L 6 R 264/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 14 R 94/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 264/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 287/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Juli 2017wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.

Der 1964 geborene Kläger, der eine (nicht abgeschlossene) Berufsausbildung als Schreiner absolviert hat, war im Jahr 1983 als Zimmermann, vom Februar 1984 bis November 1990 als Fliesenleger und nachfolgend ab November 1990 als Maschinen- bzw. Anlagenführer versicherungspflichtig beschäftig.

Am 8. Oktober 2010 stellte der Kläger einen ersten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Dabei gab er u.a. an, aufgrund folgender Erkrankungen seit dem 1. März 2010 erwerbsgemindert zu sein: depressive Störung, Tinnitus, Insomnie/Schlafstörungen, Hypakusis, Angststörung.

Die Beklagte wertete daraufhin den Reha-Entlassungsbericht der AHG Klinik Hardtberg vom 9. Februar 2010 aus, in der sich der Kläger in der Zeit vom 30. September 2009 bis 3. Februar 2010 zur Durchführung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme im Sinne einer stationären Suchtbehandlung aufgehalten hatte. Dr. C. führte darin bei den Diagnosen

1. Alkoholabhängigkeitserkrankung,

2. rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode,

3. Tinnitus,

4. Zustand nach zweimaligem Apoplex,

5. Hyperlipidämie

aus, der Kläger sei für die gesamte Dauer seines Aufenthaltes abstinent vom Alkohol geblieben, ein Suchtdruck habe nicht mehr bestanden. Der subjektive Leidensdruck durch den Tinnitus sei zu großen Teilen verschwunden. Die depressive Symptomatik habe sich deutlich verbessert. Zum Zeitpunkt der Entlassung sei der Kläger etwa drei Wochen symptomfrei gewesen und der Schlaf habe sich gebessert. Im Hinblick auf das berufliche Leistungsvermögen sei der Kläger sowohl als Anlagenführer als auch für mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich einsetzbar.

Weiter gelangte der Entlassungsbericht des Heilig-Geist Hospitals in Bensheim vom 29. April 2009 zur Akte der Beklagten. Der Kläger wurde dort am 9. und 10. März 2010 stationär behandelt, nachdem er am 9. März 2010 eine Flasche Wodka und 20 Tabletten Citalopram sowie 20 Tabletten Simvastadin in suizidaler Absicht eingenommen hatte.

Nach Auswertung des Entlassungsberichts und Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme nach Aktenlage (Herr D., Facharzt für Allgemeinmedizin) vom 2. Dezember 2010 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 15. Dezember 2010 den Rentenantrag mangels Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen ab. Es liege weder eine volle noch teilweise Erwerbsminderung vor.

Auf den hiergegen von dem Kläger am 21. Dezember 2010 erhobenen Widerspruch holte die Beklagte ein sozialmedizinisches Gutachten von Herrn D. vom 24. Februar 2011 ein. Dieser stellte nach Untersuchung des Klägers am selben Tag die Diagnosen

1. Alkoholerkrankung,

2. Angststörung,

3. quälender Tinnitus aurium mit reaktiver anhaltender depressiver Störung,

4. kardiovaskuläres Risikofaktorprofil mit androidem Übergewicht, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, fraglicher Zuckerstoffwechselstörung, erhöhtem familiären Risiko und Nikotinabusus, Zustand nach TIA 2005 und 2009,

5. eingeschränkte Belastbarkeit der Wirbelsäule bei Zustand nach Morbus Scheuermann,

6. ausgeprägte Hörminderung (mäßig kompensiert durch Hörgeräteversorgung beidseits)

und führte aus, sozialmedizinisch stünden im Vordergrund die Alkoholerkrankung bei aktuell fortgesetztem Abusus, die ausgeprägte Angststörung sowie die ausgeprägt quälenden Ohrgeräusche mit resultierender depressiver Entwicklung. Erforderlich seien intensive Therapiemaßnahmen einschließlich längerzeitiger stationärer Reha-Maßnahme zur Alkoholentwöhnung, verhaltenstherapeutischer Behandlung der Angststörung und intensiver Tinnitus-Therapie. Als Anlagenführer sei der Kläger nur noch im Umfang von unter drei Stunden täglich einsetzbar. Zumutbar seien ihm jedoch leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr.

Hierauf gestützt wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 26. April 2011 den Widerspruch aus medizinischen Gründen zurück.

Im anschließenden Klageverfahren aufgrund Klageerhebung vom 25. Mai 2011 erhob das Sozialgericht zunächst Beweis durch Beiziehung von Befundberichten des Dr. E. (Hausarzt) und des Herrn F. (Arzt für Psychiatrie/Psychotherapie). Sodann zog das Sozialgericht den Reha-Entlassungsbericht der Salus Klinik in Friedrichsdorf vom 28. November 2011 bei. Der Kläger hatte sich dort in der Zeit vom 9. August bis 24. November 2011 im Rahmen einer stationären Heilmaßnahme aufgehalten. Dr. G. stellte die Diagnosen

1. Alkoholabhängigkeitssyndrom,

2. rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode,

3. Agoraphobie mit Panikstörung,

4. Tinnitus aurium,

5. Zustand nach zweimaliger zerebraler transitorischer ischämischer Attacke 2004 und 2009 bei ausgeprägter zerebraler Mikroangiopathie.

