L 1 KR 6/20 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 12 KR 482/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 6/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 27. November 2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 27. November 2019 ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den am 15. November 2019 gestellten Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, zwei stationäre Krankenhausbehandlungen zur Bauchwandrekonstruktion mit Verschluss der Rektusdiastase und Abdominoplastik sowie zur Oberschenkelstraffung vorläufig zu gewähren, hilfsweise eine stationäre Krankenhausbehandlung zwecks Bauchstraffung vorläufig zu gewähren, mit Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung lagen nicht vor.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird (sog. Sicherungsanordnung). Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung sind das Bestehen eines Anordnungsanspruches und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Der Anordnungsanspruch bezieht sich dabei auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz begehrt wird. Die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Entscheidungen dürfen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte an den Erfolgsaussichten nur orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so hat es anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Je größer die Erfolgschancen in der Sache einzuschätzen sind, desto eher ist es einem Antragsteller nicht zuzumuten, auf die Entscheidung in der Hauptsache verwiesen zu werden (ständige Rechtsprechung des Senats, z. B. Beschluss vom 23. Oktober 2008 - L 1 B 346/08 KR ER; Beschluss vom 23. Dezember 2010 - L 1 KR 368/10 B ER -, juris Rn. 10, Beschluss vom 4. September 2019 - L 1 KR 238/19 B ER).

Nach diesen Grundsätzen konnte die von dem Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung nicht erlassen werde, Es ist nicht ersichtlich, dass er in der Sache einen Anspruch auf Übernahme der Operationen gegen die Antragsgegnerin haben könnte. Auch ein Anordnungsanspruch scheidet aus, weil keine Gesundheitsstörung erkennbar ist, die nur im Wege eines sofortigen operativen Eingriffs abgewendet werden könnte.

Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Antragstellers kommt § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iVm § 39 Abs. 1 SGB V in Betracht. Nach diesen Vorschriften besteht Anspruch auf Behandlung im Krankenhaus, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zu Recht steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit, dass die von dem Antragsteller begehrten plastischen Operationen Eingriffe sind, welche der Art nach nur in einem Krankenhaus vorgenommen werden können.

Die begehrten Operationen sind jedoch nicht zur Behandlung einer Krankheit erforderlich. Als Krankheit ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der einer ärztlichen Behandlung bedarf. Der Körperzustand des Antragstellers ist zwar regelwidrig, weil - wie von den Gutachtern der MDK Sachverständigen bestätigt worden ist - er nach einer starken Gewichtsabnahme mehrere Hautwülste am Körper trägt. Indessen ergibt sich aus dieser Regelwidrigkeit noch keine Behandlungsbedürftigkeit. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung reicht nicht so weit, dass alle Versicherten Anspruch auf die (Wieder-)Herstellung eines äußeren Erscheinungsbildes hätten, das gängigen ästhetischen Vorstellungen entspricht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wird die Leistungspflicht der Krankenkassen bei der Korrektur anatomischer Besonderheiten dadurch begrenzt, dass entweder eine entstellende Wirkung vorliegen oder aber es zu einer Beeinträchtigung von Körperfunktionen gekommen sein muss (BSG v. 19. Oktober 2004 - B 1 KR 9/04 R - juris Rn. 13).

Eine entstellende Wirkung liegt nach der Rechtsprechung des BSG nur vor, wenn eine bestehende anatomische Besonderheit bei einem Versicherten so ausgeprägt ist, dass sie von jedermann auf der Straße sofort bemerkt und als auffällig wahrgenommen wird, wenn ihm der Versicherte in Alltagskleidung begegnet (BSG v. 19. Oktober 2004 - B 1 KR 9/04 R - juris Rn. 14). Diese Voraussetzungen können im Falle des Antragstellers schon deswegen nicht gegeben sein, weil sich die Hautfalten bei ihm an Körperstellen befinden, die üblicherweise durch Kleidung bedeckt werden. Auch aus den vom Antragsteller übersandten Fotos ergeben sich keine im bekleideten Zustand entstellend wirkenden Auffälligkeiten. Auf das Erscheinungsbild im unbekleideten Zustand kommt es nicht an. Aus diesen Gründen hat der Senat davon abgesehen, den Antragsteller persönlich in Augenschein zu nehmen.

Es ist auch nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass die Hautwülste zu einer Beeinträchtigung von Körperfunktionen geführt haben, welche eine medizinische Indikation für den geplanten operativen Eingriff abgeben könnte. Hinweise für funktionelle Störungen gibt es zwar aus dem vorgelegten Attest des behandelnden Hautarztes Dr. J vom 25. November 2019, wonach wegen einer noch nicht dermatologisch behandelten Riesenbauchschürze eine massive ekzematisierte Mykose im Hautfaltenbereich aufgetreten ist. Das reicht aber für den Nachweis der medizinischen Notwendigkeit des geplanten Eingriffs nicht aus. Denn Dr. J bezeichnet das Hautproblem als bei einer spezifischen Behandlung durchaus lösbar. Er hält die gewünschte Bauchschürzen-Operation danach für eine mögliche, aber keinesfalls für die einzige Behandlungsoption. Eine stationäre Behandlung kommt aber nur in Betracht, wenn andere Behandlungsalternativen nicht in Frage kommen. Ansonsten fehlt es an der medizinischen Notwendigkeit für die Aufnahme in ein Krankenhaus. Soweit der Antragsteller über die Hautreizungen hinaus Einschränkungen seiner funktionellen Beweglichkeit geltend macht, sind solche Einschränkungen nicht durch vorgelegte ärztliche Atteste glaubhaft gemacht. Schmerzzustände, welche durch die auftretende Hautreibung entstehen, könnten nach dem Attest von Dr. J durch eine dermatologische Behandlung gelindert werden. Auch insoweit ist nicht ersichtlich, dass allein die gewünschten Operationen die berufliche Leistungsfähigkeit erhalten könnten. Eine medizinische Indikation für die gewünschten Operationen kann sich nur ergeben, wenn belegt wäre, dass die fachdermatologische Behandlung über einen längeren Zeitraum erfolglos durchgeführt worden ist.

Schließlich begründet es keine Behandlungsnotwendigkeit, dass der Antragsteller nach der Ablehnung der Kostenübernahme einen psychischen Absturz erlitten hat. Soweit er psychisch erkrankt ist, hat er Anspruch auf entsprechende ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Eine psychische Erkrankung gibt aber keinen Anlass für operative Eingriffe in den Körper. Soweit noch keine psychische Erkrankung bei dem Antragsteller vorliegt, kann er sich die Kostenübernahme für den gewünschten Eingriff nicht durch das Androhen weiteren gesundheitsschädlich wirkenden Alkoholkonsums ertrotzen. Insoweit hat er es nämlich schon selbst in der Hand, das Entstehen von nachteiligen Folgen für seine Gesundheit zu vermeiden.

Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved