S 27 R 1951/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 27 R 1951/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für eine Tätigkeit als Referentin einer Versicherung umstritten.

Die am 00.00.1975 geborene Klägerin ist Volljuristin und als selbständige Rechtsanwältin mit eigenem Kanzleisitz tätig. Sie ist seit dem 03.03.2005 Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer L und Pflichtmitglied im beigeladenen Versorgungswerk der Rechtsanwälte. Neben der selbständigen Anwaltstätigkeit war sie zudem ab dem 01.11.2004 abhängig bei der A Versicherung beschäftigt und für diese Beschäftigung von der Beklagten mit Bescheiden vom 01.02.2006 und 07.07.2010 von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit worden. Nach Beendigung dieser Beschäftigung nahm sie zum 01.10.2011 eine Tätigkeit als Referentin in der Organisationseinheit Haftpflicht-, Unfall-, KR-Schaden, Sach-Massenschaden, Gruppe Artzhaftlichtschaden bei der F Versicherungsgruppe AG auf und beantragte am 09.11.2011 bei der Beklagten, ebenfalls für diese Tätigkeit von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit zu werden. Nach einer Stellenbeschreibung ihres Arbeitgebers ist sie als Volljuristin in der Abteilung Arzthaftpflichtschaden beschäftigt und sowohl rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd tätig; sie bearbeite sämtliche Schäden, die ihr zugeteilt würden, und habe den Fachanwaltslehrgang Medizinrecht erfolgreich abgeschlossen. Sie trete nach außen als Entscheidungsträgerin auf und treffe nach außen hin verbindliche Entscheidungen. Sie unterbreite Vergleichsangebote und berate den jeweiligen Versicherungsnehmer in haftpflichtrechtlichen Angelegenheiten. Auch halte sie Vorträge vor größeren Personengruppen im Rahmen interner und externer Schulungen.

Mit Bescheid vom 20.02.2012 lehnte die Beklagte die Befreiung der Klägerin von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für ihre Tätigkeit bei der F Versicherungsgruppe AG ab. Die Klägerin übe dort keine typische anwaltliche Berufstätigkeit aus. Eine typische anwaltliche Tätigkeit übe nur derjenige aus, der auf den Tätigkeitsfeldern Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung tätig werde. Das treffe auf die Klägerin nicht zu. Sie sei nicht rechtsentscheidend tätig, vor allem weil sie nur weisungsgebunden tätig werde. Auch rechtsgestaltend sei sie nicht tätig, da sie nicht eigenständig Vertrags- und Einigungsverhandlungen führe. Auch setze die Tätigkeit der Klägerin nicht zwingend voraus, dass sie Volljuristin sei. Die Klägerin widersprach und machte geltend, ihre Tätigkeit erfülle die Voraussetzungen einer anwaltlichen Tätigkeit, die die Beklagte in vergleichbaren Fällen fordere. Sie sei insbesondere auch rechtsentscheidend tätig, vornehmlich weil sie nach außen wirksam als Entscheidungsträgerin mit eigener Entscheidungskompetenz auftrete und nach Prüfung der Deckungs- und Haftungssituation sowie der Prozessaussichten die gesamte außergerichtliche Korrespondenz fertige. Die Befreiung setze auch nicht voraus, dass die Beschäftigung eine Qualifikation als Volljuristin voraussetze, was im Übrigen aber in ihrem Fall auch gegeben sei. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2012 zurück. Das von der Klägerin geschilderte Aufgabenspektrum entspreche einer qualifizierten Sachbearbeitung, bei der die Schadensregulierung im Vordergrund stehe; diese Tätigkeit setzte nicht zwingend die Qualifikation als Volljuristin voraus.

Mit ihrer am 17.09.2012 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt.

Sie ist weiterhin der Auffassung, einen Anspruch auf Befreiung für ihre anwaltliche Tätigkeit bei der F Versicherungsgruppe AG zu haben. Eine Rechtsanwältin könne auch in einem Unternehmen arbeiten, wie die Regelung in § 46 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) belege. Das treffe auf sie zu, sie erfülle auch die von der Beklagten für die Befreiung geforderten 4 Kriterien, die vor dem Hintergrund der nicht mehr einheitlichen anwaltlichen Berufsbildes aber auch nicht überspannt werden dürften. Sie sei sie insbesondere auch rechtsgestaltend tätig, sie führe eigenständig Vergleichsverhandlungen. Soweit die Beklagte meine, für diese Tätigkeit sei keine Ausbildung als Volljuristin erforderlich, treffe das nicht zu; dies sei aber ohnehin kein Ausschlusskriterium für eine Befreiung. Im Übrigen genieße sie aber auch Bestandsschutz, weil ihre jetzige Tätigkeit der zuvor bei der A Versicherung ausgeübten entspreche, für die die Beklagte sie von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit habe.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid der Beklagten vom 20.02.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2012 aufzuheben und sie für ihre anwaltliche Tätigkeit bei der F Versicherungsgruppe AG gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI) von der Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung zu befreien,

