S 14 KR 687/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 687/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 31/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage, ob die Krankenkasse mit der Übernahme der vertraglich vereinbarten Preise (§ 33 Abs. 7 SGB V) ihre Leistungspflicht erfüllt.
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für Echthaarersatz (Tritec Haarintegration) in Höhe von EUR 1.064,89.

Unter Vorlage einer hautärztlichen Verordnung vom 5. September 2016 und eines Kostenvoranschlages des Salon C. C-Stadt vom 7. September 2016 über EUR 2.390,00 beantragte die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin die Kostenübernahme für Echthaarersatz bei endgültigem Haarverlust. Mit Schreiben vom 8. September 2016 bat die Beklagte die Klägerin um Vorlage einer Verschleißbescheinigung für die bisherige Perücke. Mit Bescheid vom 15. September 2016, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, bewilligte die Beklagte den für Haarersatz vereinbarten Vertragspreis von EUR 905,11 und lehnte eine darüber hinaus gehende Kostenbeteiligung ab. Am 1. November 2016 erwarb die Klägerin im Salon C. in A-Stadt eine Tritec Haarintegration inklusive Einschnitt für insgesamt EUR 1.980,00.

Am 8. Dezember 2016 erhob die Klägerin Widerspruch und führte aus, sie habe Anspruch auf Erstattung der vollen Kosten für die Haarintegration (EUR 1.980,00 abzüglich bewilligter EUR 905,11 und EUR 10,00 Zuzahlung). Die konkrete Ausprägung des Haarausfalls gestatte das Tragen einer normalen Perücke nicht. Die Versorgung mit einem Standardhaarsystem würde einem unbefangenen Dritten sofort auffallen. Das vorhandene Resthaar schließe die Versorgung mit einem Standardhaarsystem aus. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Beklagte aus, ein totaler oder teilweiser Haarverlust stelle bei einer Frau eine Behinderung dar. Er könne eine entstellende Wirkung haben. Der Behinderungsausgleich umfasse jedoch nur die Versorgung, die notwendig sei, den Verlust des natürlichen Haupthaares für einen unbefangenen Beobachter nicht sogleich erkennbar werden zu lassen (Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 23. Juli 2003, B 3 KR 66/01 R). Haarersatzteile in Form von Perücken, Toupets, Teilbereichsperücken aus Kunsthaar oder Echthaar stellten die geeignete, notwendige und wirtschaftliche Versorgung dar. Dafür trage die Krankenkasse gemäß § 33 Abs. 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) die jeweils vereinbarten Preise, was die Beklagte – auch in der Vergangenheit – getan habe. Zudem stelle Hairweaving (Haarverdichtung, Haarverwebung) keine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dar.

Am 13. Juli 2017 hat die Klägerin Klage erhoben, da sie ihrer Ansicht nach Anspruch auf eine Versorgung über den Vertragspreis hinaus habe. Hairweaving stelle eine besondere Ausprägung des Hilfsmittels Zweithaar dar. Unter Vorlage einer Bescheinigung der Hautärztin D. vom 29. August 2017 trägt die Klägerin vor, ihre Kopfhaut sei an mehreren Stellen dauerhaft entzündet (Seborrhoisches Ekzem). Die Entzündungsstellen seien teilweise offen, so dass die Klägerin kein Gesamthaarsystem tragen könne.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Kosten für Haarersatz in Höhe von EUR 1.064,89 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und trägt darüber hinaus vor, der Vertragspreis in Höhe von EUR 905,11 gelte für eine Perückenversorgung mit Echthaar oder Kunsthaar und sei mit dem Bundesverband der Zweithaarspezialisten (BVZ) vereinbart worden. Ihrer Ansicht nach sei mit der Zahlung des Vertragspreises die Leistungspflicht nach § 33 Abs. 7 SGB V erfüllt.

