L 9 KR 514/15 KL

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 514/15 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wenn der GBA in einem Beschluss nach § 35a SGB V für die Jahrestherapiekosten der Vergleichstherapie für einen oder mehrere Wirkstoffe nur Kostenspannen beschreibt, darf die Schiedsstelle aus der Kostenspanne der Jahrestherapiekosten der preiswertesten Vergleichstherapie ein streng arithmetisches Mittel bilden oder bestimmte Gewichtungen vornehmen. Der Nutzenbewertungsbeschluss ist in einem solchen Fall selbst auf Konkretisierung durch die Vertragsparteien angelegt. Er gibt einen Rahmen vor und belässt den Partnern der Erstattungsvereinbarung einen Spielraum.
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2.; der Beigeladene zu 1. trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Schiedsspruch der Beklagten, der gemeinsamen Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V).

Die Klägerin brachte als pharmazeutische Unternehmerin erstmalig am 1. Juni 2014 das Arzneimittel Betmiga™ (Wirkstoff: Mirabegron, Wirkstärke 50 mg) in Deutschland in den Verkehr. Betmiga™ verfügt seit Dezember 2012 über eine europaweite arzneimittelrechtliche Zulassung der European Medicines Agency (EMA) für die Anwendungsgebiete "symptomatische Therapie von imperativem Harndrang, erhöhte Miktionsfrequenz und/oder Dranginkontinenz, die bei Erwachsenen mit überaktiver Blase (OAB, overactive bladder, zu Deutsch: überaktive Blase/Reizblase - ÜAB) auftreten können."

Im Rahmen der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA – Beigeladener zu 2.) nach § 35a Abs. 1 SGB V durchzuführenden frühen Nutzenbewertung reichte die Klägerin bei diesem am 28. Mai 2014 ein abschließendes Dossier für den Wirkstoff Mirabegron ein. Unmittelbar danach beauftragte der Beigeladene zu 2. das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit der Bewertung dieses Dossiers. Seine Dossierbewertung übermittelte das IQWiG dem Beigeladenen zu 2. am 28. August 2014, woraufhin dieser ein Stellungnahme- und Anhörungsverfahren einleitete. Die mündliche Anhörung fand am 6. Oktober 2014 statt. Mit Schreiben gleichen Tages wurde das IQWiG mit einer ergänzenden Bewertung von im Stellungnahmeverfahren vorgelegten Daten beauftragt. Das vom IQWiG erstellte Addendum wurde dem Beigeladenen zu 2. am 16. Oktober 2014 übermittelt.

Ausweislich der Kurzfassung der Nutzenbewertung vom 01. September 2014 lagen, so das IQWiG, zu dem patientenrelevanten Endpunkt "Inkontinenz und Dranginkontinenz" verwertbare Daten für die Gesamtpopulationen der Studien weder aus der vorgelegten Langzeitstudie vor noch ergaben sie sich aus den Kurzzeitstudien. Damit sei ein Zusatznutzen von Mirabegron im Vergleich zu Tolterodin für die Endpunkte Inkontinenz und Dranginkontinenz nicht belegt. Zu dem Endpunkt "Nebenwirkungen" führte das IQWiG wörtlich aus: "Für die Endpunkte SUE (= schwerwiegende unerwünschte Ereignisse) und Abbruch wegen UE (= unerwünschte Ereignisse) zeigte sich weder in der Langzeitstudie 049 noch in der Meta-Analyse der Kurzzeitstudien 044, 046, 048 und 090 ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Damit ist ein größerer / geringerer Schaden von Mirabegron im Vergleich zu Tolterodin für die Endpunkte SUE und Abbruch wegen UE nicht belegt."

"Zusammenfassend ergibt sich für den Endpunkt Mundtrockenheit ein Beleg für einen geringeren Schaden durch Mirabegron. Abbruch wegen Mundtrockenheit Für den Endpunkt zeigte sich in der Langzeitstudie 049 kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. In der Meta-Analyse der Kurzzeitstudien 044, 046, 048 und 090 zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen. Damit ist ein größerer / geringerer Schaden von Mirabegron für den Endpunkt Abbruch wegen Mundtrockenheit nicht belegt."

Durch Beschluss vom 20. November 2014 entschied der Beigeladene zu 2. auf der Grundlage von § 35a SGB V, ein Zusatznutzen von Mirabegron im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie sei nicht belegt. Die zweckmäßige Vergleichstherapie sei die Behandlung mit einem der folgenden Wirkstoffe: Darifenacin oder Fesoterodin oder Propiverin oder Solifenacin oder Tolterodin oder Trospiumchlorid. Die Jahrestherapiekosten pro Patient (Apothekenverkaufspreis nach Abzug gesetzlich vorgeschriebener Rabatte [AVP netto]) für Mirabegron bzw. für die zweckmäßige Vergleichstherapie bezifferte er wie folgt:

Mirabegron 633,53 Euro Darifenacin 591,15 Euro – 680,28 Euro Fesoterodin 580,17 Euro – 632,47 Euro Propiverin 349,06 Euro – 523,59 Euro Solifenacin 582,09 Euro – 669,33 Euro Tolterodin 349,92 Euro Trospiumchlorid 196,19 Euro – 372,59 Euro

Die Angabe der Jahrestherapiekosten in Preisspannen beruht darauf, dass die einzelnen Arzneimittel in verschiedenen und unterschiedlich bepreisten Wirkstärken vertrieben werden, so etwa Trospiumchlorid in den Wirkstärken 20 mg, 30 mg und 45 mg bzw. mit unterschiedlichen Tagesdosierungen zugelassen sind und angewendet werden, zum Beispiel Trospiumchlorid mit 30 mg pro Tag (zweimal täglich eine halbe Tablette à 30 mg), mit 40 mg pro Tag (zweimal täglich eine Tablette à 20 mg) bzw. mit 45 mg pro Tag (dreimal täglich eine Drittel-Tablette à 45 mg).

Auf den Beschluss hin haben die Klägerin und der Beigeladene zu 1., der GKV-Spitzenverband (GKV-SpV), von Januar bis April 2015 Verhandlungen nach § 130b Abs. 1 SGB V über den von den Krankenkassen für das Arzneimittel zu übernehmenden Erstattungsbetrag geführt. Eine Einigung über die Höhe des Erstattungsbetrages kam nicht zustande, weil Klägerin und Beigeladener zu 1. unterschiedliche Auffassungen zur Berechnung der Jahrestherapiekosten für Trospiumchlorid vertraten. Am 20. Mai 2015 rief der Beigeladene zu 1. die beklagte Schiedsstelle an und beantragte, die streitig gebliebenen Vertragsinhalte (konkret die Höhe des Erstattungsbetrages) durch Schiedsspruch festzusetzen.

Weil sie ihre Preisvorstellungen für Betmiga™ bis dahin nicht durchsetzen konnte, stellte die Klägerin den Vertrieb des Arzneimittels in Deutschland zum 1. Juni 2015 ein, um zu verhindern, dass in der Lauer-Taxe als öffentlich zugänglicher Referenzquelle ein aus ihrer Sicht zu niedriger Abgabepreis gelistet werde, der europaweit eine Preisspirale nach unten hätte in Gang setzen können.

In dem Schiedsverfahren beantragte der Beigeladene zu 1. die Festsetzung eines Erstattungsbetrages von 0,3827 Euro je Bezugsgröße. Hierfür legte er Trospiumchlorid in einer Dosierung von 30 mg als wirtschaftlichste zweckmäßige Vergleichstherapie zugrunde (Tagesdosierung pro Patient: zweimal täglich eine halbe Tablette à 30 mg, mithin 365 Tabletten pro Jahr). Gemäß einer Vollerhebung nach § 217f SGB V werde der Wirkstoff Trospiumchlorid mit rund 45 % mit weitem Abstand am häufigsten im Anwendungsgebiet der überaktiven Blase verordnet. In der Dosierung 30 mg werde Trospiumchlorid am häufigsten abgegeben, nämlich – auf Grundlage der Daten nach § 217f SGB V – in 63 Prozent aller Fälle; sechs Prozent der Patienten erhielten Trospiumchlorid 20 mg, 31 Prozent Trospiumchlorid 45 mg.

Zur Herleitung der Höhe seines Erstattungsbetragsantrags führte der Beigeladene zu 1. in seinem konkretisierenden Antrag an die Beklagte vom 12. Juni 2015 aus, es erfolge eine Ermittlung der Kosten nach Abzug des Netto-Herstellerabschlags (§ 130a Abs. 1 und Abs. 1a SGB V), ausgehend von dem im GBA-Beschluss genannten Festbetrag (= 196,19 Euro). Daraus ergäben sich für die Verordnung einer Retardtablette à 30 mg pro Tag Kosten in Höhe von 131,47 Euro und Therapiekosten nach Abzug des Herstellerabschlags von 0,3602 Euro. Die vorgeschlagenen (höheren) Erstattungsbeträge von 0,3827 Euro beruhten dagegen darauf, dass die Herstellerabschläge nicht abgelöst werden (so § 2 Abs. 6 des Vertragsentwurfs des Beigeladenen zu 1.) Damit ergebe sich für Betmiga™ ein Erstattungsbetrag von 0,3827 Euro je Bezugsgröße (= eine tägliche Dosis Mirabegron).

Auf der anderen Seite legte die Klägerin die vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) für Trospiumchlorid veröffentlichte Tagesdosis (DDD) von 40 mg als maßgebliche Dosierung für die wirtschaftlichste zweckmäßige Vergleichstherapie zugrunde (Tagesdosierung: zweimal täglich eine Tablette à 20 mg, mithin 730 Tabletten pro Jahr) und ermittelte so Jahrestherapiekosten von 372,59 Euro (Apothekenverkaufspreis - AVP - netto vor Abzug des Netto-Herstellerabschlags) bzw. unter Berücksichtigung eines Rabatts von drei Prozent einen Erstattungsbetrag in Höhe von 0,7550 Euro je Bezugsgröße. Dieser Erstattungsbetrag liege schon weit unter dem tatsächlichen Abgabepreis in allen anderen europäischen Ländern. Hilfsweise beantragte die Klägerin die Festlegung des Erstattungsbetrages auf 0,7256 Euro je Bezugsgröße, orientiert an den Jahrestherapiekosten für Tolterodin (349,92 Euro).

Nach Verhandlung am 03. November 2015 und mit Schiedsspruch vom selben Tage setzte die Beklagte den Erstattungsbetrag für das Arzneimittel Mirabegron ab dem 1. Juni 2015 je Bezugsgröße auf 0,5510 Euro fest und befüllte entsprechend die in der Vereinbarung nach § 130b Abs. 1 SGB V zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1. bislang nicht konsentieren Tabellen.

Zur Begründung heißt es in dem Schiedsspruch:

"Unstreitig war zwischen den Beteiligten, dass die wirtschaftlichste zweckmäßige Vergleichstherapie Trospiumchlorid ist. [.] Der Spitzenverband Bund geht davon aus, dass der Preis der 30 mg Retardtabletten Trospiumchlorid zugrunde zu legen sei, da dies die preisgünstigste Variante von Trospiumchlorid sei. [ ]. Demgegenüber geht A davon aus, dass die vom DIMDI veröffentlichte Tagesdosis die maßgebliche Dosierung sei. [ ] Die Schiedsstelle erachtet beide Herleitungen der Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie für gut begründbar. Sowohl die Betrachtung der Verordnungshäufigkeiten (Ansatz des Spitzenverbandes Bund) als auch die Betrachtung der vom DIMDI veröffentlichten Tagesdosen (Ansatz von A) sind nach Auffassung der Schiedsstelle zumindest im vorliegenden Fall geeignete Anknüpfungspunkte für die Herleitung der Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Die Schiedsstelle hat es daher unter Würdigung des vorliegenden Falles für sinnvoll angesehen, zwischen beiden Ansätzen – auch im Sinne der Findung eines Interessenausgleichs – eine vermittelnde Position einzunehmen. Hierbei hat die Schiedsstelle es ohne präjudizierende Wirkung für sachgerecht angesehen, die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie auf einer Basis nach Abzug der gesetzlichen Rabatte zu berücksichtigen. Bei dieser Betrachtung belaufen sich die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie beim Ansatz des Spitzenverbandes Bund auf 131,37 Euro und beim Ansatz von A auf 247,07 Euro. Im um Interessenausgleich bemühten, die Sachgerechtigkeit beider Ansätze berücksichtigenden Schiedsspruch wird – ohne präjudizierende Wirkung und unter Berücksichtigung der jeweils vorzunehmenden Würdigung des Einzelfalles – von Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie von 189,28 Euro ausgegangen, also einem etwa in der Mitte der beiden Ansätze liegenden Betrag. Dieser Betrag stellt in den Erwägungen der Schiedsstelle damit auch die Obergrenze der Jahrestherapiekosten für Mirabegron dar. Wird der Erstattungsbetrag für Mirabegron so festgesetzt, dass damit die Obergrenze ausgeschöpft wird, ergibt sich der im Schiedsspruch festgesetzte Betrag für die Bezugsgröße in Höhe von 0,5510 Euro."

Am 30. November 2015 hat die Klägerin Klage gegen den Schiedsspruch erhoben und zugleich ein Eilverfahren mit dem Ziel der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage angestrengt (L 9 KL 513/15 KL ER).

Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen darauf abgehoben, dass der Vorsitzende der Schiedsstelle zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Entscheidung zwingend mit einfacher Mehrheit der anwesenden Mitglieder getroffen werden müsse. Dies verkenne § 8 Abs. 1 Satz 4 der Verordnung über die Schiedsstelle für Arzneimittelversorgung und die Arzneimittelabrechnung (Schiedsstellenverordnung) bzw. § 19 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung der gemeinsamen Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V (GO), wonach die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag gebe, sofern sich keine Mehrheit ergebe. Auf dieser Grundlage müsse der Vorsitzende der Schiedsstelle in einem Fall wie dem vorliegenden keine der Parteien mit ins Boot holen, sondern dürfe seinen Schiedsspruch auch gegen den Willen beider Parteien durchsetzen. Hätte der Vorsitzende der Beklagten dies berücksichtigt, wäre der Schiedsspruch möglicher Weise anders ausgefallen. Außerdem leide der Schiedsspruch unter einem gravierenden Begründungsmangel, weil ihm nicht zu entnehmen sei, warum auch die Auffassung des Beigeladenen zu 1. "gut begründbar" sei. Es bestünden erhebliche Bedenken gegen die von ihm vertretene Berechnungsmethode, weil von der Verordnungshäufigkeit von Trospiumchlorid 30 mg nicht auf die Versorgungsrealität geschlossen werden dürfe, denn es seien Stückelungsmöglichkeiten von 15 mg, 30 mg, 45 mg und 60 mg denkbar.

Mit Beschluss vom 10. Mai 2016 hat der Senat im Eilverfahren die aufschiebende Wirkung der Klage teilweise angeordnet, nämlich soweit die Beklagte im Schiedsspruch einen Erstattungsbetrag von weniger als 0,7256 Euro je Bezugsgröße festgesetzt hat. Er hat dies damit begründet, dass der Schiedsspruch der Antragsgegnerin den Weg eines freien Kompromisses wähle, sich nicht für eine bestimmte Berechnungsmethode entschieden habe und "einen etwa in der Mitte der beiden Ansätze liegenden Betrag" ansteuere, was auch die Frage aufwerfe, ob der Schiedsspruch gegen das Willkürverbot verstoße. Eine vollständige Suspendierung sei nicht geboten, weil die Beklagte hätte beachten müssen, dass sie bei der Errechnung eines "etwa in der Mitte der beiden Ansätze liegenden Betrages" nicht auf den höchsten Wert der für Trospiumchlorid angegebenen Kostenspanne (372,59 Euro) als Ausgangspunkt hätte abstellen dürfen. Dieser Betrag liege über den wirtschaftlicheren Jahrestherapiekosten für Tolterodin (349,92 Euro). Die zwingende rechtliche Obergrenze für einen Erstattungsbetrag müsse sich an den Jahrestherapiekosten für Tolterodin orientieren.

Den am 17.Oktober 2016 von der Klägerin gestellten Antrag auf Abänderung seines Beschlusses hat der Senat abgelehnt (Beschluss vom 03. Februar 2017 – L 9 KR 511/16 KL ER).

