S 14 KR 74/03 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KR 74/03 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 15/04 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Es wird festgestellt, daß der Antragsteller berechtigt war, die Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin zum 31.12.2003 zu kündigen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.
Streitig ist, ob der Antragsteller berechtigt war, die Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin außerordentlich zu kündigen.

Der Antragsteller war seit dem 01.12.2002 Mitglied der C L E, deren allgemeiner Beitragssatz seit dem 01.10.2002 12,9 % betrug. Deren sowie der Verwaltungsrat der O W C beschlossen im Jahre 2003 eine Fusion der beiden Kassen, aus der mit Wirkung zum 01.10.2003 die Antrags¬gegnerin hervorging. Diese setzte den für pflichtversicherte Beschäftigte geltenden allgemeinen Beitragssatz ab dem 01.10.2003 auf 14,3 % fest.

Mit am 02.10.2003 bei der Antragsgegnerin eingegangenem Schreiben kündigte der Antragsteller seine Mitgliedschaft zum 31.12.2003, woraufhin die Antragsgegnerin ihm mit nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenem Schreiben vom 13.10.2003 zwar die Kündigung bestätigte, jedoch erst zum 30.06.2004, was sie damit begründete, der Antragsteller sei an die Wahl seiner Krankenkasse entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen mindestens 18 Monate gebunden; auf den hiergegen erhobenen Widerspruch, mit welchem der Antragsteller geltend machte, aufgrund der Beitragssatzerhöhung stände ihm ein Sonderkündigungsrecht zu, erteilte die Antragsgegnerin ihm am 16.12.2003 eine berichtigte Kündigungsbestätigung mit dem Ende der Mitgliedschaft zum 31.05.2004, blieb im übrigen jedoch bei ihrer grundsätzlichen Auffassung, ein Sonderkündigungsrecht stehe dem Antragsteller nicht zu, da kein Fall einer Beitragserhöhung vorläge, vielmehr durch die aufgrund Vereinigung ins Leben gerufene Krankenkasse ein Beitragssatz originär und erstmalig festgesetzt werde, ohne daß ein Bezug zu früheren Beitragssätzen der früheren Kassen bestehe. Dabei bezog sie sich auf eine vom Bundesversicherungsamt erteilte Rechtsauskunft vom 21.08.2003.

Unter dem 22.12.2003 beantragte der Kläger beim Sozialgericht Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Ausstellung der Kündigungsbestätigung zum 31.12.2003.

II.
Der zulässige Antrag ist begründet.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG- kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1 - sog. Sicherungsanordnung -). Einstweilige Anordnungen sind ferner auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 - sog. Regelungsanordnung -). Da die Sicherungsanordnung im wesentlichen bestandschützende einstweilige Maßnahmen betrifft, war vorliegend die Regelungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig.

Sie setzt, ebenso wie die Sicherungsanordnung, die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes und Anordnungsanspruchs voraus. Anordnungsanspruch meint dabei den materiell rechtlichen Anspruch, also das Bestehen des betroffenen Rechts oder rechtlich geschützten Interesses. Ist ein solches glaubhaft gemacht, hat das Gericht bei Anwägung der für und gegen den Erlaß der einstweiligen Anordnung sprechenden Gesichtspunkte festzustellen, ob die für den Erlaß sprechenden Gründe überwiegen. Dabei ist im übrigen zu berücksichtigen, daß dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen kann; im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz -GG-) gilt dies jedoch dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines solchen Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht.