Das Gericht hat Beweis erhoben und ein Gutachten bei Herrn E., Meister des Friseurhandwerks, eingeholt. Zum Begutachtungstermin am 27. März 2018 erschien die Klägerin mit einer selbst angeschafften Kunsthaarperücke. Der Gutachter stellte im Oberkopfbereich der Klägerin eine nur spärliche Behaarung bei einer Haarlänge von ca. 3 cm fest. Irritationen der Kopfhaut stellte er nicht fest. Der jetzige Zustand der Kopfbehaarung spreche nach Ansicht des Gutachters mangels Haarfülle gegen die Verwendung der (mitgebrachten) Tritec Haarintegration. Es verbleibe nur die Möglichkeit der Versorgung mittels eines Standardhaarersatzteils in Form einer Perücke. Der Zustand der Kopfbehaarung spreche grundsätzlich nicht gegen die Verwendung einer Kunsthaarperücke (ohne Tressen). Allerdings sei die von der Klägerin verwendete Kunsthaarperücke unzureichend. Sie könne bei dauerhafter Verwendung und bereits bei üblicher Kopfbewegung und Kopfhautbewegung zu erheblichen Hautirritationen führen und weiteren Haarausfall hervorrufen. Zudem werde auch einem Laien auffallen, dass eine Kunsthaarperücke getragen werde, da das Kunsthaar glänzend sei und aufgrund von Weichmachern zu Verfilzungen neige.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verfahrens S 25 KR 279/19, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung war, sowie das übrige Vorbringen der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 15. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Echthaarersatz (Tritec Haarintegration) über den von der Beklagten bewilligten Vertragspreis hinaus in Höhe von EUR 1.064,89.

Vorliegend sind die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Ein Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB V besteht nicht, weil die von der Klägerin verschaffte Haarintegration keine unaufschiebbare Leistung war. Dies ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.

Ein Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V besteht nicht, weil die Beklagte eine Kostenübernahme über den Vertragspreis hinaus nicht zu Unrecht abgelehnt hat. Die Klägerin hat keinen entsprechenden Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte. Rechtsgrundlage für den Sachleistungsanspruch ist § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Blick auf die Erforderlichkeit im Einzelfall nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinaus gehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs. 1 SGB V nicht bewilligen.

Vorliegend geht es allein um den Ausgleich einer bestehenden Behinderung durch das Hilfsmittel Haarintegration/Haarersatz. Als bewegliche Sachen stellen Perücken, Haarteile etc. Hilfsmittel nach der Legaldefinition des § 31 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung dar. Nicht entscheidend ist, ob das begehrte Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V) gelistet ist, denn es handelt sich bei diesem Verzeichnis nicht um eine abschließende Regelung im Sinne einer Positivliste. Auch handelt es sich bei Perücken/Haarersatz nicht um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder Hilfsmittel mit geringem oder umstrittenem therapeutischen Nutzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. April 2015, B 3 KR 3/14 R, Rn. 12-15 m.w.N., Urteil vom 23. Juli 2002, B 3 KR 66/01 R, Rn. 16-17, beide juris).

Ein totaler Haarverlust stellt nach der Rechtsprechung des BSG bei einer Frau eine "Behinderung" im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V dar. Die allgemeine, auch für das SGB V geltende Definition des Begriffs der Behinderung findet sich in § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (Satz 1). Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist (Satz 2). Die Klägerin ist wegen ihres krankheitsbedingten Haarausfalls dauerhaft in ihrer "körperlichen Funktion" beeinträchtigt. Eine körperliche Funktionsbeeinträchtigung liegt nicht nur dann vor, wenn es sich um den Verlust oder um Funktionsstörungen von Körperteilen wie Gliedmaßen und Sinnesorganen (Augen, Ohren) handelt; auch Krankheiten und Verletzungen mit entstellender Wirkung können hierunter fallen. Der krankheitsbedingte dauerhafte Verlust des Haupthaares beruht auf der Einbuße der körperlichen Funktion "Neubildung und Wachstum der Haare". Die Krankheit hat bei Frauen eine entstellende Wirkung, die zwar nicht zum Verlust oder zur Störung einer motorischen oder geistigen Funktion führt, es einer Frau aber erschwert oder gar unmöglich macht, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen; eine kahlköpfige Frau zieht "naturgemäß" ständig alle Blicke auf sich und wird zum Objekt der Neugier. Dies hat in aller Regel zur Folge, dass sich die Betroffene aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzieht und zu vereinsamen droht. Ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist beeinträchtigt (BSG, Urteil vom 23. Juli 2002, B 3 KR 66/01 R, Rn. 14 – 15, Urteil vom 22. April 2015, B 3 KR 3/14 R, Rn. 28, juris).