Die Klägerin hat Mirabegron am 15. August 2017 zu dem vollziehbaren Erstattungsbetrag (0,7256 Euro) wieder in Deutschland in den Verkehr gebracht. Der Beigeladene zu 2. hat am 16. Mai 2019 Mirabegron in die Festbetragsgruppe "Urologische Spasmolytika, Gruppe 1" in Stufe 3 eingeordnet. Die Klägerin hat dagegen am 09. August 2019 Klage erhoben (L 9 KR 290/19 KL).

Zur Begründung ihrer Klage gegen den Schiedsspruch hat die Klägerin ergänzend ausgeführt: Die Klage bleibe trotz Einleitung des Festbetragsverfahrens zulässig (1.). Der Schiedsspruch sei rechtswidrig, weil der ihm zugrunde gelegte Beschluss des Beigeladenen zu 2. u.a. rechtswidrig einen Zusatznutzen für Mirabegron abgelehnt habe. (2.). Im Übrigen sei der Schiedsspruch selbst aus mehreren Gründen rechtswidrig (3.).

1. Das zwischenzeitlich (2017) für Mirabegron eingeleitete Festbetragsverfahren erledige das Klageverfahren gegen die Festsetzung des Erstattungsbetrages nicht, weil der Erstattungsbetrag in jedem Falle bis zu einer Festbetragsregulierung gelte. Bestehe ein Zusatznutzen, sei dieser auch im Festbetragsverfahren zu berücksichtigen und es gelte ein Vorrang der Erstattungsbetragsregulierung. Nur wenn feststehe, dass kein Zusatznutzen bestehe, sei die Festbetragsfestsetzung überhaupt zulässig

2. a) Für Mirabegron sei ein Zusatznutzen belegt: Der beigeladene GBA habe einen Zusatznutzen allein in Relation zu Anticholinergika bewertet, hingegen nicht berücksichtigt, dass eine große Gruppe von Patienten im zugelassenen Anwendungsgebiet nicht mit Anticholinergika behandelt werden könne und Mirabegron eine Versorgungslücke schließe. Es handele sich bei Mirabegron um ein neuartiges Wirkprinzip. Es stelle eine Therapiealternative bei relevanten Patientengruppen dar, bei denen die als zweckmäßige Vergleichstherapie bestimmten Anticholinergika kontraindiziert, unwirksam oder unverträglich seien. Während alle Wirkstoffe der (medikamentösen) Vergleichstherapie darauf beruhten, dass die Kontraktion der Blase verhindert werde, fördere Mirabegron das Erschlaffen der Blase und verbessere ihre Speicherfunktion. Der Wirkstoff sei geeignet für Patienten, die mit Anticholinergika nicht erfolgreich therapiert werden könnten, konkret: • solche, die auf Anticholinergika nicht hinreichend ansprechen oder • intolerable Nebenwirkungen entwickelten oder • Anticholinergika bereits wegen einer anderen Erkrankung einnehmen müssten und wegen der additiven Wirkung mit der Folge der Potenzierung von Nebenwirkungen nicht einnehmen könnten.

Für die letzteren beiden Patientengruppen sei die Anzahl der Patienten schwer zu beziffern und auf der Basis von Schätzungen zu ermitteln. Insgesamt sei von einer Anzahl von 760.000 bis 1.800.000 Patienten auszugehen. Addiere man dazu diejenigen ohne hinreichenden Therapieerfolg, ergebe sich, ausgehend von Studien in UK sowie hochgerechnet auf die vom GBA festgestellte Zielpopulation von 7,5 Millionen Patienten eine Zahl von mehreren Millionen.

Die Nutzenbewertung müsse nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Verordnung über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a Absatz 1 SGB V für Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V (AM-NutzenV) für das gesamte zugelassene Anwendungsgebiet erfolgen, das habe der Beigeladene zu 2. zwar formal getan. Allerdings habe er die Nutzenbewertung nur für die Patientengruppe durchgeführt, für die eine Behandlung mit Anticholinergika in Betracht gekommen sei. Allein aus der solitären Stellung von Mirabegron sei ein Zusatznutzen anzuerkennen. Ein Vergleich mit einer zugelassenen, aber in der konkreten Situation unzweckmäßigen Therapie sei bereits nach dem Wortlaut rechtswidrig. Dies sei im Rahmen des Nutzenbewertungsverfahrens von der Klägerin auch in dem Dossier (S. 10 Modul 2, S. 20 Modul 3 A) sowie in der mündlichen Verhandlung dargelegt worden. Im Hinblick auf die betroffene Patientengruppe sei Mirabegron dann mit den Jahrestherapiekosten von Injektionen mit Botulinum-A-Toxin (als Vergleichstherapie) zu vergleichen, die zwischen 1.302,68 Euro und 2.586,99 Euro je nach Injektionsintervall lägen.

Soweit der Beigeladene zu 2. sich im Klageverfahren darauf berufe, die Klägerin habe ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht genügt, beruhe dies darauf, dass er seinerseits seiner Beratungspflicht (§ 35a Abs. 7 Satz 1 SGB V) nicht genügt habe. Er hätte die relevanten Patientengruppen und die Vergleichstherapie, damit den Nutzenbewertungsgegenstand, im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht bestimmen müssen.

b) Für den patientenrelevanten Endpunkt Mundtrockenheit sei ein Zusatznutzen nach der Methodik des GBA im Dossier und Stellungnahmeverfahren belegt, sei bei dessen Beschlussfassung aber unberücksichtigt geblieben. Unter Mirabegron sei die Mundtrockenheit ausweislich der Zulassungsstudien signifikant seltener aufgetreten (§ 5 Abs. 7 Nr. 3 VerfO des GBA). Die Mundtrockenheit nehme unter den möglichen Nebenwirkungen von Anticholinergika eine herausragende Stellung ein. In mehreren Studien werde belegt, dass diese Nebenwirkung diejenige sei, die am häufigsten zum Therapieabbruch führe.Dem stehe nicht entgegen, dass den im Dossier vorgelegten Studien keine statistisch signifikante Überlegenheit von Mirabegron im Hinblick auf die Häufigkeit der Therapieabbrüche zu entnehmen sei. Es handele sich dabei um klinische Studien, die nicht auf den Versorgungsalltag übertragbar seien. Der Beigeladene zu 2. habe diese Verbesserung auch erkannt, aber einen Zusatznutzen trotzdem verneint, obwohl ein negativer Endpunkt zu Lasten von Mirabegron bei keinem der übrigen einbezogenen Endpunkte verzeichnet sei. Der Beigeladene zu 2. habe die klinische Relevanz zu keinem Zeitpunkt des Nutzenbewertungsverfahrens in Zweifel gezogen. Auch das IQWiG sehe diesen zentralen Vorteil von Mirabegron (IQWiG Dossierbewertung A14-19 S. 42). Die Klägerin habe in der Verhandlung vor der Schiedsstelle ausgeführt: Würde eine Behandlung mit der Vergleichstherapie "Trospiumchlorid" abgebrochen, so sei auf der Grundlage der Berechnungsweise des Beigeladenen zu 1. Mirabegron die kostengünstigste Arzneitherapie, da keine andere zur Verfügung stehe. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Erstattungsbetrag auf dem Niveau der zweckmäßigen Vergleichstherapie Tolterodin bestimmt werde. Denn für Tolterodin seien die Jahrestherapiekosten als fester Betrag, nicht als Kostenspanne angegeben. Die Klägerin habe daher in ihrem Hilfsantrag im Schiedsverfahren angeboten zu regeln, dass die Verordnung von Mirabegron nur dann als wirtschaftlich anzusehen sei, wenn mindestens eine Vorbehandlung mit einem anderen Spasmolytikum erfolgt sei (§ 130b Abs. 1 Satz 5 SGB V) und die in der Erstattungsbetragsvereinbarung bereits geregelten Mengen nochmal zu reduzieren.

c) Die Nutzenbewertung verstoße gegen die Pflicht des Beigeladenen zu 2., die im Dossier vorgelegte Evidenz auszuwerten. Die Klägerin habe fünf Studien zu den Effekten auf die Endpunkte "Inkontinenz" und "Dranginkontinenz" vorgelegt (Modul 4 A. Tabelle 4-25). Hier sollte ermittelt werden, inwieweit die Intervention eine Veränderung bewirke. Die vom Beigeladenen zu 2. dagegen verlangte Analyse von Daten (Auswertung von Patienten, die nicht schon zu Beginn der Studie an Inkontinenz/Dranginkontinenz litten), entspreche nicht der Praxis der Dossier-Erstellung. Außerdem gebe es in der weltweiten Fachliteratur keinen Hinweis, dass Arzneimittel zur Behandlung der ÜAB überhaupt das Potential besäßen, Inkontinenz/Dranginkontinenz hervorrufen zu können. Zumindest habe der Beigeladene zu 2. aus den vermeintlichen methodischen Mängeln der Studien nicht die gesamte verfügbare Evidenz verwerfen dürfen, da Mirabegron in allen anderen Endpunkten zur Beurteilung der Morbidität gezeigt habe, dass es mindestens gleich gut wirke wie die zweckmäßige Vergleichstherapie Tolterodin. Die Anforderungen des Beigeladenen zu 2. an die Datenlage entsprächen nicht dem Standard der evidenzbasierten Medizin (§ 7 Abs. 2 Satz 4 und 5 AM-NutzenV, § 35a Abs. 1 Satz 7 Nr. 2 SGB V). Die von der Klägerin im Stellungnahmeverfahren noch zusätzlich eingereichten Auswertungen seien schließlich ausreichend, um eine Unterlegenheit von Mirabegron auszuschließen. Außerdem widerspreche der Nutzenbeschluss den Feststellungen der Zulassungsbehörde (EMA) und verstoße gegen § 7 Abs. 2 Satz 6 AMNutzenV. Stelle die Zulassungsbehörde das Erreichen eines Endpunktes positiv fest, sei der Beigeladene zu 2. daran gebunden. Gemäß der Auswertung der Zulassungsstudien habe Mirabegron einen signifikanten Effekt bei der Reduktion von Inkontinenzepisoden gegenüber Placebo und in indirekten Vergleichen mit anderen Antimuskarinika (u.a Tolterodin). Der Beigeladene zu 2. weiche von diesen bindenden Feststellungen ab, da er davon ausgehe, dass keine verwertbaren Daten zu den Endpunkt Inkontinenzepisoden vorgelegt worden seien (S. 5 der Tragenden Gründe GBA).

d) Der Beigeladene zu 2. habe die Stellungnahmen der Sachverständigen nicht ausreichend einbezogen i.S. von § 92 Abs. 3a Satz 2 SGB V. Diese zeige die "Zusammenfassende Dokumentation" seines Beschlusses. Insoweit leide der Nutzenbewertungsbeschluss auch an einem Begründungsmangel, denn die Tragenden Gründe ließen nicht ansatzweise erkennen, ob und inwieweit sich der Beigeladene zu 2. mit den Stellungnahmen auseinandergesetzt habe. Er gehe an keiner Stelle auf die Stellungnahmen ein und lasse nicht erkennen, ob er sich mit den Argumenten auseinandergesetzt habe.

e) Der Beigeladene zu 2. sei für den Nutzenbewertungsbeschluss nicht hinreichend demokratisch legitimiert.

3. Der Schiedsspruch selbst weise mehrere (eigenständige) Rechtsfehler auf: Im Unterschied zu den Fällen, in denen nur der Wert eines Zusatznutzens im Rahmen des Erstattungsbetragsverfahrens zu bestimmen sei, gehe es hier nicht um die Ausübung von Schiedsermessen auf der Rechtsfolgenseite, sondern um die zutreffende Konkretisierung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen (wirtschaftlichen) Vergleichstherapie.

a) Der Schiedsspruch sei u.a. methodisch nicht nachvollziehbar, da er schon nicht erkennen lasse, welche Kosten der Vergleichstherapie er zugrunde lege. Die Begründung, einen Mittelweg zwischen den beiden Anträgen zu wählen, sei nur scheinbar ein Kompromiss. Diese Preissetzung würde in der Folge dazu führen, dass sich stets Maximalforderungen gegenüberstünden, mit denen die Beteiligten versuchen würden, den Mittelwert zu ihren Gunsten jeweils zu verschieben. Dabei bestehe ein Ungleichgewicht, da der Preisvorschlag des pharmazeutischen Unternehmers aufgrund der Grenze der Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie nach oben begrenzt sei im Gegensatz zum GKV-SpV, der nach unten nicht begrenzt sei. Die Beklagte erfülle ihre Aufgabe, "alle Umstände des Verfahrens zu würdigen" nicht, wenn sie ohne Gewichtung der Argumente einen vermeintlichen Kompromiss festlege. Sie überschreite die Grenze zur Willkür, weil kein sachlicher Grund erkennbar sei.

Die behauptete Mittelwertbildung liege auch bereits deshalb nicht vor, weil der Mittelwert zwischen 131,47 Euro und 247,07 Euro bei 0,5801 Euro und nicht bei 0,5510 Euro liege. Die Beklagte habe dagegen als Obergrenze den Mittelwert, damit 189,28 Euro, genommen. Die Abweichung beruhe auf dem unzulässigen Abzug der gesetzlichen Rabatte der von dem Beigeladenen zu 2. veranschlagten Jahrestherapiekosten. Die Obergrenze für den Erstattungsbetrag sei auf der Basis des Apothekenverkaufspreises nach Abzug der gesetzlichen Rabatte ("AVP-Ebene") und nicht auf der Basis des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ("ApU-Ebene") zu ermitteln. Dies sei gesetzlich mit dem Begriff der "Jahrestherapiekosten" vorgeschrieben. Zu berücksichtigen sei schließlich, dass im Zeitpunkt des GBA-Beschlusses ausweislich der Lauer-Taxe (Stand 01. November 2014) für einen Teil der Trospiumchlorid enthaltenen Arzneimittel kein Herstellerabschlag gemäß § 130a Abs. 3b SGB V in Höhe von 10 % angefallen sei. b) Zu entscheiden sei, ob die zweckmäßige Vergleichstherapie wirkstoffbezogen oder dosierungsbezogen bestimmt werden müsse. Richtigerweise sei die Therapie wirkstoffbezogen zu ermitteln. Sei die Therapie dagegen (mit dem Beigeladenen zu 1.) dosierungsbezogen zu ermitteln, sei nicht sichergestellt, dass alle Patienten zu diesen Kosten versorgt werden könnten. Werde somit zwar wirkstoffbezogen, aber allein auf Trospiumchlorid in der Dosierung 30 mg abgestellt, könne auf der Grundlage der Daten nach § 217f SGB V mit dieser Dosierung mehr als ein Viertel der Patienten im zugelassenen Anwendungsgebiet nicht behandelt werden. Zu berücksichtigen sei daher die gesamte Kostenspanne von Trospiumchlorid. Die Beklagte müsse zumindest darlegen, warum sie davon ausgehe, dass auch zu einem niedrigeren Betrag als der Obergrenze eine ausreichende Versorgung erfolgen könne.

c) Der Schiedsspruch leide an gravierenden Begründungsmängeln: Er lasse nicht im Ansatz erkennen, warum die Auffassung des GKV-SpV gut begründbar sei, wonach Obergrenze die Kosten für Trospiumchlorid (30 mg) seien, wenngleich nach eigener Darstellung des GKV-SpV damit nur eine Minderheit der Patienten behandelt werden könne und die Tagesdosis sogar noch geringer liege als die in den Fachinformationen empfohlene. Die Entscheidung lasse zudem offen, warum sämtliche von der Klägerin vorgetragenen Gesichtspunkte bei Ausübung des Schiedsermessens unberücksichtigt geblieben seien. Außerdem lasse der Schiedsspruch nicht erkennen, warum er 5 % unterhalb der Mitte der von den Beteiligten beantragten Preise liege.

d) Der Schiedsspruch beruhe auf einer fehlerhaften Einschätzung des Vorsitzenden von seiner Rolle und Entscheidungsmöglichkeiten. Seine Stimme gebe schon dann den Ausschlag, wenn sich für einen Antrag keine Mehrheit der anwesenden Mitglieder ergebe. Dem Vorsitzenden werde eine starke Stellung eingeräumt, so dass er eine angemessene Lösung notfalls auch gegen den Willen der Mehrheit der Mitglieder (einseitig) durchsetzen könne. Dies sei durch die maßgeblichen Normen der Geschäftsordnung der Schiedsstelle sowie der Verordnung über die Schiedsstelle für Arzneimittelversorgung und Arzneimittelabrechnung (Schiedsstellenverordnung – SchStV) sichergestellt. Eine Stimmengleichheit sei für eine solche Entscheidung bereits vom Wortlaut her nicht erforderlich. Andernfalls müssten sich zumindest zwei der unparteiischen Mitglieder dem Antrag einer Partei anschließen, um eine Mehrheit zu schaffen. § 130b SGB V lasse im Unterschied z.B. zu § 89 SGB V gerade eine Abweichung vom Ziel der Mehrheitsentscheidung zu. Im Gegensatz dazu sei der Schiedsspruch nach § 130b SGB V in ein eher antagonistisches Verfahren eingebettet. Es sei nicht auszuschließen, dass die fehlerhafte Auffassung vom Gewicht des Vorsitzenden dazu geführt habe, dass die Schiedsstelle nicht genau den Mittelbetrag zwischen den aus Sicht der Schiedsstelle plausiblen Erstattungsbeträgen (0,3827 Euro und 0,7775 Euro) festgesetzt habe, sondern noch darunter geblieben sei.

