L 13 SB 340/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 50 SB 3308/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 SB 340/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 28/19 B
Datum
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21.09.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 100 auf 90.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist beidseits taub. In seinem zweiten Lebensjahr wurde er rechtsseitig mit einem Cochlea-Implantat versorgt. Das damalige Versorgungsamt E stellte zunächst mit Bescheid vom 12.05.2000 einen GdB von 50 und nach anschließendem Klageverfahren (S 7 SB 167/00) aufgrund eines Vergleichs mit Bescheid vom 23.04.2001 und mit weiterem Bescheid vom 03.08.2001 einen GdB von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" fest. Der Kläger besuchte zuletzt die S Realschule, X-Förderschule, Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation.

Im Rahmen einer 2015 eingeleiteten Nachprüfung holte die im Rahmen der Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung zuständig gewordene Beklagte Befundberichte der Fachärztin für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde Dr. M, versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. C sowie der Internistin und Sozialmedizinerin Dr. X und ein Sachverständigengutachten aufgrund persönlicher Untersuchung des Klägers durch die Fachärztin für HNO-Heilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie Dr. I, Oberärztin der HNO-Klinik des Klinikums E, ein. Dr. I führte aus, es bestehe eine in der Kindheit erworbene beidseitige Taubheit. Auch mit Cochlea-Implantat zeige sich eine Sprachstörung, allerdings keine schwere. Der GdB betrage 90. Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 14.07.2016 zu einer Herabsetzung des GdB auf 90 und zur Entziehung der Merkzeichen "G" und "B" an. Der Kläger trug vor, der GdB dürfe bei einem mit Cochlea-Implantat versorgten Kind nicht geringer angesetzt werden als bei einem beidseits ertaubten Kind ohne Cochlea-Implantat. Teil B Nr. 5.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) sehe bei früh erworbener Taubheit einen lebenslangen GdB von 100 vor. Soweit der Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin beim BMAS dies in seinem Beschluss vom 6./.11.2008 anders beurteilt habe, sei dies nicht Inhalt der VMG geworden. Die Beklagte hob mit Bescheid vom 29.08.2016 den Bescheid vom 03.08.2001 dahingehend auf, dass der GdB nun 90 betrage. Die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "B" lägen nicht mehr vor. Die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "Gl" lägen vor. Der Kläger legte am 09.11.2016 Widerspruch ein. Der Bescheid vom 29.08.2016 sei am 02.11.2016 zugegangen. Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch im Hinblick auf die Herabsetzung des GdB mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2016 zurück.

Der Kläger hat am 21.12.2016 Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben. Es sei weiterhin ein GdB von 100 festzustellen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 29.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch weiterhin einen GdB von 100 zuzuerkennen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, Teil B Nr. 5.1 VMG sehe nur "in der Regel" einen GdB von 100 bei früh erworbener Taubheit vor. Den VMG sei weiter zu entnehmen, dass es auf das Ausmaß der Sprachstörung ankomme.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 21.09.2018 abgewiesen. Statthaft sei eine reine Anfechtungsklage. Der GdB sei nach Maßgabe von Teil B Nr. 5.1 VMG und aufgrund des Gutachtens von Dr. I mit 90 zu bewerten. Sowohl aus dem Beschluss des Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin beim BMAS vom 6./7.11.2008, als auch aus den VMG selbst ergebe sich, dass es auf das Ausmaß von Spracherwerb bzw. Sprachstörung ankomme. Die beim Kläger verbliebene Sprachstörung sei nicht schwer.

Der Kläger hat gegen das seinen Bevollmächtigten am 05.11.2018 zugestellte Urteil am 05.11.2018 Berufung eingelegt. Beim Cochlea-Implantat handele es sich um ein Hilfsmittel. Dieses sei bei der Beurteilung außen vor zu lassen. Nach dem Einleitungstext von Teil B Nr. 5 VMG sei bei der Beurteilung von Hörstörungen eine Prüfung ohne Hörhilfen vorzunehmen.

