L 4 AS 610/19 NZB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 14 AS 1909/17
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 610/19 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Beschwerdegegnerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Beklagte und Beschwerdeführer (im Folgenden: Beschwerdeführer) begehrt die Durchführung von zwei Berufungsverfahren. In der Sache streiten die Beteiligten über die Erstattung von Kosten zweier Widerspruchsverfahren (W 380/17 und W 381/17).

Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Der Beklagte bewilligte ihr unter anderem mit Bescheid vom 28. Juli 2015 Leistungen für August 2015 bis Januar 2016 und mit weiterem Bescheid vom 26. Januar 2016 solche für Februar bis Juli 2016.

Am 23. Mai 2016 beantragte die Beschwerdegegnerin die Überprüfung der Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 1. August 2015 bis zum 31. Juli 2016 nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Mit zwei Bescheiden vom 26. Juli 2016 lehnte der Beschwerdeführer die Überprüfung der maßgeblichen Leistungsbewilligungen ab. Diese seien rechtlich nicht zu beanstanden. Gegen diese Entscheidungen erhob die Beschwerdegegnerin jeweils Widerspruch und führte aus, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) seien in den zu überprüfenden Bewilligungsbescheiden nicht vollständig als Bedarf berücksichtigt worden. Die Widerspruchsverfahren wurden unter den Aktenzeichen W 2683/16 und W 2684/16 registriert. Mit zwei "Abhilfebescheiden im Widerspruchsverfahren" vom 14. Dezember 2016 hob der Beschwerdeführer seine ablehnenden Überprüfungsbescheide vom 26. Juli 2016 auf. Die notwendigen Kosten der Widerspruchsverfahren würden der Klägerin erstattet.

Mit weiteren Bescheiden vom 14. bzw. 15. Dezember 2016 bewilligte der Beschwerdeführer der Klägerin unter Berücksichtigung der tatsächlichen KdUH für August 2015 bis Februar sowie April bis Juli 2016 höhere Grundsicherungsleistungen. Sämtliche Bescheide versah der Beschwerdeführer mit der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchs. Mit Schreiben vom 23. Januar 2017 erhob die Beschwerdegegnerin gegen die "Änderungsbescheide" vom 14. bzw. 15. Dezember 2016 Widerspruch und gab zur Begründung an, dass die von ihr zu zahlenden Beiträge zu einer Riester-Versicherung nicht einkommensmindernd berücksichtigt worden seien. Die Widersprüche erfasste der Beschwerdeführer unter den Aktenzeichen W 380/17 und W 381/17.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 10. Mai 2017 wies der Beschwerdeführer die Rechtsbehelfe der Beschwerdegegnerin als unzulässig zurück, weil die "Änderungsbescheide" vom 14. und 15. Dezember 2016 nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand der Widerspruchsverfahren "gegen den Ausgangsbescheid vom 28.07.2015 in Fassung des Änderungsbescheides vom 12.08.2015" und gegen "den Ausgangsbescheid vom 26.01.2016 geworden" seien. Kosten der Widerspruchsverfahren seien nicht zu erstatten.

Mit zwei Abhilfebescheiden im Widerspruchsverfahren vom 18. Mai 2017 änderte der Beschwerdeführer "nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage" aufgrund der Widersprüche vom 23. Januar 2017 die Änderungsbescheide vom 14. und 15. Dezember 2016. Im Rahmen der Leistungsbewilligungen berücksichtigte er nunmehr die Zahlungen für eine Riester-Versicherung. Die Kosten würden im Rahmen der Widerspruchsverfahren W 2683/16 und W 21684/16 erstattet.

Die Beschwerdegegnerin hat am 15. Juni 2017 zwei Klagen beim Sozialgericht (SG) Halle mit dem Ziel der Kostenerstattung in den Widerspruchsverfahren W 380/17 und W 381/17 erhoben. Zur Begründung hat sie zusammengefasst ausgeführt: Gegenstand der Widerspruchsverfahren W 2683/16 und W 21684/16 sei allein die Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 26. Juli 2016 gewesen, mit denen der Beschwerdeführer eine rechtlich gebotene Überprüfungsentscheidung nach § 44 SGB X abgelehnt habe.

Der Beschwerdeführer hat unter anderem die Ansicht vertreten, die ursprünglichen Widerspruchsverfahren seien erst mit Erlass der Änderungsbescheide vom 18. Mai 2017 beendet worden. Die Widersprüche vom 23. Januar 2017 gegen die Änderungsbescheide vom 14. und 15. Dezember 2014 seien daher unzulässig gewesen.

Nachdem das SG den Klagen mit Gerichtsbescheid vom 11. Februar 2019 stattgegeben hatte, hat der Beschwerdeführer die Durchführung mündlicher Verhandlungen beantragt. Er hat an seiner Auffassung festgehalten, dass die Änderungsbescheide vom 14. und 15. Dezember 2016 gemäß § 86 SGG Gegenstand der durch die Widersprüche vom 26. August 2016 eingeleiteten Widerspruchsverfahren geworden seien.