Die Klägerin beantragt,

1. den Schiedsspruch der Beklagten vom 3. November 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Schiedsantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

2. festzustellen, dass der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V – Mirabegron vom 20. November 2014 rechtswidrig und nichtig ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht könne die Entscheidung der Schiedsstelle nur eingeschränkt überprüfen.

a) Die Schiedsstelle habe denselben Entscheidungsspielraum wie die zum Vertragsschluss aufgerufenen Parteien. Schließlich werde hier der Entscheidungsspielraum noch erweitert, weil eine Regelung in der Rahmenvereinbarung zur Ermittlung der Jahrestherapiekosten bei Angabe von Vergleichsspannen für die zweckmäßige Vergleichstherapie fehle. In der Rahmenvereinbarung wäre eine Mittelung zwischen Preisspannen bei unterschiedlicher Wirkstärke zulässig gewesen. Dass die Kombination der Ergebnisse zweier selbständiger Berechnungsmethoden grundsätzlich zulässiger Inhalt der Rahmenvereinbarung sein könnte, ergebe sich aus § 87a Abs. 3 Satz 4 SGB V für die Vereinbarung der jahresbezogenen Veränderung der Morbiditätsstruktur im Bezirk einer kassenärztlichen Vereinigung. Das BSG habe eine Festsetzung auf den Mittelwert durch das Schiedsamt als gewichtete Zusammenfassung nicht beanstandet.

b) Zweckmäßige Vergleichstherapie i.S. des § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V sei nicht die Wirkstärke, diese ergebe sich aus der ärztlichen Therapieentscheidung, sondern der Wirkstoff, ausgehend vom Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 2.

Dabei habe Konsens im Schiedsverfahren über Trospiumchlorid als wirtschaftlichste zweckmäßige Vergleichstherapie bestanden. Im Übrigen gelte: • Wenn die Rahmenvereinbarung (§ 130b Abs. 9 SGB V) eine Mittelwertbildung vorsehen könne, könne dies folglich auch die Schiedsstelle in ihrer Ermessensentscheidung. • Die Gewichtung der Kosten, ausgehend von der Dosierung 30 mg und 40 mg Trospiumchlorid, habe sich maßgeblich am tatsächlichen Versorgungsgeschehen orientiert. Basis sei eine Hochrechnung der patientenindividuell variierenden tatsächlichen Kosten gewesen. • Die Beklagte habe keinen beliebigen Durchschnitt gebildet, sondern ausgehend von den das tatsächliche Versorgungsgeschehen abbildenden Jahrestherapiekosten eine Festsetzung vorgenommen. Dabei ergebe sich aus der Gesetzesbegründung zu § 130b Abs. 9 Satz 5 SGB V, dass die Daten nach § 217f SGB V der Auswertung bedürften (BT-Drs. 17/8005 S. 119). Im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums dürfe die Schiedsstelle aufgrund des belegten Übergewichts der Wirkstärke von 30 mg Trospiumchlorid durch einen Rabatt Ausdruck verleihen. • Es sei zwar zutreffend, dass die Jahrestherapiekosten für Tolterodin die obere Grenze des Erstattungsbetrags bildeten. Es sei deswegen aber nicht geboten, eine gemischte Preisspanne, bestehend aus einem unteren Spannenwert von 196,19 Euro für Trospiumchlorid und 349,92 Euro als oberem Spannenwert (für Tolterodin) zu bilden. Ein solcher Mischwert sei mit der gesetzlichen Regelung des § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V nicht vereinbar. Eine Kombination aus mehreren Alternativen bei Preisspannen für zweckmäßige Vergleichstherapien sei gesetzlich nicht vorgesehen.

Der Beigeladene zu 1. stellt keinen Antrag.

Er weist darauf hin:

• Ausschließlich bei Arzneimitteln, für die ein Zusatznutzen festgestellt worden sei, müssten die Kosten vergleichbarer Arzneimittel und die tatsächlichen Abgabepreise in anderen europäischen Ländern berücksichtigt werden (§ 130b Abs. 9 Satz 3 SGB V). • Durch die Rechenweise des Beklagten mit der Obergrenze unter Bezugnahme auf den Apothekeneinkaufspreis stelle er sicher, dass sich ein Erstattungsbetrag größer als 0 Euro ergebe. Das sei bei der von der Klägerin vertretenen Berechnungsweise, die unter Bezugnahme auf den Apothekenverkaufspreis nach Abzug der Rabatte abhebe, nicht der Fall. • Der Schiedsspruch sei nicht hinreichend begründet, da ihm nicht entnommen werden könne, wie die Beklagte zu dem Erstattungsbetrag gekommen sei. • Es sei im Hinblick auf seine Preisspannen – auch im Schiedsverfahren – keineswegs unzweifelhaft, dass der Wirkstoff Trospiumchlorid per se die wirtschaftliche Vergleichstherapie sei, sondern nur bei Berücksichtigung der wirtschaftlichsten Tagesdosierung von 30 mg, die (auch gemäß der Fachinformation) eine Regeldosierung sei und der Versorgungsrealität entspreche (63 % der Versorgung mit Trospiumchlorid erfolgt mit der Dosierung 30 mg). Bereits im Schiedsverfahren sei deutlich gemacht worden, dass Trospiumchlorid in der Tagesdosis 40 mg zu höheren Jahrestherapiekosten führe als Tolterodin. Diese Tagesdosis überschreite die gesetzliche Obergrenze und hätte in der Mittelwertbildung nicht berücksichtigt werden dürfen. Das gelte auch bei Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich dabei um die "DDD" handele. Denn die Nutzung dieser Tagesdosis nach (anatomisch-therapeutisch-chemischen) ATC-Klassifikation sei nach § 73 Abs. 8 Satz 4 SGB V allein für die standardisierten Kostenvergleiche zwischen Arzneimitteln und diesbezüglicher Information der Ärzte vorgesehen, nicht aber in § 130b Abs. 3 SGB V. • Zur Berücksichtigung der Versorgungsrealitäten hätte die Beklagte den Weg einer Vollerhebung aller Verordnungen zu Lasten der GKV gehen müssen. (§ 217f Abs. 7 SGB V) Ausgehend von dieser Erhebung umfasse die Versorgung mit der Dosierung 40 mg nur 6 %. Sie könne also nicht "freihändig" mit einem Gewicht von 50 % in den Erstattungsbetrag einfließen. • Die im GBA-Beschluss ausgewiesenen Jahrestherapiekosten seien als Teil der Arzneimittel-RL verbindlich. • Die Bildung eines Mittelwertes unterscheide sich grundlegend von derjenigen, die das BSG im Bereich des § 87a Abs. 4 Satz 3 SGB V bereits gebilligt habe (B 6 KA 6/14 R). Dort habe der Gesetzgeber selbst eine gewichtete Zusammenführung angeordnet. • Die Klägerin vergleiche die Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie und des zu bewertenden Arzneimittels auf Ebene des Apothekenverkaufspreises abzüglich der gesetzlichen Rabatte. Die Beklagte nehme diesen Vergleich hingegen in ständiger Spruchpraxis einheitlich auf der Ebene des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers abzüglich der Netto-Herstellerabschläge vor. Der in "etwa mittige Betrag", den die Beklagte festgesetzt habe, sei unter Berücksichtigung eines 7 %-igen Herstellerabschlags für Trospiumchlorid ermittelt, den irrtümlich auch der Beigeladene zu 1. im Verfahren berücksichtigt habe. Tatsächlich sei für dieses Arzneimittel bereits zum Zeitpunkt der Schiedsentscheidung ein Festbetrag geregelt worden, so dass der Herstellerabschlag mit 10 % anzusetzen gewesen sei. Die Klägerin werde dadurch begünstigt. Die Klägerin berücksichtige bei der von ihr gewählten Preisvergleichsebene (AVP abzüglich gesetzlicher Rabatte) die Handelszuschläge und Apothekenabschläge nicht in der zutreffenden Höhe. Sie setze den Apothekenabschlag teils in Höhe von 1.77 EUR und teils in Höhe von 1,80 EUR an.

Der Beigeladene zu 2. beantragt,

die Abweisung der Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 2. a) Die für den Zusatznutzen allein beweisbelastete Klägerin habe dafür keine zureichenden Angaben im Dossier vorgelegt. Sie habe die Fragestellung, ob das Arzneimittel bei den nun im Klageverfahren genannten drei Patientengruppen einen Zusatznutzen aufweise, nicht zum Gegenstand der Nutzenbewertung gemacht, sondern erst im Stellungnahmeverfahren vorgetragen. Die Klägerin habe an keiner Stelle in den Modulen 1 bis 4 des Dossiers für die o.g. Patientengruppen eine den Anforderungen entsprechende systematische Aufbereitung von Angaben zum Nachweis eines Zusatznutzens gemacht. Diese Patientengruppen würden nicht einmal benannt. Das gelte auch, soweit die Klägerin eine solitäre Stellung für die Behandlung behaupte. Unabhängig davon seien die Voraussetzungen für den Solistenstatus nicht gegeben. Die Nutzenbewertung beziehe dazu bei der zweckmäßigen Vergleichstherapie das gesamte Behandlungsspektrum ein, also auch nichtmedikamentöse Behandlungsmöglichkeiten. Die Klägerin selbst benenne aber als alternative Behandlungsmöglichkeiten für die o.g. Patientengruppe Botulinum-A-Toxin.

b) Die Evidenz zu den Endpunkten Inkontinenz und Dranginkontinenz habe keine Berücksichtigung finden können, weil nach der zusammenfassenden Bewertung des IQWiG auch für das (ergänzte) Dossier (Addendum) die eingereichten Informationen und Datenauswertungen nicht sinnvoll interpretierbar gewesen seien. Es seien nur Daten für die Teilpopulation "Patienten, die zu Studienbeginn unter (Drang-) Inkontinenz litten", dargestellt. Es liege keine Auswertung für die Teilpopulation vor, die zu Beginn noch nicht unter obigen Beschwerden gelitten hätten. Eine sinnvolle Interpretation sei nicht möglich. Das beruhe auch darauf, dass Auswertungen entsprechend der zuzuordnenden Teilpopulationen zu allen patientenrelevanten Endpunkten hätten dargelegt werden müssen, nicht nur für Inkontinenzendpunkte. Auf der Basis der vorgelegten insoweit unvollständigen Informationen habe sich nicht abschätzen lassen, ob eines der verwendeten statistischen Verfahren eine adäquate Auswertung zulasse. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass ein statistisch signifikanter und auch relevanter Effekt zuungunsten von Mirabegron hinsichtlich der obigen Endpunkte vorliege.

c) Im Hinblick auf ein im Vergleich zu Tolterodin geringer ausgeprägtes Auftreten der (unerwünschten) Nebenwirkung "Mundtrockenheit" habe der Beigeladene zu 2. zwar festgestellt, dass diese statistisch signifikant häufiger bei Tolterodin aufgetreten sei. Allerdings habe sich auch gezeigt, dass die Häufigkeit des Studienabbruchs wegen dieser Nebenwirkung sich nicht unterschieden habe. Aus der statistischen Relevanz sei nach den Grundsätzen evidenzbasierter Medizin nach der Bewertung des Beigeladenen zu 2. kein klinisch relevanter Unterschied i.S. eines patientenrelevanten therapeutischen Effekts (§ 2 Abs. 3 AM-NutzenV) belegt. Konkret sei die Verringerung der Nebenwirkungen für die Therapie nicht relevant, da nur ein kleiner Anteil der Patienten in den Studien die Mundtrockenheit zum Anlass für einen Therapieabbruch genommen habe. Insoweit bestehe auch kein Widerspruch zu den Feststellungen der Zulassungsbehörde für Mirabegron, denn der Beigeladene zu 2. habe lediglich ausgeführt, dass sich auf der Basis der Daten (im Dossier) zur Morbidität keine Aussagen zum Zusatznutzen im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie ableiten ließen. Das Nutzenverhältnis sei nicht hinreichend sicher einschätzbar. Außerdem sei aus den Zulassungsfeststellungen nicht hinreichend deutlich genug zu entnehmen, ob sie Aussagen zur vergleichenden Wirksamkeit zu Tolterodin träfen. Konkret gelte es in der Nutzenbewertung, den Effekt auf seine Bedeutung für die Therapie zu bewerten. d) Die "Tragenden Gründe" des Nutzenbewertungsbeschlusses wiesen schließlich keine Begründungsmängel auf: So habe der Beigeladene zu 2. nicht auf die möglicherweise kritikwürdige Methodik des IQWiG zur Bewertung des Ausmaßes des Zusatznutzens abgestellt. Eine mangelnde Auseinandersetzung mit der Stellungnahme der Klägerin zu dem Thema "Gesundheitsbezogene Lebensqualität" könne deshalb nicht konstatiert werden, weil sich die betreffende Stellungnahme mit einem Erhebungsinstrument zur Messung der Lebensqualität befasse, welches in den Studien zu Mirabegron überhaupt nicht zur Anwendung gekommen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichts- und Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Akten des Beigeladenen zu 2. aus dem Verfahren der Nutzenbewertung verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Senates gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

A. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ist nach § 29 Abs. 4 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für Klagen gegen Entscheidungen der Schiedsstelle nach § 130b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) im ersten Rechtszug sachlich zuständig.

B. Die Klage ist mit beiden Anträgen zulässig, denn die gesetzlichen Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.

I. Der Antrag zu 1. (Anfechtung des Schiedsspruchs und Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung) ist als kombinierte Anfechtungs- und Bescheidungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1, 131 Abs. 3 SGG statthaft, denn der angefochtene Schiedsspruch ist gegenüber den Partnern der Erstattungsvereinbarung, die durch den Schiedsspruch ersetzt wird, ein Verwaltungsakt i.S.v. § 31 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X; vgl. BSG, Urteil vom 4. Juli 2018, B 3 KR 20/17 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 17 [Albiglutid]); zugleich macht die gerichtliche Aufhebung eines Schiedsspruchs nach § 130b Abs. 4 Satz 1 SGB V zwingend eine erneute Entscheidung der beklagten Schiedsstelle über den Schiedsantrag erforderlich, wenn das Arzneimittel – wie hier – weiter zu Lasten der GKV abgegeben werden soll, weshalb im Falle der Aufhebung des Schiedsspruchs auch die Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung angezeigt ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. März 2019, B 3 KR 2/18 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24 [Constella®]).

Der pharmazeutische Unternehmer ist als Partner der Erstattungsvereinbarung klagebefugt (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Das Interesse an der Festsetzung eines Erstattungsbetrages kann ihm nicht deshalb abgesprochen werden, weil er den Vertrieb des Arzneimittels in Deutschland (zwischenzeitlich) einstellt. Dies gilt vor allem mit Blick auf die zwischenzeitlich rahmenvertraglich eingeräumte Option für ihn, im Anschluss an die Nutzenbewertung des GBA nach § 35a SGB V das Verhandlungsverfahren aufzunehmen oder ein laufendes Verfahren weiter zu betreiben, schließlich auch die genannte "Opt-out" Möglichkeit und das Arzneimittel aus dem Verkehr zu nehmen. Dann wird solange kein Erstattungsbetrag vereinbart oder von der Schiedsstelle festgesetzt, bis ein Arzneimittel mit diesem Wirkstoff erneut in den Verkehr gebracht wird. Dies ist allerdings lediglich eine Option des pharmazeutischen Unternehmers. (BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R –, BSGE (vorgesehen), Rn. 26). Abgesehen davon hat die Klägerin das Arzneimittel am 15. August 2017 zu dem vollziehbaren Erstattungsbetrag (0,7256 Euro) wieder in Deutschland in den Verkehr gebracht.