Die Frage, welche Qualität und Ausstattung das Hilfsmittel – hier Haarintegration/Haarersatz - haben muss, um als geeignete, notwendige, aber auch ausreichende Versorgung des Versicherten gelten zu können, beantwortet sich danach, welchem konkreten Zweck die Versorgung im Einzelfall dient. Der von den Krankenkassen geschuldete Behinderungsausgleich bemisst sich nach ständiger Rechtsprechung des für die Hilfsmittelversorgung in der GKV ausschließlich zuständigen 3. Senats des BSG entscheidend danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht wird. Insoweit hat der in § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V als 3. Variante genannte Zweck für die im Rahmen der GKV gebotene Hilfsmittelversorgung zwei Ebenen. Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Im Vordergrund steht dabei der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion wie z. B. das Hören selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens im Sinne von § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist. Beschränkter sind die Leistungspflichten der GKV, wenn die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der beeinträchtigten Körperfunktion nicht oder nicht ausreichend möglich ist und deshalb Hilfsmittel zum Ausgleich von direkten und indirekten Folgen der Behinderung benötigt werden (sog. mittelbarer Behinderungsausgleich). Dann sind die Krankenkassen nach ständiger Rechtsprechung des BSG zufolge nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Es geht hier nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen. Denn Aufgabe der GKV ist in allen Fällen allein die medizinische Rehabilitation (vgl. § 1 SGB V sowie § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Nr. 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinaus gehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV deshalb nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören nach ständiger Rechtsprechung des BSG das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, Rn. 30-32, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, 14-16, beide juris).