Er führte weiter im Entlassungsbericht aus, der Kläger habe sich im Verlauf der Behandlung mit seiner Suchterkrankung aktiv auseinandergesetzt und Strategien zur Stärkung der Selbstkontrolle erarbeitet. Die Krankheitseinsicht habe ausgebaut und die Abstinenzmotivation gefestigt werden können. Seine Stimmung habe sich insgesamt deutlich gebessert und er sei viel aktiver geworden. Auch der Schlaf habe sich deutlich gebessert und seine angstinduzierten Vermeidungsreaktionen seien deutlich zurückgegangen. Zum Abschluss der Behandlung habe der Kläger diese insgesamt als gut bewertet. Zur Frage der beruflichen Leistungsfähigkeit hat Dr. G. ausgeführt, als Produktionsanlagenführer könne der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich arbeiten. Bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe jedoch keine quantitative Leistungsminderung. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Arbeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich mit qualitativen Einschränkungen verrichten.

Im Anschluss nahm der Kläger zur weiteren Stabilisierung ab dem 29. November 2011 an einer ambulanten Rehabilitationsmaßnahme der Fachambulanz des Caritasverbandes Heppenheim teil. Im Entlassungsbericht vom 26. April 2012 sind folgende Diagnosen genannt:

1. Alkoholabhängigkeit,

2. Tinnitus aurium,

3. rezidivierende depressive Störung,

4. Agoraphobie mit Panikstörung,

5. zerebrale transitorische Ischämie.

Herr H. führte in dem Bericht weiter aus, der Kläger habe nach Aufnahme in die ambulante Nachsorgemaßnahme an der laufenden halboffenen Therapiegruppe teilgenommen. Als Trinkmotive habe er Stimmungsschwankungen, insbesondere Depressionen, sowie seine zeitweise unerträglichen Tinnitusbeschwerden genannt. Hinsichtlich seiner Angstzustände habe er sich erleichtert gezeigt. Die Arbeitssituation habe er als einen großen Problembereich dargestellt. Am 19. Dezember 2011 habe sich der Kläger telefonisch gemeldet und für einen versäumten Arzttermin entschuldigt. Er habe einen Alkoholrückfall an diesem betreffenden Tag offenbart. Grund hierfür sei der Umstand gewesen, dass sich seine Tinnitusbeschwerden bis zur Unerträglichkeit gesteigert hätten. Den Alkoholrückfall habe der Kläger dann im Kreis der Mitpatienten angemessen aufgearbeitet. Anfang 2012 habe den Kläger ein Schreiben des Arbeitgebers erreicht, worin ihm ein Aufhebungsvertrag mit einer finanziellen Abfindung angeboten worden sei. Der Kläger habe sich entschlossen, dieses Angebot anzunehmen. Allerdings sei der Kläger an dem darauf folgenden Gruppentermin nicht mehr erschienen und sei telefonisch wie postalisch nicht mehr zu erreichen gewesen. Damit habe der Kläger die Maßnahme eigenmächtig durch Abbruch mit dem 20. Februar 2012 beendet und nicht mehr auf telefonische und schriftliche Kontaktversuche reagiert. Daher habe auch kein ärztlicher Abschlusstermin stattgefunden und eine abschließende sozialmedizinische Stellungnahme könne nicht abgegeben werden. Insoweit könne lediglich auf den Aufnahmebefund und den Befund der vorbehandelnden Klinik abgestellt werden. Danach sei dem Kläger die Ausübung der letzten beruflichen Tätigkeit nur noch unter drei Stunden täglich möglich. Mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könne er ihm im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich mit Einschränkungen verrichten die.

Das Verfahren vor dem Sozialgericht beendete der Kläger durch am 24. Februar 2012 erklärte Klagerücknahme.

Einen zweiten Rentenantrag stellte der Kläger am 13. Januar 2014 und gab dabei u.a. an, er halte sich seit Januar 2011 aufgrund von Tinnitus, Panikattacken, sozialer Phobie, Angstzuständen sowie Suizidgedanken und Suizidversuchen mit Alkoholproblemen für erwerbsgemindert.

Die Beklagte wertete daraufhin den Reha-Entlassungsbericht der Fachambulanz des Caritasverbandes Heppenheim vom 26. April 2012 aus und veranlasste sodann die Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 15. Mai 2014 durch Dr. J. (Facharzt für Neurologie/Rehabilitationswesen). Der Gutachter gelangte bei den Diagnosen