Ein vorheriges Widerspruchsverfahren war nach § 130b Abs. 4 Satz 6 SGB V nicht durchzuführen. Die Klagefrist von einem Monat (§ 87 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist mit Klageerhebung gegen den Schiedsspruch vom 03. November 2015 am 30. November 2015 gewahrt.

II. 1. Der Antrag zu 2. (Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit des Nutzenbewertungsbeschlusses des notwendig Beigeladenen zu 2. vom 20. November 2014) ist als Feststellungsklage statthaft (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Damit ist auch der Nutzenbewertungsbeschluss zu Mirabegron Klagegegenstand (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 34). Dass nach § 35a Abs. 8 Satz 1 SGB V eine "gesonderte" Klage gegen den der Festsetzung des Erstattungsbetrags vorgelagerten Nutzenbewertungsbeschluss des GBA unzulässig ist, schließt das Erfordernis eines gesonderten Feststellungsantrags in prozessualen Konstellationen der vorliegenden Art nicht schlechthin aus. Dem Wortlaut des Gesetzes ist nicht etwa zu entnehmen, dass sich eine Klage "ausschließlich" gegen den Schiedsspruch richten müsste und nicht gegen den GBA-Beschluss. Aus den Gesetzesmaterialien ist vielmehr nur abzuleiten, dass aus Beschleunigungsgründen (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum AMNOG, BT-Drucks. 17/2413, S. 23 zu Nr. 5 zu Absatz 8)nicht zwei isolierte, aufeinanderfolgende gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden sollten, sondern in einem einheitlich geführten Rechtsstreit gegen die Entscheidung der Schiedsstelle zugleich auch die gerichtliche Kontrolle über den Nutzenbewertungsbeschluss des GBA eröffnet ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Klagebegehren auch mit verfahrens- oder materiell-rechtlich gestützten Beanstandungen gegen die Nutzenbewertung des GBA begründet wird. Die Rechtsschutzmöglichkeiten Betroffener werden insoweit nur zeitlich auf das Stadium der "abschließenden Entscheidung" (so der Gesetzentwurf, ebenda)der Überprüfung des Schiedsspruchs hinausgeschoben (so ausdrücklich BSG, a.a.O., Rn. 36f.).

2. In Bezug auf den Nutzenbewertungsbeschluss vom 20. November 2014 ist die Feststellungsklage auch im Übrigen zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin ergibt sich daraus, dass die Nutzenbewertung des streitgegenständlichen Arzneimittels bestimmte Prämissen für die nachfolgende Festsetzung eines Erstattungsbetrages setzt, die für sich genommen Rechte der Klägerin als pharmazeutische Unternehmerin verletzen können.

3. Die Klägerin hat ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage. Dieses entfällt nicht deshalb, weil der Beigeladene zu 2. am 16. Mai 2019 Mirabegron in die Festbetragsgruppe "Urologische Spasmolytika, Gruppe 1" in Stufe 3 eingeordnet hat. Für Arzneimittel ohne Zusatznutzen wird nur dann ein Erstattungsbetrag vereinbart, wenn das Arzneimittel weder einer bestehenden Festbetragsgruppe zugeordnet wird, noch eine neue Festbetragsgruppe gebildet werden kann (vgl. § 130b Abs. 3 Satz 1 a.E. SGB V). Erfolgt die Einordnung in die Festbetragsgruppe nach Vereinbarung eines Erstattungsbetrags, berechtigt das zwar dazu, die Vereinbarung über den Erstattungsbetrag, also auch den Schiedsspruch, zu kündigen (§ 130b Abs. 3 Satz 4 SGB V, so Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/2413 S. 31 – Zu Absatz 3). Bis zur Kündigung hat die Klägerin aber noch Anspruch auf Vergütung des Arzneimittels zum Erstattungsbetrag nach § 130b Abs. 1 SGB V. Darüber hinaus hat die Klägerin gegen die Einordnung in die Festbetragsgruppe am 09. August 2019 Klage erhoben (L 9 KR 290/19 KL), so dass die Möglichkeit besteht, dass der Beschluss über die Einordnung in die Festbetragsgruppe aufgehoben wird und für das Arzneimittel weiter der Erstattungsbetrag maßgeblich bleibt.

4. Die gemäß § 75 Abs. 2 SGG notwendige Beiladung des Beigeladenen zu 2. zu dem Klageverfahren (BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R, Rn. 29) hat der Senat mit Beschluss vom 19. September 2016 vorgenommen und im Termin zur mündlichen Verhandlung konkretisiert. Mit dem Antrag zu 2. (Feststellungsklage) wird auch der Beschluss des Beigeladenen zu 2. über die Nutzenbewertung vom Senat überprüft und eine ihn bindende Feststellung getroffen. Stellt der Senat die Rechtswidrigkeit fest, wäre der Beigeladene zu 2. gehalten bzw. verpflichtet, einen neuen Beschluss über die Nutzenbewertung von Mirabegron zu fassen.

C. Die Klage ist mit beiden Anträgen unbegründet.

Weder die vom Beigeladenen zu 2. vorgenommene Nutzenbewertung des Wirkstoffs Mirabegron (dazu I.) noch der nachfolgende Schiedsspruch der Beklagten ist rechtswidrig. Zumindest verletzt dieser die Klägerin nicht in ihren Rechten (dazu II.).

I. Zur Überzeugung des Senats ist der Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 2. vom 20. November 2014 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1. Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V in der durch das AMNOG (Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22. Dezember 2010, BGBl. I, 2262) eingeführten Fassung bewertet der GBA den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen, wozu insbesondere die Bewertung des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie sowie des Ausmaßes des Zusatznutzens und seiner therapeutischen Bedeutung gehört (vgl. hierzu und zum Folgenden: BSG, Urteil vom 28. März 2019, B 3 KR 2/18 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 47 bis 49 [Constella®]). Die Nutzenbewertung erfolgt "auf Grund von Nachweisen des pharmazeutischen Unternehmers", in denen insbesondere die zugelassenen Anwendungsgebiete, der medizinische Nutzen und der medizinische Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie anzugeben sind (§ 35a Abs. 1 Satz 3 SGB V).

Das Bundesministerium für Gesundheit regelt durch Rechtsverordnung insbesondere Grundsätze für die Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie und des Zusatznutzens und legt dabei auch die Fälle fest, in denen zusätzliche Nachweise erforderlich sind und die Voraussetzungen, unter denen Studien bestimmter Evidenzstufen zu verlangen sind; Grundlage sind die internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsökonomie (§ 35a Abs. 1 Satz 6 und 7 Nr. 2 SGB V); dies ist mit der Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung vom 28. Dezember 2010 (AM-NutzenV) geschehen. Weitere Einzelheiten regelt der GBA in seiner Verfahrensordnung (§ 35a Abs. 1 Satz 8 SGB V).

Nach § 2 Abs. 4 AM-NutzenV ist der Zusatznutzen ein Nutzen, der höher ist als derjenige, den die zweckmäßige Vergleichstherapie aufweist. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AM-NutzenV ist dieser Zusatznutzen vom pharmazeutischen Unternehmer in einem näher in § 4 AM-NutzenV geregelten Dossier nachzuweisen. Zu den Darlegungspflichten bestimmt sodann § 4 Abs. 8 AM-NutzenV im Einzelnen Folgendes:

"Der pharmazeutische Unternehmer hat die Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung gemessen am Apothekenabgabepreis und die den Krankenkassen tatsächlich entstehenden Kosten anzugeben. Die Kosten sind sowohl für das zu bewertende Arzneimittel als auch für die zweckmäßige Vergleichstherapie anzugeben. Maßgeblich sind die direkten Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung über einen bestimmten Zeitraum. Bestehen bei Anwendung der Arzneimittel entsprechend der Fach- oder Gebrauchsinformation regelhaft Unterschiede bei der notwendigen Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung oder bei der Verordnung sonstiger Leistungen zwischen dem zu bewertenden Arzneimittel und der zweckmäßigen Vergleichstherapie, sind die damit verbundenen Kostenunterschiede für die Feststellung der den Krankenkassen tatsächlich entstehenden Kosten zu berücksichtigen."

Zweckmäßige Vergleichstherapie ist bei alledem diejenige Therapie, deren Nutzen mit dem Nutzen eines Arzneimittels mit neuen Wirkstoffen für die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V verglichen wird (§ 2 Abs. 5 AM-NutzenV). Sie ist nach § 6 Abs. 1, 2 und 2a AM-NutzenV regelhaft nach Maßstäben zu bestimmen, die sich aus den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin ergeben und muss eine nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zweckmäßige Therapie im Anwendungsgebiet sein (§ 12 SGB V), vorzugsweise eine Therapie, für die Endpunktstudien vorliegen und die sich in der praktischen Anwendung bewährt hat, soweit nicht Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V oder das Wirtschaftlichkeitsgebot dagegen sprechen. Sind mehrere Alternativen für die Vergleichstherapie gleichermaßen zweckmäßig, kann der Zusatznutzen gegenüber jeder dieser Therapien nachgewiesen werden.

2. Über die Konkretisierung dieser rechtlichen Vorgaben entscheidet der Beigeladene zu 2. im Zuge der Nutzenbewertung als Normgeber; sein Beschluss ist rechtlich verbindlich, denn er ist nach § 35a Abs. 3 Satz 6 SGB V ausdrücklich Teil der Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V.

Daher darf die sozialgerichtliche Kontrolle ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der durch den Beigeladenen zu 2. zu treffenden Wertungen setzen. Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche Prüfung darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den normgeberischen Gestaltungsspielraum auszufüllen (vgl. BSG, Urteil vom 14. Mai 2014, B 6 KA 21/13 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 32 [Buscopan]; Urteil vom 6. März 2012, B 1 KR 24/10 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 25 [Linola u.a.]; Urteil vom 1. März 2011, B 1 KR 10/10 R zitiert nach juris, dort Rdnr. 38 [Atorvastatin]). In besonderem Maße zu beachten bleibt im Lichte der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 28. März 2019, B 3 KR 2/18 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 51 bis 53 [Constella®]) Folgendes:

Der Ausgangspunkt der zur gerichtlichen Überprüfung gestellten Zusatznutzenprüfung des GBA einschließlich der damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Beurteilung der zweckmäßigen Vergleichstherapie besteht nach dem dargestellten Normkonzept jeweils allein in dem Dossier des pharmazeutischen Unternehmers nach § 4 AM-NutzenV. Insoweit obliegt dem GBA keine Amtsermittlungspflicht.

Die Darlegungsobliegenheiten, Ermittlungspflichten und die Festlegung der Prüfungstiefe der Nutzenbewertung auch im Zusammenhang mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie folgen bereits aus den Gesetzesmaterialien zu § 35a SGB V selbst. So heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf des AMNOG u.a., dass Grundlage der Nutzenbewertung ein Dossier des pharmazeutischen Unternehmers ist, mit dem er den therapierelevanten Nutzen seines Arzneimittels nachweist und dass dieser Nachweis für jedes Arzneimittel mit neuem Wirkstoff sowie für jedes neu zugelassene Anwendungsgebiet durch ganz bestimmte - im Einzelnen aufgeführte - Angaben erbracht wird, u.a. zu den Jahrestherapiekosten für die GKV (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum AMNOG, BT-Drucks 17/2413, zu Nr. 5 [§ 35a] zu Abs. 1, S. 20 rechte Spalte Abs. 4 und 5). In der Begründung heißt es ausdrücklich:

"Die Ermittlung des Zusatznutzens erfolgt ausschließlich auf der Grundlage der vom pharmazeutischen Unternehmer vorgelegten Nachweise. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat keine Amtsermittlungspflicht. Belege, die nicht fristgerecht eingereicht sind, sind nicht Gegenstand der Bewertung. Reicht der pharmazeutische Unternehmer innerhalb der Frist kein Dossier oder ein unvollständiges Dossier ein, gilt der Zusatznutzen als nicht gegeben" (ebenda S. 21 linke Spalte Abs. 3).

Das Bundessozialgericht (a.a.O. Rn. 53) hat ausdrücklich entschieden, dass in derartigen Fällen einer gesetzlich geregelten Verteilung von Darlegungs- und Nachweispflichten gleichermaßen keine über die Pflichten des GBA selbst hinausgehenden weitergehenden Amtsermittlungspflichten des Gerichts nach § 103 SGG bestehen. Deswegen ist es auch dem Senat verwehrt, eigenständige, über den Inhalt des Dossiers der Klägerin hinausgehende Erwägungen anzustellen und Bewertungen zu den Kosten der Vergleichstherapie vorzunehmen. Der Senat ist vielmehr wie der GBA gehalten, die Bewertung des Zusatznutzens, die Kosten des zu bewertenden Arzneimittels (vgl. § 4 Abs 8 AM-NutzenV) sowie die Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie allein auf der Grundlage des von der Klägerin eingereichten Dossiers vorzunehmen; das Gericht hat den Inhalt des Dossiers unter Berücksichtigung der Ausführungen des GBA hinsichtlich der entscheidungserheblichen Punkte zu bewerten. Bei der rechtlichen Prüfung der Ausführungen des GBA in seinem Nutzenbewertungsbeschluss bleibt zu berücksichtigen, dass er als besonders sachkundige Institution und Normgeber nur eingeschränkten Begründungspflichten unterliegt.

3. Hieran gemessen hält der Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 2. vom 20. November 2014 einer rechtlichen Überprüfung stand. Die Feststellungen des Beigeladenen zu 2. zu Mirabegron (Bezeichnung der zweckmäßigen Vergleichstherapie, fehlender Zusatznutzen) sind rechtlich beanstandungsfrei. Der Beschluss ist in formeller Hinsicht (hinsichtlich Zuständigkeit und Verfahren) frei von Rechtsfehlern (a.) Der Beigeladene zu 2. ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Zusatznutzen für Mirabegron nicht belegt ist. Insoweit haben die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden (b.)

a. In formeller Hinsicht hat der Senat auch unter Berücksichtigung der hierzu zuletzt ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 10.11.2015 - 1 BvR 2056/12 - BVerfGE 140, 229) an der Verfassungsmäßigkeit der für den Erstattungsbetrag nach § 130b Abs. 1 SGB V bedeutsamen Rechtsetzung durch den GBA keine Zweifel. Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten Entscheidung ausgeführt, dass die demokratische Legitimation des GBA zum Erlass einer verbindlichen Richtlinie fehlen kann, wenn diese z.B. mit hoher Intensität Angelegenheiten Dritter regelt, die an deren Entstehung nicht mitwirken konnten. Maßgeblich ist danach insbesondere, inwieweit der GBA für seine zu treffenden Entscheidungen gesetzlich angeleitet wird (BVerfGE, aaO, Rn. 22). Der Beschluss zur Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 Satz 6 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V bindet nach § 130b Abs. 1 SGB V die Parteien der Erstattungsbetragsvereinbarung. Der vereinbarte oder im Wege des Schiedsspruchs festgesetzte Erstattungsbetrag hat Bedeutung über die gesetzliche Krankenversicherung hinaus. Über die gesetzliche Anordnung des 78 Abs. 3a Arzneimittelgesetz (AMG), wonach er auch den (allgemeinen) Abgabepreis für den pharmazeutischen Unternehmer i.S. einer Obergrenze bestimmt, deckelt er den Preis insgesamt für den Arzneimittelmarkt. § 35a SGB V i.V.m. der auf § 35a Abs. 1 Satz 7 SGB V beruhenden AM-NutzenV enthalten aber hinreichend bestimmte konkrete Vorgaben für den Beigeladenen zu 2. als Normgeber. Zudem bestimmt § 35a Abs. 3 Satz 2 mit dem modifizierten Verweis auf § 92 Abs. 3a SGB V, dass Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis sowie den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer, den betroffenen pharmazeutischen Unternehmern, den Berufsvertretungen der Apotheker und den maßgeblichen Dachverbänden der Ärztegesellschaften der besonderen Therapierichtungen auf Bundesebene Gelegenheit auch zur mündlichen Stellungnahme zu geben ist. Deren Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen (§ 92 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Dadurch wird deren Belangen angemessen Rechnung getragen.