Ein derartiger Erfolg ist hier wahrscheinlich. Gemäß § 175 Abs. 4 Satz 1 des 5. Buches des Sozialgesetzbuches -SGB V- ist der Versicherungspflichtige zwar an die Wahl der Krankenkasse mindestens 18 Monate gebunden, wenn sie das Wahlrecht, wie vorliegend, ab dem 01.01.2002 ausüben. Dies gilt (§ 175 Abs. 4 Satz 4 SGB V) jedoch nicht, wenn die Krankenkasse ihren Beitragssatz erhöht, wobei gemeint sind hiermit Erhöhungen des allgemeinen Beitragssatzes. Insoweit betrug der für den Antragsteller maßgebliche Beitragssatz bei der C L E ab dem 01.10.2002 bis zum Ende des Monats September 2003 12,9 % und waren ab dem 01.10.2003 Beiträge zur Antragsgegnerin nach einem Beitragssatz von 14,3 % zu entrichten, so daß eine zum 01.10.2003 in Kraft getretene Erhöhung des Beitragssatzes festzustellen ist, aufgrund derer der Antragsteller berechtigt war, die Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin zum Ablauf des übernächsten Monats, gerechnet von dem Monat, in welchem die Kündigung erklärt wurde, zu kündigen (§ 175 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Dabei erachtet es das Gericht entgegen der vom Bundesversicherungsamt vertretenen Rechtsauffassung für unschädlich hinsichtlich der Anwendbarkeit des Sonderkündigungsrechts, daß nicht die C L E den Beitragssatz von 12,9 % auf 14,3 % angehoben hat, sondern diese auf der erstmaligen Festsetzung des Beitragssatzes für die zum 01.10.2003 ins Leben gerufene Antragsgegnerin beruht, da ein der Beitragssatzfestsetzung zugrundliegender Beschluss des Verwaltungsrates der Antragsgegnerin einem Handeln des Verwaltungsrates der nicht mehr existierenden C L E gleichsteht. Eine Vereinigung verschiedener Krankenkassen führt nämlich dazu, daß die vereinte Kasse in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkassen eintritt (§ 150 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 144 Abs. 4 Satz 2 SGB V), was bedeutet, daß auch die Mitgliedschaften Versicherungspflichtiger übergehen und bei der vereinten Kasse fortgesetzt werden. Zu Recht vertritt insoweit das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (Urteil vom 16.12.2003 - Az. L 4 KR 33/00), welcher sich das Gericht anschließt, die Auffassung, daß zwar die neue Beitragsfestsetzung Folge der Vereinigung, zugleich aber eine Änderung des Beitragssatzes mit Wirkung für das fortgesetzte Mitgliedschaftsverhältnis ist und aufgrund der Rechts- und Funktions-nachfolge die neu entstandene Krankenkasse als die gewählte Krankenkasse im Sinne des § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V anzusehen ist mit der Folge, daß sie auf Festsetzung höherer Beitragssätze das außerordentliche Kündigungsrecht gegen sich gelten lassen muß.

Der Antragsteller war somit berechtigt, zum 31.12.2003 wegen Beitragssatzerhöhung zu kündigen. Eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung einer Kündigungsbestätigung, welche im übrigen, da sie keine Regelung eines Einzelfalles im Sinne der Abgabe einer Willenserklärung darstellt, nicht als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, bedurfte es nicht, da die gerichtliche Anordnung diese ersetzt.

Der Anordnung fehlt auch nicht das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers, obwohl es sich bei der Frage, ob diesem zum 31.12.2003 eine Kündigungsbestätigung zu erteilen war, angesichts des Umstandes, daß zur Rechtswirksamkeit der Kündigung, d. h. zur Beendigung des Rechtsverhältnisses, dem Nachweis einer Mitgliedsbescheinigung einer aufnehmenden anderen Krankenkasse bedarf, nur um ein einzelnes Element des Rechtsverhältnisses handelte, da in der Hauptsache ausnahmsweise auch dies Gegenstand einer Feststellungsklage hätte sein können, da durch die Klärung der streitigen Rechtsfrage der Streit der Beteiligten im ganzen bereinigt werden würde. Der Antragsteller kann auch nicht darauf verwiesen werden, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten, da dies für ihn unzumutbar wäre. Angesichts der in § 175 Abs. 4 SGB V geregelten Abhängigkeiten, wonach die Kündigung erst wirksam wird, wenn das Mitglied innerhalb der Kündigungsfrist die Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse durch eine Mitgliedschaftsbescheinigung nachweist, für deren Erteilung wiederum die Ausstellung einer Kündigungbestätigung Voraussetzung ist, ist die Entscheidung dringlich. Insbesondere könnte bei einem Verweis auf das Hauptsacheverfahren der Antragsteller nicht die sich bis längstens gesetzlichem Ende seiner Mitgliedschaft zum 31.05.2004 entstandene Beitragsdifferenz der Krankenkasse, die er nunmehr wählen möchte und hinsichtlich derer er gehalten ist, sich unverzüglich eine Mitgliedsbescheinigung zu erlangen, im Wege des sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruches bei der Antragsgegnerin geltend machen. Ebenso wenig wie z. B. bei Streitigkeiten um Gewährung von Arbeitslosengeld das Fehlen tatsächlicher Verfügbarkeit des Arbeitslosen zur Arbeitsvermittlung durch infolge unrichtiger Sachbehandlung eines Sozialleistungsträgers verspätete Arbeitslosmeldung nicht durch eine Amtshandlung fingiert werden kann, kann vorliegend eine erst nach Kündigungsbestätigung zu erlangende Mitgliedschaftsbescheinigung der (neuen) Krankenkasse nicht zurückdatiert oder fingiert werden.
Rechtskraft
Aus
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