Vorliegend dient der Haarersatz der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben als Grundbedürfnis des täglichen Lebens im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleich. Der Haarersatz ist erforderlich, um das fehlende Haarwachstum und den endgültigen Haarverlust mittelbar auszugleichen. Nach der Rechtsprechung des BSG setzt das bei einer Frau nicht voraus, dass ihr ursprüngliches Aussehen durch die Perücke so weit wie möglich wiederhergestellt wird; Ziel der Hilfsmittelversorgung ist nicht die möglichst umfassende Rekonstruktion des verloren gegangenen früheren Zustands ("Naturalrestitution"), sondern nur die Gewährleistung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Daraus folgt, dass auch der Wunsch der Versicherten nach einer bestimmten Frisur dann nicht maßgeblich ist, wenn er - wie hier - mit Mehrkosten verbunden ist. Somit umfasst der Behinderungsausgleich nur die Versorgung, die notwendig ist, um den Verlust des natürlichen Haupthaares für einen unbefangenen Beobachter nicht sogleich erkennbar werden zu lassen. Denn die freie Bewegung unter den Mitmenschen ist bereits dann gewährleistet; es bedarf dazu keiner kompletten "Nachbildung" des ursprünglichen Aussehens, das ohnehin, insbesondere wenn der Haarverlust wie hier schon jahrelang zurückliegt, nur noch den wenigsten Menschen bekannt und gegenwärtig sein dürfte. Andererseits ist es auch bei einer möglichst naturgetreuen Rekonstruktion nicht zu verhindern, dass ein geschulter Beobachter den Haarersatz als solchen erkennt. Ein ausreichender Behinderungsausgleich wird bei der Perückenversorgung nicht bereits in Frage gestellt, wenn einige wenige vertraute Personen oder Fachleute das Haupthaar als "künstlich" erkennen. Das wäre erst dann der Fall, wenn dies auch jedem unbefangenen Beobachter nach kurzem Blick auffiele (BSG, Urteil vom 23. Juli 2002, B 3 KR 66/01 R, Rn. 20).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte der Klägerin EUR 905,11 für Haarersatz bewilligt. Nach dem mit dem BVZ abgeschlossenen Vertrag war dies 2016 der vereinbarte Preis für Echthaarersatz (vgl. auch den Vertrag in der Verwaltungsakte der Beklagten zum Verfahren S 25 KR 279/19). In Konsequenz der Begrenzung der Leistungserbringer auf Vertragspartner gemäß § 33 Abs. 6 Satz 1 SGB V in der bis 10. April 2017 gültigen Fassung legt Absatz 7 Satz 1 fest, dass die Krankenkasse die vertraglich vereinbarten Preise übernimmt. Mehrkosten sind vom Versicherten zu tragen (§ 33 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Bei dem Vertragspreis handelt es sich wie bei den Festbeträgen um Leistungsbegrenzungen im Hinblick auf die Kostengünstigkeit der Versorgung (Wirtschaftlichkeitsgebot), nicht um Einschränkungen des GKV-Leistungskataloges (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, Rn. 28 juris). Das BSG führte in seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2009 weiter aus: "In dem vom Sachleistungsgrundsatz bestimmten System der GKV trifft das Risiko, für überhöhte Vergütungsansprüche aufkommen zu müssen, grundsätzlich die Krankenkassen und Beitragszahler, nicht aber die Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen. Dem grundlegenden Strukturprinzip entsprechend erhalten sie die GKV-Leistungen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V als Sach- und Dienstleistungen und von besonders geregelten Ausnahmen abgesehen mithin grundsätzlich kostenfrei. Demgemäß obliegt die kostengünstige Abwicklung der GKV-Versorgung im Wesentlichen den Krankenkassen, die dazu mit den zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften der Leistungserbringer sowie zum Teil auch mit Leistungserbringern selbst Verträge über Organisation, Abwicklung und Erbringung der Versorgung schließen (vgl. insbesondere ( ...) § 127 ( ...) SGB V). Eingeschlossen hierin ist grundsätzlich auch die Verantwortung für die Wahrung der angemessenen Vergütung. Demgegenüber sind die Versicherten, von Zuzahlungen abgesehen, zur prinzipiell kostenfreien Inanspruchnahme der bewilligten Leistungen bei allen Leistungserbringern berechtigt, die zur Versorgung von GKV-Versicherten befugt sind. Dies entlastet die Versicherten einerseits von dem Risiko, dass die Krankenkasse eine Vergütung im Nachhinein als überhöht ansieht und nicht vollständig trägt. Andererseits besteht weder für Versicherte noch für Leistungserbringer ein Anreiz für eine kostengünstige Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln. Solange für die nachfragenden Patienten die Preise ohne Belang sind, besteht auch für die Hersteller kein Anlass zum Preiswettbewerb. Diesem Strukturdefizit hat der Gesetzgeber bei der Einfügung der GKV in das SGB durch das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz - GRG) vom 20. Dezember 1988 u. a. durch die Festbetragsregelungen der §§ 35 und 36 SGB V zu begegnen gesucht: ( ...) Kosten der Hilfsmittelversorgung sind von der Krankenkasse bis zur Höhe des Festbetrages zu tragen, wenn "für ein erforderliches Hilfsmittel ein Festbetrag nach § 36 festgesetzt" ist (§ 33 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der bis 31. März 2007 geltenden Fassung). Inzwischen wirken die Festbeträge nach § 127 Abs. 4 SGB V idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der GKV (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) vom 26. März 2007 beschränkend auf die Vergütungen im Rahmen der seit dem 1. April 2007 für die Hilfsmittelversorgung mit Leistungserbringern nach § 127 Abs. 1 bis 3 SGB V abzuschließenden Verträge, wonach "Preise höchstens bis zur Höhe des Festbetrags vereinbart werden" können, wenn für das Hilfsmittel ein Festbetrag festgesetzt worden ist" (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, Rn. 24 – 26 juris). Ebenso wurden in Fortführung dieser Grundsätze § 33 Abs. 6 und 7 SGB V eingeführt durch Art. 1 Nr. 17 Buchstabe e des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz.