Auch das Bundessozialgericht hat in den letzten Entscheidungen u.a. zur Festsetzung von Erstattungsbeträgen nach § 130b SGB V und der Bedeutung des Nutzenbewertungsbeschlusses keine Zweifel geäußert und für andere Rechtssetzungsakte wie die für Versicherte bedeutsamen Richtlinien zur Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden die demokratische Legitimation des GBA ausdrücklich anerkannt (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 6/16 R, Rn. 48; zu § 130b SGB V zuletzt Urteile vom 04. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R und B 3 KR 21/17 R; Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R).

b. In materieller Hinsicht hat der Beigeladene zu 2. die gesetzlichen Vorgaben, widerspruchsfrei beachtet.

aa. Er hat als zweckmäßige Vergleichstherapie die Wirkstoffe Darifenacin oder Fesoterodin oder Propiverin oder Solifenacin oder Tolterodin oder Trospiumchlorid (Parasympatholytika/Anticholinergika) festgelegt. Er hat die Jahrestherapiekosten pro Patient zutreffend gemäß § 4 Abs. 8 AM-NutzenV nach dem Apothekenverkaufspreis nach Abzug gesetzlich vorgeschriebener Rabatte [AVP netto]) für Mirabegron bzw. für die zweckmäßige Vergleichstherapie bemessen (Lauer-Taxe - Stand: 1. November 2014, vgl. A. Tragende Gründe und Beschluss, Ziff. 2.4 Therapiekosten).

bb. Der Beigeladene zu 2. ist vertretbar zu der Bewertung gelangt, dass für Mirabegron gegenüber der o.g. zweckmäßigen Vergleichstherapie kein Zusatznutzen nachgewiesen ist ... Die benannten Wirkstoffe der zweckmäßigen Vergleichstherapie dienen – wie Betmiga™ - zur Behandlung von Symptomen der überaktiven Blase wie Dranginkontinenz und/oder vermehrter Harndrang, der Therapie von imperativem Harndrang, erhöhter Miktionsfrequenz und/oder Dranginkontinenz bei überaktiver Blase. Die Klägerin hat den in der Klage skizzierten Zusatznutzen als (alleinige) Therapiealternative für Anticholinergika oder sogar eine Solistenstellung von Mirabegron in dem dafür maßgeblichen Dossier nicht dargelegt. Es kommt daher nicht darauf an, dass sie selbst in der Klage als weitere mögliche (medikamentöse) Therapie Botulinumtoxin A benannt hat. Die Klägerin hat in dem Dossier an den von ihr benannten Stellen zwar ausgeführt, dass sich die Mundtrockenheit neben anderen ausgeführten als häufigste anticholinerge Nebenwirkung vor allem bei geriatrischen Patienten als therapielimitierend erweise. Der dann folgende Schluss, dass deshalb (!) Bedarf an neuen Behandlungsmöglichkeiten für "Patienten bestehe, die keine ausreichende therapeutische Wirkung erlebten oder die die Nebenwirkungen nicht tolerieren könnten" (Modul 2, S. 9/10), benennt weder konkret die drei Patientengruppen, die in der Klage nun als schlichtweg nicht mit Anticholinergika behandelbar bezeichnet werden; noch legt die Klägerin mit der dann folgenden Beschreibung der biochemisch-organischen Wirkweise von Mirabegron dar, weshalb gerade dieser Wirkstoff eine Alternative ist. Die "Solistenstellung" wird schließlich nicht einmal erwähnt. Dies gilt entsprechend für die in Modul 3 A (S. 19 – 21) niedergelegten Aussagen. Auch diese befassen sich mit Nebenwirkungen von (pharmakologischen) Therapien der überaktiven Blase (= ÜAB-Therapien). Dort wird zunächst von einer frühzeitigen Beendigung der Therapie mit Anticholinergika berichtet, weil viele Patienten "die Balance zwischen Wirksamkeit und Verträglichkeit als unbefriedigend empfinden"; daneben wird allgemein ohne Bezug zur ÜAB berichtet, dass eine wesentliche und vermeidbare Ursache von Mortalität, Morbidität und Gesundheitskosten eine unzureichende Therapietreue sei. Gleichzeitig referiert die Klägerin dann allgemein die Vorteile neuerer Anticholinergika zur Verbesserung des Wirkungs-Nebenwirkungs-Verhältnisses und betont die trotzdem bestehende Notwendigkeit, diese individuell auszuwählen und an die Patientensituation anzupassen. Die dann sich anschließende Behauptung, dies könnten Anticholinergika nicht leisten, Mirabegron dagegen könne die verbleibende therapeutische Lücke schließen, gefolgt von Darlegungen zur spezifischen Wirkweise von Mirabegron benennen in keiner Weise gerade die später in der Klage genannten drei Patientengruppen oder den alleinigen strukturellen Vorteil von Mirabegron. Dies geschieht auch nicht in Modul 4, auf welches auf S. 21 Modul 3 zum Beleg des Zusatznutzens verwiesen wird. In Modul 4 A wird der Zusatznutzen speziell zur Vergleichstherapie Tolterodin, also nicht zu allen Anitcholinergika, dargelegt und dazu auf vier Studien Bezug genommen (S. 22, S. 24/25 Modul 4). Ein Vorteil in Bezug zu allen Anticholinergika wird somit nicht behauptet und er ist nicht Gegenstand der Studien. Gleiches gilt für mögliche Kontraindikationen, die die Anwendung von Anticholinergika ausschließen und einem insoweit allein von Mirabegron geleisteten Anwendungsbereich. So wird ab S. 24, 33 ff. (Modul 4) unter den Endpunkten Wirksamkeit, Sicherheit/Verträglichkeit, Lebensqualität der Zusatznutzen unter Interpretation der Studienergebnisse und direktem Vergleich interpretiert. Ein Zusatznutzen wird allein mit einer Senkung der Nebenwirkungshäufigkeit (unerwünschte Ereignisse und speziell Mundtrockenheit) begründet (S. 34). Nach der oben skizzierten Darlegungslast hätte die Klägerin in ihrem Dossier aber sowohl die (besondere) Patientengruppe, die Unterlegenheit aller Wirkstoffe der Vergleichstherapie sowie den (alleinigen) besonderen therapeutischen Nutzen von Mirabegron benennen müssen. Das hat sie – auch in dem Addendum – nicht getan. In diesem hat die Klägerin (ergänzende) Auswertungen zu den Endpunkten Inkontinenz und Dranginkontinenz aus den bereits im Dossier vorgelegten Studien (Langzeitstudie 49, Kurzzeitstudien 044, 046, 048, 090) vorgelegt. Eine Amtsermittlung des Beigeladenen zu 2. besteht nicht.

(1) Der Beigeladene zu 2. hat frei von Rechtsfehlern einen möglichen Zusatznutzen des Wirkstoffs für den patientenrelevanten Endpunkt Mundtrockenheit abgelehnt. Aufgrund seiner Ausführungen als einer mit besonderer Sachkunde ausgestatteten Institution und daraus folgender nur eingeschränkten Kontrolle des Senates ist weder erkennbar, dass die Bewertung auf einer unrichtigen Tatsachengrundlage beruht noch inhaltlich nicht nachvollziehbar ist. Nach § 2 Abs. 3 AM-NutzenV ist der Nutzen eines Arzneimittels der patientenrelevante therapeutische Effekt insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustands, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens, der Verringerung von Nebenwirkungen oder einer Verbesserung der Lebensqualität. Zusatznutzen eines Arzneimittels im Sinne dieser Verordnung ist ein Nutzen im Sinne des Absatzes 3, der quantitativ oder qualitativ höher ist als der Nutzen, den die zweckmäßige Vergleichstherapie aufweist (§ 2 Abs. 4 AM-NutzenV).

Zwar hat die Klägerin einen Zusatznutzen in ihrem Dossier an mehreren Stellen unter Bezugnahme auf die vorgelegten Studienergebnisse der vergleichenden Studie Mirabegron-Tolterodin-Placebo behauptet, der Beigeladene zu 2. kam im Rahmen seiner Bewertung aber nachvollziehbar dazu, dass dem keine therapeutische Relevanz für die Versorgungsrealität zukommt. Der Beigeladene zu 2. hat sich dazu u.a. auf die Dossierbewertung des IQWiG berufen. Diese kommt zu keinem nachgewiesenen therapeutischen Nutzen für die UE (= unerwünschte Ereignisse). Gemäß dem Gutachten des IQWiG ergab sich im Ergebnis der Auswertung der vorgelegten Langzeit- (049) und vier Kurzzeit-Studien (044, 046, 048, 090) für den Endpunkt Mundtrockenheit statistisch zwar ein Beleg für einen geringeren Schaden durch Mirabegron im Vergleich zu Tolterodin, allerdings kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen für den Abbruch der Therapie wegen der Mundtrockenheit. Damit sei – so das IQWiG – ein größerer / geringerer Schaden von Mirabegron für den Endpunkt Abbruch wegen Mundtrockenheit nicht belegt. (Kurzfassung Dossierbewertung A14-19, 2.1., S. 6 sowie Dossierbewertung Ziff, 2.5.2, Gesamtaussage zum Zusatznutzen, S. 42).

Den Beurteilungen des IQWiG kommt die Vermutung einer Richtigkeitsgewähr zu, die im Regelfall weitere Beweiserhebungen erübrigt. (BSG, Urteil vom 01. März 2011 – B 1 KR 10/10 R –, BSGE 107, 287-315, Rn. 74; B 1 KR 7/10 R [Atorvastatin], Rn. 77 ff. kritisch Rixen, SGb 2018, 253, ). Dem schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung einschränkungslos an. Außerdem ist die Klägerin dieser fachlichen Beurteilung nicht begründet entgegen getreten.

Zwar ist gemäß dem Gutachten des IQWiG bei isolierter Betrachtung des Endpunktes Mundtrockenheit ein "geringerer Schaden", also ein positiver Effekt im Vergleich zur maßgeblichen Therapie mit Tolterodin statistisch mit der Langzeitstudie 049 belegt. Der Beigeladene zu 2. weicht von dieser Aussage auch nicht ab. Seine daran anknüpfende eigene Bewertung, bezogen auf den "patientenrelevanten therapeutischen Effekt" folge noch kein Zusatznutzen, da wegen der genannten Nebenwirkung kein statistisch nachweisbarer Therapieabbruch feststellbar sei, bezieht sich auf ein Kriterium des § 2 Abs. 3 AM-NutzenV. So gehört ausweislich der Fachinformationen z.B. von Tolterodin Mundtrockenheit zu den "leichten bis mäßigen antimuscarinergen Nebenwirkungen" (Ziff. 4.8 Fachinformation Detrusitol®). Der Beigeladene zu 2. lehnte einen Zusatznutzen i.S. der AM-NutzenV gleichwohl mit drei Erwägungen nachvollziehbar ab, nämlich weil (1) eine weitere Verringerung anderer anticholinerger Nebenwirkungen durch die vorgelegten Studien nicht belegt wurde, darüber hinaus (2) nicht statistisch belegt wurde, dass die Nebenwirkung Mundtrockenheit zu einem Studienabbruch führt und (3) Subgruppenanalysen (zu Nebenwirkungen) für spezifische Patientengruppen, insbesondere neurologisch Erkrankten fehlten. Der damit verfolgte Ansatz, die Nebenwirkungen in ihrer Gesamtheit zu betrachten, hält sich im Rahmen des dem Beigeladenen zu 2. eingeräumten Beurteilungsspielraums. Er muss zur Bewertung des therapeutischen Effekts i.S. der AM-NutzenV diesen im Ausmaß und der Bedeutung der verringerten Nebenwirkungen auch im Verhältnis zu anderen abmessen und darf dabei auch gewichten. Die daran anknüpfende Gesamtbetrachtung, wonach ein Abwägen von Zusatznutzen und Schaden dem Beigeladenen zu 2. nicht möglich und deshalb der Zusatznutzen nicht belegt sei, berücksichtigt schließlich die durch § 2 Abs. 4 AM-NutzenV vorgegebene Beweislast. Der Zusatznutzen muss quantitativ oder qualitativ höher sein als der Nutzen der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Zweifel gehen zu Lasten des beweisbelasteten Unternehmers. Das steht im Einklang mit höherrangigem Recht, insbesondere mit § 35a SGB V (BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R –, BSGE (vorgesehen), Rn. 52). Der Beigeladene zu 2. war in dieser Situation nicht zu weiteren Ermittlungen verpflichtet (dazu , SGb 2018, 253, 259). Beweisbelastet für den Nachweis des höheren Nutzens ist allein der pharmazeutische Unternehmer. Er trägt auch das Risiko, wenn der höhere Nutzen mit den eingereichten Studien und dem Dossier nicht belegt ist. Eine Ermittlungspflicht für den Beigeladenen zu 2. bestand mithin nicht (BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R –, BSGE (vorgesehen), Rn. 52 ff.)

(2) Der Beigeladene zu 2. hat seine Auswertungspflicht bezüglich des Nachweises von Effekten auf die Endpunkte "Inkontinenz" und "Dranginkontinenz" nicht verletzt und auch den Standard der evidenzbasierten Medizin beachtet (§ 7 Abs. 2 Satz 4 und 5 AM-NutzenV). Er durfte im Rahmen seines Beurteilungsspielraums einen Zusatznutzen für die genannten beiden Endpunkte ablehnen, weil in dem vorgelegten Dossier nur Daten für Studienteilnehmer vorlagen, die bereits zu Studienbeginn an Inkontinenz litten (Modul 4 A Ziff. 4.2.5.2 S. 47 und 4.2.5.5, S. 55) und die im Stellungnahmeverfahren nachgereichten Auswertungen u.a. eine deskriptive Darstellung der Daten sowie genaue Beschreibung der statistischen Methoden vermissen ließen (vgl. Begründung auf Basis der Kriterien nach 5. Kapitel, § 6 Abs. 3 VerfO zu Morbidität, S. 6 sowie IQWiG-Berichte – Nr. 250 zum Addendum der Klägerin vom 16. Oktober 2014, abrufbar unter www.iqwig.de). Für die Notwendigkeit weiterer Nachweise kann sich der Beigeladene zu 2. auf die Bewertung des IQWiG stützen, welche die Vermutung der Richtigkeit trägt. Dieses geht in seiner zusammenfassenden Bewertung zu dem Dossier davon aus, dass ohne Daten für die Gesamtpopulationen der Studien eine Bewertung des Zusatznutzens von Mirabegron gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht möglich ist (Dossierbewertung A14-19, 2. Nutzenbewertung, S. 4/5). Das gilt auch bei Berücksichtigung der im Stellungnahmeverfahren vorgelegten ergänzenden Auswertungen zu den beiden Endpunkten (auf der Basis der im Dossier vorgelegten Studien). Auch sie ließen sich u.a. wegen (weiter) unvollständiger Informationen und Inkonsistenzen in den verwendeten Methoden vom IQWiG nicht sinnvoll interpretieren. Nach seiner ergänzenden Bewertung konnte vielmehr auch ein geringerer Nutzen von Mirabegron für die o.g. Endpunkte nicht ausgeschlossen werden (A14-40 - Addendum zum Auftrag A14-19 S. 3/4). Die Vermutung der Richtigkeit dieser fachlichen und methodischen Einschätzung wird durch eine abweichende Auffassung der Klägerin, wonach Daten zur Teilpopulation zur Beurteilung des Zusatznutzens für die Endpunkte nicht notwendig seien, nicht erschüttert. Auch den methodischen vom IQWiG formulierten Grundsätzen misst der Senat dabei besonderes Gewicht bei (allgemein Urteil des 7. Senates des LSG Berlin-Brandenburg vom 10. Dezember 2014 – L 7 KA 79/12 KL –, Rn. 102, juris). Speziell zur hier streitigen Frage, ob die Erhebung und Auswertung von Daten zur Teilpopulation notwendig sind, wurde schließlich auch in der mündlichen Anhörung vom 06. Oktober 2014 von den anwesenden Sachverständigen ausweislich des Wortprotokolls gerade kein Konsens erzielt. Die Klägerin hat vor diesem Hintergrund auch nicht aufgezeigt, warum die Anforderungen an die Studienlage und Auswertung seitens des IQWiG nicht den internationalen Standards evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsökonomie (§ 7 Abs. 2 Satz 4 AM-Nutzen) entsprechen sollen.

(3) Schließlich verletzt der Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 2. auch nicht § 7 Abs. 2 Satz 6 AM-NutzenV. Danach darf die Nutzenbewertung "den Feststellungen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels nicht widersprechen". Die Regelung ist wortgleich in § 92 Abs. 2 Satz 12 SGB V als Vorgabe für den GBA in seiner Funktion als Normgeber für die Arzneimittel-RL errichtet. Sie begrenzt seinen Beurteilungsspielraum. Diesen hat der Beigeladene zu 2. aber gewahrt. Die Klägerin bezieht sich auf Stellen im Assessment report des Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP), einem Gutachten eines bei der EMA gebildeten Ausschusses für Humanarzneimittel. Dessen Bewertung der Zulassungsstudien ist eine gutachterliche Bewertung, die die Entscheidung der Kommission der EU, d.h. die Genehmigung, vorbereitet ( in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, AMG § 21 Rn. 13, beck-online). Das Gutachten führt in Auswertung der Zulassungsstudien aus, dass Mirabegron im Vergleich zu Placebo einen statistisch bedeutsamen Rückgang der Inkontinenzepisoden erkennen lasse. An anderer Stelle führt es in Auswertung des indirekten Vergleichs von Mirabegron mit Antimuskarinika für die Endpunkte Miktionshäufigkeit und Inkontinenz (incontinence and micturitions) aus, dass Mirabegron im Mittelwert ("mean value") der Vergleichstherapie (u.a. Trospiumchlorid und Tolterodin) angesiedelt sei. In der Zusammenfassung ("summary") wird der statistisch-klinische Effekt von Mirabegron als mit Antimuskarika vergleichbar bewertet ("effect of similar magnitude").

Mit ihrer Begründung geht die Klägerin schon im Ansatz fehl und vermengt den arzneimittelzulassungsrechtlichen Begriff der Wirksamkeit mit dem sozialrechtlichen Begriff des Zusatznutzens.

aa) Grundsätzlich gilt insoweit: Das Arzneimittelrecht einerseits und die Vorschriften des SGB V andererseits dienen nicht denselben Zwecken und machen die Zulassung von Arzneimitteln zum Verkehr und die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung von verschiedenen Voraussetzungen abhängig (vgl. hierzu und zum Folgenden: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Juni 2016, L 7 KA 16/14 KL, zitiert nach juris, dort Rn. 58ff.). Die Vorschriften des SGB V sind auf die Gewährleistung einer therapeutisch und wirtschaftlich möglichst effizienten Verordnung von Arzneimitteln gerichtet; das AMNOG im Besonderen zielt auf Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Das Arzneimittelgesetz verfolgt dagegen den Zweck, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen. Dies schließt neben der Unbedenklichkeit auch die Prüfung der Qualität und der Wirksamkeit des jeweiligen Arzneimittels ein (§ 1 Arzneimittelgesetz - AMG). Arzneimittelrecht ist Ordnungsrecht. Es ist daher unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht bedenklich, die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels zu verneinen, wenn und solange dieses nicht arzneimittelrechtlich zugelassen ist. Mit der arzneimittelrechtlichen Zulassung verfügen die Krankenkassen über ein eindeutiges und zugängliches Kriterium bei der Entscheidung über die Verordnungsfähigkeit von pharmazeutischen Produkten. Dieses Kriterium ist auch zuverlässig, denn die Zulassungsentscheidung nach §§ 21ff. AMG ergeht auf der Grundlage aufwendiger Zulassungsunterlagen des Antragstellers mit sachangemessener behördlicher Kompetenz (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. März 1997, 1 BvR 1071/95). Dasselbe gilt für die gemeinschaftsrechtliche Genehmigung, d.h. die arzneimittelrechtliche zentrale Zulassung der Kommission der EU, Art. 17 Abs. 1 EUV i.V. m. Art. 4 Abs. 2 und Abs. 3, Art. 10 VO (EG) 726/2004 vom 31. März 2004 (Amtsblatt vom 30. April 2004, L 136/1). Die Gemeinschaftszulassung ist grundsätzlich der nationalen Zulassung gleich gestellt (Art. 3 Abs. 1 oder 2 der VO (EG) Nr. 726/2004). Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 726/2004 umfasst sie die gleichen Rechte und Pflichten in jedem einzelnen Mitgliedstaat wie eine Genehmigung, die von dem jeweiligen Mitgliedstaat nach Art. 6, 8 RL 2001/83/EG erteilt wird (Rehmann AMG, Vorbemerkung zu §§ 21–37 Rn. 11, beck-online).

Zugleich ergibt sich ein Zusammenspiel zwischen Arzneimittel- und Sozialrecht insofern, als das SGB V bei Arzneimitteln in Bezug auf die Qualitätssicherung weitgehend auf eigene Vorschriften verzichtet und insoweit an das Arzneimittelrecht anknüpft (vgl. BSG, Urteile vom 3. Juli 2012, B 1 KR 22/11 R und vom 11. Mai 2011, B 6 KA 13/10 R). Eine rechtsgebietsübergreifende Bindung in dem Sinne, dass all dasjenige, was arzneimittelrechtlich zulässig ist, zwingend auch zur krankenversicherungsrechtlichen Leistungspflicht der Krankenkassen führen müsste, ist allerdings gesetzlich nicht angeordnet worden.

Zentrales Anliegen des AMG ist u.a., die Wirksamkeit von Arzneimitteln zu gewährleisten (§ 1 AMG). Fehlt einem Arzneimittel die vom pharmazeutischen Unternehmer (§ 4 Abs. 18 AMG) als Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit oder ist sie nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller unzureichend begründet, stellt dies einen Grund dar, die Zulassung zu versagen (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AMG). Wirksamkeit i.S.d. AMG bezeichnet den vom pharmazeutischen Hersteller gewünschten Erfolg bei den von ihm definierten Anwendungsgebieten; maßgeblich ist daher der vom pharmazeutischen Hersteller seinem Arzneimittel beigemessene Wirksamkeitsanspruch. Es sind keine Hinweise dafür ersichtlich, dass das SGB V, welches die Wirksamkeit einer Leistung zur Bedingung für die Aufnahme in den Leistungskatalog der GKV erklärt, zumindest für den Bereich der Arzneimittelversorgung, von einem abweichenden Wirksamkeitsbegriff ausgeht.

Nach alldem ist der (arzneimittel- und krankenversicherungsrechtliche) Begriff der Wirksamkeit nicht identisch mit dem Nutzenbegriff des SGB V. Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers, mit dem "Nutzen" einen therapeutischen Vorteil eines Wirkstoffs im Vergleich zu anderen Therapiealternativen zum Ausdruck zu bringen. So geht der Gesetzgeber davon aus, ein höherer Nutzen könne "sich insbesondere daraus ergeben, dass das Arzneimittel eine überlegene Wirksamkeit gegenüber Arzneimitteln der Wirkstoffgruppe zeigt" (Begründung zum Entwurf des GKV-WSG, BT-Drs. 16/194, S.8).

Daher ist die Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 6 AM-NutzenV, wonach die Nutzenbewertung den Feststellungen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels nicht widersprechen darf, dahin zu verstehen, dass der GBA im Rahmen der Nutzenbewertung für ein zugelassenes Arzneimittel zwar zu einem negativen Ergebnis im Sinne fehlenden Zusatznutzens gelangen darf, dies aber nicht auf eine von der Zulassung abweichende Einschätzung zur (arzneimittelrechtlichen) Qualität, Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit stützen darf. Verwehrt wäre ihm daher z.B. auch eine abweichende Beurteilung der Wirksamkeit eines Arzneimittels auf der Grundlage einer nach der Zulassung veröffentlichten Studie. Ermöglicht sind dem GBA jedoch Therapievergleiche, die entweder auf andere Endpunkte oder andere Dosierungen als die Zulassungsbehörde abstellen oder die medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlungsalternativen gegenüberstellen. Verneint der GBA auf dieser Grundlage den Zusatznutzen eines Arzneimittels, berührt dies den Aufgabenbereich der Zulassungsbehörden nicht.

bb) Nach diesen Maßstäben steht die Nutzenbewertung von Mirabegron nicht in Widerspruch zu den Feststellungen des EMA/der Europäischen Kommission zu Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit dieses Wirkstoffs. Die von der Klägerin zitierten Passagen sind nur dem vorbereitenden Gutachten des CHMP entnommen, dagegen nicht der Zulassung selbst. Es erscheint zweifelhaft, ob jegliche Ausführungen mit Bezügen zur Wirksamkeit in einem solchen vorbereitenden Gutachten mit der dann darauf beruhenden anschließenden Zulassung auch als "Feststellungen der Zulassungsbehörde" den GBA im Rahmen der Nutzenbewertung über § 7 Abs. 2 Satz 6 AM-NutzenV binden können. Selbst wenn man aber davon ausginge, so umschreibt das Gutachten zunächst die Wirksamkeit von Mirabegron zum Endpunkt der Reduzierung von Inkontinenz. Ein Zusatznutzen dieses Wirkstoffs im Sinne von § 35a SGB V im Vergleich zu anderen Arzneimitteln/Therapien ist damit noch nicht beschrieben und sollte wohl auch nicht bezeichnet werden. Die weiteren Bewertungen beruhen zudem auf einem indirekten Vergleich von Mirabegron u.a. mit Trospiumchlorid und Tolterodin. Es wird ein klinisch entsprechender Effekt mit Tolterodin beschrieben und darauf das Urteil der entsprechenden Wirksamkeit gestützt. Ein Zusatznutzen i.S. eines quantitativ oder qualitativ höheren Nutzens (§ 2 Abs. 2 AM-NutzenV) wird nachvollziehbar nicht einmal behauptet, da er für die Frage der Wirksamkeit des Arzneimittels nicht von Bedeutung ist.

Der Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 2. widerspricht diesen Feststellungen auch nicht. Insgesamt bewertet er den Wirkstoff Mirabegron – wie bereits gezeigt – methodengerecht nach den Maßstäben der evidenzbasierten Medizin und kommt rechtlich beanstandungsfrei zu dem Ergebnis, dass ein Zusatznutzen i.S. der AM-NutzenV (d.h. ein Nutzen, der quantitativ oder qualitativ höher ist als derjenige, den die zweckmäßige Vergleichstherapie aufweist) nicht bestehe, weil bei den Häufigkeiten der Ereignisse Miktionen, imperativer Harndrang und nächtliche Miktionen sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zeigten. Für den dann relevanten Endpunkt "Verringerung der Inkontinenz" lägen keine geeigneten Daten zur Bewertung des Zusatznutzens von Mirabegron gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie vor. Der Beigeladene zu 2. spricht dem Wirkstoff damit nicht die Wirksamkeit ab, also "den vom pharmazeutischen Hersteller gewünschten Erfolg bei den von ihm definierten Anwendungsgebieten"; jedoch kommt der Beigeladene zu 2. (nachvollziehbar) zum Ergebnis, aufgrund der fehlenden Daten (nur Gesamt-, keine Teilpopulation) sowie der dazu nachgereichten Auswertungen, die wiederum weder eine deskriptive Darstellung der Verteilung vornehmen noch die statistische Methode beschreiben, könne der medizinische Zusatznutzen gegenüber den Wirkstoffen der zweckmäßigen Vergleichstherapie für den Endpunkt Inkontinenz schlichtweg nicht bewertet werden. Das schließt den Zusatznutzen nicht aus, aber es schließt es nachvollziehbar aus, ihn auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen und Auswertungen positiv zu bewerten. Diese Einschätzung verstößt nicht gegen § 7 Abs. 2 Satz 6 AM-NutzenV, sondern macht ernst mit den unterschiedlichen Anforderungen an arzneimittelrechtliche Wirksamkeit einerseits und krankenversicherungsrechtlichen Zusatznutzen andererseits. Für letzteren bürdet die AM-NutzenV (wie auch § 35a SGB V) dem pharmazeutischen Unternehmer die Beweislast auf, verbleibende Unsicherheiten gehen zu seinen Lasten.

(4) Der Beigeladene zu 2. hat die Stellungnahmen der Sachverständigen ausreichend einbezogen i.S. von § 35a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 92 Abs. 3a Satz 2 SGB V. Der Beschluss ist auch hinreichend begründet.

§ 92 Abs. 3a Sätze 1 und 2 SGB V bestimmen dazu:

"Vor der Entscheidung über die Richtlinien zur Verordnung von Arzneimitteln nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 und Therapiehinweisen nach Absatz 2 Satz 7 ist den Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis sowie den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer, den betroffenen pharmazeutischen Unternehmern, den Berufsvertretungen der Apotheker und den maßgeblichen Dachverbänden der Ärztegesellschaften der besonderen Therapierichtungen auf Bundesebene Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen."

Die Klägerin bezieht sich auf die "Zusammenfassende Dokumentation" des Nutzenbewertungsbeschlusses und meint, die Tragenden Gründe ließen nicht ansatzweise erkennen, ob und inwieweit sich der Beigeladene zu 2. mit den Stellungnahmen der Sachverständigen auseinandergesetzt habe. Er gehe an keiner Stelle auf die Stellungnahmen ein und lasse nicht erkennen, ob er die Argumente gewürdigt habe, sondern verwende Textbausteine, so auf den Einwand des vfa zur Nutzung der Ergebnisse aus dem EQ-5D durch das IQWiG. Diese Einwände der Klägerin überzeugen nicht. Denn der Beigeladene zu 2. hat sich ab S. 82 ff. des Beschlusses mit den einzelnen Stellungnahmen der namentlich erfassten Stellungnehmer befasst. Eine eigenständige Stellungnahme, die sich speziell mit dem Einwand des vfa zur Methodik des IQWiG zur Messung der Lebensqualität befasst (S. 88 ff.), war nicht angezeigt. Sie erübrigte sich, weil der Beigeladene zu 2. bereits auf S. 3 f. der Tragenden Gründe, wenn auch knapp, ausführt: "Um das Ausmaß des Zusatznutzens zu bestimmen, hat der G-BA die Daten, die die Feststellung eines Zusatznutzens rechtfertigen, nach Maßgabe der in 5. Kapitel § 5 Absatz 7 VerfO festgelegten Kriterien im Hinblick auf ihre therapeutische Relevanz (qualitativ) bewertet. Auf die vom IQWiG vorgeschlagene Methodik gemäß den Allgemeinen Methoden (Allgemeine Methoden, Version 4.1 vom 28.11.2013. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) wurde in der Nutzenbewertung von Mirabegron nicht abgestellt." Damit ist ausreichend klargestellt, dass es auf die vom vfa aus früheren Nutzenbewertungsverfahren ausgeführte Kritik an der Methode des IQWiG nicht ankommt. Der Beschluss über die Nutzenbewertung ist auch für die Frage der ausreichenden Begründung insoweit in seiner Gesamtheit zu betrachten.

II. Der Schiedsspruch vom 03. November 2015 basiert damit auf einer Nutzenbewertung für Betmiga™, die rechtlich nicht zu beanstanden ist. Er durfte sich einschränkungslos am Ergebnis der frühen Nutzenbewertung orientieren und die Nutzenbewertung zur "Grundlage" der Festsetzung des Erstattungsbetrages machen (vgl. § 130b Abs. 1 Satz 1 SGB V).

Unabhängig davon ist dieser Schiedsspruch für sich genommen weder formell noch materiellrechtlich zu beanstanden. Jedenfalls verletzt er die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1. Die gemeinsam vom GKV-Spitzenverband und den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmen gebildete Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 Satz 1 SGB V setzt dann, wenn eine Vereinbarung nach Abs. 1 oder 3 der Regelung nicht innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des Beschlusses des GBA nach § 35a Abs. 3 oder nach § 35b Abs. 3 SGB V zustande kommt, nach § 130b Abs. 4 SGB V den Vertragsinhalt innerhalb von drei Monaten fest. Die Schiedsstelle entscheidet dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes (§ 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V).

