L 32 AS 323/20 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 157 AS 236/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 323/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2020 geändert, soweit der Antragsgegner verpflichtet worden ist, für die Zeit vom 10. Januar 2020 bis 31. Januar 2020 mehr als 273,86 Euro und für die Zeit vom 01. Februar 2020 bis 29. Februar 2020 mehr als 462, 82 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zur Hälfte und des Beschwerdeverfahrens zu 8/10 zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Der Antragsgegner wendet sich gegen die ihm auferlegte Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen an den Antragsteller vom 10. Januar 2020 bis 30. April 2020.

Der im September 1978 geborene Antragsteller, der im Oktober 2017 seinen Namen vollständig ändern ließ, ist iranischer Staatsangehöriger mit einer am 8. April 2019 ausgestellten und bis zum 7. April 2022 gültigen Aufenthaltserlaubnis mit Gestattung einer Erwerbstätigkeit.

Er ist seit 1. Dezember 2016 in der A Straße 15 in B mit alleiniger Wohnung gemeldet. Die von ihm für diese Wohnung zu zahlende Miete beträgt seit 1. Juli 2019 373,44 Euro monatlich.

Der Antragsteller hatte zum 1. März 2019 ein Gewerbe (Dellentechnik für Kraftfahrzeuge) an der Betriebsstätte Sstraße in B- angemeldet, für das er dort ab diesem Zeitpunkt eine Büro- und Lagerfläche angemietet hatte. Dieses Gewerbe hatte er zum 31. Juli 2019 wegen Unwirtschaftlichkeit abgemeldet.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2019 waren ihm vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. September 2019 bis 31. August 2020, dabei für Unterkunft und Heizung von 373,44 Euro monatlich, bewilligt worden.

Der Antragsgegner erhielt im Oktober 2019 eine Email, worin darauf hingewiesen wurde, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben nicht mehr in der A Straße 19 wohne und seine Wohnung untervermietet habe.

Nach vorläufiger Einstellung der Zahlung und einem am 15. November 2019 durchgeführten Hausbesuch hob der Antragsgegner mit Bescheid vom 21. November 2019 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab 1. November 2019 ganz auf.

Den am 26. November 2019 gestellten Weiterbewilligungsantrag, mit dem der Antragsteller angab, weiterhin in der A Straße zu wohnen und sich manchmal, maximal an zwei bis drei Tagen pro Woche, in Neukölln bei einem Freund aufzuhalten, lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 4. Dezember 2019 ab: Bei dem am 15. November 2019 stattgefundenen Besuch sei zweifelsfrei festgestellt worden, dass der Antragsteller nicht mehr in seiner Wohnung wohne. Der Antrag auf Leistungen sei deswegen wegen Unzuständigkeit abzulehnen. Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Antragsteller geltend machte, eine befreundete Familie habe Schlüssel von seiner Wohnung für den Fall, dass er seinen Schlüssel verlieren sollte, und er dort alleine wohne, wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2019 zurück: Die Einzimmerwohnung habe bei der Vor-Ort-Prüfung einen eher unbewohnten Eindruck gemacht. Sein Vortrag, eine befreundete Familie habe den Schlüssel seiner Wohnung nur für den Fall, dass er seinen Schlüssel verliere, erscheine nicht glaubhaft, nachdem er am 15. November 2019 erklärt habe, eine befreundete Familie leere regelmäßig seinen Briefkasten. In der Gesamtschau erscheine es nicht glaubhaft, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt tatsächlich in der Wohnung habe. Dies gelte insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass diverse Poststücke jeweils als Postrücklauf mit dem Vermerk "Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln", an den Antragsgegner zurückgesandt worden seien. Dagegen ist Klage erhoben worden, die unter dem Aktenzeichen S 157 AS 87/20 registriert ist.

Am 10. Januar 2020 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren gestellt, den Antragsgegner zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab November 2019 zu gewähren.