• Alkoholerkrankung, seit über einem Jahr deutlich gebessert,

• Persönlichkeit mit asthenischen Zügen,

• arterielle Hypertonie,

• Schwerhörigkeit mit Tinnitus aurium,

• eingeschränkte Rückenbelastbarkeit nach Morbus Scheuermann

zu der Beurteilung, bei der aktuellen Begutachtung hätten die Befunde des behandelnden Arztes F. nicht bestätigt werden können. Eine Merkfähigkeits- oder Konzentrationsstörung finde sich nicht. Auch sei die affektive Modulationsfähigkeit durchaus gegeben. Es hätten sich Inkonsistenzen hinsichtlich des Antriebes zu Eigenaktivitäten ergeben. Im exemplarisch erfragten Tagesablauf zeigten sich durchaus eigenverantwortliche Aktivitäten, wofür auch eine starke Beschwielung der Fußsohlen spreche. Weiter habe der Kläger Interesse an Internet-Aktivitäten. Die Beibehaltung der ehelichen Beziehung spreche ebenfalls gegen eine erhebliche psychische Funktions- und Anpassungsstörung. Unstrittig sei, dass der Kläger an einer generalisierten Angststörung mit sekundärem Alkoholmissbrauch leide. Ob der Behandlungsabbruch vor zwei Jahren als prognostische ungünstig gewertet werden könne, sei fraglich, wenn man das aktuelle Zustandsbild betrachte. Die Behandlung der Angststörung habe nie zu einer Psychotherapie geführt. Auch habe der Kläger nach seinen Angaben zwei Termine bei seinem Psychiater ausfallen lassen, was gegen einen erheblichen Leidensdruck spreche. Im Ergebnis sei gegenüber den Vorgutachten keine Änderung in der Bewertung der beruflichen Leistungsfähigkeit festzustellen. Es sei dem Kläger zuzumuten, seien Willenskraft so weit aufzubringen, um wenigstens sechs Stunden täglich einer mittelschweren Arbeit seines Ausbildungsstandes nachzugehen. Mithin könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich mit folgenden Einschränkungen verrichten: ohne Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Überkopfarbeiten, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne technische Hilfsmittel (Belastungsgrenze 15 kg), ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastung, die Verantwortung sowie an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit.

Nach Einholung einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme nach Aktenlage (Herr D.) vom 25. Juni 2014 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 4. Juli 2014 auch den zweiten Rentenantrag des Klägers unter Hinweis darauf ab, es liege weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vor.

Auf den dagegen am 1. August 2014 erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger ein Attest seines behandelnden Psychiaters F. vom 13. Oktober 2014 vorlegte, holte die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme des Gutachters Dr. J. vom 6. November 2014 ein. Dieser führte aus, es ergäben sich keine neuen relevanten Aspekte, sodass er an seiner Leistungsbeurteilung festhalte.

Durch Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe zwar im Zeitpunkt der Rentenantragstellung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt, er sei jedoch weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Der Kläger könne noch sechs Stunden und mehr täglich mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen ausüben. Es liege auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, so dass es deswegen der Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht bedürfe. Eine andere Beurteilung ergebe sich nicht aufgrund der in den vorgelegten Unterlagen aufgeführten gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Diese seien hinsichtlich der Auswirkungen auf das Leistungsvermögen gewürdigt worden, neue medizinische Gesichtspunkte habe der Kläger nicht vorgetragen.

Mit der am 2. März 2015 zum Sozialgericht Darmstadt erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter.

Im Rahmen der Beweiserhebung zog das Sozialgericht Befundberichte des Dr. E. vom 30. Oktober 2015 und des Herrn F. vom 2. November 2015 bei und gab sodann die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens bei dem Sachverständigen Dr. K. in Auftrag, das dieser nach Untersuchung des Klägers vom 20. Januar 2016 mit Datum vom 4. März 2016 vorlegte. Der Sachverständige stellte die Diagnosen

• gegenwärtig mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom,

• Agoraphobie ohne Angabe einer Panikstörung,

• Abhängigkeitssyndrom von Alkohol bei episodischem Substanzgebrauch

und führte aus, bei dem Kläger lägen drei psychische Störungen vor, die sich gegenseitig negativ beeinflussten: Bei einer mäßig ausgeprägten Depression mit einer comorbiden Agoraphobie sowie einer Alkoholabhängigkeit ergebe sich eine berufliche Leistungsunfähigkeit. Der Kläger sei nicht mehr der Lage, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten. Das Leistungsvermögen gelte mindestens seit August 2011, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt stationär in der Salus Klinik untergebracht gewesen sei. Die dortigen Behandler hätten ebenfalls die Diagnosen einer depressiven mit einer phobische Störung sowie einer Alkoholabhängigkeit gestellt. Dr. K. führte weiter aus, seine Beurteilung weiche von dem Gutachten von Dr. J. ab, der noch von einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit ausgegangen sei. Aufgrund des aktuell gebotenen psychischen Zustandes sei eine solche jedoch nicht gegeben. Die von Dr. J. angegebenen Diagnosen würden mit der Zusammenfassung und Beurteilung nicht zusammenpassen. In der Zusammenfassung und Beurteilung finde sich eine unstrittige generalisierte Angststörung, die in der Aufzählung der Diagnosen nicht erwähnt werde. Die Angststörung könne dem psychopathologischen Befund in dem Gutachten nicht entnommen werden. Anhand des psychopathologischen Befundes lasse sich nicht feststellen, wie sich der Kläger tatsächlich stimmungsmäßig während der Exploration gegeben habe. Wichtige zu der Depression gehörende Kriterien, wie zum Beispiel die Schlafqualität, würden nicht ausreichend behandelt. Insofern könne die Einschätzung, dass keine depressive Störung vorliege und eine vollschichtige Leistungsfähigkeit gegeben sei, nicht nachvollzogen werden. Auch könne aus der von Dr. J. genannten Beschwielung der Füße nicht geschlossen werden, dass keine Antriebs- bzw. Aktivitätsminderung vorliege. Der Kläger habe insoweit angegeben, viel im Haus unterwegs zu sein und auch seinen Hund auszuführen. Dies spreche zwar für eine Gangtätigkeit, davon den Antrieb abzuleiten, ohne dabei die Begleitumstände zu berücksichtigen, erscheine aus psychiatrischer Sicht nicht opportun. Letztlich gab der Sachverständige an, es sei unwahrscheinlich, dass die festgestellte Minderung der Leistungsfähigkeit behoben werden könne. Im Übrigen sei die Einholung von weiteren Gutachten auf anderem medizinischen Fachgebiet nicht erforderlich.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. Mai 2016 präzisierte Dr. K. unter Vorlage der im Rahmen der Begutachtung gefertigten Testprotokolle seiner Leistungsbeurteilung dahingehend, dass der Kläger aktuell unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nur leichte Arbeiten mit einer zeitlichen Belastung von weniger als drei Stunden täglich an fünf Tagen in der Wochen verrichten könne.

