L 8 SO 63/19

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 10 SO 11/18
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 63/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nach dem Wegfall der Pflegestufe "0" ist der Bedarf an körperbezogenen Pflegemaßnahmen in Erweiterung des Regelsatzes nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII zu decken, um das menschenwürdige Existenzminimum des Betroffenen zu gewährleisten.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 7. Mai 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Auf die Anschlussberufung wird festgestellt, dass der Klägerin seit dem 1. Juli 2017 in Erweiterung des Regelsatzes bezogen auf die Abteilung 6 aufgrund des § 5 Abs. 1 RBEG weitere 35,00 EUR monatlich an Leistungen für die Gesundheitspflege zu gewähren sind.

II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge dem Grunde nach zur Hälfte zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen der Hilfe zur Pflege auch für die Zeit ab Juli 2017.

Die 1940 geborene Klägerin ist ukrainische Staatsbürgerin. Sie siedelte im Mai 2005 in die Bundesrepublik Deutschland über und ist Inhaberin einer Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Sie erhält seither von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. In ihrer Wohnung lebt sie allein. Bei den täglichen Verrichtungen erhält sie Hilfe von ihrem Neffen und dessen Ehefrau. Die Klägerin bezieht Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 264 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Sie ist nicht Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung. Die Leistungen erfolgen gegen Erstattung.

Am 24. November 2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, ihr Leistungen der Hilfe zur Pflege zu gewähren. Daraufhin fertigte das Gesundheitsamt der Beklagten am 22. Dezember 2009 ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit der Klägerin an. Dabei wurde ein Zeitaufwand von fünf Minuten täglich für die Grundpflege ermittelt und ein solcher für die hauswirtschaftliche Versorgung von 40 Minuten täglich. Auf dieser Grundlage bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen der Hilfe zur Pflege ab Januar 2012 in Höhe von zuletzt 97,60 EUR monatlich (Bescheide vom 6. Januar 2012 und 30. Januar 2015). Da die Klägerin mit einem Grundpflegebedarf von fünf Minuten täglich nur leicht pflegebedürftig sei, werde sie der sogenannten Pflegestufe "0" zugeordnet (Bezug: 40 % des Pflegebedarfs der Pflegestufe I).

Nachdem das Dritte Pflegestärkungsgesetz (PSG III) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I, Seite 3191) zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten war, veranlasste die Beklagte eine Begutachtung der Klägerin nach dem neuen Begutachtungsinstrument. Im Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 20. Juni 2017 wurden folgende pflegebegründende Diagnosen festgestellt:

- nachlassende körperliche Kräfte im Alter - Sehminderung beidseits - Bluthochdruck - Harnteilinkontinenz - Zustand nach Basalzellkarzinomentfernung im Bereich des Kopfes.

Die Versorgungssituation wurde wie folgt beschrieben: Der Neffe helfe der Klägerin an vier Tagen pro Woche nachmittags bei der Haushaltsführung. Dessen Ehefrau unterstütze an einem Tag pro Woche bei körperbezogenen Maßnahmen sowie an vier Tagen pro Woche nachmittags bei der Haushaltsführung.

Die Summe der gewichteten Punkte betrage "0". Es bestehe kein Pflegegrad.

Darauf hin erging der Aufhebungsbescheid vom 26. Juni 2017. Nachdem die Klägerin keinem Pflegegrad zuzuordnen sei, sei die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege aufzuheben zum 1. Juli 2017. Die Beklagte kündigte an, wegen dieser Entscheidung den Bedarf der Klägerin an Hauswirtschaftshilfe und/oder Essen auf Rädern von Amts wegen zu prüfen.

In ihrem Widerspruch vom 18. Juli 2017 führte die Klägerin aus, dass der MDK den Pflegebedarf unzureichend festgestellt habe. Ihr Neffe habe den Pflegebedarf durch ein EDV-Programm ermittelt. Demnach sei die Klägerin bei 68,75 gewichteten Punkten dem Pflegegrad III zuzuordnen.

Darauf hin erstellte der MDK auf Bitte der Beklagten das weitere Pflegegutachten vom 2. November 2017. Demnach erfolge das Treppensteigen überwiegend selbständig (ein Einzelpunkt). Ferner könne die Klägerin das Duschen und Baden überwiegend selbständig ausführen (ein Einzelpunkt). Im Ergebnis seien keine gewichteten Punkte zu verzeichnen, weshalb die Klägerin keinem Pflegegrad zuzuordnen sei.

Die Beklagte erließ sodann den Widerspruchsbescheid vom 5. Januar 2018. Nachdem kein pflegerischer Bedarf nach § 63a Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) festzustellen sei, könnten Leistungen der Hilfe zur Pflege nicht mehr gewährt werden. Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung sei § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach sei ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Bei dem zum 1. Januar 2017 in Kraft getretenen PSG III handele es sich um eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse. In Folge dessen bestehe für die Klägerin kein Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege mehr.