Auf den Hinweis des Senats, dass eine Aufhebung für die Zukunft erst bei einer Aufhebung für die Zeit ab dem 03.11.2016 vorliege und der Bescheid vom 29.08.2016 eine Aufhebung ab dem 29.08.2016 vornehme, hat die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid im Rahmen eines Teilanerkenntnisses teilweise dahingehend aufgehoben, dass der GdB erst ab dem 03.11.2016 herabgesetzt werde. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21.09.2018 zu ändern und den Bescheid vom 29.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 24.11.2016 über das Teilanerkenntnis hinaus aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die nach dem Teilanerkenntnis verbliebene Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 05.02.2019 zu einer Entscheidung des Rechtsstreits im Beschlusswege nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat macht nach vorheriger Anhörung der Beteiligten von der Möglichkeit Gebrauch, im Beschlussverfahren nach § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden. Die Berufsrichter des Senats sind übereinstimmend der Auffassung, dass die Berufung zwar zulässig, aber - nach angenommenem Teilanerkenntnis und dadurch gemäß § 101 Abs. 2 SGG insoweit erledigtem Rechtsstreit - unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist.

Streitgegenstand ist allein die Herabsetzung des GdB. Die Entziehung der Merkzeichen "B" und "G" war nicht Gegenstand des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Münster vom 24.11.2016 und ist vom Kläger im Klage- und Berufungsverfahren auch nicht weiter verfolgt worden.

Das Sozialgericht hat im Hinblick auf diesen Streitgegenstand die über das Teilanerkenntnis hinausgehende und als reine Anfechtungsklage auszulegende Klage (vgl. BSG, Urteil vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/15 R, juris Rn 10) zu Recht abgewiesen, da diese insofern zwar zulässig, aber unbegründet ist. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nach dem Teilanerkenntnis nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da die Bescheide insofern rechtmäßig sind.

Es liegt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vor, da der GdB zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht mehr als 90 betrug (vgl. zur Vermutung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse bei aktuell niedrigerem GdB BSG, Urteil vom 10.02.1993 - 9/9a RVs 5/91). Wegen der Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Sozialgerichts vom 21.09.2018.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen weist der Senat auf Folgendes hin:

Der Umstand, dass im ersten Absatz des Einleitungsteils von Teil B Nr. 5 VMG vorgesehen ist, dass die Prüfung des Hörverlustes ohne Hörhilfen erfolgen soll, führt zu keinem anderen Ergebnis. Erst das Außerachtlassen des Cochlea-Implantates führt zur Annahme von Taubheit als einer Tatbestandsvoraussetzung von Teil B Nr. 5.1 VMG.

Weitere Tatbestandsvoraussetzung von Teil B Nr. 5.1 VMG sind aber nach dem eindeutigen Wortlaut Sprachstörungen. Deren Bedeutung zeigt sich auch in der Zusammenschau mit Teil B Nr. 5.2.4 VMG. Beidseitige Taubheit bedingt gemäß Teil B Nr. 5.2.4 VMG einen GdB von 80. Erst die hinzukommenden Sprachstörungen erlauben eine höhere Bewertung. Der Abstufung in Teil B Nr. 5.1 VMG liegt der Gedanke zugrunde, dass die Sprachstörung umso ausgeprägter ist, je früher die Taubheit entsteht. Die Tatbestandsalternativen von Teil B Nr. 5.1 VMG, die einen GdB von 100 bedingen, setzen eine "schwere Störung des Spracherwerbs" bzw. "schwere Sprachstörungen" voraus.

Vor diesem Hintergrund kann der Senat einen Widerspruch zwischen dem Beiratsbeschluss vom 6./7.11.2008 und Teil B Nr. 5.1 VMG nicht erkennen und schließt sich hinsichtlich der Bewertung angeborener Taubheit bei Versorgung mit Cochlea-Implantaten dem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 31.08.2016 (L 5 SB 103/15, juris Rn 18) an.

Wegen der Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung in zeitlicher Hinsicht nimmt der Senat Bezug auf den Hinweis des Berichterstatters vom 27.12.2018 (vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom 16.11.2018 - L 13 SB 280/17). Für die Aufhebung für die Zukunft galt auch nicht die Zehn-Jahres-Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/15 R, juris Rn 17 ff.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte (§§ 153 Abs. 4 Satz 3, 158 Satz 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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