S 5 KR 259/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 5 KR 259/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 683/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 2.764,65 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung einer Insolvenzforderung in Höhe von 2.764,65 Euro zur Insolvenztabelle unter laufender Nummer 55.

Die Firma B. GmbH führte bei der Klägerin als gesetzlicher Krankenkasse im Zeitraum vom 01.11.2001 bis zum 31.01.2011 ein Beitragskonto mit der Betriebsnummer 123456 für mehrere Versicherte der Klägerin.

In der Zeit vom 21.12.2010 bis zum 27.02.2013 führte die Deutsche Rentenversicherung Hessen eine Betriebsprüfung bei der Firma B. GmbH für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 durch.

Am 01.04.2013 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. GmbH eröffnet (Az: 3 IN 16/13) und der Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.

Am 31.05.2013 erstellte die Deutsche Rentenversicherung Hessen einen Betriebsprüfbericht. Dieser ergehe gegen den Beklagten und habe nur deklaratorische Bedeutung. Die stichprobenartig durchgeführte Prüfung habe die nachfolgenden näher beschriebenen Feststellungen im Bereich Beitragsansprüche aufgrund der Unwirksamkeit des angewandten Tarifvertrags, § 10 Abs. 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) i.V.m. § 22 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV), ergeben. Die sich aus der Prüfung ergebenden Feststellungen würden Insolvenzforderungen nach § 38 Insolvenzordnung (InsO) in Höhe von insgesamt 674.902,61 Euro betreffen. Die Forderungen seien gemäß §§ 187 ff. InsO zu befriedigen. Die Insolvenzforderungen würden von der(n) zuständigen Einzugsstelle(n) zur Tabelle nach § 175 InsO gemeldet. Eine Zahlungsaufforderung sei hiermit nicht verbunden.

Mit Schreiben vom 10.06.2013 meldete die Klägerin Beitragsrückstände für den Zeitraum vom 11.08.2006 bis zum 15.10.2008 in Höhe von 2.764,65 Euro als Insolvenzforderung beim Beklagten an. Am 11.06.2013 meldete sie die Forderung zur Insolvenztabelle an.

Mit Schreiben vom 17.07.2013 und 31.10.2013 teilte der Beklagte mit, dass er die Insolvenzforderung vorläufig bestreiten werde, weil er das Ergebnis der Betriebsprüfung nicht anerkenne.

Im Prüftermin beim Amtsgericht Wetzlar (Az: 3 IN 16/13) am 09.10.2013 bestritt der Beklagte die angemeldete Forderung der Klägerin.

Am 07.07.2014 hat die Klägerin zunächst vor dem Amtsgericht Wetzlar Klage erhoben, nachdem eine Zahlung durch den Beklagten trotz mehrfacher Aufforderung nicht erfolgte. Zur Begründung führt sie aus, dass die Deutsche Rentenversicherung Hessen berechtigt gewesen sei, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Betriebsprüfung durchzuführen. Der Betriebsprüfbericht werde dann dem Insolvenzverwalter zugeleitet, der ab Insolvenzeröffnung Arbeitgeberfunktion ausübe. Der Betriebsprüfbericht sei ein Verwaltungsakt. Dieser sei bestandskräftig geworden. Die 4-jährige Verjährungsfrist sei noch nicht abgelaufen. Die Verjährung sei für die Dauer einer Betriebsprüfung gehemmt. Die Hemmung beginne mit dem Tag des Beginns der Prüfung beim Arbeitgeber und ende mit der Bekanntgabe des Beitragsbescheids, spätestens aber nach dem Ablauf von 6 Kalendermonaten nach Abschluss der Prüfung.

Die Klägerin beantragt,

die Insolvenzforderung der Klägerin gegen den Beklagten in Höhe von 2.764,65 Euro unter laufender Nummer 55 zur Insolvenztabelle festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt aus, dass es sich bei dem Betriebsprüfbericht um keinen Verwaltungsakt handele. Eine Bestandkraft könne daher nicht eingetreten sein. Zudem bestehe die Forderung auch materiell-rechtlich nicht. Die Rechtspraxis der Deutschen Rentenversicherung Hessen, die Rechtsprechung des BAG vom 14.12.2010 rückwirkend auf Zeiträume anzuwenden, die vor der Entscheidung lägen, begegne verfassungsrechtlichen Bedenken. Des Weiteren erhebe der Beklagte die Einrede der Verjährung. Die Klägerin mache Ansprüche wegen Beitragsrückständen der Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 11.08.2006 bis zum 15.10.2008 geltend. Eine 30-jährige Verjährungsfrist liege nicht vor.

Mit Beschluss vom 26.05.2014 hat das Amtsgericht Wetzlar den Rechtsstreit an das Sozialgericht Gießen verwiesen. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 28.06.2018, der Beklagte mit Schreiben vom 26.07.2018 das Einverständnis zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Deren Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 28.06.2018, die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.07.2018 einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Das Sozialgericht Gießen ist sachlich zuständig. Für eine Klage auf Feststellung einer Forderung nach §§ 179 ff. InsO ist gemäß § 185 InsO der Sozialrechtsweg gegeben, wenn die Forderung dem Anwendungsbereich des § 51 SGG unterfällt (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Kommentar, 12. Auflage 2017, § 51 Rn. 39). Vorliegend unterfällt die Forderung – die Erhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen – dem Anwendungsbereich des § 51 SGG.

Die Klage ist unzulässig. Statthafte Klageart ist die Feststellungsklage gemäß § 184 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) i.V.m. § 55 Abs. 1 SGG. § 184 InsO regelt, wem es im Falle einer bestrittenen Forderung im Insolvenzrecht obliegt, einen Widerspruch durch Klage zu beseitigen oder zu verfolgen. Nach Absatz 1 der Vorschrift ist dies grundsätzlich Aufgabe des Gläubigers, der eine Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet hat, wenn der Schuldner im Prüfungstermin diese Forderung bestreitet. Liegt für eine solche Forderung ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor, obliegt es dem Schuldner binnen einer Frist von einem Monat, die mit dem Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren mit dem Bestreiten der Forderung beginnt, den Widerspruch zu verfolgen (§ 184 Abs. 2 InsO). Ist für die Feststellung einer Forderung der Rechtsweg zum ordentlichen Gericht nicht gegeben, ist die Feststellung bei dem zuständigen anderen Gericht zu betreiben oder von der zuständigen Verwaltungsbehörde vorzunehmen. Weiteres regelt die Vorschrift des § 179 InsO. Nach § 179 Abs. 1 InsO bleibt es dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben, wenn eine Forderung vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden ist.

Ein Beitragsbescheid ist ein vollstreckbarer Titel im Sinne des § 184 Abs. 2 InsO, soweit der Schuldner hierin zur Leistung aufgefordert wird. Ein solcher Beitragsbescheid liegt hier nicht vor.

Zum einen ist die Prüfmitteilung der Deutschen Rentenversicherung Hessen vom 31.05.2013 kein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Bei Insolvenzprüfungen im Rahmen des § 28p Abs. 1 Satz 3 SGB IV ist zu unterscheiden, für welchen Zeitraum – vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – Forderungen geltend gemacht werden; je nach Fallgestaltung wird von der Deutschen Rentenversicherung eine Prüfmitteilung oder ein Bescheid erlassen. Die Prüfung für den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO) ist wie eine Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV durchzuführen. Der Prüfzeitraum endet am Tag vor Eintritt des Insolvenzereignisses. Die Beitragsforderungen für die Zeit vor der Insolvenzeröffnung stellen i.d.R. Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar. Insolvenzforderungen sind von der jeweiligen Einzugsstelle als Gläubiger des Gesamtsozialversicherungsbeitrags beim Insolvenzverwalter zur Insolvenztabelle anzumelden (§§ 174, 175 InsO). Diese Forderungen werden dem Insolvenz- oder Eigenverwalter mittels einer Prüfmitteilung deklaratorisch angezeigt (Scheer, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3 Auflage 2016, § 28p Rn. 202 ff.). Ein Betriebsprüfungsbescheid darf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Anmeldung zur Tabelle und Prüfung der Forderung nicht ergehen (vgl. zur Rechtslage unter Geltung der Konkursordnung: BSG, Urteil vom 17.05.2001 – B 12 KR 32/00 R – juris Rn. 14f.)

