L 3 U 3673/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 22 U 3302/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 3673/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die zulässige Erhebung einer Untätigkeitsklage setzt einen zuvor gestellten Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes voraus.

2. Eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit stellt keinen im Namen des Versicherten gestellten Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes dar.

3. Ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ist nicht grundsätzlich als Minus in der Erhebung der Untätigkeitsklage zu sehen.

4. Das Gericht muss den Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist vor seiner Entscheidung über eine Untätigkeitsklage nicht abwarten, wenn die sechsmonatige Wartefrist ganz erheblich unterschritten worden ist oder gar die Erhebung der Untätigkeitsklage und die Stellung des Antrages auf Vornahme eines Verwaltungsaktes gleichzeitig erfolgen.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 04.10.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines Verwaltungsaktes streitig.

Dr. S., Klinikum F., erstellte unter dem 17.08.2006 eine die Klägerin betreffende ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit, welche bei der Beklagten am 01.09.2006 einging. Sie führte darin die bestehenden Handekzeme auf den Kontakt mit Kühlschmierstoffen, Klebern und Ölen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit als Monteurin bei der M. GmbH zurück. Die weitere Behandlung der Hauterkrankung der Klägerin erfolgte im Auftrag der Beklagten im Klinikum F. Dr. P., Klinikum F., teilte in ihrem Befundbericht vom 04.12.2007 mit, die Behandlung sei nun abgeschlossen. Die Fortsetzung der schützenden und pflegerischen Maßnahmen sei weiterhin notwendig. Daraufhin führte die Beklagte mit Bescheid vom 17.12.2007 aus, nach dem Bericht des Klinikums F. vom 04.12.2007 seien die Hautveränderungen seit Oktober 2007 bis auf Weiteres dauerhaft stabil abgeheilt, weil die Klägerin das erarbeitete Hautschutz- und Pflegeprogramm erfolgreich umgesetzt habe. Es sei deshalb zu erwarten, dass die Klägerin – wenn sie diese Maßnahmen weiterhin gewissenhaft umsetze – trotz fortbestehender beruflicher Hautbelastung auch künftig als Monteurin von Getrieben tätig sein könne, ohne ein Wiederaufleben der Hautveränderungen oder eine erneute Verschlimmerung ihres anlagebedingten Hautleidens befürchten zu müssen. Daher werde das Verfahren jetzt abgeschlossen.

Aktenkundig sind ferner der die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und einer sogenannten Wie-Berufskrankheit ablehnende Bescheid vom 04.09.2007 sowie der die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV ablehnende Bescheid vom 07.06.2011.

Die Klägerin stellte am 13.10.2017 einen Überprüfungsantrag. Dieser richtete sich unter anderem gegen die Ablehnung der Berufskrankheiten nach Nrn. 1302 und 4302 der Anlage 1 zur BKV sowie sämtlicher möglicher anderer Berufskrankheiten. Nachdem eine Begründung dieses Überprüfungsantrages unterblieben war, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.03.2018 diesen Antrag ab. Eine unrichtige Anwendung des Rechts oder ein unrichtiger Sachverhalt ergebe sich bei Erlass des Bescheides vom 17.12.2007 nicht.

Hiergegen erhob die Klägerin am 27.04.2018 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2018 zurückwies. Die hiergegen zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhobene Klage ist unter dem Aktenzeichen S 20 U 3834/18 anhängig.