Bereits zuvor, durch Hausbesuch am 19. Dezember 2017, hatte die Beklagte den Bedarf der Klägerin an Hilfen im hauswirtschaftlichen Bereich auf 2,5 Stunden pro Woche eingeschätzt. Auf dieser Grundlage erging der Bescheid vom 5. Februar 2018. Die Beklagte erweiterte den Regelsatz der Klägerin mit Wirkung ab dem 1. Juli 2017 um 65,00 EUR monatlich für derartige Leistungen der Hauswirtschaftshilfe (berechnet wie folgt: 2,5 Stunden wöchentlich x 6,00 EUR pro Stunde für Leistungen durch Familienangehörige x 52 Wochen / 12 Monate). In ihrem Widerspruch vom 7. März 2018 teilte die Klägerin mit, dass sich ihr Bedarf an Hauswirtschaftshilfe auf vier Stunden wöchentlich belaufe, ohne dass sie dies näher begründet hätte. Die Beklagte prüfte den Vortrag der Klägerin nochmals durch ihren Sachbereich "Pflege". Aufgrund der Stellungnahme dieses Sachgebiets vom 13. März 2018 erließ die Beklagte sodann den Widerspruchsbescheid vom 27. April 2018. Ein höherer zeitlicher Bedarf sei nicht festzustellen. Dabei habe die Beklagte die im Widerspruch der Klägerin angegebenen Zeiten für das Reinigen der Wohnung und Waschen der Wäsche anerkannt. Bei den Einkäufen gehe die Beklagte allerdings von 30 Minuten aus, da diese geplant werden könnten und eine Vorratshaltung möglich sei.

Gegen den Bescheid vom 26. Juni 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2018 hat sich die am 2. Februar 2018 vor dem Sozialgericht Leipzig erhobene Klage gerichtet, die unter dem Aktenzeichen S 10 SO 11/18 anhängig gewesen ist.

Ferner hat sich die Klägerin gegen den Bescheid vom 5. Februar 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2018 mit der am 23. Mai 2018 erhobenen Klage an das Sozialgericht Leipzig gewandt, die unter dem Aktenzeichen S 10 SO 56/18 anhängig gewesen ist. Beide Streitsachen hat das Sozialgericht während der mündlichen Verhandlung am 7. Mai 2019 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, dass sie ab Juli 2017 Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Pflegegrad 3 beanspruchen könne. Dies habe das Gutachten zur Pflegebedürftigkeit ergeben, welches der Neffe der Klägerin mit Hilfe eines Internetportals erstellt habe. Demgegenüber habe der MDK den Pflegebedarf nur oberflächlich erhoben. Zudem bestehe ein Bedarf von mindestens vier Stunden wöchentlich an Hilfe im Bereich der Hauswirtschaft.

Das Sozialgericht hat darauf hin das Pflegegutachten des Dipl.-Pflegewirts B ... eingeholt, welches dieser am 3. November 2018 erstellt hat. Demnach ist es der Klägerin möglich, Treppen mit Hilfe zu steigen. Aufgrund der Teilharninkontinenz nutze die Klägerin kleine Vorlagen, welche diese selbst wechsle. Die Orientierung der Klägerin sei uneingeschränkt. Es bestünden keine Veränderungen der Wahrnehmung und des Denkens. Die Summe der gewichteten Punkte belaufe sich auf 2,5. Die Wertungen beider MDK-Gutachten seien im Wesentlichen zu bestätigen. Die Behauptungen der Klägerin in ihren Widersprüchen ließen sich hingegen nicht objektivieren. Den Hilfebedarf im Bereich der Hauswirtschaft habe die Beklagte umsichtig und sachgerecht ermittelt. In der Summe seien 2,5 Stunden pro Woche ausreichend.

Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 7. Mai 2019). Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei nicht eingetreten. Da sich der tatsächliche Hilfebedarf der Klägerin nicht verringert habe, sei der fortbestehende Bedarf als Hilfe in besonderen Lebenslagen zu decken.

Gegen das ihr am 19. Juni 2019 zugstellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 10. Juli 2019 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Berufung. Die Klägerin könne seit dem 1. Januar 2017 keinem Pflegegrad zugeordnet werden. Darin sei die wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen zu sehen, weshalb die Klägerin nach Inkrafttreten des PSG III zeitnah nach dem neuen Begutachtungsinstrument begutachtet worden sei. Da der MDK keinen Pflegedarf ermittelt habe, welcher die Zuordnung der Klägerin zu einem Pflegegrad gerechtfertigt habe, sei die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege aufzuheben gewesen. Die Beklagte habe sodann den Bedarf der Klägerin an hauswirtschaftlichen Hilfen mit 2,5 Stunden pro Woche festgestellt. Letztlich sei sowohl der Pflegebedarf der Klägerin als auch ihr Bedarf an hauswirtschaftlichen Hilfen durch das Gutachten des Pflegesachverständigen B ... im erstinstanzlichen Verfahren bestätigt worden. Da die Leistungen der Hilfe zur Pflege im SGB XII in den §§ 61 ff. geregelt seien, sei ein Rückgriff auf § 73 SGB XII nicht möglich. Der Gesetzgeber habe den Personenkreis mit nur geringem Hilfebedarf – darunter auch laufende Fälle – von Leistungen der Hilfe zur Pflege ausgeschlossen. Damit sei er vom Grundsatz der Bedarfsdeckung abgekehrt. Deshalb bestünden verfassungsrechtliche Bedenken. Ein atypischer Sachverhalt im Sinne des § 73 SGB XII sei jedoch nicht ersichtlich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 7. Mai 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 7. Mai 2019 zu ändern und festzustellen, dass ihr in Erweiterung des Regelsatzes 35,00 EUR zusätzlich pro Monat für die Gesundheitspflege gewährt werden ab dem 1. Juli 2017.