Er hat vorgetragen, der Postrücklauf erkläre sich dadurch, dass an seinem Klingelschild und seinem Briefkasten noch sehr lange sein alter Name gestanden habe, was erst vor kurzem geändert worden sei. Eine Aussage, dass er sich hauptsächlich in Neukölln aufhalte und keine Zeit in seiner eigenen Wohnung verbringe, habe er nie getätigt. Die getroffenen Feststellungen im Prüfbericht (Vorhandensein von aktuellen Angeboten von Immobilien, von Herrenkosmetikartikeln / Zahnbürste und Lebensmitteln im Kühlschrank) sprächen vielmehr dafür, dass er sich tatsächlich in seiner Wohnung aufhalte. Zudem sei er bei dem unangemeldeten Hausbesuch angetroffen worden. Der Antragsteller hat Schreiben des I B vom 25. Januar 2020 und M T vom 25. Januar 2020 sowie zahlreiche Kontoauszüge vorgelegt.

Mit Schreiben vom 17. Februar 2020 kündigte der Vermieter die Wohnung des Antragstellers fristlos wegen eines Rückstandes der Mieten für Januar 2020 und Februar 2020 in Höhe von insgesamt 746,88 Euro.

Mit Beschluss vom 24. Februar 2020 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 10. Januar 2020 bis 31. Januar 2020 in Höhe von 590,66 Euro und für die Zeit vom 1. Februar 2020 bis 30. April 2020 in Höhe von monatlich 805,44 Euro zu zahlen. Den weitergehenden Antrag hat es abgelehnt: Der Antragsteller habe die Voraussetzungen der §§ 7, 9, 20 SGB II glaubhaft gemacht. Ausgehend von einem Unterkunftsbegriff, der sich nicht nur an Aufenthaltsquoten, sondern einer Vielzahl von Faktoren orientiere, gehe die Kammer davon aus, dass es sich bei der genannten Wohnung um eine tatsächliche Unterkunft des Antragstellers handele. Der Antragsteller erhalte an der genannten Adresse offenbar seine gesamte Post und sei in der Lage, darauf kurzfristig zu reagieren. Er habe zurzeit des Prüfbesuchs auch in der Wohnung erreicht werden können. Er habe zudem eigene Sachen in der Wohnung verwahrt. Auf der anderen Seite habe die Wohnung nach dem Inhalt des Prüfberichts nur provisorisch eingerichtet gewirkt. Es hätten sich insgesamt nur wenig Hinweise gefunden, welche darauf hindeuteten, dass die Räumlichkeiten den Mittelpunkt des Antragstellers bildeten. Der Antragsteller habe gegenüber den Mitarbeitern des Antragsgegners offenbar auch mitgeteilt, dass er seine Wohngegend nicht möge und deswegen lieber in Neukölln sei. Ein häufiger Aufenthalt in Neukölln werde von den Kontoauszügen des Antragstellers bestätigt. Gleichwohl sei davon auszugehen, dass der Antragsteller die Wohnung noch als Rückzugsraum für sich vorhalte. Eine anderweitige gesicherte Deckung des Bedarfs sei nicht ersichtlich. Sie sei auch nicht darin zu erkennen, dass sich der Antragsteller nach eigenen Angaben häufig bei einem Freund in N aufhalte, denn eine dauerhafte Sicherung dieser Unterkunft sei nicht erkennbar. Der monatliche Regelbedarf betrage 432 Euro. Die Unterkunftskostenbedarfe betrügen 373,44 Euro. Eine besondere Eilbedürftigkeit ergebe sich für die Zeit ab Antragstellung aus der Mittellosigkeit des Antragstellers.

Gegen den ihm am 26. Februar 2020 zugestellten Beschluss richtet sich die am 27. Februar 2020 eingelegte Beschwerde des Antragsgegners.

