten Kontakte und Gewohnheiten im Hinblick auf die deutsche Kultur.

Im Erörterungstermin vom 13.05.2004 wurde der Kläger zu den Einzelheiten des Sachverhalts befragt. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 11.10.2001 und unter Abänderung des Bescheids der Beklagten vom 03.07.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.07.1997 zu verpflichten, die russischen Zeiten vom 13.02.1952 bis 09.09.1992 anzuerkennen und Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 01.03.1996 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Versichertenakten des Klägers bei der Beklagten, die Akten des Zentralen Ausgleichsamts Bayern und die Akten M 2 K 96.6821 des Bayerischen Verwaltungsgerichts M. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), sie erweist sich aber nicht als begründet.

Im Ergebnis zutreffend hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Auch nach Auffassung des Senats hat der Kläger keinen Anspruch auf die beantragte Altersrente gem. § 38 SGB VI unter Anrechnung seiner in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Versicherungszeiten. Eine Berücksichtigung dieser Zeiten kann nur im Rahmen des Fremdrentenrechts erfolgen. Die entsprechenden Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt. Unstreitig besitzt der Kläger keinen Vertriebenenstatus, er hat auch selbst nicht behauptet, in seiner Heimat dem deutschen Volkstum zugehörig gewesen zu sein; § 1 FRG kann damit nicht zur Anwendung kommen. Die vorliegend allein streitigen Voraussetzungen des § 17 a FRG sind ebenfalls nicht erfüllt bzw. nicht nachgewiesen.

Nach § 17a Buchst.a FRG in der rückwirkend zum 01.07.1990 durch Art.14 des Rentenüberleitungsgesetzes vom 25.07.1991 (BGBl. I 1606) ergänzten Fassung werden Beitrags- oder Beschäftigungszeiten von Personen in das FRG einbezogen, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflussbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat, 1) dem dSK angehört haben und 2) das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten "oder im Zeit punkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK ange hört haben" und 3) sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deut schen Volkstum bekannt hatten, wenn sie die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs.2 Nr.3 BVFG verlassen haben.

§ 17a FRG ergänzt die Regelung des § 1 Buchst.a FRG (und des § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung - WGSVG -) damit zunächst um diejenigen, die wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum sich nicht zum deutschen Volkstum bekannt haben und zum Beginn des nationalsozialistischen Einflusses, nicht jedoch beim Verlassen der Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs.2 Nr.3 BVFG, wozu u.a. die ehemalige Sowjetunion zählt, dem dSK angehört haben; insofern sollte eine Gleichstellung der aus den osteuropäischen Vertreibungsgebieten stammenden deutschstämmigen Juden mit den deutschstämmigen Aussiedlern erreicht werden (vgl. BT-Drucks 11/5530 S.29); die nachträglich eingefügte 2. Alternative des Buchst.a Nr.2 erweitert den Anwendungsbereich auch auf Personen, die das 16. Lebensjahr im Zeitpunkt der Erstreckung des Einflussbereichs zwar noch nicht vollendet hatten, die aber im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes (§ 1 Abs.2 Nr.3 BVFG) dem dSK angehörten. Die Gründe für das Verlassen des jeweiligen Vertreibungsgebietes sind unbeachtlich (Verbandskomm., SGB VI, § 17a Anm.3.7). Ein Ursachenzusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zum dSK und dem Verlassen der Vertreibungsgebiete ist nicht erforderlich.

Für die Frage der Zugehörigkeit zum dSK kommt nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtssprechung dem Gebrauch der deutschen Sprache ausschlaggebende Bedeutung zu. Zugrunde liegt die schon in der zu § 150 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) ergangenen Entscheidung des BGH vom 25.03.1970 - RzW 1970,503 - ausführlich dargelegte Überlegung, dass derjenige, der eine Sprache im persönlichen Bereich ständig gebraucht, nicht nur diesem Sprachkreis angehört, sondern auch dem durch die Sprache vermittelten Kulturkreis, weil sie ihm den Zugang zu dessen Weltbild und Denkwelt erschließt. Die Zugehörigkeit ergibt sich daher im Regelfall aus dem zumindest überwiegenden Gebrauch der deutschen Muttersprache im persönlichen Lebensbereich, welcher in erster Linie die Sphäre von Ehe und Familie, aber auch den Freundeskreis umfasst. Eine Mehrsprachigkeit steht der Zugehörigkeit zum dSK dann nicht entgegen, wenn der Verfolgte die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und sie in seinem persönlichen Bereich überwiegend gebraucht hat (u.a. BSG vom 26.09.1991 - 4 RA 89/90 - in SozR 3-5070 § 20 Nr.2).