Bereits am 25.07.2018 hat die Klägerin beim SG Freiburg Untätigkeitsklage erhoben. Trotz erfolgter ärztlicher Anzeige einer Berufskrankheit habe die Beklagte über das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV keinen Bescheid erlassen. Die behandelnde Hautärztin sei als von der Klägerin konkludent Bevollmächtigte anzusehen. Eine Berufskrankheitenanzeige sei darauf ausgerichtet, hierüber eine Entscheidung zu erhalten. Im Übrigen seien Leistungen von Amts wegen zu gewähren, so dass die Beklagte bereits damals Leistungen hätte gewähren müssen. Die Beklagte hat hiergegen eingewandt, eine Untätigkeit ihrerseits liege in Bezug auf die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV nicht vor, da ein Antrag auf eine solche Feststellung bisher bei ihr nie gestellt worden sei. Erst mit der erhobenen Untätigkeitsklage sei "indirekt" beantragt worden, dass sie über eine Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV entscheiden solle, weswegen sie nun ein Verwaltungsverfahren eingeleitet und diverse Fragebögen übersandt habe. Im Hinblick hierauf hat die Klägerin dargelegt, sie wisse schon jetzt, dass sie innerhalb kürzester Zeit wieder die nächste Untätigkeitsklage erheben könne. Erneute Antragsvordrucke müssten beim besten Willen nicht ausgefüllt werden. Unter dem 09.09.2019 hat die Beklagte mitgeteilt, die Fragebögen seien immer noch nicht ausgefüllt worden.

Das SG Freiburg hat mit Gerichtsbescheid vom 04.10.2019 die Untätigkeitsklage abgewiesen. Die zulässige Erhebung einer Untätigkeitsklage setze nach dem eindeutigen Wortlaut des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG voraus, dass zuvor ein Antrag gestellt worden sei. Ein Antrag müsse auch dann vorliegen, wenn die Behörde an sich auch ohne Antrag von Amts wegen tätig werden müsse. Begehrt werden müsse der Erlass eines Verwaltungsaktes, also nicht eine sonstige Amtshandlung. Unter einem Antrag verstehe man eine einseitige, empfangsbedürftige und auf eine bestimmte Leistung des Leistungsträgers gerichtete öffentlich-rechtliche Willenserklärung der Antragstellerin, mit der sie zum Ausdruck bringe, eine Sozialleistung in Anspruch nehmen zu wollen. Als Antrag der Klägerin in diesem Sinne sei die Berufskrankheitenanzeige der Dr. S. nicht anzusehen. Denn die Berufskrankheitenanzeige erfolge aufgrund der in § 202 Satz 1 SGB VII angeordneten und damit gesetzlichen Verpflichtung und nicht im Auftrag der Klägerin. Das Einverständnis der Klägerin hierzu sei nicht erforderlich. Vielmehr seien die Versicherten nach § 202 Satz 2 SGB VII in der Fassung bis zum 25.11.2019 lediglich über den Inhalt der Berufskrankheitenanzeige zu unterrichten. Es könne daher schon keine konkludente Bevollmächtigung angenommen werden, so dass die Berufskrankheitenanzeige auch nicht als Willenserklärung der Klägerin angesehen werden könne. Darüber hinaus werde mit einer Berufskrankheitenanzeige auch nicht zum Ausdruck gebracht, eine Sozialleistung in Anspruch nehmen zu wollen. Berufskrankheitenanzeigen sollten lediglich sicherstellen, dass Berufskrankheiten nicht übersehen würden, dass Unfallversicherungsträger möglichst umfassend Kenntnis von Verdachtsfällen auf Berufskrankheiten bekämen und entsprechende Ermittlungen einleiten und gegebenenfalls erforderliche präventive beziehungsweise leistungsrechtliche Maßnahmen ergreifen könnten. Daraus folge auch, dass Berufskrankheitenanzeigen gerade nicht auf die Vornahme eines Verwaltungsaktes gerichtet seien.

Gegen den Gerichtsbescheid des SG Freiburg hat die Klägerin am 30.10.2019 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Sie habe einen Rechtsanspruch darauf, dass über ihre angezeigte Berufskrankheit ein Bescheid bekannt gegeben werde. Die Untätigkeitsklage sei eine reine Verbescheidungsklage und es spiele letztendlich überhaupt keine Rolle, ob das aufgrund einer Berufskrankheitenanzeige oder aufgrund eines selbst gestellten Antrages erfolge. Selbstverständlich sei ohne den Betreffenden selbst eine Berufskrankheitenanzeige unzulässig, weil der Arzt unter Schweigepflicht stehe. Die Angelegenheit sei an das SG Freiburg zurückzuverweisen, da Rechtsschutz verweigert worden und in der Sache im Endergebnis keine Entscheidung ergangen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 04.10.2019 aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, über das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV einen Bescheid bekannt zu geben und die Angelegenheit an das Sozialgericht Freiburg zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV sei von ihr weder geprüft noch abgelehnt worden, da hierfür aufgrund des Befundes des Universitätsklinikums Freiburg überhaupt keine Veranlassung bestanden habe. Somit sei auch der Überprüfungsantrag der Klägerin ins Leere gegangen. Einen ausdrücklichen Antrag, einen Verwaltungsakt über die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV zu erlassen, habe die Klägerin erstmals mit Erhebung der Untätigkeitsklage gestellt. Damit gehe diese ins Leere, da sie bereits zu einem Zeitpunkt erhoben worden sei, zu dem sie, die Beklagte, noch gar nicht habe tätig werden können.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.

Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Freiburg vom 04.10.2019, mit dem die auf die Verurteilung der Beklagten zum Erlass eines Bescheides in Bezug auf die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV gerichtete Untätigkeitsklage im Sinne des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG abgewiesen worden ist. Der Senat legt den im Berufungsverfahren gestellten weiteren Antrag dahin aus, dass die Klägerin lediglich hilfsweise die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Freiburg begehrt.

Die von der Klägerin erhobene Untätigkeitsklage ist bereits unzulässig.

Prüfungsmaßstab für die Frage, ob eine Untätigkeitsklage zulässig ist, ist § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG. Danach ist die Klage, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist, nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig.

Die zulässige Erhebung einer Untätigkeitsklage setzt damit einen zuvor gestellten Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes voraus.

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG, wonach eine solche Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten "seit" dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig ist (vergleiche auch: Binder: in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2017, § 88 Rn. 5, wonach der Verwaltungsakt "bereits bei der Behörde beantragt sein" muss; Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, Stand 15.07.2017, § 88 Rn. 12, wonach eine Untätigkeitsklage voraussetzt, dass ein Antrag "gestellt worden" ist; Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 16, wonach ein Bescheidungsanspruch grundsätzlich dann besteht, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes "gestellt wurde"; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 88 Rn. 3, wonach der Kläger einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes "gestellt haben" muss; Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 9, wonach eine Untätigkeitsklage nur zulässig ist, wenn "zuvor" ein Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes bei der Behörde gestellt worden ist; Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 88 Rn. 2, wonach ein entsprechender Antrag "gestellt sein" muss). Zudem ist es nicht Aufgabe der Gerichte, anstelle der Verwaltung tätig zu werden. Aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten Gewaltenteilung ist es zunächst Sache der Verwaltung, sich mit den (vermeintlichen) Ansprüchen des einzelnen Bürgers zu befassen. Erst dann sind die Gerichte dazu berufen, das Handeln (gegebenenfalls auch eine Untätigkeit) der Verwaltung auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen. Diese Kompetenzverteilung würde unterlaufen, wenn die Sozialgerichte eine Angelegenheit anstelle der Verwaltung einer Regelung zuführen könnten, ohne dass letzterer infolge der fehlenden Antragstellung die Möglichkeit verblieben war, zuvor über das Begehren in dem gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsverfahren zu befinden (Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 9). Es genügt daher nicht, wenn mit der Erhebung einer Untätigkeitsklage gleichzeitig ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes gestellt werden würde.

Ferner ist zu beachten, dass ein vor Erhebung der Untätigkeitsklage gestellter Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes auch dann notwendig ist, wenn die Behörde – wie vorliegend die Beklagte nach § 19 Satz 2 SGB IV, wonach Leistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung von Amts wegen erbracht werden, soweit sich aus den Vorschriften für die gesetzliche Unfallversicherung nichts Abweichendes ergibt – auch ohne Antrag von Amts wegen tätig werden müsste, da der Wortlaut des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG an den gestellten "Antrag" anknüpft (Binder: in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2017, § 88 Rn. 5; Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, Stand 15.07.2017, § 88 Rn. 12; Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 16; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 88 Rn. 3; Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 9; Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 88 Rn. 2).

Ein nach alledem vor Erhebung der Untätigkeitsklage zu stellender Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes liegt im Falle der Klägerin aber nicht vor.