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die getroffene Entscheidung weiterhin für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie schließt sich inhaltlich den Ausführungen der Klägerin an. Im Übrigen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstandes auf die Gerichts- und von der Beklagten beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

Das Gericht konnte eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen, weil die Beteiligten hiermit einverstanden waren, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 20.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2012 beschwert die Klägerin nicht nach § 54 SGG. Diese Bescheide sind rechtmäßig, weil die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für ihre seit dem 01.10.2011 ausgeübte Beschäftigung bei der F Versicherungsgruppe AG hat. Dies folgt aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Danach werden von der Versicherungspflicht Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit befreit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 01.01.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,

a) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und b) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.

Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Wegen der in Streit stehenden Tätigkeit ist die Klägerin nicht Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer. Bereits nach dem Wortlaut von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist eine Befreiung aber nur für die Tätigkeit möglich, wegen der eine Pflichtmitgliedschaft zu einer berufsständischen Kammer besteht. Diese Voraussetzung ist anhand der jeweils maßgeblichen kammerrechtlichen Normen zu prüfen (BSG, Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 3/11 R, Rn. 34 bei Juris). Eine (Pflicht-)Mitgliedschaft zur Rechtsanwaltskammer besteht nach § 60 Abs. 1 Satz 2 BRAO aber nur für - erstens - die Rechtsanwälte, die - zweitens - von der Kammer zugelassen oder aufgenommen worden sind, und Rechtsanwaltsgesellschaften, die im Bezirk des Oberlandesgerichts ihren Sitz haben. Beide Voraussetzungen erfüllt die Klägerin mit ihrer abhängigen Beschäftigung als Mitarbeiterin der F Versicherungsgruppe AG, für die sie allein die Befreiung begehrt, nicht. Sie ist insoweit bereits nicht als Rechtsanwältin tätig. Nach der vom Bundesgerichtshof (BGH) in Anwaltssachen zu den Syndikusanwälten vertretenen Zwei-Berufe-Theorie entspricht die Tätigkeit eines Syndikusanwaltes für seinen Dienstherrn nicht dem anwaltlichen Berufsbild, wie es in der Vorstellung der Allgemeinheit besteht, nämlich dem des unabhängigen freiberuflich tätigen Rechtsanwaltes, sondern unterliegt dem Prinzip der Über- und Unterordnung. Ein Syndikusanwalt wird innerhalb seines festen Beschäftigungsverhältnisses nicht anwaltlich tätig (vgl. BGH, Urteil vom 25.02.1999 - IX ZR 384/97 = BGHZ 141/69; Beschluss vom 07.02.2011 - AnwZ (B) 20/10; Beschluss vom 18.06.2001 - AnwZ (B) 41/00; Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Auflage, § 46 Rn. 3), was erst recht für andere Beschäftigungsverhältnisse bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber gilt. Diese Überlegungen beantworten gleichermaßen die hier zu entscheidende Frage, ob eine für die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung erforderliche berufsgrup-penspezifischen Tätigkeit gegeben ist (LSG NRW, Urteil vom 19.03.2004 - L 4 RA 12/03; Hauck/Haines-Fichte, SGB VI, § 6 Rn. 64f" der zutreffend erwähnt, dass es sich bei der berufsständischen Altersversorgung der Anwaltschaft um keine "Juristenversorgung", sondern um eine Anwaltsversorgung handelt). Dafür spricht der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung. Für das Gericht ist kein Grund ersichtlich, warum die Frage nach dem Vorliegen einer anwaltlichen Tätigkeit im Bereich des Sozialversicherungsrechts anders beantwortet werden sollte, als im anwaltlichen Berufsrecht.

