L 6 U 121/15

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 U 175/14
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 121/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. September 2015 und der Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2014 werden aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 13. Januar 2010 ein Arbeitsunfall mit einer Aortendissektion als Schaden ist.

Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Gerichts- und Vorverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Vorfall am 13. Januar 2010 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.

Am 5. Oktober 2011 erstattete die Seniorenpflege A. S. als Arbeitgeberin des 1978 geborenen Klägers eine nachträgliche Unfallmeldung. Dabei gab sie an, dieser sei in der Nacht vom 12. auf den 13. Januar 2010 um ca. 1.30 Uhr morgens bei der Lagerung einer Patientin zusammengebrochen. Im Weiteren gab sie an, der Kläger sei seit September 2009 bei ihr als Altenpfleger tätig.

Am 7. Oktober 2011 beantragte der Kläger die Anerkennung dieses Vorfalles als Arbeitsunfall. Am 26. Oktober 2011 führte er aus, die Patientin habe weit unten im Bett gelegen. Bei ihr habe ein schlechter Allgemeinzustand mit demenzieller Veränderung, starker Adipositas, vorausgehender Apoplexie und schlechten motorischen Fähigkeiten bestanden. Im Zusammenwirken mit einer Kollegin habe er versucht, die Patientin auf die andere Seite zu drehen. Dabei habe diese nicht mitgeholfen, da sie sich vermutlich zu dieser Zeit in einer Tiefschlafphase befunden habe. Nach einem Rückenhalt, Hochziehen und Bewegen sowie Heben der Patientin im Bett habe er sich erneut über diese gebeugt, um sie auf 30° nach links zu drehen. Dabei sei ein Schmerz in der oberen Brust eingetreten. Er sei sofort zu Boden gegangen und habe sich vor Schmerzen gekrümmt. Zudem sei sofort eine Atemnot aufgetreten.

Die Beklagte zog verschiedene Unterlagen bei. In einem Bericht der A. Klinik S. vom 13. Januar 2010 wurden die Diagnosen akute Aortendissektion Typ I sowie Kontrastmittelallergie gestellt. Die Aufnahme sei wegen akut aufgetretener thorakaler Schmerzen erfolgt.

Am 22. Januar 2010 berichtete das Herz- und Kreislaufzentrum R., man habe zusätzlich eine Aortenklappeninsuffizienz Grad III festgestellt. Es seien am 13. Januar 2010 notfallmäßig der Ersatz der Aortenklappe und der Aorta ascendens erfolgt. Die histologische Untersuchung habe einen entzündlich alterierenden, mediastinalen Lymphknoten mit erhaltenem zonalen Aufbau und Macrophagen, typische Aortenwandanteile mit Dissektion und mucoider Gefügelockerung sowie typische Aortenklappenanteile mit mucoider Gefügeauflockerung ohne Anhalt für Malignität, Spezifität oder Marfan-Syndrom (Bindegewebserkrankung) gezeigt. In dem ärztlichen Entlassungsbericht der gleichen Einrichtung vom 8. März 2010 heißt es, man habe eine arterielle Hypertonie festgestellt. Das 24-stündige Langzeit-Blutdruck-Monitoring am 2. Februar 2010 habe einen maximalen systolischen Druck von 140 mmHg und maximalen diastolischen Druck von 92 mmHg gezeigt.

Am 26. März 2010 berichtete diese Klinik, nach der Entlassung sei es am 7. März 2010 zu thorakalen und abdominellen Schmerzen sowie Sehstörungen gekommen. Am gleichen Tag sei notfallmäßig eine erneute Operation mit Verschluss eines Teilausrisses des Conduits erfolgt. Es liege eine schwer einstellbare Hypertonie vor.

In einem weiteren Bericht dieses Herz- und Kreislaufzentrums vom 27. Februar 2011 heißt es u.a., die Hypertonie sei seit dem Erstereignis im Januar letzten Jahres bekannt und werde medikamentös geführt. Vor dem Vorfall habe der Kläger ca. 20 Zigaretten pro Tag geraucht.