Die Klägerin meint, dass sie Leistungen der Hilfe zur Pflege auch über den 1. Juli 2017 hinaus beanspruchen könne. Die Aufhebungsentscheidung der Beklagten sei rechtswidrig. Jedenfalls seien ihr weiterhin Leistungen der Sozialhilfe zur Deckung des fortbestehenden Bedarfs an körperbezogenen Pflegemaßnahmen zu erbringen. Höhere Leistungen an hauswirtschaftlichen Hilfen macht die Klägerin im Berufungsrechtszug nicht mehr geltend.

Der Vorsitzende hat die Sache am 6. Dezember 2019 als Einzelrichter mündlich verhandelt, diese aber auf den Senat zurückübertragen, nachdem er sich von der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit überzeugt hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 6. Dezember 2019, im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten mit einem solchen Vorgehen einverstanden erklärt haben (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) der Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung unter Abweisung der Klage.

Anzumerken ist zunächst, dass der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung nicht zur offensichtlich beabsichtigten Leistungsverpflichtung der Beklagten führt. Das Sozialgericht hat sowohl den Bescheid vom 26. Juni 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2018 als auch den Bescheid vom 5. Februar 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2018 aufgehoben. Daraus ergibt sich allerdings nicht, dass die Beklagte der Klägerin Leistungen der Sozialhilfe zu erbringen hätte. Bezogen auf die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege geht das Sozialgericht selbst davon aus, dass nicht diese Leistungen, sondern solche der Hilfe in besonderen Lebenslagen (§ 73 SGB XII) zu gewähren seien. Dies ist dem Tenor jedoch nicht zu entnehmen. Soweit das Sozialgericht auch den Bescheid vom 5. Februar 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2018 aufgehoben hat, ist darauf hinzuweisen, dass damit die Rechtsgrundlage für die Gewährung von Leistungen der Hauswirtschaftshilfe entfallen würde. Dies läge nicht im wohlverstandenen Interesse der Klägerin, gerade weil sie insoweit höhere Leistungen im Berufungsrechtszug nicht mehr geltend gemacht hat. Die darauf bezogene Klage war abzuweisen, da der Sachverständige B. den von der Beklagten erhobenen Bedarf nachvollziehbar bestätigt hat. Nachdem die Klägerin im Rechtsmittelverfahren dazu nicht weiter ausgeführt hat, ist der erstinstanzlich erhobene Anspruch auf höhere Leistungen der Hauswirtschaftshilfe im Berufungsrechtszug nicht mehr streitgegenständlich.

Die Klage war auch abzuweisen, soweit sie sich auf die von der Klägerin geltend gemachten Leistungen der Hilfe zur Pflege über den 1. Juli 2017 hinaus bezieht. Die Beklagte hat zu Recht die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege aufgehoben.

Bezüglich der über den 1. Juli 2017 hinaus geltend gemachten Leistungen der Hilfe zur Pflege ist Rechtsgrundlage für die Aufhebung § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Bezogen auf die wesentlichen Änderungen sind die Verhältnisse, die beim Erlass des Dauerverwaltungsaktes bestanden haben, zu vergleichen mit den im Zeitpunkt der in Aussicht genommenen Aufhebung bestehenden Verhältnissen (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 13. März 2001 – B 3 P 20/00 R – SozR3-3300 § 18 Nr. 2; Urteil vom 30. Oktober 2001 – B 3 P 7/01 R).

Damit sind die tatsächlichen Verhältnisse, die dem Bescheid vom 6. Januar 2012 zugrunde gelegen haben zu vergleichen mit denen, die dem Aufhebungsbescheid vom 26. Juni 2017 zugrunde gelegt worden sind. Im Gutachten vom 22. Dezember 2009 hat die Beklagte einen Zeitaufwand von fünf Minuten täglich für die Grundpflege sowie von 40 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung angenommen. Der MDK ist in seinem Gutachten vom 20. Juni 2017 und 2. November 2017 davon ausgegangen, dass keine gewichteten Punkte zu verzeichnen seien und die Klägerin deshalb keinem Pflegegrad zugeordnet werden könne. Diese Wertungen hat der Sachverständige B ... in seinem Gutachten vom 3. November 2018 im Wesentlichen bestätigt. Wenngleich er von 2,5 gewichteten Punkten ausgeht, ist auch aus seiner Sicht kein Pflegegrad festzustellen. Damit ergibt der Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse, ungeachtet der unterschiedlichen Begutachtungsrichtlinien für die Zeit bis zum 31. Dezember 2016 sowie für die Zeit ab dem 1. Januar 2017, dass sich der Pflegebedarf der Klägerin allenfalls geringfügig erhöht hat. Darin ist eine Änderung zu erkennen. Diese ist aber nicht wesentlich, da die Klägerin keinem Pflegegrad zugeordnet werden kann. Nach wie vor ist der Pflegebedarf als geringfügig zu bewerten.