Mit Schriftsatz vom 6. Juni 2016 teilte die Beklagte mit, sie folge der Beurteilung des Sachverständigen Dr. K. hinsichtlich des Leistungsvermögens. Danach sei der Kläger erwerbsgemindert. Nicht zu folgen sei dem Sachverständigen jedoch in zwei Punkten: Der rückwirkenden Leistungsbeurteilung stehe das fundierte Gutachten von Dr. J. entgegen. Dessen Leistungsbeurteilung werde durch das aktuelle Gutachten nicht entkräftet. Insbesondere könne einer Rückdatierung des Leistungsfalles bis in das Jahr 2011 hinein nicht gefolgt werden. Weiter könne Dr. K. nicht gefolgt werden, soweit er eine Besserungsmöglichkeit ausgeschlossen habe. Ergänzend legte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Herrn D. vom 27. Mai 2016 vor, ebenso einen Versicherungsverlauf des Klägers vom 6. Juni 2016.

Das Sozialgericht holte daraufhin eine weitere ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. K. vom 8. November 2016 ein. Dieser führte aus, der Kläger habe sich von August bis November 2011 in stationärer Behandlung in der Salus Klinik zur Suchtentwöhnung befunden. Die Behandlung habe zu einer Stabilisierung geführt und es sei eine positive Prognose bezüglich der Alkoholabstinenz sowie eine Leistungsbeurteilung dahingehend abgegeben worden, dass eine volle Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe. In der dem Aufenthalt folgenden ambulanten Nachsorgeleistung in der Fachambulanz in Heppenheim werde der Ausprägungsgrad der depressiven Störung dann von den Behandlern nicht quantifiziert. Der eigenmächtige Abbruch der Maßnahme zeige aber, dass die erreichte Stabilisierung nicht habe aufrechterhalten werden können, sodass die Einschätzung der Leistungsfähigkeit bei Entlassung aus der Salus Klinik als temporär anzusehen sei. Bei dem Kläger liege eine deutliche Chronifizierung der psychopathologischen Auffälligkeiten vor. Die bisherigen Behandlungen hätten zu keiner nachhaltigen Besserung geführt. Bei dem Kläger habe bislang durch die suchtspezifischen Behandlungen und trotz wiederkehrender Phasen der Abstinenz keine anhaltende Abstinenz von Alkohol erreicht werden können. Sofern jedoch durch eine adäquate Suchtbehandlung in Kombination mit einer psychotherapeutischen Behandlung der Stimmungsproblematik und Angstsymptomatik eine Abstinenz erzielt werden könne, sei auch mit einer psychischen Stabilisierung und damit einer Steigerung der Leistungsfähigkeit zu rechnen.

Die Beklagte legte mit Schriftsatz vom 21. Februar 2017 eine beratungsärztliche Stellungnahme von Herrn D. vom 15. Dezember 2016 sowie eine ergänzende Stellungnahme des Gutachters Dr. J. vom 2. Januar 2017 vor. Dr. J. führte aus, zwischen den beiden Gutachten von 2014 und 2016 seien keine objektiven Zeichen eine Verschlimmerung des psychischen Zustandes oder der Suchtanamnese nachweisbar geworden. Er vertrat im Ergebnis die Auffassung, er könne weder zum damaligen Zeitpunkt der eigenen Begutachtung 2014 noch zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. K. 2016 zu einer Minderung der quantitativen Leistungsfähigkeit kommen. Die verbleibenden Unsicherheiten bei der Beurteilung im Gutachten von Dr. K. müssten aufgrund objektiv nachgewiesener Aggravationen zu Lasten des Klägers gehen, insofern liege die Beweispflicht für die Minderung einer Leistungsfähigkeit bei dem Kläger und nicht bei dem Gutachter.

Durch Urteil vom 4. Juli 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die in Streit stehende Rente seien nur bei einem bis zum 30. April 2014 eingetretenen Leistungsfall erfüllt. Die Kammer habe sich nicht davon überzeugen können, dass eine rentenrelevante Erwerbsminderung bis zu diesem Zeitpunkt eingetreten sei. Der Sachverständige Dr. K. habe den Kläger im Januar 2016 untersucht. Seiner langen Rückdatierung auf die Zeit mindestens seit August 2011 könne nicht gefolgt werden. Hierbei müsse die Neigung des Klägers zur Aggravation berücksichtigt werden. Weiter seien der dreimonatige Aufenthalt des Klägers in der Salus Klinik sowie der entsprechende Entlassungsbericht zu berücksichtigen, wonach dem Kläger hinsichtlich des allgemeinen Arbeitsmarktes noch ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich attestiert worden sei. Nach den Ausführungen im Entlassungsbericht habe der Kläger diese Leistungseinschätzung geteilt und er habe die Klage in dem vorangegangenen Verfahren zurückgenommen. Das Sozialgericht hat sich weiter auf ein Attest des behandelnden Psychiaters F. für das Versorgungsamt vom 26. September 2013 sowie auf einen späteren Arztbrief von Herrn F. vom 11. März 2014 mit divergierenden Angaben bezogen. Darüber hinaus erlaube die von Dr. K. im Jahr 2016 festgestellte Neigung des Klägers zu Aggravation es nicht, eine hinreichende Überzeugung der Kammer von einem Leistungsfall vor dem 30. April 2014 zu bilden.

