S 8 RA 124/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 8 RA 124/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 RA 11/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 103/00
Datum
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.04.1998 verurteilt, dem Kläger die für die Zeit vom 01.10.1961 bis 31.03.1963 und die Zeit vom 01.10.1964 bis 31.07.1965 nachentrichteten freiwilligen Beiträge zurückzuerstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erstattung nachgezahlter freiwilliger Beiträge.

Auf den im Dezember 1980 gestellten Antrag des Klägers ließ die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 21.01.1981 nach Artikel 2 § 49a Abs. 2 Angestelltenversicherungsneuregelungsgesetz (AnVNG) zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für den Zeitraum vom 01.01.1957 bis 31.12.1965, vom 01.01.1966 bis 31.08.1966 und 01.04.1967 bis 30.09.1967 zu. In der Folgezeit wurden die Nachzahlungen von dem Kläger ordnungsgemäß entrichtet.

Anläßlich einer im April 1997 vom Kläger beantragten Kontenklärung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 27.08.1997 u.a. die Zeiträume vom 01.10.1961 bis 31.03.1963 und vom 01.10.1964 bis zum 31.07.1965 als Anrechnungszeit wegen Ausbildung fest.

Im November 1997 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstattung derjenigen nachgezahlten freiwilligen Beiträge, die auf die Zeiten entfallen, die nunmehr als Anrechnungszeit wegen Ausbildung zu berücksichtigen sind. Mit Bescheid vom 22.12.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.04.1998 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Nachentrich-tungsvorschriften des Artikels 2 § 49a AnVNG würden keine Regelung enthalten, die eine Erstattung der nach dieser Vorschrift nachentrichteten freiwilligen Beiträge ermöglichten, die mit einer an¬rechenbaren Zeit der schulischen Ausbildung zusammentreffen. Auch enthielten die allgemeinen Erstattungsvorschriften des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) keinerlei Regelungen über eine mögliche Erstattung von solchen freiwilligen Beiträgen neben einer Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung, die nicht nach § 207 Abs. 1 SGB VI gezahlt wurden. Die Erstattungsvorschrift des § 207 Abs. 3 SGB VI sei hier nicht anwendbar, da diese sich nur auf die Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen für Ausbildungszeiten gemäß 5 207 Abs. 1 SGB VI beziehe.

Hiergegen hat der Kläger am 08.05.1998 Klage erhoben. Zur Begründung beruft er sich auf das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Er ist der Ansicht, die Beklagte habe pflichtwidrig gehandelt, in dem sie es unterlassen habe, den Kläger vor der Nachentrichtung darüber aufzuklären, dass er die Beiträge nicht zurückerstattet erhalten würde, falls nachträglich doch noch eine entsprechende Anrechnung von Lebensabschnitten erfolgen würde. Er behauptet, dass er bei Erhalt eines entsprechenden Hinweises auf die Nachentrichtung der freiwilligen Beiträge verzichtet hätte. Darüber hinaus hätte er auch dann auf die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge verzichtet, wenn er anläßlich seines Nachentrichtungsantrages zumindest den Hinweis erhalten hätte, dass eine Aussage über eine eventuelle Rückerstattung bei späterer Anrechnung der entsprechenden Zeiten zur Zeit noch nicht getroffen werden könne.

Der Kläger beantragt,

Die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.04.1998 zu verurteilen, dem Kläger die für die Zeit vom 01.10.1961 bis 31.03.1963 und die Zeit vom 01.10.1964 bis zum 31.07.1965 nachentrichteten freiwilligen Beiträge zurückzuerstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig. Sie ist der Ansicht, eine Beratung in der Art, wie sie vom Kläger angeführt worden sei, sei in den Jahren 1973 bis 1981 nicht angezeigt gewesen, da damals nicht vorhersehbar gewesen sei, wie sich die Rechtslage entwickeln würde und ob in diesem Falle die Zeiten der nicht abgeschlossenen Hochschulausbildung jemals anrechenbar sein könnten.

Hinsichtlich des Sachverhalts im einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten. Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22.12.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.04.1998 ist rechtswidrig, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der für die Zeit vom 01.10.1961 bis 31.03.1963 und die Zeit vom 01.10.1964 bis 31.07.1965 nachentrichteten freiwilligen Beiträge. Rechtsgrundlage hierfür ist das von der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit entwickelte Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.