Auf Bitten der Beklagten nahm der Internist Dr. R. am 19. Februar 2012 Stellung. Dieser führte aus, ohne Zweifel sei der plötzliche Kraftaufwand beim Heben der übergewichtigen Heimpatientin auslösende Ursache. Die wahrscheinlich dabei bestehende Pressatmung habe zu einem plötzlichen Blutdruckanstieg geführt, der den Riss in der Aortenwurzel ausgelöst habe. Allerdings sei unstreitig, dass dies bei einem gesunden Gefäßsystem kaum auftreten könne. Es müsse also eine Vorschädigung bestanden haben. Hier sei bei dem Bericht aus der Anschlussheilbehandlung ein arterieller Bluthochdruck erwähnt worden, der später sogar als schwer einstellbar bezeichnet worden sei. Zudem habe der Kläger bis November 2011 geraucht. Er nehme an, dass die schwere Aortenklappeninsuffizienz im Rahmen der Dissektion durch eine Erweiterung der Aortenwurzel akut entstanden sei. Angesichts der Vorschädigung könne eine solche Dissektion auch bei jeder anderen Tätigkeit mit entsprechendem Kraftaufwand stattfinden. Ein angiologisches und eventuell auch kardiologisches Gutachten sei sinnvoll.

Die Beklagte zog den Bericht der Pathologie bei. Auf Bitten der Beklagten erstattete der Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Sozialmedizin Dr. S. am 3. Dezember 2013 ein Gutachten. Seiner Auffassung nach lag ein Aneurysma der Aorta ascendens vor (Gefäßerweiterung der unmittelbar vom Herz wegführenden Hauptschlagader). Dadurch habe die Gefäßinnenhaut unter erhöhter Spannung gestanden und es sei zum Einriss in die Gefäßinnenhaut mit Blutung innerhalb der Gefäßwände gekommen. Es handele sich also um eine Erkrankung des Gefäßsystems, das während der Arbeit akut manifest geworden sei. Dies müsse als zufällig angesehen werden. Eine gedeckte Ruptur der Aorta ascendens mit ausgedehnter Dissektion und Insuffizienz der Aortenklappe könne ohne erkennbaren äußeren Anlass zu jedem Zeitpunkt entstehen, wenn das Krankheitsbild entsprechend fortgeschritten sei. Als prädisponierende Erkrankung habe ein Bluthochdruck vorgelegen. Nach dem Ausmaß der Dissektion liege es nahe, dass es sich um eine bereits seit längerem bestehende Entwicklung gehandelt habe. Es bestehe ein Unterschied zu dem sogenannten Steinmetzfall des Bundessozialgerichts. Dort sei eine vorbestehende Gefäßschädigung, insbesondere ein Aneurysma, nicht festgestellt worden. Dem Aortenaneurysma komme als Krankheitsanlage eine überragende Bedeutung zu. Das Krankheitsbild sei so leicht ansprechbar gewesen, dass es auch ohne berufliche Belastung (z.B. beim alltäglichen Besteigen einer Treppe) habe auftreten können.

Mit Bescheid vom 6. Februar 2013 lehnte die Beklagte gestützt auf dieses Gutachten die Anerkennung des Ereignisses vom 13. Januar 2010 als Arbeitsunfall ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die Beklagte bat weiter den Neurologen Dr. M. um eine Stellungnahme. Dieser schloss sich Dr. S. knapp an. Er sehe keinen Grund, das Ereignis als Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes anzuerkennen.

Die Beklagte bat daraufhin nach Anhörung des Klägers den Internisten F. um ein Zusammenhangsgutachten. Am 17. Juli 2014 wies dieser darauf hin, dass es sich um eine im Pflegebereich übliche körperliche Belastung gehandelt. Dem Aneurysma dissecans liege immer eine Erkrankung der mittleren Wandschicht der Aorta zugrunde. Neben genetischen Faktoren gälten Bluthochdruck, Rauchen sowie erhöhte Cholesterinwerte als Risikofaktoren. In der feingeweblichen Befunduntersuchung werde eine mucoide Gefügeauflockerung beschrieben. Aufgrund dieser Degeneration habe sich die Körperhauptschlagader im Bereich des Aortenbogens übermäßig gedehnt. Es handele sich um eine schicksalhafte Erkrankung, die auch bei Alltagsbelastungen spontan eingetreten wäre. Die Krankheitsanlage sei hochgradig ausgeprägt gewesen.