Gegen das dem Kläger am 13. Juli 2017 zugestellte Urteil richtet sich seine am 2. August 2017 zum Hessischen Landessozialgericht eingelegte Berufung. Er hält an seiner Auffassung fest, dass er rentenrelevant leistungsgemindert sei, und legt im Verlauf des Verfahrens folgende Unterlagen vor: Attest des Herrn F. vom 24. September 2018, Berichte des Universitätsklinikums Heidelberg vom 18. September 2014, 25. Juni 2009 und 1. Juli 2009, Bescheid des Versorgungsamts Darmstadt, der einen GdB von 70 ausweist, Befundbericht von Dr. L. (HNO) vom 8. Mai 2014, Berichte der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Heppenheim vom 16. Juli 2009, 30. September 2009 und 21. August 2009, Bericht des Kreiskrankenhauses Bergstraße Heppenheim vom 22. Juli 2009, Bericht des Heilig-Geist Hospitals Bensheim vom 29. April 2010 sowie Bericht der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Heppenheim vom 4. Juni 2009.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Juli 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Januar 2014 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass ein Rentenanspruch des Klägers nicht bestehe, und legt ergänzend einen Versicherungsverlauf vom 28. November 2017 vor.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Akte des Versorgungsamtes Darmstadt, die mit Schreiben vom 9. Mai 2018 vorgelegt worden ist. Darüber hinaus hat der Senat einen weiteren Versicherungsverlauf des Klägers vom 12. Juni 2019 beigezogen. Die Beklagte hält hierzu an ihrem Vortrag fest, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung letztmalig nur bis zum 30. April 2014 erfüllt seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte durch den Vorsitzenden als Einzelrichter (§ 155 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) durch Urteil entscheiden. Die Beteiligten haben hierzu ihr Einverständnis erteilt.

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.

Die Berufung ist jedoch sachlich unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht durch Urteil vom 4. Juli 2017 abgewiesen, der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2015 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Januar 2014 zu.

Gemäß § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch

1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und

2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Erwerbsgemindert ist der Vorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI zufolge nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der für den Nachweis der sog. Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI maßgebliche 5-Jahres-Zeitraum verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 und § 241 Abs. 1 SGB VI um die im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Aufschubzeiten (insbesondere Anrechnungs- und Ersatzzeiten). Gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von 3 Jahren dann nicht erforderlich, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Tatbestands eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit der Vorschrift des § 53 SGB VI zufolge (z.B. wegen eines Arbeitsunfalls) vorzeitig erfüllt ist. Nach der Sonderregelung des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufungsfähigkeit außerdem nicht erforderlich für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit mit den im Gesetz im Einzelnen aufgeführten sog. Anwartschaftserhaltungszeiten (insbesondere Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten, Berücksichtigungszeiten oder Rentenbezugszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, bedarf es gemäß § 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI keiner Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten.

Die für eine Rente wegen Erwerbsminderung erforderliche allgemeine Wartezeit im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Nr. 3 SGB VI ist gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt, wenn vor Eintritt der Erwerbsminderung eine Versicherungszeit von 5 Jahren zurückgelegt ist.

Hiervon ausgehend hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, weil jedenfalls die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die Fähigkeit des Klägers, durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit), ist zwar durch verschiedene Gesundheitsstörungen beeinträchtigt. Insoweit kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers in rentenberechtigendem Ausmaß gemindert ist. Die für einen Rentenanspruch erforderliche Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI ist jedoch letztmals für einen am 30. April 2014 eingetretenen Leistungsfall erfüllt, denn nur unter Zugrundelegung dieses Zeitpunkts ergibt sich ein Fünfjahreszeitraum (30. April 2009 bis 29. April 2014), in dem noch 36 Pflichtbeiträge enthalten sind. Danach hat der Kläger lediglich freiwillige Beiträge entrichtet. Zu Gunsten des Klägers greift für einen Zeitpunkt nach dem 30. April 2014 auch nicht die Vorschrift des § 241 Abs. 2 SGB VI ein. Es mangelt bereits an der Erfüllung der allgemein Wartezeit vor 1984, sodass es nicht mehr darauf ankommt, ob der Kläger überhaupt eine lückenlose Belegung seit dem 1. Januar 1984 im Sinne der Vorschrift vorweisen kann. Verbleibt es damit für die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bei einem letztmaligen Leistungsfall vom 30. April 2014, kann nicht im Sinne eines Vollbeweises als nachgewiesen angesehen werden, dass zu diesem Zeitpunkt (oder früher) ein zeitlich herabgesetztes oder gar aufgehobenes Leistungsvermögen des Klägers bestanden hat. Grundsätzlich ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der vollständige Beweis (Nachweis) für das Vorliegen einer Rentenberechtigung erst dann geführt ist, wenn für das Vorliegen der behaupteten rentenerheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen vollständig zu schweigen haben (vgl. hierzu schon: BSG, Urteil vom 28. November 1957, 4 RJ 186/56 = BSGE 6, 144). Der Beweiswert einer rückschauenden Leistungsbeurteilung ist dabei umso größer, je genauer seitens des Sachverständigen differenziert wird zwischen den anlässlich der (eigenen) Untersuchung getroffenen aktuellen Feststellungen und der daraus bezogen auf diesen Zeitpunkt abgeleiteten Beurteilung einerseits und der hiervon ausgehend - unter Zuhilfenahme von geeigneten Anknüpfungspunkten im medizinischen Berichtswesen - entwickelten Einschätzung hinsichtlich der Vergangenheit andererseits. Je lückenloser die Kette der sogenannten Brückensymptome in die Vergangenheit zurückreicht und je eingehender die Aussagekraft von Untersuchungsberichten aus früherer Zeit im Gutachten erläutert wird, umso nachvollziehbarer, einleuchtender und schließlich auch überzeugender kann eine rückschauende Leistungsbeurteilung sein mit der Folge eines dann nachvollziehbar auch in der Vergangenheit eingetretenen Leistungsfalles.