Er meint, bei der Wohnung in der A Straße in B handele es sich nicht um eine Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, da der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne eines Wohnsitzes nicht dort begründe und damit auch nicht im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners sei. Dies ergebe sich aus dem Prüfbericht sowie aus den eingereichten Kontoauszügen. Unterkunftskosten seien stets nur für eine einzige Wohnung anzuerkennen, selbst wenn tatsächlich zwei Wohnungen als Unterkunft zur Verfügung stünden. Der Antragsteller habe selbst eingeräumt, er halte sich ganz überwiegend in N bei einem Freund auf. Darüber hinaus sei nach dem Ergebnis des Prüfdienstes die Wohnung in der A Straße 15 nicht zum Einwohnen im Sinne eines Lebensmittelpunktes vorgehalten, sondern werde eher als eine Art Lagerraum genutzt. Das Vorhalten eines Rückzugsortes stelle keinen Lebensmittelpunkt dar. Insbesondere werde darauf hingewiesen, dass in der Wohnung lediglich eine Matratze ohne Bettzeug vorgefunden worden sei.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2020 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass ihm die genannte Mitteilung seines Vermieters bislang nicht vorgelegt worden sei; es sei zudem nicht erkennbar, wie der Vermieter zu diesem Schluss komme. Woraus sich ergebe, dass er seine Wohnung als Lagerraum nutze, sei nicht ersichtlich. Er habe auch nicht mehrere, sondern nur eine Wohnung in der A Straße. Sein beim Antragsgegner gestellter Umzugsantrag erkläre sich durch die fristlose Kündigung aufgrund von Mietrückständen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Verfahrensstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners (), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist im Umfang des Tenors begründet; im Übrigen ist sie unbegründet.

Das Sozialgericht hat im Wesentlichen zu Recht die einstweilige Anordnung erlassen. Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund ist hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung vollumfänglich, hinsichtlich des Regelbedarfs lediglich für einen Leistungszeitraum ab dem 24. Februar 2020 glaubhaft gemacht.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (so genannte Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) die Glaubhaftmachung des Vorliegens des Anordnungsgrundes (die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und des Anordnungsanspruches (der materielle Leistungsanspruch). Ein Anordnungsgrund kann bejaht werden, wenn schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht – BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 -, NJW 2003, 1236 m. w. N.). Der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen das Vorliegen der insoweit entscheidungserheblichen Tatsachen spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 12. Auflage, § 86b Rdnr. 16b i. V. m. §128 Rdnr.3c).

Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht.

Rechtsgrundlage des von dem Antragsteller erhobenen Begehrens ist § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach gilt: Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II.

Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).

Der im September 1978 geborene Antragsteller, der sich damit in den Grenzen der maßgebenden Lebensjahre befindet, ist erwerbsfähig, denn Anhaltspunkte für eine fehlende Erwerbsfähigkeit sind nicht ersichtlich. Er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist auch hilfebedürftig, denn er verfügt weder über Einkommen noch Vermögen. Er ist als Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis auch nicht aus anderen Gründen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II) von Leistungen ausgeschlossen.

Der Antragsteller hat damit Anspruch auf Arbeitslosengeld II.

Die Leistungen auf Arbeitslosengeld II umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II).

Als Regelbedarf wird bei Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist, monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 anerkannt (§ 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Als Regelbedarf steht dem Antragsteller nach Regelbedarfsstufe 1 432 Euro (§ 2 Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2020; BGBl 2019, 1452).

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gilt: Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Als Kosten der Unterkunft und Heizung stehen dem Antragsteller somit die Mietkosten von 373,44 Euro monatlich zu. Die von ihm genutzte Wohnung in der A Straße, B ist seine Unterkunft.