Mit Bescheid vom 3. September 2014 wies die Beklagte gestützt auf dieses Gutachten den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger noch im gleichen Monat Klage erhoben und seinen bisherigen Vortrag vertieft. Mit Gerichtsbescheid vom 24. September 2015 hat das Sozialgericht Magdeburg diese abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, das Umlagern habe einen normalen pflegerischen Vorgang dargestellt, so dass es sich um einen physiologischen Vorgang gehandelt habe. Wie Dr. R., Dr. S., Dr. M. und zuletzt Herr F. übereinstimmend ausgeführt hätten, sei der Einriss nicht auf den Vorfall zurückzuführen, sondern auf die vorbestehende Erkrankung.

Gegen die ihm am 28. September 2015 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 8. Oktober 2015 Berufung eingelegt und seinen bisherigen Vortrag vertieft.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. September 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2014 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 13. Januar 2010 ein Arbeitsunfall mit einer Aortendissektion als Schaden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Berichterstatter hat Beweis erhoben durch Vernehmung der damaligen Kollegin des Klägers K. B. Diese hat ausgeführt, sie habe am 13. Januar 2010 zusammen mit dem Kläger eine korpulente Patientin umgelagert. Unmittelbar nach dem Ende dieser Tätigkeit habe sich der Kläger an die Brust gegriffen. Sie habe dann den Notarzt gerufen. Das Gewicht der betreuten Patientin schätze sie auf 120 bis 130 kg. Sie hätten bis zu diesem Zeitpunkt bereits 20 Patienten umgelagert. Das genannte Gewicht sei dabei kein Einzelfall gewesen.

Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Chirurgie, Unfall- und Gefäßchirurgie Prof. Dr. G ... Dieser hat darauf hingewiesen, dass nach den jüngsten interdisziplinären Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin zu den Risikofaktoren einer Typ-B-Aortendissektion eine genetische Disposition, männliches Geschlecht, Rauchen und Bluthochdruck zählten. Nach der renommiertesten kardiologischen Gesellschaft weltweit, der American Heart Association gehöre das Anheben eines Gewichtes oder ein anderer Druck-Pressversuch eindeutig zu den Risikofaktoren, die eine Aortendissektion auslösen könne. Bei einem vergrößerten Aortendurchmesser könnten das Gewichtheben und der damit verbundene plötzliche hohe Blutdruckanstieg zu einer Dissektion führen. Insoweit liege eine generelle Eignung vor.

Es spreche alles dafür, dass die Aortendissektion im konkreten Fall durch den Vorfall am 13. Januar 2010 wesentlich verursacht worden sei. Schaue man in die Literatur, so seien es dort in der Regel Gewichte gewesen, die deutlich über eine alltägliche Belastung hinausgingen. Das akut einwirkende Gewicht bei der Umlagerung einer schweren Patientin sei sicherlich nicht mit einem alltäglichen Ereignis vergleichbar.

Die Beklagte hat gegen das Gutachten diverse Einwände erhoben. So seien mehrere Risikofaktoren vorhanden gewesen, die der Sachverständige selbst als solche benenne (männliches Geschlecht, Rauchen sowie Bluthochdruck). Eventuell habe auch eine genetische Disposition bestanden. Sie hat auf die Ausführungen von Herrn F. verwiesen, nach der es sich nicht um einen lokalisierten Schädigungsprozess gehandelt habe, sondern um eine hochgradig ausgeprägte Schadensanlage.