Folglich kann es nach Ansicht der Kammer bei den Vertragspreisen wie bei den Festbeträgen auch bei der Verpflichtung der Krankenkasse zur - von Zuzahlungen abgesehen - kostenfreien Versorgung der Versicherten nur bleiben, soweit der Vertragspreis für den Behinderungsausgleich objektiv nicht ausreicht. Objektiv ausreichend ist der Festbetrag nach der Rechtsprechung des BSG, wenn die Vergütung von atypischen Ausnahmefällen abgesehen - die erforderliche Versorgung prinzipiell jedes betroffenen Versicherten abdeckt. Gewährleistet ist die erforderliche Versorgung zum Festbetrag, wenn sich ein Betroffener die ihm zustehende Leistung mit einem Mindestmaß an Wahlmöglichkeit zumutbar beschaffen kann. Deshalb hat der Festbetrag im medizinisch vertretbaren Rahmen regelmäßig Raum für eine hinreichende Auswahl unter verschiedenen Versorgungsmöglichkeiten zu belassen. Zudem sind Zumutbarkeitsgesichtspunkte zu beachten; es reicht nicht aus, dass überhaupt ein Leistungserbringer die notwendige Leistung bereithält. Erforderlich ist vielmehr, dass dieser angemessen erreichbar und seine Inanspruchnahme auch ansonsten zumutbar ist. Dieser Rechtsgedanke war in der übergangsweise am 1. Januar 2004 in Kraft und am 1. April 2007 außer Kraft getretenen Regelung des § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB V idF des GMG ausdrücklich angelegt, ist nunmehr in § 127 Abs. 3 Satz 1 SGB V fortgeführt (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 20/08 R, Rn. 32, 35 juris). Danach trifft die Krankenkasse eine Vereinbarung im Einzelfall mit einem Leistungserbringer, soweit für ein erforderliches Hilfsmittel keine Verträge der Krankenkasse nach § 127 Abs. 1 und 2 mit Leistungserbringern bestehen oder durch Vertragspartner einer Versorgung der Versicherten in einer für sie zumutbaren Weise nicht möglich ist.

Vorliegend reichte der mit dem BVZ vereinbarte Preis von EUR 905,11 objektiv aus, die Klägerin mit erforderlichem Haarersatz – gegebenenfalls über einen anderen Vertragspartner der Beklagten - ausreichend zu versorgen. Gegenteiliges, insbesondere ein atypischer Ausnahmefall, wie er z.B. bei ungewöhnlicher Kopfform in der Rechtsprechung angenommen wird, ist nicht substantiiert vorgetragen und nachgewiesen und geht damit zu Lasten der Klägerin. Der o. g. Vertragspreis galt 2016 für die Versorgung mit Kunsthaar oder Echthaar. Die Notwendigkeit einer Versorgung gerade mit einer Tritec Haarintegration, bei der die Kosten über dem Vertragspreis lagen, anstelle einer Standardperücke vermochte die Klägerin mit dem ärztlichen Attest vom 29. August 2017 nicht nachzuweisen. Aus dem Attest ergibt sich lediglich, dass die Klägerin an einem seborrhoischen Ekzem mit verstärkter Schuppenbildung und Juckreiz leidet und daher bei einer Echthaarperücke diese Probleme weniger aufträten als bei einer Kunsthaarperücke. Dass die Klägerin nur mit einer Tritec Haarintegration habe versorgt werden können, ergibt sich aus dem Attest nicht. Dieser Nachweis konnte auch durch das gerichtlich eingeholte Gutachten nicht geführt werden. Irritationen der Kopfhaut konnte der Gutachter am 27. März 2018 trotz Tragens einer Kunsthaarperücke bei der Klägerin nicht feststellen. Der jetzige Zustand der Kopfbehaarung (zum Zeitpunkt der Begutachtung) spreche nach Ansicht des Gutachters mangels Haarfülle auch gegen die Verwendung der (mitgebrachten) Tritec Haarintegration. Es verbleibe (zum Zeitpunkt der Begutachtung) nur die Möglichkeit der Versorgung mittels eines Standardhaarersatzteils in Form einer Perücke. Dabei spreche der Zustand der Kopfbehaarung grundsätzlich nicht gegen die Verwendung einer Kunsthaarperücke (ohne Tressen).

Die Beklagte hat mithin mit der Zahlung des Vertragspreises ihre Leistungspflicht erfüllt und die Klage unterlag der Abweisung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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