Prüfungsmaßstab für die Frage, ob überhaupt ein Antrag gestellt worden ist, ist zunächst § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB I, wonach Anträge auf Sozialleistungen beim zuständigen Leistungsträger zu stellen sind. Ferner ist zu beachten, dass ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes jede Erklärung ist, mit der die Gewährung einer bestimmten Sozialleistung in Form einer behördlichen, einzelfallbezogenen Regelung im Sinne des § 31 SGB X begehrt wird. Gegebenenfalls ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine bestimmte Erklärung einen Antrag beinhaltet. Maßgeblich ist, wie eine verständige Behörde das Vorbringen verstehen kann und muss. Vage Äußerungen reichen dabei nicht aus. Erforderlich ist, dass ein "konkretes, unmissverständliches Leistungsverlangen" zum Ausdruck gebracht wird (Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, Stand 15.07.2017, § 88 Rn. 12; Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 17).

Nach diesen Maßstäben ist die von Dr. S. unter dem 17.08.2006 erstellte ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit kein im Namen der Klägerin gestellter Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes, sondern ist nur aufgrund der in § 202 Satz 1 SGB VII normierten Verpflichtung erfolgt, wonach Ärzte ihren begründeten Verdacht, dass bei Versicherten eine Berufskrankheit besteht, dem Unfallversicherungsträger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle in der für die Anzeige von Berufskrankheiten vorgeschriebenen Form unverzüglich anzuzeigen haben. Dass es sich bei der ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit nicht um einen im Namen der Klägerin gestellten Antrag handelt, ergibt sich aus § 202 Satz 2 SGB VII in der Fassung bis zum 25.11.2019, wonach die Ärzte die Versicherten über den Inhalt der Anzeige zu unterrichten und ihnen den Unfallversicherungsträger und die Stelle zu nennen haben, denen sie die Anzeige übersenden. Würde es sich bei der ärztlich vorgenommenen Anzeige einer Berufskrankheit um einen im Namen der Klägerin gestellten Antrag auf Feststellung einer Berufskrankheit handeln, wäre eine Unterrichtung der Klägerin hierüber nicht mehr erforderlich.

Etwas Anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Beklagte in der von der Klägerin erhobenen Untätigkeitsklage "indirekt" auch einen Antrag auf Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKV gesehen und deswegen ein hierauf gerichtetes Verwaltungsverfahren eingeleitet hat.

Zum einen teilt der Senat schon die so von der Beklagten vorgenommene Auslegung nicht. Denn bei einem an ein Gericht gerichteten Antrag auf Verpflichtung einer Behörde zur Vornahme eines Verwaltungsaktes handelt es sich um etwas Anderes als bei einem an die Behörde gerichteten Antrag auf die begehrte Feststellung oder Leistung. Die Antragstellung kann – jedenfalls vorliegend – auch nicht als Minus in der Erhebung der Untätigkeitsklage gesehen werden (so aber ohne Begründung Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 22; Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 10). So kann in einer an ein Gericht gerichteten Klageschrift regelmäßig schon deshalb kein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes durch den beklagten Leistungsträger gesehen werden, da das Gericht als Adressat des Schriftsatzes für den Erlass von Verwaltungsakten nicht zuständig und deshalb im vorliegend zu beurteilenden Zusammenhang gerade keine Stelle im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB I ist (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 29.11.2018 - L 8 AS 354/16, juris Rn. 46). Etwas Anderes folgt hier auch nicht aus dem Inhalt der Klageschrift, denn in dieser stützt die durch einen Rentenberater vertretene Klägerin ihre Untätigkeitsklage gerade darauf, dass mit der von Dr. S. verfassten Anzeige einer Berufskrankheit bereits ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes gestellt worden sei. Es ist daher nicht sachgerecht, in ihrer zum SG Freiburg erhobenen Untätigkeitsklage einen ersten oder weiteren an die Beklagte gerichteten Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes zu sehen, nachdem sie ein derartiges Ansinnen in ihrer Untätigkeitsklage nicht zum Ausdruck gebracht hat. Dass die Beklagte die Untätigkeitsklage zum Anlass für die Einleitung eines Feststellungsverfahrens genommen hat, ist vielmehr ihrer sich aus § 19 Satz 2 SGB IV ergebenden Verpflichtung, von Amts wegen Leistungen zu erbringen und damit auch entsprechende Ermittlungen anzustellen, geschuldet.