Der Begriff der Unterkunft bezeichnet allgemeinsprachlich das "Unterkommen", also in erster Linie das Dach über dem Kopf. Die Unterkunft muss auch sicherstellen, dass der Leistungsberechtigte seine persönlichen Gegenstände verwahren kann. Die Übernahme von Kosten scheidet dagegen für Räumlichkeiten aus, die für die Ausübung einer (selbstständigen) Erwerbstätigkeit genutzt werden, selbst wenn der Leistungsberechtigte dort den Großteil seiner Zeit verbringt (Krauß in Hauck/Noftz, SGB, 10/12, § 22 SGB II, Rdnrn. 32, 34 – 35), denn erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Räumlichkeiten der Verwirklichung privater Wohnbedürfnisse dienen. Sie müssen geeignet sein, neben Schutz vor der Witterung zu bieten, einen Raum der Privatheit zu gewährleisten (Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 1/08 R, Rdnr. 13, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 4-4200 § 22 Nr. 14). Wenn der Leistungsberechtigte zwei Unterkünfte zu Wohnzwecken nutzen kann, können nur die Kosten für die (vorrangig) tatsächlich genutzte Unterkunft übernommen werden Die Übernahme von Kosten der Unterkunft entfällt aber nur dann, wenn ein Leistungsempfänger tatsächlich eine andere Unterkunft als die von ihm angemietete Wohnung dauerhaft nutzt und diese andere Unterkunft ihm den Aufbau oder Erhalt einer Privatsphäre ermöglicht, selbstbestimmtes Wohnen gewährleistet und faktisch und/oder rechtlich gesichert ist. Die Beweislast hinsichtlich der Nutzung liegt insoweit zwar beim Leistungsberechtigten, denn sie ist Tatbestandsvoraussetzung. Indizien wie niedrige Nebenkosten, die auf eine seltene Nutzung der Wohnung hindeuten, lassen für sich genommen aber nicht regelhaft Bedarfe für Kosten der Unterkunft entfallen. Entsprechende Vermutungsregeln sind nicht zulässig. Es muss feststehen (im Sinne einer richterlichen Überzeugung), dass tatsächlich ein entsprechender privater (verfassungsrechtlich geschützter) Rückzugsort anderswo besteht (Krauß in Hauck/Noftz, SGB, 10/12, § 22 SGB II, Rdnrn. 36 und 37, m. w. N.). Wenn bereits Leistungen für eine Unterkunft vollständig übernommen werden, besteht kein darüber hinausgehender Wohnbedarf, so dass deshalb kein Anspruch auf Leistungen für eine weitere Unterkunft besteht (so das vom Antragsgegner benannte Urteil des BSG vom 17. Februar 2016 – B 4 AS 2/15 R Rdnr. 24, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 4-4200 § 22 Nr. 89).

Ausgehend davon stellt die vom Antragsteller genutzte Wohnung in der AStraße in B seine Unterkunft dar.