Allerdings haben sich die rechtlichen Verhältnisse aufgrund des zum 1. Januar 2017 in Kraft getretenen PSG III wesentlich geändert. Denn damit ist ein neuer Begriff der Pflegebedürftigkeit in den §§ 14, 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) sowie im § 61 SGB XII eingeführt worden. Pflegebedürftige sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI nunmehr Personen, die Beeinträchtigungen in der Selbständigkeit oder Fähigkeitsstörungen nach näherer Bestimmung des § 14 Abs. 2 SGB XI aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Der Hilfebedarf muss auf den Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder den Fähigkeitsstörungen beruhen. Andere Ursachen für Hilfebedarf – etwa die bis zum 31. Dezember 2016 festzustellende Krankheit im Sinne des § 14 Abs. 2 SGB XI a.F. – bleiben außer Betracht. Die Beeinträchtigungen der Selbständigkeit und der Fähigkeitsstörungen werden personenbezogen und unabhängig vom jeweiligen Wohnumfeld ermittelt.

Aufgrund der umfassenden Reform des Begriffs der Pflegebedürftigkeit haben sich die rechtlichen Verhältnisse zum 1. Januar 2017 im Vergleich zum Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide über die Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege bis zum 31. Dezember 2016 wesentlich geändert.

Da die Klägerin weder gesetzlich krankenversichert (§ 264 SGB V) noch sozial pflegeversichert ist, hat sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XI. Insbesondere besteht kein Beitrittsrecht nach § 26 a Abs. 3 Satz 1 SGB XI. Danach besteht ab dem 1. Juli 2002 ein Beitrittsrecht zur sozialen oder privaten Pflegeversicherung nur für nicht pflegeversicherte Personen, die als Zuwanderer oder Auslandsrückkehrer bei Wohnsitznahme im Inland keinen Tatbestand der Versicherungspflicht nach diesem Buch erfüllen und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sowie für nicht versicherungspflichtige Personen mit Wohnsitz im Inland, bei denen die Ausschlussgründe nach § 26 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI entfallen sind. Zwar hat die Klägerin einen Wohnsitz im Inland. Sie erfüllt aber keinen Tatbestand der Versicherungspflicht oder Mitversicherung in der sozialen oder privaten Pflegeversicherung und hatte das 65. Lebensjahr bei ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland bereits vollendet. Darüber hinaus liegt der Ausschlussgrund nach § 26 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI vor, da die Klägerin als Bezieherin von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht dazu in der Lage ist, einen Beitrag zu zahlen. Der Ausschluss der Grundsicherungsbezieher ist verfassungsgemäß, da bei Eintritt von Pflegebedürftigkeit der Einsatz öffentlicher Mittel zu erfolgen hat. Sie geraten daher aufgrund anderweitiger Absicherung durch einen Sozialleistungsträger nicht in existentielle Not und bedürfen daher nach der Ansicht des BSG des Schutzes durch die soziale Pflegeversicherung nicht (vgl. Urteil vom 21. September 2005 – B 12 P 6/04 R – SozR4-3300 § 26 a Nr. 2).

Die Klägerin könnte daher allenfalls Leistungen der Hilfe zur Pflege erhalten nach den §§ 61 ff. SGB XII. Die gesetzlichen Voraussetzungen in der Fassung seit dem 1. Januar 2017 liegen jedoch nicht vor. Nach § 61 Satz 1 SGB XII haben Personen, die pflegebedürftig im Sinne des § 61a SGB XII sind, Anspruch auf Hilfe zur Pflege, soweit ihnen und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern nicht zuzumuten ist, dass sie die für die Hilfe zur Pflege benötigten Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels aufbringen.

Die Klägerin ist zwar in diesem Sinne bedürftig, da sie nach den zutreffenden Feststellungen der Beklagten über kein einsetzbares Einkommen nach den §§ 85 ff. SGB XII bzw. verwertbares Vermögen nach den §§ 90 ff. SGB XII verfügt. Daher bezieht die Klägerin von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, um ihr menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern (für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2020 sind die Bescheide vom 25. November 2016, 7. Dezember 2017, 5. Februar 2018, 27. November 2018 und 17. Dezember 2019 ergangen).

Die Klägerin ist jedoch nicht pflegebedürftig nach den Voraussetzungen des §§ 61a Abs. 1 SGB XII. Dieser ist mit Ausnahme der zeitlichen Untergrenze des SGB XI (§ 14 Abs. 1 Satz 3 SGB XI: auf Dauer, mindestens sechs Monate) inhaltsgleich mit § 14 Abs. 1 SGB XI. Darüber hinaus erhielten nach § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F. auch die Personen Hilfe zur Pflege, die – wie die Klägerin – einen geringeren Hilfebedarf aufwiesen, als ihn die soziale Pflegeversicherung voraussetzte, also weniger als 45 Minuten täglich der Grundpflege bedurften, oder die Hilfe für andere als die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen benötigten.

Diese Erweiterung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ist im Zuge der Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade weggefallen, da der Gesetzgeber die Leistungssysteme von SGB XII und SGB XI angeglichen hat. Als pflegebedürftig im Sinne der Hilfe zur Pflege gelten daher nur solche Personen, die einem Pflegegrad zugeordnet werden können. Wer somit nach dem Begutachtungsverfahren weniger als 12,5 gewichtete Gesamtpunkte erhält und keinem Pflegegrad zugeordnet wird – wie die Klägerin – kann keine Leistungen der Hilfe zur Pflege mehr erhalten (Klie in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 7/2019, § 61 a Rn. 9; Kruse in: LPK-SGB XI, 5. Aufl. 2018, § 13 Rn. 24).