Das SG hat mit Urteil vom 10. Oktober 2019 an seiner Auffassung festgehalten und den Beschwerdeführer verurteilt, der Beschwerdegegnerin die notwendigen Aufwendungen der Widerspruchsverfahren W 380/17 und W 381/17 zu erstatten. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt: Die Überprüfungsbescheide vom 26. Juli 2016 seien auf Grund der mit den "Abhilfebescheiden vom 14. Dezember 2016" erfolgten Aufhebungen nicht mehr existent und die Widerspruchsverfahren damit beendet. Der Beschwerdeführer in eine nochmalige Überprüfung nach § 44 SGB X "eingestiegen". Die sodann ergangenen Änderungsbescheide vom 14. und 15. Dezember 2016 hätten nicht die (bereits aufgehobenen) ablehnenden Überprüfungsverwaltungsakte vom 26. Juli 2016 abgeändert, sondern die den Überprüfungsverfahren zu Grunde liegenden Bewilligungs- und Änderungsbescheide für die streitigen Leistungszeiträume.

Der Beschwerdeführer hat gegen die ihm am 18. Oktober 2019 zugestellten Urteile am 18. November 2019 Nichtzulassungsbeschwerden beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen: Die Berufungen seien wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zuzulassen. Es sei bisher nicht geklärt, ob ein Widerspruch gegen einen (teilweise) abhelfenden Bescheid zulässig sei und damit im Sinne von § 63 SGB X erfolgreich sein könne. Er vertrete die Auffassung, dass den Widersprüchen der Beschwerdegegnerin nicht bereits mit den "Abhilfebescheiden" vom 14. Dezember 2016 entsprochen worden sei. Die Widerspruchsverfahren W 2683/16 und W 21684/16 umfassten auch die Höhe der Leistungen für die Zeit vom 1. August 2015 bis zum 31. Juli 2016.

Die Beschwerdegegnerin ist der Argumentation des Beschwerdeführers entgegengetreten.

Der Berichterstatter hat darauf hingewiesen, dass die Nichtzulassungsbeschwerden keine Aussicht auf Erfolg hätten, weil eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG nicht gegeben sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen.

II.

Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Berufung sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden.

Sie sind jedoch unbegründet. Nachdem die Berufungen aufgrund des Streitgegenstands nicht bereits gesetzlich eröffnet sind (hierzu unter 1.), hat das SG die Berufungen gegen die Urteile vom 18. Oktober 2019 zu Recht nicht zugelassen, weil keiner der gesetzlichen Zulassungsgründe (hierzu unter 2.) vorliegt.

1. Die Berufungen sind nicht bereits gesetzlich eröffnet, weil diese weder wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) noch eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betreffen, deren Wert 750 EUR übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die notwendigen Kosten der Widerspruchsverfahren (W 380/17 und W 381/17) übersteigen jeweils nicht die Berufungssumme.

2. Ist die Berufung nicht bereits gesetzlich eröffnet, ist sie gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr.3).

Vorliegend kommt einzig der – vom Beschwerdeführer geltend gemachte – Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung in Betracht. Den angegriffenen Entscheidungen in den Rechtssachen kommt aber keine grundsätzliche Bedeutung zu. Eine solche liegt vor, wenn ein Verfahren bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und fähige Rechtsfragen aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 144 Rn. 28). Die Zulassung scheidet aus, wenn die Klage zwar eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, der Rechtsstreit aber bereits aus anderen Gründen zu entscheiden ist und es daher auf die aufgeworfene Rechtsfrage nicht ankommt [vgl. Wehrhahn in jurisPK-SGG (Stand: 1. Oktober 2019), § 144 Rn. 31].

So liegt der Fall hier. Auf die vom Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein Widerspruch gegen einen (teilweise) abhelfenden Bescheid zulässig sei und damit im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfolgreich sein könne, kommt es nicht an. Der Beschwerdeführer begründet seine Weigerung, die notwendigen Aufwendungen der Widerspruchsverfahren W 380/17 und W 381/17 zu tragen, damit, dass die von ihm erlassenen Änderungsbescheide vom 14. und 15. Dezember 2016 nach § 86 SGG Gegenstand der Widerspruchsverfahren gegen die Verwaltungsakte vom 26. Juli 2016 (W 2683/16 und W 2684/16) geworden seien. Hiernach wird ein während des Vorverfahrens erlassener Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens, wenn dieser den angefochtenen Verwaltungsakt abändert. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Bescheide vom 26. Juli 2016 mit "Abhilfebescheiden" vom 14. Dezember 2016 aufgehoben hat, sodass diese keine Wirksamkeit mehr entfalten (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X). Es existiert damit kein Verwaltungsakt mehr, der abgeändert werden könnte. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sind die ursprünglichen Leistungsbewilligungen nicht Gegenstand der Widerspruchsverfahren, sondern (allein) die Rechtmäßigkeit der von ihm erlassenen Überprüfungsbescheide und allenfalls mittelbar die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Leistungsbewilligungen [vgl. Baumeister in jurisPK-SGB X, (Stand: 17. Februar 2020), § 44 Rn. 153].

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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