Der durch die Mehrheit der Mitglieder zustande gekommene Schiedsspruch stellt seiner Natur nach einen Interessensausgleich durch ein sachnahes und unabhängiges Gremium dar. Insbesondere mit der fachkundigen und teils paritätischen, teils unparteilichen Zusammensetzung der Schiedsstelle will der Gesetzgeber die Fähigkeit dieses Spruchkörpers zur vermittelnden Zusammenführung unterschiedlicher Interessen nutzen (vgl. Gesetzesbegründung zum AMNOG, BT-Drucks. 17/2413 S. 32 zu Nr. 17 zu den Abs. 5 und 6). Der durch die Mehrheit der Mitglieder zustande gekommene Schiedsspruch ist durch seinen Kompromisscharakter geprägt und nicht immer die einzige sachlich vertretbare Entscheidung. Deshalb ist der Schiedsstelle ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist. Dies hat das Bundessozialgericht zuletzt in den Urteilen vom 4. Juli 2018 (B 3 KR 20/17 R [Albiglutid, dort Rn. 22] und B 3 KR 21/17 R [Idelalisib, dort Rn. 32]) ausdrücklich hervorgehoben und zugleich betont: Die Vertragsgestaltungsfreiheit der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V ist nicht geringer als diejenige der Vertragspartner einer im Wege freier Verhandlung erzielten Vereinbarung. Deshalb unterliegen auch Entscheidungen der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle darauf, ob die Schiedsstelle zwingendes Gesetzesrecht beachtet, den bestehenden Beurteilungsspielraum eingehalten und den zugrunde gelegten Sachverhalt in einem fairen Verfahren unter Wahrung des rechtlichen Gehörs hinreichend ermittelt hat.

2. Zur Überzeugung des Senats hat die Beklagte den Erstattungsbetrag für Betmiga™ (Wirkstoff Mirabegron) unter Einhaltung der zwingenden formell-rechtlichen und materiell-rechtlichen Vorgaben und ihres sich daraus ergebenden Beurteilungsspielraums rechtmäßig festgesetzt.

a) Nach § 130b Abs. 1 S 1 SGB V vereinbart der Beigeladene zu 1. (GKV-SpV) mit pharmazeutischen Unternehmern im Benehmen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung auf Grundlage des Beschlusses des GBA über die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V mit Wirkung für alle Krankenkassen Erstattungsbeträge für Arzneimittel, die mit diesem Beschluss keiner Festbetragsgruppe zugeordnet wurden. § 130b Abs. 3 Satz 1 und 2 bestimmen in der hier maßgeblichen, ab dem 16. Juli 2015 maßgeblichen Fassung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG) vom 16. Juli 2015 (BGBl. I S. 1211):

Für ein Arzneimittel, das nach dem Beschluss des GBA nach § 35a Abs. 3 SGB V keinen Zusatznutzen hat und keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden kann, ist ein Erstattungsbetrag zu vereinbaren, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt als die nach § 35a Abs. 1 Satz 7 SGB V bestimmte zweckmäßige Vergleichstherapie. ²Sind nach § 35a Abs. 1 Satz 7 SGB V mehrere Alternativen für die zweckmäßige Vergleichstherapie bestimmt, darf der Erstattungsbetrag nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führen als die wirtschaftlichste Alternative.

aa) Die inzwischen geltende neue Fassung dieser Vorschriften hat auf das vor ihrem Wirksamwerden bereits abgeschlossene Schiedsverfahren keinen Einfluss. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz - AMVSG) vom 04. Mai 2017 (BGBl. I, 1050) wurden die strikten Begriffe in § 130b Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V durch "Soll-Formulierungen" ersetzt und damit der Verhandlungsspielraum der Vertragsparteien moderat erweitert. Danach gilt die Obergrenze der wirtschaftlichsten Alternative der zweckmäßigen Vergleichstherapie zwar im Regelfall weiterhin; aus besonderen Gründen kann aber seither davon abgewichen werden (BT-Drucks 18/10208, S. 36, Zu Art 1, Nr. 10 Buchst d, Luthe in Hauck/Noftz, SGB V, § 130b Rn. 55). Das anzuwendende Recht für die Überprüfung des Schiedsspruchs richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt des Erlasses der Verwaltungsentscheidung (BSG, Urteil vom 04. Juli 2018 – B 3 KR 21/17 R – Rn. 28). Dies würde – ausgehend vom November 2015 – zur seinerzeit geltenden Gesetzesfassung führen. Davon ist hier nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts keine Ausnahme zu machen. Zwischenzeitlich eingetretene Rechtsänderungen sind in einem Rechtsstreit nur zu berücksichtigen, wenn das neue Gesetz nach seinem zeitlichen Geltungswillen auch das streitige Rechtsverhältnis umfassen soll. Die (neue) Soll-Formulierung in § 130b Abs. 3 SGB V wurde erst mit Wirkung vom 13. Mai 2017 eingeführt. Dies belegt § 130b Abs. 7a SGB V n.F., der für Konstellationen, in denen - wie hier - für das betroffene Arzneimittel ein Zusatznutzen in keinem Anwendungsgebiet belegt ist und der Erstattungsbetrag vor dem 13. Mai 2017, d.h. vor Geltung der Soll-Formulierung, vereinbart bzw. durch Schiedsspruch festgesetzt wurde, eine besondere Kündigungsmöglichkeit der Vereinbarung bzw. des Schiedsspruchs bis zum 13. August 2017 eingeräumt hat. Diese Kündigungsmöglichkeit ist gerade im Hinblick auf den neuen Maßstab erfolgt. Abs. 7a wurde auf Vorschlag des Ausschusses für Gesundheit eingefügt. Zur Begründung führt dieser aus: "Gemäß den im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen des Absatzes 3 Satz 1 und 2 [ ] kann künftig (!) in begründeten Einzelfällen von der Vorgabe abgewichen werden, dass der Erstattungsbetrag nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führen darf als die zweckmäßige Vergleichstherapie. Durch die nunmehr in dem neuen Absatz 7a vorgesehene Regelung kann von dieser Möglichkeit innerhalb eines Übergangszeitraums auch für Arzneimittel Gebrauch gemacht werden, für die bereits vor Inkrafttreten dieser Regelung nach Artikel 7 Absatz 1 des Gesetzentwurfs ein Erstattungsbetrag nach Absatz 3 vereinbart oder von der Schiedsstelle nach Absatz 4 festgesetzt wurde." (BT-Drs. 18/11449 S. 37 – Zu Buchstabe e, Zu Absatz 7a).

Zu diesem Schluss kommt auch das BSG (Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R - BSGE (vorgesehen) Rn. 44).

Unverändert zur Anwendung kommt § 130b Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 SGB V: Kommt eine Vereinbarung nach § 130b Abs. 1 oder 3 SGB V nicht innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des Beschlusses nach § 35a Abs. 3 SGB V zustande, setzt die Schiedsstelle den Vertragsinhalt innerhalb von drei Monaten unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls fest und berücksichtigt dabei die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes (§ 130b Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V). ²Die Schiedsstelle entscheidet unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt dabei die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes.

bb) Diese Bestimmungen belassen der Schiedsstelle einen weiten Beurteilungsspiel-raum; das kommt im Wortlaut nach § 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V unmittelbar zum Ausdruck. Der Gesetzgeber misst der Struktur des Einigungs- und Aushandlungsprozesses besondere Bedeutung bei. Dieser Prozess soll in erster Linie zu einer Einigung zwischen den Beteiligten führen. Kommt eine Einigung nicht zustande, führt die paritätisch und sachkundig besetzte Schiedsstelle zunächst als Vermittlerin den Verhandlungsprozess fort, um noch auf diesem Weg eine einvernehmliche Lösung zu erwirken. Erst wenn auch dieses Vorgehen gescheitert ist, ersetzt die Schiedsstelle durch eine Mehrheitsentscheidung der Mitglieder die offen gebliebenen Regelungen. Dieses austarierte Verhandlungssystem bietet vor allem durch seine an vertraglichen Vereinbarungen orientierten strukturellen Vorgaben sowie die sachkundig und teils paritätisch, teils unparteiisch besetzte Schiedsstelle eine hinreichende Gewähr dafür, zu akzeptablen Inhalten der Schiedssprüche zu gelangen. Unter Berücksichtigung der materiell-rechtlichen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorgaben bildet diese Verfahrensweise ein gegen willkürliche Entscheidungen der Schiedsstelle hinreichend abgesichertes Gesamtsystem; gewisse Unwägbarkeiten bei der Festsetzung des Erstattungsbetrages sind in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen hinzunehmen.

b) Der angefochtene Schiedsspruch der Beklagten vom 03. November 2015 ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Inhaltlich bewegt er sich innerhalb des durch diese rechtlichen Vorgaben gesteckten Rahmens für den Gestaltungsspielraum der Schiedsstelle. Selbst wenn man zum Ergebnis gelangte, dass er den Rahmen überschreitet, begünstigt das ausschließlich die Klägerin. Sie wird daher jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzt.

aa) In formeller Hinsicht ist der angefochtene Schiedsspruch nicht zu beanstanden. Insbesondere leidet er nicht an Begründungsmängeln. Solche sind bei der gebotenen zurückhaltenden Überprüfung durch den Senat nicht ansatzweise zu erkennen. Allgemein gilt, dass der Schiedsspruch die Gründe für das Entscheidungsergebnis nur wenigstens andeutungsweise erkennen lassen muss; bei Entscheidungen mit Kompromisscharakter, die durch die Mehrheit von Mitgliedern eines hierzu berufenen pluralistischen Gremiums getroffen werden, dürfen die Begründungsanforderungen innerhalb des eröffneten Beurteilungsspielraums nicht überspannt werden (BSG, Urteil vom 04. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R –, BSGE 126, 149-166 [Albiglutid])., Rn. 55 ). Einer besonders intensiven Begründung bedarf es mit Rücksicht auf das Zustandekommen einer Mehrheitsentscheidung in einem Aushandlungsprozess nicht (BSG, a.a.O., Rn. 49, 55). Hieran gemessen ist der angefochtene Schiedsspruch formell rechtmäßig. Er führt in der Begründung aus, aus welchen Gründen er zur Festsetzung gelangte. Mehr ist für die gerichtsfeste Festsetzung von Erstattungsbeträgen im Rahmen des Gestaltungsspielraums einer sachkundig und teils unparteiisch, teils paritätisch besetzten Schiedsstelle nicht zu verlangen.

Er leidet nicht an einem Verfahrensfehler, weil der Vorsitzende der Schiedsstelle von einem unzutreffenden Verständnis von den rechtlichen Rahmenbedingungen seines Stimmengewichts ausgegangen ist. Auf die Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 10. Mai 2016 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Schiedsspruch (L 9 KL 513/15 KL ER) nimmt der Senat insoweit Bezug. Die Klägerin hat in ihrer Klage im Hauptsacheverfahren keine weitergehenden Argumente aufgezeigt, die eine andere rechtliche Bewertung gebieten. Es bleibt noch zu ergänzen, dass auch das BSG davon ausgeht, dass die Schiedsstelle eine Mehrheitsentscheidung der Mitglieder herbeiführt (BSG, Urteil vom 04. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R – Rn. 42). Außerdem ist die Regelung über die Schiedsstelle des § 130b Abs. 5 dem § 129 Abs. 7 SGB V nachgebildet (BT-Drs. 17/2413 S. 322 – Zu Nummer 17). Dieser wiederum hat in § 89 SGB V sein Vorbild. Für die Schiedsstelle nach § 129 SGB V ist anerkannt, dass die Stimme des Vorsitzenden nur dann den Ausschlag gibt, wenn ein Mitglied und sein(e) Stellvertreter nicht anwesend oder von der Beschlussfassung ausgeschlossen sind (§ 129 Abs. 9 Satz 5 SGB V, vgl. BeckOK SozR/von Dewitz, 55. Ed. 1.12.2019, SGB V § 129 Rn. 35). Für eine davon abweichende Regelungsintention bei § 130b SGB V fehlt jeder Anhaltspunkt.

bb) In materieller Hinsicht ist die Beklagte nicht vom Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 2. abgewichen und zutreffend von den inhaltlichen Vorgaben des § 130b Abs. 3 für den Erstattungsbetrag ausgegangen.

(1) Nach § 130b Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V in der hier noch bis zum 28. Dezember 2015 maßgeblichen Fassung darf der Erstattungsbetrag nach Absatz 1 für einen Wirkstoff mit fehlendem Zusatznutzen nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führen als die wirtschaftlichste Alternative unter den zweckmäßigen Vergleichstherapien. § 130b Abs. 3 SGB V definiert eine Obergrenze für den Erstattungsbetrag. Die gesetzliche Vorgabe führt dazu, dass der Verhandlungsschwerpunkt der Partner der Erstattungsvereinbarung praktisch oftmals bei der Feststellung der Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie liegt (Krasney, GuP 2019, 9, 13). Für die Schiedsstelle, die an ihrer Stelle den Erstattungsbetrag festzulegen hat, gilt nichts anderes, wie der Fall plastisch zeigt. Speziell für Arzneimittel ohne Zusatznutzen ist die zweckmäßige Vergleichstherapie nach § 130b Abs. 3 Satz 1 SGB V die nach § 35a Abs. 1 Satz 7 SGB V bestimmte. Sind nach § 35a Absatz 1 Satz 7 SGB V mehrere Alternativen für die zweckmäßige Vergleichstherapie bestimmt, darf der Erstattungsbetrag nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führen als die wirtschaftlichste Alternative (Satz 2). Unabhängig davon kommt einem Beschluss des GBA über die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V als Teil der Arzneimittel-Richtlinie (§ 35a Abs. 3 Satz 6 SGB V) normative Wirkung zu, welche die an der Preisbildung Beteiligten gemäß § 91 Abs. 6 SGB V ebenso bindet wie die Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V, sofern sie angerufen wird.

Die auch für die Beklagte verbindliche rechtliche Ausgangslage sieht eine Festsetzung des Erstattungsbetrages auf dem Niveau der vom GBA bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapie vor; damit soll das von dem am 01. Januar 2011 in Kraft getretenen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) verfolgte Ziel erreicht werden, die Versorgung mit Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu angemessenen Kosten sicherzustellen. Zu diesem Zweck soll über den Erstattungsbetrag bewirkt werden, dass neue Arzneimittel ohne Zusatznutzen keine Mehrkosten gegenüber der Vergleichstherapie entstehen lassen (Gesetzesbegründung vom 6. Juli 2010, BT-Drs. 17/2413, S. 31). Grundlegend ergibt sich dieses Erfordernis aus § 12 Abs. 1 SGB V; danach dürfen Krankenkassen keine Leistungen übernehmen, die unwirtschaftlich sind. Die Jahrestherapiekosten der Vergleichstherapie bilden jedoch nur eine rechtliche Obergrenze; eine auch deutliche Unterschreitung dieser Linie ist gesetzlich somit nicht ausgeschlossen (vgl. Luthe in Hauck/Noftz, SGB, 03/15, § 130b SGB V, Rn. 55).

Hiervon ausgehend, war die Beklagte gehalten, sich bei ihrer Schiedsentscheidung verbindlich an den Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 2. vom 20. November 2014, wonach ein Zusatznutzen des Wirkstoffs Mirabegron nicht belegt ist, zu halten.

Das hat sie auch getan. Die Beklagte hat die vom Beigeladenen zu 2. festgelegte zweckmäßige Vergleichstherapie als vorgegebenen Rahmen für ihre Entscheidung genommen und sich, wie es § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V fordert, für die Preisbildung an der wirtschaftlichsten Alternative der zweckmäßigen Vergleichstherapie orientiert. Da im Falle von Mirabegron durch den Beschluss des Beigeladenen zu 2. vom 20. November 2014 sechs Wirkstoffe als zweckmäßige Vergleichstherapie festgelegt worden sind, ist für die Höhe des Erstattungsbetrages auf die Jahrestherapiekosten der wirtschaftlichsten Alternative innerhalb der sechs Wirkstoffe, hier grundsätzlich in Gestalt von Trospiumchlorid, abzustellen. Für diesen Wirkstoff sah der Beigeladene zu 2. sich in seinem Beschluss vom 20. November 2014 indessen nur in der Lage, für die Jahrestherapiekosten eine Kostenspanne von 196,19 Euro bis 372,59 Euro anzugeben, weil die Jahrestherapiekosten von Trospiumchlorid je nach Wirkstärke und Dosierung unterschiedlich ausfallen können. Eine obere Grenze ergibt sich für den Erstattungsbetrag aus der wirtschaftlichen Vergleichstherapie mit Tolterodin, weil deren feste Kosten pro Jahr noch unterhalb des höchsten Spannenwertes der Jahrestherapiekosten von Trospiumchlorid liegen. Dieser Wert markiert die absolute Obergrenze für jeden Erstattungsbetrag, wie sie sich aus § 130b Abs. 3 SGB V ergibt.