Auf Bitten des Senats hat Prof. Dr. G. zu den Einwänden Stellung genommen. Er hat darauf hingewiesen, dass ein Bluthochdruck erst nach dem akuten Ereignis festgestellt worden sei. Ein solcher Bluthochdruck könne auch in Folge der Dissektion erworben worden sein. Im Übrigen bestätige auch ein bereits vorliegender Bluthochdruck seine Schlussfolgerungen: Bei Personen mit einer solchen Erkrankung führe ein Manöver wie hier sicherlich zu weit höheren Blutdruckspitzen als bei einem Normotoniker. Alle genannten Risikofaktoren habe er berücksichtigt. Sicherlich habe bei dem Kläger eine krankhafte Aorta ascendens bestanden. Dieser Zustand sei durch den Vorfall von 13. Januar 2010 richtungsgebend verschlimmert worden. Auch den histologischen Befund habe er berücksichtigt. Fakt sei, dass es hier bei einer Extrembelastung zu der Ruptur gekommen sei. Zuvor habe der Kläger keine entsprechenden Beschwerden gehabt. Sicherlich sei der Kläger eindeutig dissektions- und rupturgefährdet gewesen. Es spreche aber nichts dafür, dass es bei einer wesentlich leichteren Last bzw. einem alltäglichen Ereignis zu einer Ruptur gekommen wäre, da der Kläger bis zu diesem Tag asymptomatisch gewesen sei.

Die Beklagte hat eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Unfallchirurgen Dr. Me. vom 15. Juli 2019 vorgelegt. Dieser hat nochmals betont, der Vorgang sei eine alltägliche Arbeit in Pflegeeinrichtungen. Man müsse auch berücksichtigen, dass wache Patienten leichter zu heben seien als Bewusstlose. Der Muskeltonus des Patienten reduziere das Gewicht. Deswegen könne man nicht davon ausgehen, dass bei einem 130 kg schweren Patienten jeweils 60 kg angehoben werden müssten. Zudem könne mit Hilfe von "Tricks" die Belastung halbiert werden. Das Anheben von 10 kg auf eine Höhe von 50 cm sei mit einer größeren Arbeit verbunden als hier während des Vorfalls. Man könne nicht von einer übermäßig großen Belastung sprechen. Dies belege schon die einfache Tatsache, dass vergleichbare Tätigkeiten auf Intensivstationen tagtäglich nicht nur von kräftigen Personen durchgeführt würden. Hier habe ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Spontanruptur aufgrund des vorbestehenden Aortenaneurysmas bestanden.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch fristgerecht eingelegt worden. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143 SGG).

Die Berufung ist begründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), denn er hat gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Feststellung des Ereignisses vom 13. Januar 2010 als Arbeitsunfall.

Versicherte können die Feststellung eines Versicherungsfalls, hier eines Arbeitsunfalls, beanspruchen, wenn ein solcher eingetreten ist (vgl. BSG, 5. Juli 2011, B 2 U 17/10 R, SozR 4-2700 § 11 Nr. 1, Rn. 15 f.). Nach § 8 Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; zu dem Vorstehenden BSG, 27. November 2018, B 2 U 28/17 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 68 Rn. 14). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat infolge (dazu 3.) einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (dazu 1.) einen Unfall erlitten (dazu 2.).

1. Die vom Kläger zur Zeit des Vorfalls am 13. Januar 2010 ausgeübte Verrichtung - Umlagern einer Patientin - war Teil seiner nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Tätigkeit als beschäftigter Altenpfleger. Diese Verrichtung führte er auch zum Zeitpunkt des Vorfalls aus.

2. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Arbeitsunfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden führen (dazu bei 3.).

Es liegt hier zunächst eine Einwirkung von außen auf den Körper des Klägers im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII vor, nämlich das Anheben der Patientin. Entgegen der Auffassung von Dr. M., Dr. Me. und Herrn F. ist für den Unfallbegriff nicht konstitutiv, dass ein besonderes, ungewöhnliches Geschehen vorliegt (vgl. BSG, 17. Februar 2009, B 2 U 18/07 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 31). Auch eine unphysiologische Bewegung ist nicht erforderlich (vgl. Urteil des Senats, 16. November 2017, L 6 U 64/16, juris; a. A. in medizinischer Hinsicht Bayerisches LSG, 19. Mai 2011, L 17 U 480/08, juris Rn. 22; Hempfling/Meyer-Clement/Bultmann/Brill/Krenn/Ludolph, MedSach 2016, 126).