Anders als die Klägerin meint, war die Beklagte dazu gehalten, die Pflegebedürftigkeit der Klägerin zeitnah nach dem neuen Recht zu beurteilen. § 137 SGB XII sieht die Zuordnung leistungsberechtigter pflegebedürftiger Personen zu einem Pflegegrad ohne erneute Begutachtung nur vor, sofern diesen am 31. Dezember 2016 mindestens die Pflegestufe I zuerkannt gewesen ist (dies war bei der Klägerin nicht der Fall). Nach § 138 Satz 1 SGB XII sind einer Person, die – wie die Klägerin – am 31. Dezember 2016 einen Anspruch auf Leistungen nach dem Siebenten Kapitel in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung hat, die ihr am 31. Dezember 2016 zustehenden Leistungen über diesen Tag hinaus bis zum Abschluss des von Amts wegen zu betreibenden Verfahrens zur Ermittlung und Feststellung des Pflegegrades und des notwendigen pflegerischen Bedarfs nach § 63a SGB XII in der ab dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung weiter zu gewähren. Für den Fall, dass aufgrund der Ermittlung des Pflegebedarfs nach neuem Recht geringere Leistungen zu gewähren sind als in der Fassung des Gesetzes bis zum 31. Dezember 2016, sind gemäß § 138 Satz 4 SGB XII keine Leistungen vom Betroffenen zu erstatten. Dies gilt zu Gunsten der Klägerin für die bis zum 30. Juni 2017 bezogenen Leistungen der Hilfe zur Pflege.

Allerdings orientiert sich die Sozialhilfe am Bedarfsdeckungsprinzip. Art, Form und Maß der Sozialhilfe richten sich nach der Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen (§ 9 Abs. 1 SGB XII). Zunächst bedarf es daher der Individualisierung bei der Feststellung einer Notlage. Ob durch das Eingreifen des Hilfeträgers geholfen werden muss, setzt voraus, dass der Hilfeträger die Bedarfslage ermittelt. Auf der zweiten Entscheidungsebene muss die zu gewährende Hilfe ihrem Zweck nach auf den einzelnen Leistungsberechtigten ausgerichtet werden. Auf der dritten Ebene ist darauf zu achten, dass dem Betroffenen ein subjektives Leistungsrecht zugeordnet wird. Dieses Leistungsrecht ist in einem umfassenden Sinn zu verstehen, als sogenannter "Gesamtfallgrundsatz". Der Hilfeträger darf sich nicht damit begnügen, nur über das Vorliegen einer einzelnen Hilfeart zu entscheiden, auch wenn der Hilfeempfänger sein Begehren nur auf eine Hilfeart abgestellt hat (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 10. November 1965 – V C 104.64; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 9 Rn. 20).

Nachdem im Zuge der Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade die Leistungssysteme von SGB XI und SGB XII angeglichen worden sind, werden als pflegebedürftig auch im Sinne der Hilfe zur Pflege nur solche Personen berücksichtigt, die in einem Pflegegrad eingestuft werden. Personen, die – wie die Klägerin – im Begutachtungsverfahren weniger als 12,5 Gesamtpunkte erhalten und daher keinen Pflegegrad erreichen, erhalten – wie aufgezeigt – keine Leistungen der Hilfe zur Pflege mehr. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass damit gegenüber der Rechtslage bis zum 31. Dezember 2016 keine Verschlechterung verbunden sei. Trotz des weiter reichenden Charakters des § 61 SGB XII a.F. seien die darin enthaltenen Bestimmungen durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff abgedeckt. Bereits der Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs sei in seinem Umsetzungsbericht davon ausgegangen, dass Personen, deren ermittelter Gesamtpunktwert unter einem Schwellenwert von 15 Punkten liege, lediglich geringfügige Einbußen im Bereich der Selbständigkeit aufwiesen, die aus pflegewissenschaftlicher Sicht keine Leistungen rechtfertigten; zumal andere Leistungen der Sozialhilfe, darunter die der Klägerin bewilligten Leistungen der Haushaltshilfe, weiterhin möglich blieben (Klie in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 7/2019, § 61 a Rn. 9). Aus pflegewissenschaftlicher Sicht mag der Pflegebedarf der Klägerin geringfügig sein. Sozialhilferechtlich darf jedoch auch dieser Bedarf nach dem Gesamtfallgrundsatz nicht offen bleiben.

Vor diesem Hintergrund ist die Berufungserwiderung der Klägerin vom 22. August 2019 in Verbindung mit ihrer Erklärung während der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2019 sinngemäß als Anschlussberufung anzusehen. Diese ist im SGG nicht ausdrücklich geregelt, aber nach § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 524 Zivilprozessordnung (ZPO) möglich (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 1. Juni 2006 – B 7a AL 86/05 R). Die Bindung des Gerichts bezieht sich auf den erhobenen Anspruch, nicht aber auf die Fassung der Anträge (§ 123 SGG). Wenn die Klage keinen nach § 92 SGG bestimmten Antrag enthält, der zu Zweifeln über das Gewollte keinen Anlass gibt, muss das Gericht mit dem Kläger klären, was gewollt ist, und darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs. 1 SGG, § 112 Abs. 2 Satz 2 SGG). Sofern erforderlich, muss der Antrag ausgelegt werden entsprechend § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dabei geht das Gericht von dem aus, was der Kläger mit der Klage erreichen möchte; im Zweifel wird dieser den Antrag stellen wollen, der ihm am Besten zum Ziel verhilft ("Meistbegünstigungsprinzip", vgl. z.B. BSG, Urteil vom 6. April 2011 – B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86, 92). Bei der Auslegung sind das gesamte Vorbringen und alle bekannten Umstände zu berücksichtigen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 123 Rn. 3). So kann die Auslegung beispielsweise ergeben, dass keine Anfechtungsklage, sondern eine Verpflichtungsklage gewollt ist. Wenn die Auslegung nicht hilft, kann auch eine Umdeutung in Betracht kommen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 123 Rn. 3b).