Daran gemessen ist vorliegend der Nachweis weder für einen am 30. April 2014 noch für einen davor eingetretenen Leistungsfall erbracht. Im Einzelnen gilt: Soweit der im erstinstanzlichen Verfahren tätig gewordene Sachverständige Dr. K. davon ausgegangen ist, der Kläger sei leistungsunfähig bzw. könne Arbeiten von wirtschaftlichem Wert nur noch im Umfang von weniger als drei Stunden täglich verrichten, wird dies durch die ausführlichen Anmerkungen des Gutachters Dr. J. in seiner Stellungnahme vom 2. Januar 2017 infrage gestellt, ohne dass seine Ausführungen von vornherein als nicht nachvollziehbar anzusehen wären. Ob die Bedenken von Dr. J. durchgreifend in dem Sinne sind, dass der Kläger sogar auch aktuell bzw. bezogen auf den Untersuchungszeitpunkt vom Januar 2016 noch quantitativ ausreichend leistungsfähig ist bzw. war, kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls sind die Ausführungen von Dr. K. nicht geeignet, eine rentenrelevante Leistungsminderung bereits zum Zeitpunkt des 30. April 2014 (erst recht nicht zum August 2011) anzunehmen. Insoweit können die von Dr. J. ausgeführten Kritikpunkte nicht unberücksichtigt bleiben. So hat er nachvollziehbar ausgeführt, dass die Schwere der Sucht des Klägers anhand der Ausführungen im Gutachten von Dr. K. kaum zu objektivieren ist, weil keine somatische Plausibilitätskontrolle (Blutbestimmung des CDT) stattgefunden hat. Allerdings hat auch Dr. J. hierzu in seinem Gutachten keine Ausführungen gemacht. Zutreffend hat er weiter darauf hingewiesen, dass die Angaben des Klägers zu seinen Kontakten zu Familienangehörigen divergent sind. So hat der Kläger gegenüber Dr. J. im Mai 2014 angegeben, er habe drei ältere Schwestern und einen jüngeren Bruder. Mit den meisten Geschwistern stehe er in mehrwöchigem telefonischen Kontakt, die in Kanada lebende älteste Schwester kontaktiere der über Facebook. Nach den Angaben des Klägers gegenüber Dr. K. im Januar 2016 habe er insgesamt drei Geschwister, mit denen er seit 10 Jahren keinen Kontakt mehr habe. Weiter kann übereinstimmend mit der Auffassung von Dr. J. nicht übersehen werden, dass Dr. K. selbst von einer deutlichen Aggravation ausgegangen ist mit der Folge, dass die testpsychologischen Ergebnisse in Zweifel zu ziehen sind. So berichtete Dr. K. in seinem Gutachten von Antwortverzerrungen im Bereich der Merkfähigkeit (Seite 14), von Hinweisen auf Aggravation oder Simulation (Seite 15), von nicht validen Beschwerdeschilderungen angesichts der Ergebnisse der testpsychologischen Instrumente (Seite 34), von einer Aggravationstendenz bzw. bewussten Verzerrung der Beschwerdeschilderung mit erhöhten Werten für simulierte Symptome (Seite 34) sowie davon, dass der Kläger seine kognitive Leistungsfähigkeit schlechter dargestellt habe als sie wirklich sei (Seite 35). Aus allem hat Dr. K. den Schluss gezogen, dass die Zusammenschau der Testergebnisse zur Beschwerdevalidierung nur den Schluss zulasse, dass der Kläger versuche, Gutachtern gegenüber seinen tatsächlichen psychopathologischen Zustand bzw. den Ausprägungsgrad der Symptome schlechter darzustellen. Ergibt sich aus allem bereits eine entscheidungserhebliche Minderung des Beweiswertes der Ausführungen von Dr. K., hat Dr. J. weitere Kritikpunkte dahingehend ausgeführt, soweit Dr. K. das psychische und soziale Funktionsniveau sowie die Tagesstrukturierung und Selbstversorgung als mittelmäßig beeinträchtigt bezeichnet habe, werde dies nicht näher begründet. Soweit er von einem leicht beeinträchtigten körperlichen Funktionsvermögen ausgegangen sei, passe dies nicht zu dem von ihm selbst erhobenen körperlichen Befund. Schließlich beruhten die Angaben von Dr. K. im Hinblick auf das Mini-ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health, WHO) auf rein anamnestischen Informationen, ohne die Angaben einer ausreichenden Validierung zu unterziehen. In der Gesamtschau vertritt der Senat die Auffassung, dass die Ausführungen von Dr. K. nicht geeignet sind, den Leistungsfall rückwirkend bis zum 30. April 2014 zu belegen. Erst recht kann dem Sachverständigen nicht gefolgt werden, die von ihm beschriebene Leistungsminderung sei mindestens seit August 2011 (Beginn der Reha-Maßnahme in der Salus Klinik) anzunehmen. Insofern stehen die schlüssigen Ausführungen in dem Entlassungsbericht der Salus Klinik entgegen, was noch auszuführen sein wird.