Ebenfalls überzeugt nicht die Einschränkung der Beklagten, dass Verrichtungen, die im Rahmen einer versicherten Tätigkeit "üblich und selbstverständlich" sind, nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stünden (vgl. dazu BSG, 29. November 2011, B 2 U 23/10 R, juris, Rn. 14; BSG, 30. Januar 2007, SozR 4-2700 § 8 Nr. 22, Rn. 16; BSG, 12. April 2005, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15; BSG, 18. April 2000, B 2 U 7/99 R, juris, Rn. 25 m.w.N.). Geschützt sind nach dem Zweck des SGB VII alle Verrichtungen, die in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Dies gilt auch, wenn diese mit schwerer körperlicher Arbeit (oder anderen gesundheitlichen Risiken) verbunden ist.

Das Tatbestandsmerkmal der Einwirkung von außen dient allein der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Das Anheben der Patientin und die damit einhergehende körperliche Anstrengung des Klägers mit dem damit verbundenen Blutdruckanstieg stellt eine solche Einwirkung dar. Der Versicherte, der auf ausdrückliche oder stillschweigende Anordnung seines Arbeitgebers zur Ausübung seiner versicherten Tätigkeit eine derartige Kraftanstrengung unternimmt und - den Ursachenzusammenhang nach der Theorie der wesentlichen Bedingung unterstellt - dabei einen Gesundheitsschaden erleidet, steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn der Gesundheitsschaden ist durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden und ihr zuzurechnen.

3. Das in dieser zeitlich begrenzten, äußeren Krafteinwirkung bei dem Anhebeversuch liegende Unfallereignis war wesentliche Ursache für den folgenden Gesundheitserstschaden (BSG, 12. April 2005, B 2 U 27/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, Rn. 9 f - Anheben eines festgefrorenen Grabsteins). Unter einem solchen sind alle regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustände entsprechend dem allgemeinen Krankheitsbegriff zu verstehen, die unmittelbar durch die (von außen kommende, zeitlich begrenzte) Einwirkung rechtlich wesentlich verursacht sind.

Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt dagegen nicht.

Dabei setzt die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltende "Theorie der wesentlichen Bedingung" in Eingrenzung der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der jede nicht hinwegzudenkende Bedingung (conditio sine qua non) kausal ist, voraus, dass das versicherte Geschehen wegen seiner besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich beteiligt war (dazu bei a).

Wenn feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis eine naturwissenschaftliche Ursache für einen Erfolg ist, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage nach einer wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis (vgl. BSG, 12. April 2005, B 2 U 27/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15; BSG, 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17; BSG, 15. Mai 2012, B 2 U 31/11 R, NZS 2012, 909; dazu bei b).

a) Zunächst ist die versicherte Verrichtung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn als Bedingung der Aortendissektion wirksam geworden, da das Unfallgeschehen ohne gleichzeitiges Entfallen des eingetretenen Schadens nicht hinweggedacht werden kann. Hier sind sich alle Gutachter und der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. G. einig.

Insbesondere liegt nicht nur ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen der Aortendissektion mit einer Tätigkeit des Klägers vor. Vielmehr betont Prof. Dr. G. überzeugend, dass diese Sachverhalte zusammenhängen. Hiervon gehen auch alle von der Beklagten beauftragten Gutachter aus, wenn sie mit einer Gelegenheitsursache argumentieren. Denn eine Gelegenheitsursache ist notwendig ebenfalls naturwissenschaftlich ursächlich. Es ist zur Überzeugung des Senats fernliegend, dass es zu der Aortendissektion gekommen wäre, wenn der Kläger sich zum Unfallzeitpunkt nicht berufsbedingt belastet hätte.

b) Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies in keiner Weise die auf der zweiten Stufe der Zurechnung zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage (so ausdrücklich BSG, 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17), ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfallversicherungsrechtlich "wesentlich" war. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Erfolgs (Gesundheitsschaden) wertend abgeleitet werden.

Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, also Art und Ausmaß der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihrer Krankengeschichte und schließlich der Schutzzweck der Norm (BSG, 30. Januar 2007, B 2 U 8/06 R, juris; dazu in einem ähnlichem Fall LSG Baden-Württemberg, 19. Juli 2018, L 6 U 1695/18, Rn. 31 - 32, juris; eingehend Becker, SGb 2012, 696).