Zum anderen wäre, selbst wenn man in der Untätigkeitsklage auch einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes sehen wollte, die Untätigkeitsklage schon deshalb unzulässig, da – wie oben bereits dargelegt – ein "vor" Erhebung der Untätigkeitsklage gestellter Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes erforderlich wäre.

Auch könnte eine mit einem Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes verbundene Untätigkeitsklage nicht nach Ablauf von sechs Monaten seit Stellung des Antrages auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig werden. Zwar soll eine vor Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist erhobene Untätigkeitsklage nachträglich zulässig werden, wenn während des anhängigen gerichtlichen Verfahrens die sechsmonatige Wartefrist abgelaufen ist (Binder: in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2017, § 88 Rn. 9; Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, Stand 15.07.2017, § 88 Rn. 29; Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 32; B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 88 Rn. 5c; Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 7; Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 88 Rn. 7; BSG, Urteil vom 18.05.2011 - B 3 P 5/10 R, SozR 4-3300 § 71 Nr. 2, juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 26.08.1994 - 13 RJ 17/94, SozR 3-1500 § 88 Nr. 2, juris Rn. 19; anderer Ansicht Coseriu in: Zeihe/Hauck, SGG, 12. Auflage 2019, § 88 Rn. 5a), weswegen die Ansicht vertreten wird, dass das Gericht auch noch den Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist vor seiner Entscheidung abwarten kann (Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 32), soll (Binder: in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2017, § 88 Rn. 9, 17; BSG, Urteil vom 26.08.1994 - 13 RJ 17/94, SozR 3-1500 § 88 Nr. 2, juris Rn. 25) oder sogar muss (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 88 Rn. 5c; kritisch Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, Stand 15.07.2017, § 88 Rn. 30; anderer Ansicht Ulmer in: Hennig, SGG, Stand Juni 2015, § 88 Rn. 7). Dies kann jedoch nach der Überzeugung des Senats jedenfalls dann nicht gelten, wenn die sechsmonatige Wartefrist ganz erheblich unterschritten worden ist (Binder: in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Auflage 2017, § 88 Rn. 9), und schon gar nicht gelten, wenn die Erhebung der Untätigkeitsklage und die Stellung des Antrages gleichzeitig erfolgen (Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 88 Rn. 7). Denn durch eine solche Vorgehensweise könnte sich ein Kläger – meist auch noch ohne Kostenrisiko – auf prozessual missbilligenswerte Weise Zeitvorteile verschaffen, was die Prozessordnung nicht vorsieht. Das Gericht wäre gehalten, den Erlass des Bescheides und dann auch noch den Erlass des Widerspruchsbescheides abzuwarten und das gesamte Verwaltungsverfahren "unter richterlicher Aufsicht" zu halten. Eine derartige Zweigleisigkeit ist bei der Belastungssituation der Sozialgerichtsbarkeit kaum zu rechtfertigen und durch nichts geboten. Hält sich die Verwaltung später tatsächlich nicht an die Fristen, mag erneut geklagt werden (Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 88 Rn. 7; anderer Ansicht möglicherweise Jaritz in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Auflage 2014, § 88 Rn. 22, wonach eine "als Minus in der Untätigkeitsklage" zu sehende Antragstellung "zu diesem Zeitpunkt (noch)" unzulässig sei).

Nach alledem war der Gerichtsbescheid des SG Freiburg, mit dem es die unzulässige Untätigkeitsklage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, nicht aufzuheben. Deshalb und da das Verfahren auch nicht an einem wesentlichen Mangel gelitten hat, war der Rechtsstreit nicht nach § 159 Abs. 1 SGG an das SG Freiburg zurückzuverweisen, so dass auch der Hilfsantrag der Klägerin keinen Erfolg hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht erkennbar.
Rechtskraft
Aus
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