Es ist weder ersichtlich noch vom Antragsgegner vorgetragen, dass Leistungen für eine andere Unterkunft übernommen würden. Es wird vom Antragsgegner auch nicht behauptet, dass der Antragsteller eine andere Wohnung hat. Er bezieht sich lediglich auf eine Aussage des Antragstellers, wonach dieser sich ganz überwiegend in N bei einem Freund aufhalte. Dabei handelt es sich ersichtlich um die Erklärung des Antragstellers zum Weiterbewilligungsantrag vom 26. November 2019, wonach der Antragsteller manchmal, maximal an zwei bis drei Tagen pro Woche, in N bei einem Freund sei. In dieser Erklärung wies der Antragsteller aber zugleich daraufhin, dass er weiterhin in der A Straße wohne. Ein zeitweiliges Aufhalten ist nicht mit einem Wohnen gleichzusetzen. Ein Aufhalten in Räumlichkeiten einer anderen Person gewährleistet weder einen Raum der Privatheit noch erlaubt er einen selbstbestimmten Zugriff auf diese dergestalt, dass sie nach eigenem Gutdünken genutzt werden könnten. Solches hat der Antragsteller entgegen der Ansicht des Antragsgegners weder in seinem Widerspruch noch ansonsten eingeräumt. Nach dem Vorbringen des Antragstellers handelt es sich bei diesem Freund um M T, der in seinem Schreiben vom 25. Januar 2020 mitgeteilt hat, dass er sich mit dem Antragsteller normalerweise Ende der Woche in der Hstraße zu Kaffee und Tee, Essen und Spielen träfe; dass der Antragsteller insbesondere dort übernachtet, wird hingegen nicht bestätigt. Nach dem Inhalt des Prüfberichtes vom 15. November 2019 erklärte der Antragsteller, dass er sich selten in seiner Wohnung aufhalte, da er sich in der Wohnung und Umgebung nicht wohlfühle. Daraus folgt ebenfalls nicht, dass er über eine andere Unterkunft verfügt. Es erschließt sich auch nicht, wie im Bescheid vom 4. Dezember 2019 ausgeführt, dass bei dem Hausbesuch zweifelsfrei festgestellt worden sei, dass der Antragsteller dort nicht wohne. Zutreffend weist der Antragsteller auf Umstände hin (Vorhandensein von aktuellen Angeboten von Immobilien, von Herrenkosmetikartikeln / Zahnbürste und Lebensmitteln im Kühlschrank), die für ein dortiges Wohnen sprechen. Der vom Antragsgegner im Übrigen vorgefundene Zustand der Wohnung mag zwar nicht den üblichen Gepflogenheiten eines typischen Mieters entsprechen. Jedoch geht ihre Eigenschaft als Unterkunft nicht dadurch verloren, dass eine Wohnung unaufgeräumt oder gar verwahrlost ist. Eine Matratze ohne Bettzeug, auf die der Antragsgegner im Besonderen abhebt, erlaubt durchaus ein Schlafen. Aus der Email von Oktober 2019, die den Antragsgegner zum Hausbesuch veranlasste, ergibt sich dazu nichts Konkretes. Es heißt dort: "Rein vorsorglich weisen wir darauf hin, dass der Mieter nach eigenen Angaben gar nicht mehr in der A Straße wohnt und seine Wohnung untervermietet. Da uns aktuell noch nicht genug Beweise vorliegen, konnten wir mietrechtlich nicht gegen Herrn B vorgehen.". Zwar mag diese Email eine Vermutung nahelegen, dass der Antragsteller dort nicht mehr wohnen könnte, denn es wird sich darin auf "eigene Angaben" des Antragstellers bezogen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner zwecks Aufklärung dieses Sachverhalts (Wem gegenüber, bei welcher Gelegenheit und was genau hat der Antragsteller als eigene Angabe getätigt) weitere Ermittlungen beim Hinweisgeber, der die Email mit "i. A." zeichnete, aufgenommen hätte, welche dieses Ergebnis bestätigt hätte. Nach dieser Email soll der Antragsteller in der S Str. 2 in Berlin gemeldet sein. Letztgenannte Angabe überprüfte der Antragsgegner erfolglos. Für eine Untervermietung erbrachte der Hausbesuch offenbar keine Anhaltspunkte, denn der Prüfbericht vom 15. November 2019 schweigt dazu. Weswegen der Antragsteller einer befreundeten Familie Wohnungs- und Briefkastenschlüssel überlassen hat, bleibt unklar. Nach dem Prüfbericht habe der Antragsteller erklärt, dass diese regelmäßig seinen Briefkasten leere und auch einen Schlüssel zur Wohnung habe. Demgegenüber hat der Antragsteller bereits mit seinem Widerspruch vorgetragen, dass die befreundete Familie den Schlüssel für seine Wohnung allein für den Fall habe, dass er seine Schlüssel verlieren sollte. Im dazu vorgelegten Schreiben vom 25. Januar 2020 hat jedenfalls I B (wohnhaft K 144, Berlin, also ca. 11 km von der Wohnung des Antragstellers entfernt) erklärt, der Antragsteller habe ihm seinen Schlüssel für den Fall gegeben, dass er seine Schlüssel in der Wohnung vergessen bzw. verlieren sollte. Darüber hinaus wird in diesem Schreiben mitgeteilt, dass er am 1. Oktober 2019, als der Antragsteller in Norwegen gewesen sei, in seinem Briefkasten nachgesehen habe, weil der Antragsteller einen Brief erwartet habe.

