S 5 KR 654/04 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 654/04 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin unverzüglich eine Kündigungsbestätigung gern. § 175 Abs. 4 S. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zum 30.06.2004 auszustellen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der Ausstellung einer Kündigungsbestätigung.

Die Antragstellerin war seit 01.03.2003 Mitglied in der Taunus BKK Diese fusionierte am 01.04.2004 mit der BKK Braunschweig. aus dieser Fusion ging die Antragsgegnerin hervor. Der allgemeine Beitragssatz betrug vor der Fusion bei der BKK Taunus 12,8 % und bei der BKK Braunschweig 15,2 %. Der Beitragssatz bei der Antragsgegnerin beträgt seit dem 01.04.2004 13,8 %.

Die Antragstellerin kündigte aufgrund des höheren Beitragssatzes mit Schreiben vom 08.04.2004 die Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin zum 30.06.2004. Diese wies mit Bescheid vom 15.04.2004 die Kündigung mit der Begründung zurück, durch die Fusion der Taunus BKK mit der BKK Braunschweig sei eine neue Krankenkasse entstanden und ein neuer Beitragssatz sei festgelegt worden. Ein Sonderkündigungsrecht ergebe sich deshalb nicht. Die Antragstellerin legte dagegen Widerspruch ein, den die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2004 zurückwies. Die Antragstellerin hat am 14.06.2004 Klage erhoben und zugleich Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sie macht geltend, sie habe ein Sonderkündigungsrecht. Die Weigerung der Antragsgegnerin, ihre Kündigung zu akzeptieren und unverzüglich eine Bestätigung nach § 175 Abs. 4 S. 3 SGB V auszustellen, sei rechtswidrig. Die Antragsgegnerin berücksichtige nicht, dass das Sonderkündigungsrecht bei Beitragserhöhungen eingeführt worden sei, um den Wettbewerb der verschiedenen Krankenkassen zu erleichtern. Ob eine Beitragserhöhung vorliege oder nicht, müsse daher aus Sicht der Kassenmitglieder bestimmt werden. Danach komme es allein auf den Beitragssatz an. Ob mit der Änderung des Beitragssatzes gleichzeitig auch eine Fusion abgewickelt werde, könne keine Rolle spielen, zumal Mitglieder von Krankenkassen auf derartige Vorgänge keinerlei Einfluss hätten. Die von der Antragsgegnerin vertretene formale Sichtweise gebe ihr die Möglichkeit, den vom Gesetzgeber erwünschten Wettbewerb zu unterlaufen und zu verzerren, indem sie zunächst mit einem sehr günstigen Beitragssatz auf Kosten anderer Kassen um neue Mitglieder werbe und den Verlust dieser neuen Mitglieder bei einer wegen steigender Ausgaben nötigen Beitragserhöhung verhindere, indem sie sich zum passenden Zeitpunkt mit einer kleinen Kasse zusammenschließe. Ein Anordnungsgrund für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung liege vor, da der Antragstellerin ein Abwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar sei. Diese werde nach Lage der Dinge mehr Zeit in Anspruch nehmen, als die Antragstellerin auch nach Auffassung der Antragsgegnerin noch an die Mitgliedschaft bei ihr gebunden sei.

Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung im Sinne von § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verpflichten, der Antragstellerin unverzüglich eine Kündigungs-bestätigung zum 30.06.2004 auszustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Ansicht, es liege kein Anordnungsanspruch vor. Die Antragstellerin habe kein Sonderkündigungsrecht. Mit der Fusion der Taunus BKK und der BKK Braunschweig seien die bisherigen Krankenkassen geschlossen worden. Eine Erhöhung der bisherigen Beitragssätze sei deshalb nicht mehr möglich. Für die neu entstandene Taunus BKK sei originär und erstmalig ein Beitragssatz festgesetzt worden. Der Gesetzgeber habe absichtlich kein Sonderkündigungsrecht von Versicherten bei einer Fusion vorgesehen. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Gesetzestext. Ein Sonderkündigungsrecht sei zunächst überhaupt nicht vorgesehen gewesen; erst die Beratungen im Gesundheitsausschuss hätten zu einem solchen geführt. Die Fusion von Krankenkassen seien politisch erwünscht; sie führten zu einer Mischkalkulation der Beitragssätze. Wirtschaftlich arbeitende Kassen würden an der Fusion gehindert werden, wenn mit einer solchen ein Sonderkündigungsrecht verbunden wäre. Es entspreche der Wertung des Gesetzgebers, dass bei einer Fusion das Interesse des einzelnen Versicherten an dem Sonderkündigungsrecht gegenüber der Zielsetzung für die Allgemeinheit zurücktreten müsse. Die bisherigen entgegenstehenden Entscheidungen des LSG Sachsen-Anhalt und des SG Stuttgart entfalteten keine Bindungswirkung. Vorliegend handele es sich um eine Rechtsfrage, hinsichtlich derer verschiedene Rechtsauffassungen vertreten würden. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung existiere noch nicht. Deshalb fehle es an einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragstellerin der zu sichernde Anspruch zustehe. Darüber hinaus fehle es an einem Anordnungsgrund. Der Antragstellerin drohe kein wesentlicher Nachteil. Es gehe hier lediglich um einen finanziellen Aspekt, wobei die Nachteile nicht erheblich seien. Schließlich könnten diese auch durch die Entscheidung in der Hauptsache beseitigt werden.