Demgegenüber ergeben sich bei näherer Prüfung auch Zweifel im Hinblick auf die Schlüssigkeit der sozialmedizinischen Beurteilung im Gutachten von Dr. J ... Dr. K. hat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Ausführungen in der Zusammenfassung und Beurteilung nicht mit den angegebenen Diagnosen zusammenpassten. So sei Dr. J. von einer unstrittigen generalisierten Angststörung ausgegangen, diese werde bei den Diagnosen jedoch nicht erwähnt. Zudem könne die Angststörung dem psychopathologischen Befund nicht entnommen werden. Wichtige zu der Depression gehörende Kriterien, wie zum Beispiel die Schlafqualität, würden nicht ausreichend behandelt. Dies berücksichtigend und in der Gesamtschau mutet das Gutachten von Dr. J. eher oberflächlich an. Doch selbst unter Zugrundelegung einer Unverwertbarkeit seines Gutachtens ergibt sich daraus noch kein Nachweis des Leistungsfalles.

Im Ergebnis leiden beide Gutachten, sowohl von Dr. J. als auch von Dr. K., unter erheblichen Schwächen, sodass beiden kein entscheidungserheblicher Beweiswert zukommen kann. Vielmehr verbleibt es insoweit bei einem non liquet, was im Rahmen der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers geht.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Entlassungsbericht der Salus Klinik in Friedrichsdorf vom 28. November 2011. Vielmehr wird darin ein noch ausreichendes berufliches Leistungsvermögen des Klägers bestätigt. Die Angaben und die Beurteilung in dem Bericht sind schlüssig. Zunächst ist im Hinblick auf die rezidivierende depressive Störung von einer zum damaligen Zeitpunkt nur leichten Episode ausgegangen worden. Weiter enthält der Bericht die Angabe, der Kläger habe zum Abschluss der Therapie die Behandlung als gut bewertet. Er habe sich mit seiner Suchterkrankung aktiv auseinandergesetzt, Krankheitseinsicht aufgebaut, seine Abstinenzmotivation gefestigt, sehe positiv in die Zukunft, sei viel aktiver geworden, auch der Schlaf habe sich deutlich gebessert und das angstinduzierte Vermeidungsverhalten sei deutlich zurückgegangen. Soweit Dr. G. aus allem den Schluss gezogen hat, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe keine quantitative Leistungsminderung und der Kläger sei noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich mit Einschränkungen zu verrichten, ist dies für den Senat schlüssig und nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang vermag der Senat auch nicht der Auffassung von Dr. K. zu folgen, der Kläger habe sich in der Salus Klinik nur temporär stabilisiert, was aus dem Abbruch der nachfolgenden ambulanten Maßnahme zu folgern sei. Die Prüfung des Entlassungsberichts der Fachambulanz des Caritasverbandes Heppenheim vom 26. April 2012 drängt vielmehr zu der Annahme, dass sich der Kläger durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Aufhebungsvertrag mit Abfindung erleichtert gezeigt und er wegen des damit einhergehenden reduzierten Leidensdruck die Maßnahme eigenmächtig abgebrochen hat. Hiermit steht im Einklang, dass der Kläger im ersten Klageverfahren am 24. Februar 2012 und damit vier Tage nach Abbruch der Maßnahme die Klage zurückgenommen hat.

Schließlich ist auch das weitere medizinische Berichtswesen, insbesondere seitens der den Kläger behandelnden Ärzte, nicht geeignet, den Sachverhalt weiter im Sinne des Nachweises eines Leistungsfalles zu erhellen. Zunächst ist gebührend zu berücksichtigen, dass behandelnde Ärzte in einem Vertrauensverhältnis zu ihren Patienten stehen und deren wohlgemeinte Förderung im Blick haben. Deshalb sind Bewertungen von behandelnden Ärzten im Rahmen der Beweiswürdigung weit weniger gewichtig als Beurteilungen von Gutachtern und Sachverständigen. Dies vorausgeschickt kann weiter nicht übersehen werden, dass die Angaben des behandelnden Psychiaters F. nicht durchweg konsistent sind. So hat er im Bericht an das Versorgungsamt vom 26. September 2013 von einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichte Episode gesprochen (letzte Konsultation 17. September 2013). Im Bericht vom 11. März 2014 an den Hausarzt des Klägers wird als Diagnose eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, angegeben (letzte Untersuchung und Behandlung zuvor am 11. Dezember 2013). Zumindest kann aus den Angaben von Herrn F. abgeleitet werden, dass bei dem Kläger keine durchgehende Krankheitsschwere feststellbar war. Zudem ist belegt, dass sich der Kläger in diesem dreimonatigen Zeitraum (zwischen Dezember 2013 und März 2014) nicht hat fachärztlich behandeln lassen. Selbst wenn berücksichtigt wird, der Kläger habe den behandelnden Psychiater aufgrund seines Vermeidungsverhaltens nicht aufgesucht, bleibt seine Angabe zu berücksichtigen, dass er ihn etwa einmal im Monat zur Behandlung aufgesucht hat. Dies alles deutet auf eine gerade nicht hochfrequente Behandlung und damit auf einen entsprechenden niedrigen Leidensdruck hin. Letztlich hat eine Psychotherapie zur Behandlung der Angsterkrankung offenbar bislang nie stattgefunden.