Dieses ist auf die Vornahme der notwendigen Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger seine aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenden Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Grundlage dieses Anspruchs ist § 14 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Danach hat jeder Anspruch auf Beratung und Belehrung über seine Rechte und Pflichten nach dem Gesetz.

Das Unterlassen eines Hinweises während des Nachzahlungsverfahrens (Ende 1980 bis Anfang 1981), mit dem der Kläger darüber informiert worden wäre, dass gegenwärtig keine Aussage darüber getroffen werden könne, ob er die Nachentrichtungsbeiträge bei einer eventuellen, aufgrund Gesetzesänderungen erfolgenden späteren renten-rechtlichen Berücksichtigung der entsprechenden Ausbildungszeiten wieder erstattet erhalten würde, stellt einen Beratungsmangel der Beklagten dar; damit liegt eine Pflichtverletzung der Beklagten im Sinne des sozialrechtlichen Anspruchs vor.

Die Pflicht der Beklagten zur Erteilung des obigen Hinweises wurde durch den im September 1980 gestellten Antrag des Klägers auf Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge ausgelöst. Der auf die Erteilung des obigen Hinweises gerichtete Umfang der Beratungspflicht der Beklagten ergibt sich dabei daraus, dass der Versicherungsträger bei Vorliegen eines konkreten Anlasses gehalten ist, auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt werden (so auch Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 22.10.1996 SozR 3 1200, § 14 Nr. 22 m.w.N.). Diese Hinweispflicht erstreckt sich auch auf das Fehlen von Gestaltungsmöglichkeiten, bei denen ein verständiger Versicherter ohne entsprechende Aufklärung - irrtümlich - davon ausgehen muss, dass diese ihm als offensichtlich zweckmäßig jedenfalls zur Verfügung stehen. Eine solche offensichtlich zweckmäßige Gestaltungsmöglichkeit stellt die Möglichkeit dar, bei entsprechender späterer Anrechnung von Ausbildungszeiten die für denselben Zeitraum bereits nachentrichteten freiwilligen Beiträge auf Antrag zurückerstattet zu erhalten.

Der Annahme eines solchen Umfanges der Beratungspflicht der Beklagten steht auch nicht entgegen, dass entsprechend dem Vortrag der Beklagten in den Jahren 1973 bis 1981 nicht vorhersehbar gewesen sein mag, wie sich die Rechtslage entwickeln würde und ob in diesem Falle die Zeiten der nicht abgeschlossenen Hochschulausbildung jemals anrechenbar sein könnten. Insoweit kann sich die Beklagte nicht erfolgreich darauf berufen, dass für sie nach der damaligen Rechtslage kein Anlass zu einer entsprechenden Beratung bestanden hat. Die hier angenommene Beratungspflicht der Beklagten bezieht sich nämlich gerade darauf, den Versicherten (hier: dem Kläger) einen solchen Hinweis über die mangelnde Vorhersehbarkeit der weiteren Entwicklung der Rechtslage zu erteilen.

In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob das Unterlassen der entsprechenden Hinweiserteilung der Beklagten auch subjektiv vorwerfbar ist; der sozialrechtliche Herstellungsanspruch stellt nämlich allein auf die objektiv richtige Rechtslage ab (ebenso LSG NW, Urteil vom 26.03.1993, Az: L 4 J 102/92).

Auch die weitere Voraussetzung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, wonach der Beratungsfehler des Versicherungsträgers zumindest als wesentliche Ursache für das Entstehen der ausgleichsbedürftigen Situation (hier: Zahlung von freiwilligen Nachentrichtungsbeiträgen trotz zum Zeitpunkt der Nachentrichtung unklarer Rechtslage über eine entsprechende Rückerstattung bei nachträglicher Anrechnung der betroffenen Zeiten) anzusehen sein muss, liegt vor. Aufgrund des glaubhaften Vortrages des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist nämlich davon auszugehen, dass dieser, hätte er Ende 1980, bzw. Anfang 1981 Kenntnis von diesen Entwicklungsmöglichkeiten der Rechtslage gehabt, auf die Nachentrichtung der freiwilligen Beiträge für die Zeiten verzichtet hätte, in denen er eine Ausbildung absolviert hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf S§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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