In ihrer Berufungserwiderung hat die Klägerin angekündigt, die Zurückweisung des Rechtsmittels der Beklagtem beantragen zu wollen, offenbar in der Annahme, dass aufgrund des angefochtenen Urteils Leistungen in unverminderter Höhe über den 30. Juni 2017 hinaus gewährt werden würden, wenn auch als Leistungen in besonderen Lebenslagen. Auf den Hinweis des Vorsitzenden, dass dies wohl nicht möglich sein werde, hat die Klägerin schließlich beantragt festzustellen, dass ihr höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren seien, damit ihr Bedarf an körperbezogenen Pflegemaßnahmen gedeckt werde.

Sie strebt damit im Wege der (vom Senat für sachdienlich erachteten) Klageänderung nach § 99 SGG eine Verbesserung ihrer Rechtsposition im Berufungsverfahren an. Wie oben aufgezeigt, vermag die Klägerin aufgrund des Tenors des erstinstanzlichen Urteils mit der zunächst erwogenen Zurückweisung der Berufung ihr Ziel nicht zu erreichen, absehbar dauerhaft auch Leistungen für den körperbezogenen Pflegebedarf zu erhalten. Mit der Anschlussberufung soll demjenigen, der nicht Berufung einlegen kann oder will, die Möglichkeit gegeben werden, der Hauptberufung mit eigenen Anträgen entgegen zu treten. Die Anschließung ist also nicht eigentlich Rechtsmittel, sondern nur ein angriffsweise wirkender Antrag, mit dem sich der Gegner innerhalb des Rechtsmittels des Berufungsklägers an dieses anschließt; sie bietet die Möglichkeit, die vom Berufungskläger angefochtene Entscheidung auch zu des Anschließenden Gunsten – also in Bezug auf den Berufungskläger unter Ausschaltung des Verbots der reformatio in peius – ändern zu lassen (BSG, Urteil vom 23. Juni 1998 – B 4 RA 33/97 R). Die Anschlussberufung dient damit einerseits der Billigkeit, und zwar im Interesse des Beteiligten, der sich an sich mit dem Ersturteil zufrieden geben will, dessen Gegner aber dann doch Berufung einlegt; andererseits dient sie im Sinne der Vermeidung vorsorglich eingelegter Rechtsmittel der Prozessökonomie (BGH, Urteil vom 10. November 1983 – VII ZR 72/83 - NJW 1984, 1240). Dabei setzt die Anschlussberufung keine Beschwer des Berufungsbeklagten voraus (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 143 Rn. 5a).

Auf die Anschlussberufung war die im Tenor ausgewiesene Feststellung zu Gunsten der Klägerin zu treffen. Das für eine Klage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG notwendige Feststellungsinteresse besteht im Falle der Klägerin, da effektiver Rechtschutz nicht anderweitig zu erreichen ist. Wie aufgezeigt, begehrt sie Leistungen der Sozialhilfe zur Deckung des Bedarfs an körperbezogenen Pflegemaßnahmen. Ein Anspruch auf Leistungen der Hilfe zur Pflege besteht – wie erwähnt – seit dem 1. Juli 2017 nicht mehr. Es kommt allenfalls die Erweiterung des Regelsatzes nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in Betracht. Da die Bescheide über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab dem 1. Januar 2017 durchweg bestandskräftig geworden sind, lässt sich das Rechtschutzbegehren der Klägerin nicht mittels Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage durchsetzen. Ein nunmehr gestellter Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X vermag die Zeit bis zum 1. Juli 2017 nicht mehr zu erfassen (vgl. § 116a Nr. 2 SGB XII). Der Feststellungsantrag bietet daher effektiveren Rechtschutz als Gestaltungs- und Leistungsklagen. Ferner ermöglicht er die umfassendere Klärung des Rechtsverhältnisses (vgl. Berchtold in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 1. Aufl. 2009, § 5 Rn. 429).

Der Sache nach hat die Klägerin einen Anspruch auf die Erweiterung des Regelsatzes. Nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII wird der Regelsatz im Einzelfall abweichend von der maßgebenden Regelbedarfsstufe festgesetzt (abweichende Regelsatzfestsetzung), wenn ein durch die Regelbedarfe abgedeckter Bedarf nicht nur einmalig, sondern für eine Dauer von voraussichtlich mehr als einem Monat unausweichlich in mehr als geringem Umfang oberhalb durchschnittlicher Bedarfe liegt, wie sie sich nach der Ermittlung der Regelbedarfe zugrunde liegenden durchschnittlichen Verbrauchsausgaben ergeben, und die dadurch bedingten Mehrausgaben begründbar nicht anderweitig ausgeglichen werden können.

Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin vor. Dabei hat das Sozialgericht zutreffend auf den Grundsatz der Bedarfsdeckung hingewiesen. Da die Beklagte sachgerecht den aufgrund der aufgezeigten Rechtsänderung von Leistungen der Hilfe zur Pflege entfallenen Anspruch der Klägerin auch auf Hilfen im Bereich der Hauswirtschaft erkannt hat (s.o.), ist noch der Bedarf an Hilfen im Bereich der geringfügigen Pflegeleistungen offen. Dieser betrifft ausweislich der Gutachten des MDK sowie des Sachverständigen B. zur Unterstützung beim Treppensteigen und beim Baden/Duschen.

Anders als das Sozialgericht meint, lässt sich dieser nicht durch Leistungen der Hilfe in sonstigen Lebenslagen decken nach § 73 Satz 1 SGB XII. Denn bei der Pflegebedürftigkeit handelt es sich – ungeachtet ihres Umfangs – um keine "sonstige" Lebenslage im Sinne des Gesetzes. Vielmehr handelt es sich um eine in § 8 SGB XII aufgeführte und daher vom Gesetzgeber als typisch angesehene Notlage. Die Hilfe in sonstigen Lebenslagen ergänzt den in § 8 SGB XII ausgewiesenen Hilfekatalog. Eine solche Regelung ist notwendig, um den Auftrag der Sozialhilfe, jedem die Menschenwürde widersprechenden Zustand zu begegnen, gerecht zu werden und verfassungskonforme Ergebnisse zu ermöglichen. Sonstige Lebenslagen liegen nur vor, wenn sich die Hilfesituation thematisch oder systematisch keinem Tatbestand der in § 8 SGB XII aufgeführten Hilfen zuordnen lässt (vgl. Schlette in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 7/2019, § 73 Rn. 1, 5; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 73 Rn. 1, 2). Die Leistungen der Hilfe zur Pflege werden hingegen in § 8 Nr. 5 SGB XII ausdrücklich erwähnt. Die Maßnahmen der körperbezogenen Pflege werden davon erfasst, auch wenn die Klägerin aufgrund des vom Gesetzgeber für gering erachteten Bedarfs keine Leistungen erhalten kann. Eine "Leistungskorrektur" über den § 73 SGB XII kommt insoweit nicht in Betracht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. August 2007 – L 9 B 146/07 AS-ER).

Ebenfalls nicht einschlägig zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs der Klägerin sind Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII; zumal der Klägerin kein Merkzeichen "G" zuerkannt ist. Auch ein einmaliger Bedarf nach § 31 SGB XII ist nicht anzunehmen, da die Klägerin dauerhaft in geringem Maße pflegebedürftig ist.

Bliebe der aufgezeigte Bedarf der Klägerin offen, wäre das Grundrecht der Klägerin auf die Gewährleistung ihres menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 20 GG betroffen. Dieses Grundrecht sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen, die für seine physische Existenz und von einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Das Sozialstaatsgebot erteilt demnach dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern und hält den Gesetzgeber dazu an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zukommt, die mit der Höhe des Existenzminimums verbunden sind. Die Zuerkennung eines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums zugleich verbunden mit einer reduzierten gerichtlichen Kontrolldichte (vgl. Rothkegel, ZfSH/SGB 2010, 137), äußert sich im ersten Schritt in einer Evidenzkontrolle und in einem zweiten Prüfungsschritt in einer Verfahrens- und nicht in einer Inhaltskontrolle. Die gesetzlich vorgesehenen Leistungen müssen nachvollziehbar sein auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und eines schlüssigen Berechnungsverfahrens. Der Gesetzgeber unterliegt einem Transparenzgebot; demnach hat dieser die eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen (Voßkuhle, SGb 2011, 185). Im existentiellen Kernbereich des menschlichen Existenzminimums besteht der prozedurale Kerngehalt des Grundrechts in der Überprüfung, ob verfahrensmäßige Vorgaben durch den Gesetzgeber eingehalten worden sind. Dem gemäß hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf zu bemessen. Das gefundene Ergebnis bedarf einer fortwährenden Überprüfung und Weiterentwicklung, insbesondere, wenn Festbeträge vorgesehen sind (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u.a.).

Mit Urteil vom 18. Juli 2012 (Az.: 1 BvL 10/10 u.a.) hat das Bundesverfassungsgericht dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum weitere Konturen verliehen. Dieses Grundrecht steht demnach deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten – darunter die Klägerin - gleichermaßen zu. Durch den Einsatz einer "allein richtigen" Berechnungsmethode kann die Höhe des existenznotwendigen Lebensunterhalts mit Blick auf den prozeduralen Kerngehalt des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum jedoch nicht punktgenau ermittelt werden (BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 – B 14 AS 153/11 R).

Mit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze hat das Bundesverfassungsgerichts seine Überlegungen zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum im Urteil vom 23. Juli 2014 (Az.: 1 BvL 10/12 u.a.) weiter entwickelt. Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen beziehen sich demnach nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bringt für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich; entscheidend ist, dass sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lässt. Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen; darum zu ringen, ist vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Urteil vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – juris Rn. 77).