Ausgehend davon hat der Antragsteller (auch weiterhin) eine Unterkunft in der A Straße in B, denn es gibt keine konkreten und eindeutigen Hinweise darauf, dass diese Wohnung von ihm nicht mehr im oben genannten Sinne als Unterkunft genutzt wird. Wie bereits das Sozialgericht unter Bezugnahme auf den Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. März 2012 – L 10 AS 123/12 B ER (Rdnr. 7, zitiert nach juris) ausgeführt hat, geht die Bestimmung des Begriffs der Unterkunft nicht vom Umfang der Nutzung einer Wohnung aus, soweit sie jedenfalls nicht gänzlich entfällt. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse gibt es auch vielfältige Abweichungen bezüglich der Anwesenheitszeiten, des Nutzungsumfangs und der Abspaltung von Teilfunktionen, ohne dass damit in der Eigen- oder Fremdwahrnehmung die Einschätzung einherginge, der Wohngebrauch werde durch solche Verhaltensweisen beendet. Weder verliert eine Wohnung ihre Funktion als Unterkunft dadurch, dass sich der Wohnungsinhaber dort tagsüber nicht aufhält, wie dies bei Beschäftigten ohnehin der Fall ist, noch dadurch, dass sie zeitweilig auch nachts nicht genutzt wird, weil woanders übernachtet wird. Erst wenn sich feststellen lässt, dass eine Wohnung nicht mehr dem Zweck dient, neben dem Schutz physischer Bedürfnisse, insbesondere auch der Unterbringung der persönlichen Habe, Raum für Privatheit im Sinne eines persönlichen Lebensbereiches zu sein, scheidet ihre Bestimmung als Unterkunft aus. Solange mithin keine andere Wohnung zur Verfügung steht, die diese Zwecke erfüllen kann und erfüllt, besteht die Funktion dieser Wohnung als Unterkunft fort. Vorliegend gibt es keine Tatsachen, die unzweifelhaft feststehen, so dass darauf eine sichere richterliche Überzeugung gestützt werden könnte, der Antragsteller habe anderweitig eine Unterkunft und deswegen die Wohnung in der A Straße in B als Unterkunft aufgegeben.

Hat jedoch der Antragsteller in der A Straße in B eine Wohnung als Unterkunft, so stellt diese zugleich seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I dar.

Danach hat den gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend ist, wo sich der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse befindet (BSG, Urteil vom 15. März 1995 – 5 RJ 28/94, Rdnr. 16, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 3-1200 § 30 Nr. 13; Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 36, Rdnr. 26). Der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse liegt dort, wo jemand seine Unterkunft hat, jedenfalls dann, wenn es sich um die alleinige Unterkunft handelt (zum gewöhnlichen Aufenthalt und zur Zuständigkeit bei einem Sachverhalt, wo sich in einem zusätzlich angemieteten Raum persönliche Gegenstände des Leistungsberechtigten befinden: BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 1/08 R, Rdnr. 20, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 4-4200 § 22 Nr. 14).

Soweit der Antragsgegner meint, dies sei der Bezirk N, weil sich der Antragsteller dort bei Freunden aufhalte, irrt er. Ein mehr als nur vorübergehendes Verweilen ist aus dem Vorbringen des Antragstellers, dem der Antragsgegner keine Tatsachen entgegengehalten hat, welche auf ein dauerhaftes Verweilen schließen lassen, nicht anzunehmen. Der Aufenthalt bei Freunden ist nicht darauf angelegt, dort dauerhaft zu verbleiben, sondern um vorübergehend die Wohnung zu verlassen mit dem Ziel, dorthin zurückzukehren.

Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Dies gilt uneingeschränkt hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung.

In einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet. Dies ergibt sich daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer – einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden – besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich. Sie kann jedoch nur ausnahmsweise zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Dies setzt voraus, dass ein besonderer Nachholbedarf besteht, dass also die Nichtgewährung der begehrten Leistung in der Vergangenheit noch in die Zukunft fortwirkt und daher eine weiterhin gegenwärtige, die einstweilige Anordnung rechtfertigte Notlage begründet.