Für die Annahme des Ursachenzusammenhangs genügt insbesondere nicht allein die Feststellung, dass eine Alternativursache fehlt; auch aus einem rein zeitlichen Zusammenhang und der Abwesenheit konkurrierender Ursachen bei komplexen Gesundheitsstörungen kann nicht automatisch auf die Wesentlichkeit der einen festgestellten naturwissenschaftlich-philosophischen Ursache geschlossen werden (BSG, a.a.O. Rn. 20, 22 m.w.N.).

Rechtlich ist allerdings zu beachten, dass auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache für den Erfolg rechtlich wesentlich sein kann, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Eine naturwissenschaftliche Ursache, die nicht als wesentlich anzusehen und damit keine Ursache i.S. der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als Gelegenheitsursache bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSG, 30. Januar 2007, B 2 U 8/06 R, juris; weiter LSG Baden-Württemberg, a.a.O.; Becker, SGb 2012, 696).

Der Senat lässt offen, ob der Bluthochdruck bereits vor dem Vorfall bestand oder erst Folge desselben war, wobei die Beklagte die Beweislast für einen Vorschaden hätte. Es lässt sich zumindest nicht erkennen, dass hier allein unversicherten Ursachen (insbesondere einem degenerativen Schaden, Rauchen, Bluthochdruck) gegenüber der versicherten Ursache eine so überragende Bedeutung zukommt, dass die versicherte Tätigkeit nur eine "Gelegenheitsursache" darstellt. Ausgehend insbesondere von den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. G. liegt eine ernste Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass das versicherte Geschehen wesentliche Ursache für die Aortendissektion war.

Soweit Dr. S. und der Internist F. meinen, das Krankheitsbild sei so leicht ansprechbar gewesen, dass es auch ohne berufliche Belastung hätte aufträten können, z.B. beim alltäglichen Besteigen einer Treppe, so ist diese Aussage spekulativ und nicht begründet oder belegt. Es handelt sich vorliegend nicht um einen alltäglichen Vorfall. Bereits das Anheben von 60 kg (eventuell auch 130 kg) ist eine erhebliche Kraftanstrengung, die im Alltag nicht zwingend bzw. zumindest sehr selten anfällt. Einbezogen ist der Versicherte in demjenigen Zustand, in dem er sich aktuell befindet (BSG, 27. Oktober 1987, 2 RU 35/87, SozR 2200 § 589 Nr. 10; BSG, 22. März 1983, 2 RU 22/81, juris; BSG, 19. September 1974, 8 RU 236/73, SozR 2200 § 548 Nr. 4).

Berücksichtigt man, dass der Kläger bereits seit Monaten diese Tätigkeit ausgeübt hat und sogar unmittelbar vor dem Vorfall noch andere stark übergewichtige Patienten umgelagert hatte, spricht dies maßgeblich gegen eine leicht ansprechbare Anlage. Angesichts dieser nachgewiesenen Belastbarkeit auch für schwere Tätigkeiten kann der Senat ausschließen, dass die Erkrankung auch bei einer geringeren Alltagsbelastung zeitnah aufgetreten wäre. Im Gegenteil spricht alles dafür, dass hier eine Verkettung besonderer Umstände bei dem Umbetten der Patientin (schlechter Allgemeinzustand mit demenzieller Veränderung, starke Adipositas, vorausgehende Apoplexie, schlechte motorische Fähigkeiten und Tiefschlafphase) zu einer besonderen Belastung geführt hat, die unter Berücksichtigung der Anlage des Klägers zu dem Schaden geführt hat. Auch Dr. Me. hat betont, dass wache Patienten leichter umzubetten seien als Bewusstlose.

Prof. Dr. G. hat nachvollziehbar ausgeführt, solche Aortendissektionen träten nach der Literatur bei dem Heben von Gewichten auf, die deutlich über eine alltägliche Belastung hinausgingen. Bei diesem Sachverständigen handelt es sich um einen renommierten Spezialisten, der an der von Dr. S. zitierten Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin wesentlich mitgewirkt hat. Als einziger wertet er die vorhandene Literatur aus und verweist nicht nur auf seine persönliche Ansicht oder (unzutreffende) rechtliche Bewertungen. Dies ist für den Senat überzeugend und entspricht den Anforderungen an ein wissenschaftlich fundiertes Gutachten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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