Begrenzt § 130b Abs. 3 SGB V mit den Jahrestherapiekosten der wirtschaftlichen Vergleichstherapie das Schiedsermessen allein nach oben, sind die Berücksichtigung wie auch die unterschiedliche Gewichtung niedrigerer Jahrestherapiekosten dagegen als Interessensausgleich möglich. § 130b Abs. 3 SGB V gibt für die Bestimmung des Erstattungsbetrags im Übrigen keine Bindungen vor. Auch in der gemäß § 130b Abs. 9 Satz 1 SGB V von den dort genannten Verbänden zu treffenden Rahmenvereinbarung sind dazu bis heute keine Maßstäbe getroffen worden (vgl. Hess in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 130b Rn. 16). Die Partner der Erstattungsvereinbarung wie auch die Schiedsstelle haben dann zwar kein freies Ermessen zur Festlegung des Erstattungsbetrags, sondern müssen § 130b Abs. 3 SGB V und die dort bestimmte wirtschaftliche Vergleichstherapie beachten. Die Schiedsstelle hat bei dieser Sachlage für die Bestimmung der wirtschaftlichen Jahrestherapiekosten von Trospiumchlorid einen Beurteilungs- und einen Bewertungsspielraum, der auch die Berechnungsmethode der Ermittlung der Jahrestherapiekosten der wirtschaftlichsten zweckmäßigen Vergleichstherapie umfasst. Der Senat darf seine Bewertung nicht anstelle derjenigen der Schiedsstelle setzen. Er darf lediglich prüfen, ob die tatsächlichen Annahmen der Schiedsstelle frei von Fehlern sind, der Ermittlungsweg folgerichtig und die Entscheidung insoweit nachvollziehbar und in sich konsistent.

Wenn der GBA in einem Beschluss nach § 35a SGB V für die Jahrestherapiekosten der Vergleichstherapie für einen oder mehrere Wirkstoffe nur Kostenspannen beschreibt, darf die Schiedsstelle, ohne die Vorgaben der Nutzenbewertung oder § 130b Abs. 3 SGB V zu verletzen, aus der Kostenspanne der Jahrestherapiekosten der preiswertesten Vergleichstherapie ein streng arithmetisches Mittel bilden oder bestimmte Gewichtungen vornehmen. Der Nutzenbewertungsbeschluss ist in einem solchen Fall selbst auf Konkretisierung durch die Vertragsparteien angelegt. Er bildet die wirtschaftlichste zweckmäßige Vergleichstherapie anhand der Versorgungsrealität ab. Er gibt gleichzeitig einen Rahmen vor und belässt den Partnern der Erstattungsvereinbarung einen Spielraum.

Diese Befugnisse gelten dann konsequenterweise auch für die Schiedsstelle. Auch sie kann in Anbetracht ihrer Pflicht, einen einheitlichen Erstattungsbetrag im Hinblick auf § 78 Abs. 3a AMG festzulegen, mit dem Erstattungsbetrag z.B. eine vom Gesetzgeber beabsichtigte nutzenadäquate Preisregulierung und Patientenversorgung verfolgen. Dabei darf die Schiedsstelle z.B. auch prognostische Erwägungen anstellen (BSG, Urteil vom 04. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R –, BSGE 126, 149-166, juris, Rn. 51).

Ausgehend von der Versorgungsrealität muss die Schiedsstelle einen Mittelwert nicht zwingend beim untersten Wert der Kostenspanne (so der Beigeladene zu 1. mit seinem Antrag im Schiedsverfahren vom 12. Juni 2015: 0,3827 Euro) oder zwingend dem arithmetischen Mittel zwischen dem höchsten und tiefsten Wert der Kostenspanne festlegen. Sie kann die Umstände der Versorgungsrealität vielmehr mit einem z.B. nach Verordnungshäufigkeit gewichteten Wert berücksichtigen und hat insoweit ebenfalls einen Bewertungsspielraum. Voraussetzung ist, dass eine knappe nachvollziehbare Begründung für ihren Wert erkennbar ist. Die Schiedsstelle ist nicht gehindert, für die Beurteilung entweder definierte Tagesdosen (DDD) oder auch die (RSA-)Daten nach § 217f SGB V zu nutzen. Das Gesetz oder die AM-NutzenV legen insoweit keine Entscheidungsalternativen zwingend fest (vgl. § 6 AM-NutzenV – Zweckmäßige Vergleichstherapie). Zwar benennt § 130b Abs. 9 Satz 5 SGBV mit den Gegenständen der Rahmenvereinbarung auch die erforderliche Auswertung der Daten nach § 217f Abs. 7 SGB V und die Übersendung der Auswertungsergebnisse an den pharmazeutischen Unternehmer. Damit wird dem GKV-SpV die Befugnis eröffnet, die Daten (RSA-Daten) für die ihm in den Erstattungsverhandlungen zugewiesenen Aufgaben zu verarbeiten und nutzen (BeckOK SozR/von Dewitz, 55. Ed. 1.12.2019, SGB V § 130b Rn. 70). Dies geschah, um das Versorgungsgeschehen in der GKV für den Erstattungsbetrag abzubilden (vgl. BT-Drs. 17/8005, 117 – Zu Nummer 48), somit in der Annahme, dass diese Daten das tatsächliche Versorgungsgeschehen widerspiegeln. Eine Pflicht (zumal für die Schiedsstelle), den Erstattungsbetrag allein auf dieser Datengrundlage gleichsam mathematisch zu ermitteln und 1:1 festzusetzen, ist damit aber gerade nicht angeordnet.

Beschreibt der GBA nun in seinem Beschluss nicht nur Kostenspannen für die Jahrestherapiekosten der wirtschaftliche Vergleichstherapie, sondern bei mehreren Wirkstoffen auch für einige der Wirkstoffe feste Beträge, wird der Mittelwert aus der Kostenspanne durch die (einheitlichen) niedrigsten Kosten eines alternativen Wirkstoffs begrenzt. Der pharmazeutische Unternehmer würde ansonsten einen Vorteil aus den Kostenspannen ziehen und der Erstattungsbetrag würde über den Jahrestherapiekosten einer zweckmäßigen wirtschaftlichen Vergleichstherapie i.S. des § 130b Abs. 3 SGB V liegen.

(2) Beurteilungsfehlerfrei kann sowohl der Ansatz der Jahrestherapiekosten auf der Basis der DDD/ATC, damit im Fall der Klägerin von 40 mg Trospiumchlorid, wie auch der Ansatz innerhalb des Rahmens, auf der Basis der Verordnungskosten nach § 217f SGB V, damit mit 30 mg Trospiumchlorid zum Ausgangspunkt der Bestimmung der wirtschaftlichen Jahrestherapiekosten sowie auch alle Werte zwischen diesen Polen gewählt werden.

(3) Gemessen daran ist der Schiedsspruch der Beklagten von einem zutreffenden Maßstab ausgegangen und hat den Erstattungsbetrag auf dem arithmetischen Mittelwert der Kostenspanne von Trospiumchlorid festgesetzt. Der Erstattungsbetrag liegt unterhalb der Kosten von Tolterodin, überschreitet also die Obergrenze des § 130b Abs. 3 SGB V nicht. Methodische Mängel oder Verstöße gegen zwingendes Recht konnte der Senat nicht feststellen. Die Beklagte durfte dabei sowohl in ihrer Ermittlung der Kosten der Vergleichstherapie von dem Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers abzüglich der Netto-Herstellerabschläge ausgehen als auch den Erstattungsbetrag unter Heranziehung von Herstellerabschlägen in Höhe von 7 % und nicht von 10 % ermitteln.

So nahm der Beschluss abweichend vom Beschluss des Beigeladenen zu 2. rechtsfehlerfrei die Kosten ausgehend vom Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers nach Abzug des Herstellerabschlags zum Ausgangspunkt (§ 130a, § 130 SGB V, vgl. demgegenüber die Jahrestherapiekosten des GBA-Beschlusses auf der Grundlage der Lauer-Taxe 2014 mit den Fußnoten 7 und 8, S. 15 der Zusammenfassenden Dokumentation unten). § 130b SGB V gibt zum maßgeblichen Bezug der Kosten der wirtschaftlichen Vergleichstherapie keinen zwingenden Maßstab allein zugunsten des Apothekenverkaufspreises vor. § 35a Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 SGB V i.V.m. § 4 Abs. 8 Satz 1 und 2 AM-NutzenV, wonach vom pharmazeutischen Unternehmer im Dossier zur Nutzenbewertung die Kosten des Arzneimittels und der wirtschaftlichen Vergleichstherapie gemessen am Apothekenabgabepreis anzugeben sind, bezieht sich nicht auf das Erstattungsbetragsverfahren des § 130b SGB V. Die verpflichtende Angabe der "Jahrestherapiekosten für die gesetzliche Krankenversicherung" (BR-Drs. 484/10 (neu) S. 30) als Apothekenabgabepreis soll aus der Binnensicht der GKV für den GBA den Vergleich von Kosten und Nutzen im Rahmen der Nutzenbewertung gewährleisten. Das Erstattungsbetragsverfahren steht dagegen im Zusammenhang u.a. mit § 78 Abs. 3a AMG, wonach der Erstattungsbetrag gleichzeitig den (einheitlichen) Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers bildet. Die Beigeladene zu 1. hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es im Bereich der Festsetzung des Erstattungsbetrags zudem sachgerecht sein kann, den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers als Anknüpfungspunkt der Preisbildung zu nehmen, um zu gewährleisten, dass Abgabepreise stets zuverlässig über 0 Euro liegen (Schriftsatz vom 23. Dezember 2016). Diese Intention entspricht unmittelbar dem Interesse pharmazeutischer Unternehmer und beschwert diese nicht.

Schließlich lässt sich dem Zahlenwerk, wie es sich aus der schriftlichen Begründung ergibt, noch hinreichend sicher entnehmen, von welchen Kosten und Werten die Beklagte ausging. Der Schiedsspruch geht von einer Obergrenze der wirtschaftlichen Vergleichstherapie von Jahrestherapiekosten in Höhe von 189,24 Euro aus. Dieser Ansatz ist methodisch nicht zu beanstanden. Er hat Trospiumchlorid als zweckmäßige wirtschaftliche Vergleichstherapie herangezogen. Er orientiert sich an den Jahrestherapiekosten sowohl anhand der Daten der meisten Verordnungen (30 mg), somit an § 217f SGB V, als auch an der DDD mit einer Dosierung von 40 mg. Dies ist nicht zu beanstanden, da sich auch im Klageverfahren – zuletzt in der mündlichen Verhandlung – gezeigt hat, dass beide Ansätze Argumente z.B. der Versorgungsrealität oder fachmedizinischer Einschätzungen für sich in Anspruch nehmen können. Die Schiedsstelle war also nicht gezwungen, sich einer Betrachtung vollumfänglich anzuschließen.

Die ermittelte Obergrenze ist schließlich rechnerisch als der arithmetische Mittelwert zwischen der hierfür im GBA-Beschluss angegebenen Spanne von 196,19 Euro und 372,59 Euro unter Berücksichtigung von Rundungsdifferenzen nachvollziehbar. Die Schiedsstelle wählt als Bezug für die Bestimmung der Jahrestherapiekosten der wirtschaftlichen Vergleichstherapie (Trospiumchlorid) im Gegensatz zum GBA-Beschluss allerdings nicht den Apothekenverkaufspreis, der der Verkaufspreis bei einer Abgabe an gesetzlich Versicherte in Apotheken ist, sondern im Hinblick auf den einheitlichen Abgabepreis des § 78 Abs. 3a AMG den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (zur Zulässigkeit dieses Ansatzes bereits oben). Dazu hat sie auch bereits Netto-Herstellerabschläge (§ 130a SGB V), konkret in Höhe von 7 %, abgezogen. Dieser Rechenweg entsprach dem Grunde nach z.B. auch der Argumentation des Beigeladenen zu 1. im Schiedsverfahren. Dem vom GBA angegebenen Apothekenverkaufspreis in Höhe von 196,19 Euro (als tiefster Wert der Kostenspanne) entspricht der (Netto-)Herstellerpreis von 131,37 Euro, dem Apothekenverkaufspreis in Höhe von 379,04 Euro (höchster Wert der Kostenspanne) entsprechen 247,67 Euro. Der arithmetische Mittelwert dieser (Netto-)Kostenspanne beträgt 189,52 Euro (berechnet aus 131,37 + 247,67 Euro = 379,04 Euro dividiert durch 2). Aus diesem Mittelwert ergibt sich, heruntergebrochen auf die einzelne Bezugsgröße, der Erstattungsbetrag von 0,5510 Euro. Dabei entspricht dem Wert von 131,37 Euro (Jahrestherapiekosten) der Wert von 0,3827 Euro je Bezugsgröße und dem Wert von 247,67 Euro der Wert von 0,7192 Euro je Bezugsgröße. Der Mittelwert dieser beiden Kostenspannen liegt bei 0,5510 Euro (berechnet aus 0,3827 Euro + 0,7192 Euro = 1,1019 Euro dividiert durch 2, vgl. die Herleitung, die der Beigeladene zu 1. in seinem Schriftsatz vom 21. Januar 2020 zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung rechnerisch dargelegt hat).

Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte in ihrer Berechnung den Herstellerabschlag in Höhe von nur 7 Prozent berücksichtigt hat. Trospiumchlorid war zwar 2015 bereits in die Gruppe der Festbetragsmedikamente eingeordnet. § 130a Abs. 3 SGB V i.V.m. Abs. 3b sieht insoweit die Berücksichtigung eines Herstellerabschlages (gesetzlicher Rabatt) von 10 Prozent, nicht nur von 7 Prozent vor. Allerdings geht der Schiedsspruch nicht den Weg, den Erstattungsbetrag quasi mathematisch allein entsprechend der Abgaberegelungen herzuleiten, sondern weist auch insoweit kompromisshaften Charakter auf. Aus der Begründung ergibt sich, dass der Schiedsspruch nur "auf einer Basis nach Abzug der gesetzlichen Rabatte" den Erstattungsbetrag festsetzt, benennt die Rabatte aber nicht. Bereits das impliziert, dass die Schiedsstelle sich nicht auf einen bestimmten, nämlich den nach § 130b Abs. 3b SGB V für Trospiumchlorid bestimmten Rabatt festlegen wollte. Auch diese Bewertung hält sich noch im Rahmen des weiten Schiedsermessens, wie es in § 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V zur Festlegung des Erstattungsbetrags zum Ausdruck kommt. Dies ergibt sich aus der Kontrollüberlegung, wonach es nicht zu beanstanden wäre, wenn sich die Parteien der Erstattungsvereinbarung im Rahmen ihrer Verhandlungen auf einen solchen Erstattungsbetrag einigten.

cc) Selbst wenn die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, einen Herstellerabschlag in Höhe von 10 Prozent bei Festlegung des Erstattungsbetrags zu berücksichtigen, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Aufhebung des Schiedsspruchs, weil sie dadurch jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzt wird. Die Klägerin wird dadurch allein rechtswidrig begünstigt. Denn bei einem Ansatz von 10 Prozent Herstellerabschlag wäre ein niedrigerer Erstattungsbetrag herausgekommen, wie der Beigeladene zu 1. in seinem Schriftsatz vom 21. Januar 2020 detailliert dargelegt hat.

Der erst im Termin zur mündlichen Verhandlung geführte klägerische Vortrag, wonach ausweislich der Lauer-Taxe mit Stand 01. November 2014 für einen Teil der Trospiumchlorid enthaltenen Arzneimittel gar kein Herstellerabschlag gemäß § 130a Abs. 3b SGB V angefallen sein soll, musste der Senat nicht berücksichtigen. Es handelt sich dabei um eine Angabe ohne Belege, sie erfolgte ins Blaue hinein und kann keinen rechtlichen Fehler der Festlegung des Erstattungsbetrags begründen. Es ist nicht einmal geklärt, in welcher Größenordnung die Ablösung des Rabattes seinerzeit erfolgte, welchen rechnerischen Einfluss das auf die Preise tatsächlich hatte und ob die Schiedsstelle verpflichtet gewesen wäre, dies besonders zu berücksichtigen.

Die Kostentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Senat hat die Revision im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Ermittlung des Erstattungsbetrags bei Arzneimittel ohne Zusatznutzen zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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