Das Grundgesetz schreibt insofern auch keine bestimmte Methode vor, wodurch der dem Gesetzgeber zustehende Gestaltungsspielraum begrenzt würde. Es kommt dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und der Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Dabei sind die Ergebnisse eines sachgerechten Verfahrens zur Bestimmung grundrechtlich garantierter Ansprüche fortlaufend zu überprüfen und weiter zu entwickeln. Der Gesetzgeber kommt seiner Pflicht zur Aktualisierung von Leistungsbeträgen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach, wenn er die Entwicklung der tatsächlichen Unterhaltungskosten zur Deckung des existenznotwendigen Bedarfs durch regelmäßige Neuberechnungen und Fortschreibungen berücksichtigt. Auf Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie auf Preissteigerungen oder auf die Erhöhung von Verbrauchssteuern muss er zeitnah reagieren, um sicherzustellen, dass der aktuelle Bedarf gedeckt wird (BVerfG, Urteil vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12 u.a. – juris Rn. 78, 79, 85).

Im Urteil vom 5. November 2019 hat das Bundesverfassungsgericht schließlich betont, dass sich der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt auf die unbedingt erforderlichen Mittel als einheitliche Gewährleistung zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Die Verankerung des Gewährleistungsrechts im Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG bedeutet, dass Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung (Art. 1 Abs. 3 GG) den Menschen nicht auf das schiere physische Überleben reduzieren dürfen, sondern mit der Würde mehr als die bloße Existenz und damit auch die soziale Teilhabe als Mitglied der Gesellschaft gewährleistet wird. Es widerspräche dem nicht relativierbaren Gebot der Unantastbarkeit, wenn nur ein Minimum unterhalb dessen gesichert würde, was der Gesetzgeber bereits als Minimum normiert hat; insbesondere lässt sich die Gewährleistung aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nicht in einen "Kernbereich" der physischen und einen "Randbereich" der sozialen Existenz aufspalten. Der Gesetzgeber kann auch weder für einen internen Ausgleich noch zur Rechtfertigung einer Leistungsminderung auf die Summen verweisen, die in der pauschalen Berechnung der Grundsicherungsleistungen für die soziokulturellen Bedarfe veranschlagt werden, denn die physische und soziokulturelle Existenz werden durch Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG einheitlich geschützt (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rn. 119).

Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus eigener Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrags zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrags verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen für dieses menschenwürdige Dasein zur Verfügung stehen (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rn. 120).

Wie erwähnt, ist der aktuelle Bedarf der Klägerin nicht gedeckt, da rund 35 Euro monatlich fehlen für die aufgezeigten körperbezogenen Pflegemaßnahmen. Dabei handelt es sich um einen für die Klägerin erheblichen Betrag. Das BSG geht davon aus, dass allenfalls monatliche Euro-Beträge im einstelligen Bereich und für einen nur kurzen Zeitraum von längstens sechs Monaten eine allenfalls durchschnittliche Bedeutung für einen Bezieher von Grundsicherungsleistungen haben (Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 R – SozR4-1935 § 14 Nr. 2).

Zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Grundrecht der Klägerin auf Deckung ihrer menschenwürdigen Existenz ist aus der Sicht des Senats § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII heranzuziehen. Demnach müssen zusätzliche Leistungen gewährt werden, wenn der Bedarf unausweichlich und in mehr als geringem Umfang oberhalb durchschnittlicher Bedarfe liegt. Die Vorschrift soll kein "Einfallstor" sein für jegliche wünschenswerte, aber im SGB XII nicht geregelte Bedarfe. Ein atypischer Bedarf ist erheblich, wenn er von dem durchschnittlichen Bedarf in nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang abweicht (BSG, Urteil vom 1. Dezember 2007 – B 8/9b SO 21/06 R). Jede Prüfung hat sich darauf zu erstrecken, ob das Existenzminimum ohne die Aufstockung der Regelleistung gefährdet wäre. Dabei liegt die Substantiierungslast und Beweislast für den überdurchschnittlichen Bedarf bei dem Leistungsberechtigten, da normativ bestimmt ist, dass die Regelleistung den Bedarf zu decken vermag, umgekehrt liegt die Beweislast beim Leistungsträger, wenn der Regelsatz abgesenkt werden soll (Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 27a Rn. 55, 57, 64).

Danach ist die Beklagte unter Berücksichtigung der aufgezeigten Grundsätze zur Wahrung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum dazu verpflichtet, den geringfügigen Pflegebedarf der Klägerin in Erweiterung des Regelsatzes zu decken. Der Bedarf als solcher ist nachgewiesen aufgrund der erwähnten Pflegegutachten. Einsparungsmöglichkeiten der Klägerin sind nicht ersichtlich.

Der Senat sieht hier in Übereinstimmung mit den Beteiligten während der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2019 einen Betrag von 35,00 EUR monatlich als angemessen an, der über die 15,00 EUR monatlich gemäß § 5 Abs. 1 RBEG – Abteilung 6 – hinaus geht (monatlicher Bedarf somit: 50 Euro, davon sind 15 Euro im Regelsatz enthalten). Die Klägerin erhält auf diese Weise etwa denselben Betrag, der ihr bis zum 30. Juni 2017 im Rahmen der "Pflegestufe 0" gewährt worden ist (35 Euro monatlich für körperbezogene Pflegemaßnahmen und 65 Euro monatlich an Leistungen der Haushaltshilfe).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Sache rechtsgrundsätzlich bedeutsam sein dürfte (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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