Ob der Kläger in diesem Sinne bereits zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf sein Heimatland erstreckte - für die Ukraine gilt der 01.09.1941 als Stichtag - dem deutschen Sprach- und Kulturkreis dort angehörte, kann letztlich offen bleiben. Er war in diesem Zeitpunkt erst fünf Jahre alt, so dass insoweit auf die Verhältnisse der Eltern abzustellen ist. Die Zeugen S. und B. bekunden dazu in ihren knappen schriftlichen Erklärungen, es sei im Elternhaus des Kläger "russisch, jiddisch und deutsch" gesprochen worden. Es ist wohl davon auszugehen, dass russisch vor allem außerhalb des persönlichen Familienbereichs gesprochen wurde. Den deutschen Sprachanteil gab der Kläger mit 50 % an, deutsch sei möglicherweise eher dann benutzt worden, wenn es um Kulturelles ging. Zumindest der überwiegende Gebrauch des Deutschen als Muttersprache ist danach nicht belegt. Nach der Lebenserfahrung dürfte auch davon auszugehen sein, dass jiddisch - die Volkssprache der nicht assimilierten aschkenasischen Juden mit romanischen, hebräisch-aramäischen, slawischen und deutschen Komponenten, insgesamt eine teilweise dem Deutschen ähnliche, aber doch eigene Sprache - im täglichen Leben im Vordergrund stand.

Selbst wenn man aber den Gebrauch des Deutschen "wie eine Muttersprache" im täglichen Leben der Familie des Klägers bejaht und damit von der Zugehörigkeit des Klägers zum dSK im Jahre 1941 und auch danach ausgeht, kann dies nur für die Zeit gelten, in der der Kläger noch im Elternhaus lebte oder engen Kontakt dahin hatte, also für die Zeit nach Ende der kriegsbedingten Evakuierung nach Usbekistan und darüber hinaus bis 1963, solange der Kläger sich in Ausbildung befand bzw. auch nach Aufnahme einer Berufstätigkeit noch in O. lebte. Spätestens mit Beginn der beruflichen Tätigkeit in M. 1963 und erst Recht mit der Eheschließung dort im Jahre 1965 ist aber davon auszugehen, dass eine Distanzierung von dem noch von den Eltern geprägten Kontakt zum dSK stattfand. Mit den beruflichen Notwendigkeiten und dem neuen Umfeld in M. trat zwangsläufig die russische Sprache in den Vordergrund; ebenso wurde in der Ehe nicht deutsch gesprochen, da die Ehefrau des Klägers nur russisch und französisch sprach und auch der gemeinsame Sohn das Deutsche nicht erlernte.

Das Bundessozialgericht hat sich mehrfach mit vergleichbaren Sachverhalten beschäftigt und dazu entschieden, derjenige, der Deutsch als Muttersprache gesprochen hat und nach Beendigung der Verfolgungsmaßnahmen zunächst weiter im persönlichen Lebensbereich verwendet, die durch den Gebrauch der deutschen Sprache vermittelte Zugehörigkeit nicht unmittelbar in dem Zeitpunkt verliert, von dem an der Gebrauch der deutschen Sprache im persönlichen Lebensbereich nicht mehr überwiegt; sie bleibt regelmäßig für eine Übergangszeit von bis zu 20 Jahren erhalten (BSG vom 19.04.1990 - 1 RA 105/88 - und 26.09.1991 - 4 RA 89/90 - in SozR 3-5070 § 20 Nrn.1 und 2; vom 29.06.2000 - B 4 RA 47/99 R - in SozR 3-5050 § 17a Nr.3). Die Dauer der Übergangszeit hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab. Zu berücksichtigen sind die persönlichen Gründe, die zum Nichtgebrauch der deutschen Sprache geführt haben, sowie die objektiven Lebensverhältnissen, sofern sie durch die Verfolgung bzw. Vertreibung wesentlich geprägt sind: eine indizielle Bedeutung für eine freiwillige Abkehr vom dSK kommt dem Sprachverhalten um so weniger zu, je mehr die objektiven durch die Verfolgung/Vertreibung geprägten Lebensverhältnisse einen Wechsel der Sprache erzwungen haben (BSG vom 26.09.1991 a.a.O.).

In Anwendung dieser vom BSG herausgearbeiteten Maßstäbe ist festzustellen, dass die möglicherweise vorhanden gewesene enge Bindung des Klägers an den dSK ab Mitte der Sechzigerjahre immer mehr abnahm, wobei diese Umstände in keiner Weise durch verfolgungs- oder vertreibungsbedingte Sachverhalte geprägt waren, und spätestens Mitte der Achtzigerjahre soweit gelockert war, dass von einer fortbestehenden Zugehörigkeit zum dSK nicht mehr die Rede sein kann. Erst recht kann dies nicht mehr bejaht werden für die Zeit bis 1992, als der Kläger sein Heimatland Sowjetunion - und damit ein Vertreibungsgebiet i.S.des § 1 Abs.2 Nr.3 BVFG - nach 30-jähriger beruflicher Tätigkeit in M. , wo er trotz einzelner Nachteile auf Grund seines jüdischen Glaubens doch insgesamt voll integriert war, verlassen hat. Dass der Kläger auch weiterhin eine Vorliebe für das Deutsche gehabt haben mag - z.B. dem DDR-nahen deutsch-sowjetischen Kulturkreis angehörte und gelegentlich deutsche Filme anschaute oder beruflich deutsche Fachbücher benutzte - steht dem nicht entgegen. Im Übrigen bestehen über den Umfang solcher Kontakte keinerlei näheren Anhaltspunkte.

Bei dieser Sach- und Rechtlage konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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