Letztendlich falle auch die Interessenabwägung zugunsten der Antragsgegnerin aus. Denn sollte der Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen werden und das Hauptsacheverfahren zu ihren Gunsten entschieden werden, so sei die Antragsgegnerin zur Erstattung der möglicherweise zuviel gezahlten Beiträge verpflichtet. Ein irreversibler Schaden entstehe gerade nicht.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass die Antragstellerin einen Anordnungsgrund, also die Eilbedürftigkeit und einen Ordnungsanspruch, d.h. ein subjektives öffentliches Recht auf das begehrte Verwaltungshandeln, glaubhaft macht. Zudem darf die einstweilige Anordnung grundsätzlich nicht die endgültige Entscheidung vorwegnehmen. Es kann im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes aber ausnahmsweise erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre (vgl. Meyer-Ladewig SGG, 7. Auflage, § 86 b Rdnr. 31).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Anspruch auf Ausstellung einer Kündigungsbestätigung richtet sich nach § 175 Abs. 4 S. 3 SGB V. Nach dieser Vorschrift hat die Krankenkasse dem Mitglied unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen nach Eingang der Kündigung eine Kündigungsbestätigung auszustellen. Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 08.04.2004 ihre Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin gekündigt. Die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Ausstellung der Kündigungsbestätigung hängt davon ab, ob die Antragstellerin zur Kündigung berechtigt war. Bei der gebotenen summarischen Prüfung erscheint dies und damit ein Erfolg der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren überwiegend wahrscheinlich. Nach § 175 Abs. 4 S. 1 SGB V sind Versicherungspflichtige und Versicherungsberechtigte an die Wahl der Krankenkasse mindestens 18 Monate gebunden, wenn sie das Wahlrecht ab dem 01.01.2002 ausüben. Gern. § 175 Abs. 4 S. 5 SGB V kann die Mitgliedschaft abweichend davon bis zum Ablauf des auf das Inkrafttreten des der Beitragserhöhung folgenden Kalendermonats gekündigt werden, wenn eine Krankenkasse ihren Beitragssatz erhöht. Die Antragstellerin war zwar noch keine 18 Monate bei der Antragsgegnerin versichert, jedoch ist davon auszugehen, dass sie innerhalb der Frist des § 175 Abs. 4 S. 5 SGB V kündigen konnte. Zwar trifft es zu, dass nicht die ursprüngliche Taunus BKK mittels Satzungsänderung ihren Beitragssatz erhöht hat, sondern diese Beitragserhöhung im Zuge der Fusion zwischen der ursprünglichen Taunus BKK und der BKK Braunschweig und der hierzu neu geschaffenen Satzung erfolgt ist. Jedoch ist es überwiegend wahrscheinlich, dass das Gericht in der Hauptsache zu dem Ergebnis kommen wird, dass auch diese Konstellation von § 175 Abs. 4 S. 5 SGB V erfasst ist. Das Sonderkündigungsrecht soll nämlich Anreiz für die Krankenkasse schaffen, sich um eine möglichst wirtschaftliche Leistungserbringung und Verwaltung zu bemühen und Beitragssatzerhöhungen erst dann vorzunehmen, wenn keine andere Möglichkeit zur Deckung eines Finanzbedarfs besteht (s. hierzu Bundestagsdrucksache 14/6568, S. 6). Gleichzeitig soll dem Versicherten, der im Übrigen zunächst 18 Monate lang an die Wahl seiner Krankenkasse gebunden ist, die Möglichkeit gegeben werden, einer stärkeren finanziellen Belastung durch Beitragssatzerhöhung durch Kassenwechsel zu entgehen. Mithin waren der Schutz des Versicherten sowie Gesichtspunkte des Wettbewerbs Hintergrund für die gesetzliche Regelung. Diese Ziele würden jedoch umgangen, wenn eine Beitragssatzerhöhung im Zuge einer Fusion nicht zu einem Sonderkündigungsrecht führte. Auch in einem solchen Fall ist der Versicherte einer höheren finanziellen Belastung ausgesetzt und die neue Krankenkasse sollte sich dem Wettbewerb stellen müssen. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich somit, dass auch die hier vorliegende Beitragsatzerhöhung aufgrund Fusion von der Regelung umfasst werden sollte. Hierfür spricht auch der bei Betriebskrankenkassen gern. § 150 Abs. 2 SGB V anwendbare § 144 Abs. 4 SGB V, nach dem eine Vereinigung von Krankenkassen dazu führt, dass mit dem Zeitpunkt des Entstehens die bisherigen Krankenkassen geschlossen sind und die neue Krankenkasse in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkasse eintritt. Das Gesetz geht mithin davon aus, dass durch die Fusion zweier Krankenkassen keine Rechte des Versicherten verloren gehen sollen und er nicht schlechter gestellt werden soll als vorher. Dieser Gedanke liefe aber zuwider, dem Versicherten bei einer Beitragssatzerhöhung seiner nichtfusionierenden Krankenkasse ein Kündigungsrecht einzuräumen und bei einer Beitragssatzerhöhung im Zuge einer Fusion nicht. Der Versicherte wäre dann alleine wegen der Fusion benachteiligt (vgl. SG Stuttgart vom 28.10.2003, Az.: S 4 KR 5695/03; LSG Sachsen-Anhalt vom 16.12.2003, Az.: L 4 KR 33/00).

Auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist überwiegend wahrscheinlich. Zwar drohen der Antragstellerin keine erheblichen finanziellen Verluste, wenn sie weiterhin Mitglied bei der Antragsgegnerin ist. Finanzielle Nachteile ergeben sich lediglich in Höhe von der von ihr zu tragenden Beitragsdifferenz zwischen den Beiträgen bei der Antragsgegnerin und den Beiträgen bei der Krankenkasse, die sie ansonsten wählen würde. Dieser Nachteil ist in der monatlichen Belastung nicht schwerwiegend und unabhängig von der Verfahrensdauer auf den Zeitraum bis zu dem die Mitgliedschaft ordentlicher Kündigung beendet werden kann, begrenzt. Denn spätestens nach Ablauf von 18 Monaten seit Beginn der Mitgliedschaft kann die Antragstellerin gern. § 175 Abs. 4 S. 1 SGB V ihr Wahlrecht erneut ausüben. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich jedoch daraus, dass nicht abzusehen ist, dass die Antragstellerin diese Beitragsdifferenz nachträglich von der Antragsgegnerin erstattet bekommt. Zwar sieht § 26 Abs. 2 SGB IV einen Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge vor. Die Beitragszahlungen der Antragstellerin an die Antragsgegnerin wären jedoch nicht zu Unrecht, da die Antragstellerin ohne Ausstellung einer Kündigungsbestätigung durch die Antragsgegnerin weiterhin Mitglied bei der Antragsgegnerin wäre und deshalb Beiträge zahlen müsste. Nach § 175 Abs. 4 S. 4 SGB V wird die Kündigung nämlich erst wirksam, wenn das Mitglied innerhalb der Kündigungsfrist eine Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse durch eine Mitgliedsbescheinigung nachweist. Eine solche erhält die Antragstellerin gern. § 175 As. 2 S. 2 SGB V jedoch nur dann, wenn sie eine Kündigungsbestätigung vorlegen kann.

Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruches nach § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist deshalb zweifelhaft, weil ein solcher ein Verschulden voraussetzt. Eine unrichtige Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung ist jedoch nur dann vorwerfbar, wenn sie gegen den klaren, bestimmten, unzweideutigen Wortlaut einer Vorschrift oder gegen höchstrichterliche Rechtsprechung verstößt (vgl. Thomas in Palandt 62. Auflage, § 893 Rdnr. 53). Die Frage, ob ein Sonderkündigungsrecht auch bei einer Beitragserhöhung nach einer Fusion besteht, ist höchstrichterlich nicht geklärt. Diese Frage lässt sich auch nicht eindeutig aufgrund des Gesetzeswortlauts beantworten. Gegen ein schuldhaftes Verhalten würde auch sprechen, dass auch das Bundesversicherungsamt die Rechtsansicht der Antragsgegnerin teilt. Ebenso wie der Amtshaftungsanspruch setzt auch die Haftung aus einem verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnis ein Verschulden voraus (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auflage S. 734). Des weiteren bestehen Bedenken, dass die Erstattung der Beitragsdifferenz Rechtsfolge eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sein kann.

Neben dem finanziellen Nachteil entsteht der Antragstellerin auch insofern ein Nachteil, der in der Hauptsache nicht mehr behoben werden kann, als sie ihr gesetzlich vorgesehenes Wahlrecht nicht ausüben und gegen ihren Willen zunächst Mitglied bei der Antragsgegnerin bleiben muss. Schließlich steht hier auch nicht die Vorwegnahme der Hauptsache dem Erlass der einstweiligen Anordnung entgegen. Im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes kann es ausnahmsweise erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für die Antragstellerin unzumutbar wäre. Wie dargelegt, ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin ihre mit der Kündigung verbundenen Ziele (Zahlung niedrigerer Beiträge, Wechsel der Krankenkasse) noch nachträglich geltend machen kann. Im Hinblick auf Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz ist es deshalb zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes notwendig, die Antragsgegnerin zur Erteilung der Kündigungsbestätigung zu verpflichten. Die Entscheidung in der Hauptsache würde nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät kommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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