Es ist im Rahmen der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes unter wertender Betrachtung zu den Kosten der Unterkunft unter Berücksichtigung der Zielsetzung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu prüfen, welche negativen Folgen im konkreten Einzelfall drohen. Relevante Nachteile können nicht nur in einer Wohnungs- beziehungsweise Obdachlosigkeit liegen. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II dient auch dazu, das Existenzminimum sicherzustellen. Dazu gehört es, den gewählten Wohnraum in einem bestehenden sozialen Umfeld nach Möglichkeit zu erhalten, so dass im Rahmen der wertenden Betrachtung zu berücksichtigen ist, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für die Betroffenen hätte. Daneben darf das Risiko, die Kosten eines zivilgerichtlichen Rechtsstreits tragen zu müssen, nicht von vornherein der wertenden Betrachtung entzogen werden, sofern mit einer Räumungsklage zu rechnen ist. Schließlich ist nicht schematisch auf eine schon erhobene Räumungsklage abzustellen, da durch die Zahlung eines rückständigen Mietzinses innerhalb von zwei Monaten nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage zumindest die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung nicht berührt wird (BVerfG, Beschluss vom 01. August 2017 – 1 BvR 1910/12, zitiert nach Juris, Rd.-Nr. 15 – 18)

Im Falle einer fristlosen Kündigung kann nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die fristlose Kündigung mit Begleichung der Schulden abgewandt werden, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet.

Allerdings kann damit eine ordentliche Kündigung nicht abgewandt werden, denn die Vorschrift ist bei einer ordentlichen Kündigung nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht anwendbar (Bundesgerichtshof – BGH, Urteil vom 25. Oktober 2006 - VIII ZR 102/06, Rdnr. 11, zitiert nach juris, m. w. N., abgedruckt in NJW 2007, 428). Nach § 573 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB kann der Vermieter kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesses an der Beendigung des Mietverhältnisses hat, wobei ein berechtigtes Interesse insbesondere vorliegt, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Soweit der Kündigungsgrund des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB erfüllt wird, ist die Kündigung auf jeden Fall gerechtfertigt (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2006 - VIII ZR 102/06, Rdnr. 9, zitiert nach juris). Nach dieser Vorschrift gilt: Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn der Mieter a) für zwei aufeinanderfolgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder b) in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht. Nach § 569 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 BGB ist der rückständige Teil der Miete nur dann als nicht unerheblich anzusehen, wenn er die Miete für einen Monat übersteigt.

Letztgenannte Voraussetzungen mögen zwar vorliegen. Allerdings hat der Vermieter des Antragstellers das Mietverhältnis ausschließlich fristlos gekündigt, so dass mit der nachträglichen Mietzahlung der Verlust der Wohnung abgewendet werden kann und diese mithin auch geboten ist.

Es besteht daher zugleich ein besonderer Nachholbedarf, denn die Erbringung von Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung ist erforderlich, um den Verlust der Unterkunft zu vermeiden.

Das Sozialgericht hat daher zutreffend für die Zeit vom 10. Januar 2020 bis 31. Januar 2020 273,86 Euro und für Februar 2020 373,44 Euro zugesprochen.

Im Übrigen, also hinsichtlich des Regelbedarfs, scheidet der Erlass einer einstweiligen Anordnung für einen Zeitraum vor dem 24. Februar 2020, dem Zeitpunkt, zu dem das Sozialgericht entschieden hat, aus, denn ein besonderer Nachholbedarf ist weder ersichtlich noch sonst glaubhaft gemacht.

Der Beschluss ist daher zu ändern. Daraus folgt, dass für die Zeit vom 10. Januar 2020 bis 31. Januar 2020 lediglich 273,86 Euro und für die Zeit vom 1. Februar 2020 bis 29. Februar 2020 nur 462,82 Euro (373,44 Euro + 89,38 Euro) zu zahlen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Verfahrens.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

Mit der Entscheidung über die Beschwerde ist der Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG erledigt.
Rechtskraft
Aus
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