Die Rechtsprechung zur Zwei-Berufe-Theorie ist entgegen anderslautender Meinungen in der Literatur auch noch aktuell, sie gilt ferner ausnahmslos. Beides hat der BGH in seiner jüngsten Entscheidung aus 2011 betont: "Nach gefestigter Rechtsprechung zu dem Tätigkeitsbild des Rechtsanwalts nach der Bundesrechtsanwaltsordnung wird derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber steht (Syndikus), in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig". Gegen die Zwei-Berufe-Theorie kann auch nicht eingewandt werden, dass ebenfalls ein Rechtsanwalt in abhängiger Beschäftigung tätig werden kann. Denn eine solche abhängige Rechtsanwaltstätigkeit bei einem anwaltlichen Arbeitgeber ist mit der eines Syndikus, der bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber tätig ist, nicht vergleichbar, weil zum Einen die abhängige Anwaltstätigkeit weitestgehend durch die jeweiligen Mandatsverhältnisse - und nicht durch Weisungen des Arbeitsgebers - geprägt ist, zum Anderen der Arbeitgeber des abhängig beschäftigten Rechtsanwaltes dem Standesrecht der Rechtsanwälte unterliegt, was auf den nicht-anwaltlichen Arbeitgeber nicht zutrifft. Aus diesen Gründen folgt die Kammer auch nicht der von den Beteiligten vertretenen Auffassung, eine berufsgruppenspezifische Tätigkeit als Anwalt übe auch der bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber Beschäftigte aus, soweit diese Beschäftigung anwaltstypisch wäre und die hierzu gefundenen Kriterien der Rechtsberatung, Rechtgestaltung, Rechtsvermittlung und Rechtsentscheidung erfülle (hierzu auch Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Auflage, § 46 Rn. 3).

Die Klägerin erfüllt mit ihrer abhängigen Beschäftigung bei der F Versicherungsgruppe AG aber auch nicht die zweite Voraussetzung der Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer; sie kann allein für diese Tätigkeit nicht von der Kammer zugelassen werden. Die Zulassung setzt nach § 27 BRAO grundsätzlich voraus, dass der Rechtsanwalt eine Kanzlei einrichtet und unterhält; enge Ausnahmen von der Kanzleipflicht enthalten lediglich die hier nicht einschlägigen Regelungen in § 29 BRAO (im Interesse der Rechtspflege oder zur Vermeidung von Härten) und § 29a BRAO (für Kanzleien in anderen Staaten). Diese Kanzleipflicht erfüllt ein Beschäftigter, der wie die Klägerin bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber tätig ist, nicht (so auch: LSG Hamburg, Urteil vom 27.06.2006 - L 3 RA 37/04). Deswegen hat die Klägerin für die Zulassung als Rechtsanwältin auch eine selbständige Rechtsanwaltstätigkeit mit eigener Kanzlei aufgenommen.

Auch erstreckt sich die für die selbständige Rechtsanwaltstätigkeit erfolgte Zulassung nicht auf die hier zu beurteilende Tätigkeit bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber. Für eine Erstreckung gibt die BRAO nichts her, dort ist nicht geregelt, dass für eine solche Tätigkeit bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber auch Pflichtmitgliedschaft besteht. Das kann insbesondere nicht aus der Regelung in § 46 BRAO geschlossen werden. Danach darf ein Rechtsanwalt für einen Auftraggeber, dem er aufgrund eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und -kraft zur Verfügung stellen muss, vor Gerichten oder Schiedsgerichten nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig werden. Auch soweit der Syndikus in dieser Vorschrift als Rechtsanwalt bezeichnet wird, liegt ihr der Grundsatz der Zwei-Berufe-Theorie zu Grunde, dass der Syndikusanwalt innerhalb seines festen Beschäftigungsverhältnisses gerade nicht anwaltlich tätig wird (BGH, Beschluss vom 18.06.2001 -AnwZ (B) 41/00 und Beschluss vom 07.02.2011 -AnwZ (B) 20/10, jeweils mit ausführlicher Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens). Ferner ist der Rechtsanwalt verpflichtet, seine abhängige Beschäftigung bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber der Rechtsanwaltskammer anzuzeigen, die eine Vereinbarkeit mit der im Nebenberuf selbständig ausgeübten Anwaltstätigkeit prüft und eine unbedingte Freistellung für die im Nebenberuf ausgeübte selbständige Anwaltstätigkeit verlangt, was nicht erforderlich wäre, wenn die Tätigkeit beim nicht-anwaltlichen Arbeitgeber eine Anwaltstätigkeit wäre.