Hier werden Forderungen für einen Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens – vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 – geltend gemacht. Dabei handelt es sich um Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. Die Forderungen sind dem Beklagten durch die Deutsche Rentenversicherung Hessen deklaratorisch angezeigt worden. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Prüfmitteilung vom 31.05.2013, in der "deklaratorisch" das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt wird. Eine Regelung im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wurde damit nicht getroffen. Bestandskraft nach § 77 Sozialgerichtsgesetz konnte – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht eintreten.

Zum anderen hat auch die Klägerin keinen Bescheid gegenüber dem Beklagten erlassen. Die Klägerin kann die bestrittene, noch nicht durch Bescheid titulierte Forderung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Beklagten feststellen, sofern sie – wie hier – außerhalb des Insolvenzverfahrens zur Feststellung der Forderung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Schuldner berechtigt ist. Sehen nämlich die Verfahrensvorschriften ein Vorverfahren vor, bevor die Gerichte angerufen werden können, muss es auch im Insolvenzfeststellungsverfahren zunächst durchgeführt werden. Wird der Feststellungsbescheid bestandskräftig, schafft dieser – mit Wirkung des § 183 Satz 1 (§ 185 Satz 2) – die Grundlage für die Korrektur der Tabelle (zum Gesamten: Sinz, in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Auflage 2015, § 185 Rn. 5).

Zwar erlassen abweichend von § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV im Rahmen von Betriebsprüfungen die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Allerdings beschränkt sich die Übertragung der Zuständigkeiten von den Einzugsstellen auf die Betriebsprüfungsbehörden gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV nur auf die Feststellung von Versicherungspflicht und Beitragshöhe, das heißt von Grund und Höhe der Beitrags- und Umlageforderungen. Die Vollstreckung und Beitreibung der nach Grund und Höhe von den Betriebsprüfungsbehörden festgesetzten Forderungen bleiben den Einzugsstellen vorbehalten (vgl. SG Dresden, Urteil vom 24.10.2012 – S 18 KR 627/09 – juris Rn. 26). Diese Auffassung hat auch das BSG in seinem Urteil vom 28.05.2015 (Az: B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 20 ff) vertreten. Dieses führt aus, dass der Geltendmachung einer Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen durch Leistungs- bzw. Zahlungsbescheid ein insolvenzrechtliches Verbot der Einzelzwangsvollstreckung nicht entgegenstehe. Denn selbst wenn wegen eines solchen Verbots die Betreibung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge unzulässig sein sollte, schlägt dies jedenfalls nicht auf die Befugnis der Klägerin durch, gegenüber dem Beklagten einen Nachforderungsbescheid zu erlassen. Der Erlass eines zur Zahlung verpflichtenden Verwaltungsakts stellt als solchen noch keine Vollstreckungsmaßnahme dar. Selbst die Mahnung nach § 66 Abs. 4 Satz 2 SGB X zählt noch nicht zu den Maßnahmen der Zwangsvollstreckung, sondern geht dieser zunächst noch voraus. Der Leistungs- und Zahlungsbescheid des prüfenden Rentenversicherungsträgers nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV schafft erst die Grundlage für das Beitragsverfahren. Ob ein solcher Bescheid dann vollstreckt werden darf oder ob die zwangsweise Durchsetzung der Beitragsforderung wegen eines insolvenzrechtlichen Vollstreckungsverbots ausscheidet, ist erst auf einer späteren Ebene von den Krankenkassen (als Einzugsstellen) beim Einzug der Beiträge und hier in einem letzten, selbstständigen Verfahrensabschnitt zu prüfen, wenn die vom Arbeitgeber geschuldete Beitragssumme nicht freiwillig gezahlt wird.

Die Klage ist damit mangels erlassenem Feststellungsbescheid und durchgeführten Vorverfahren unzulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs.1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
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