Schließlich kann eine einmal ausgesprochene Zulassung allein durch die abhängige Beschäftigung beim nicht-anwaltichen Arbeitgeber auch nicht aufrecht erhalten werden. Denn ein Beschäftigtereines nicht-anwaltlichen Arbeitgebers müsste bei Nichterfüllung der Kanzleipflicht den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft besorgen (Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Auflage, § 27 Rn. 4). Er muss insoweit zur Aufrechterhal-tung der Zulassung in seiner nebenberuflich ausgeübten Rechtsanwaltstätigkeit eine Kanzlei unterhalten. Wie dieser Kanzleipflicht Genüge getan wird, ist aber unerheblich. Er kann eines sog. "Wohnzimmerkanzlei" unterhalten, also ein Kanzleischild am Wohnsitz anbringen und eine separate Telefonnummer unterhalten. Denkbar ist es aber auch, diese im Rahmen der selbständigen Tätigkeit unterhaltene Kanzlei am Ort der Beschäftigung beim nicht-anwaltlichen Arbeitgeber einzurichten. Ohne Kanzlei aber besteht keine dauerhafte Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer. Dann aber ist die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer nur wegen der im Nebenberuf ausgeübten selbständigen Rechtsanwaltstätigkeit (mit Kanzlei) gegeben und nicht für die hier allein in Streit stehende abhängige Beschäftigung beim nicht-anwaltlichen Arbeitgeber.

Neben dem Wortlaut ("wegen der") streiten auch die Gesetzgebungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Vorschrift für das hier gefundene enge Auslegungsergebnis, dass eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nur für bei einem anwaltlichen Arbeitgeber beschäftigte Rechtsanwälte möglich ist. Der Gesetzgeber hat die Befreiungsvoraussetzungen aus § 6 SGB VI in der Vergangenheit enger gezogen, u.a. indem er als weitere Befreiungsvoraussetzung die gleichzeitige Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer in das Gesetz aufgenommen hat (vorher genügte die Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk). Hiermit beabsichtigte er, dem Ausufern der Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht wegen Mitgliedschaft in einer Versorgungseinrichtung entgegenzuwirken (BT-Drs. 13/2590, 18). Das aber spricht entscheidend dafür, dass die Befreiung nur für die Tätigkeit gilt, für die auch die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Kammer besteht - und das kann nur eine selbständige Rechtsanwaltstätigkeit oder eine solche, die bei einem anwaltlichen Arbeitgeber in abhängiger Beschäftigung verrichtet wird. Zudem ging es dem Gesetzgeber mit dem Befreiungsrecht darum, ein Auseinanderfallen der Altersversorgung zu vermeiden, das man hätte, wenn der zunächst abhängig Beschäftigte (hier: Rechtsanwalt) später selbständig tätig wird. Ohne Befreiungsmöglichkeit müsste der abhängig Beschäftigte gesetzliche Rentenversicherungsbeiträge entrichten und hätte dann für die Zeit der abhängigen Beschäftigung Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Beginn der selbständigen Tätigkeit wäre er aber nur gegenüber dem Versorgungswerk verpflichtet und würde dann für diese Zeit hieraus versorgt; er hätte also ohne Befreiungsmöglichkeit Ansprüche aus zwei Versorgungssystemen (s. dazu: Hauck/Haines-Fichte, SGB VI, § 6 Rn. 22). Dieser typische Weg von zunächst nur vorübergehend ausgeübter abhängiger Beschäftigung und späterer Selbständigkeit besteht aber nicht, soweit eine Tätigkeit bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber ausgeübt wird; eine solche Tätigkeit wird regelmäßig auch nicht in Vorbereitung auf eine spätere Selbständigkeit ausgeübt. Auch das spricht dafür, die Befreiung auf die eigentliche Rechtsanwaltstätigkeit zu beschränken. Letztlich gilt auch nichts anderes, soweit die Klägerin wegen der zuvor ausgesprochenen Befreiung für ihre vergleichbare Tätigkeit bei der A Versicherung Bestandsschutz geltend macht. Die Klägerin beruft sich zu Unrecht auf Bestandsschutz, weil eine Befreiung immer nur für die jeweilige Beschäftigung, für die sie ausgesprochen wird, gilt. Denn Anknüpfungstatsache für die Befreiung ist immer die jeweilige Beschäftigung, weswegen die Befreiungsentscheidung nicht umfassend gilt und bereits mit dem Wechsel des Arbeitgebers endet (BSG, a.a.O., Rn. 16ff. bei Juris). Das belegt auch der Befreiungsbescheid vom 01.02.2006, auf den sich die Klägerin beruft. Dieser befreit nur für die Tätigkeit bei der A Versicherung AG - und enthält keine Entscheidung für vergleichbare Tätigkeiten bei anderen Arbeitgebern.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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