Im Ergebnis hat es, wie ausgeführt, bei einem non liquet hinsichtlich eines Leistungsfalles der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung bis spätestens am 30. April 2014 zu verbleiben. Ob der Kläger im Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. K. (Januar 2016) leistungsgemindert war, wie von ihm beschrieben, kann dahingestellt bleiben. Für die Nichterweislichkeit des erforderlichen Leistungsfalles am 30. April 2014 oder früher trägt der Kläger die (objektive) Beweislast.

Anhaltspunkte für das Vorliegen weiterer, in den vorliegenden Gutachten oder im sonstigen medizinischen Berichtswesen bislang nicht berücksichtigter Gesundheitsbeeinträchtigungen mit ernsthaft ins Gewicht fallendem erwerbsmindernden Dauereinfluss, aufgrund derer eine andere Sicht der Dinge geboten erscheinen könnte, sind weder von dem Kläger aufgezeigt worden noch sonst erkennbar. Bei dieser Sachlage ergeben sich keine Anhaltspunkte für zielgerichtete weitere Ermittlungen auf medizinischem Fachgebiet. Der Senat hat sich insbesondere nicht gedrängt fühlen müssen, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen.

Nach allem ist davon auszugehen, dass der Kläger in der relevanten Zeit bis zum 30. April 2014 noch in der Lage war, zumindest leichte Arbeiten ohne Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Überkopfarbeiten, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne technische Hilfsmittel (Belastungsgrenze 15 kg), ohne Absturzgefahr, ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastung bzw. Stressbelastung, die Verantwortung sowie an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sowie ohne erhöhte Lärmbelastung im Umfang von wenigstens sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Kläger musste sich insoweit zur Verwertung seines Restleistungsvermögens auf sämtliche - ihm in gesundheitlicher Hinsicht (objektiv) zumutbaren - Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts der Bundesrepublik Deutschland verweisen lassen. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten, die sich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen müssen, grundsätzlich nicht geboten. Denn es gab und gibt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Vielzahl von ungelernten Tätigkeiten, die nur mit leichten körperlichen Anforderungen verbunden sind. Das ist offenkundig und braucht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich nicht in jedem Einzelfall aufs Neue belegt zu werden. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass es in der Regel auch für Versicherte, deren Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist, noch Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang gibt. Es liegen auch keine ins Gewicht fallenden besonderen Umstände vor, welche die Ausübung einer leichten körperlichen Tätigkeit in ungewöhnlicher Weise erschwerten. Denn es bestand offenkundig weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung.

Ob die für den Kläger in Betracht gekommenen Arbeitsplätze im maßgeblichen Zeitraum frei oder besetzt waren, ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles unerheblich, denn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten, der wie der Kläger noch zumindest sechs Stunden arbeitstäglich einsatzfähig ist (bzw. bis zum 30. April 2014 war), hängt nicht davon ab, ob das Vorhandensein von für ihn offenen Arbeitsplätzen für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten konkret festgestellt werden kann oder nicht. Der im Sinne der sog. konkreten Betrachtungsweise auf die tatsächliche Verwertbarkeit der Resterwerbsfähigkeit abstellende Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (vgl. BSG vom 10. Dezember 1976, GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76) kann bei Versicherten, die noch zumindest sechs Stunden arbeitstäglich einsatzfähig sind, grundsätzlich nicht herangezogen werden. Das hat der Gesetzgeber in § 43 Abs. 3 SGB VI nochmals ausdrücklich mit dem Hinweis darauf klargestellt, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer - ungeachtet der jeweiligen Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Ausnahmen können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn Versicherte nach ihrem Gesundheitszustand nicht dazu in der Lage sind, die an sich zumutbaren Arbeiten unter den in der Regel in den Betrieben üblichen Bedingungen zu verrichten, oder wenn sie außerstande sind, Arbeitsplätze dieser Art von ihrer Wohnung aus aufzusuchen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Februar 1980, 1 RJ 32/79). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Insbesondere liegt bzw. lag eine rentenrechtlich bedeutsame Einschränkung der Wegefähigkeit des Klägers nicht vor, ebenso ist im medizinischen Berichtswesen nicht dokumentiert, dass er betriebsüblichen Pausen benötigte.

Im Ergebnis hat es dabei zu verbleiben, dass der Kläger die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nicht erfüllt. Ergänzend ist nochmals festzustellen, dass die Sonderregelung des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI nicht eingreift, weil zum einen die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren nicht vor dem 1. Januar 1984 erfüllt ist. Zum anderen kommt ein Eintritt von Erwerbsminderung vor dem 1. Januar 1984 offenkundig nicht in Betracht.

Hat der Kläger nach allem keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, steht ihm auch kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu. Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit haben gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen nämlich nur Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren sind. Der am 7. März 1964 geborene Kläger gehört damit ganz offenkundig nicht zu dem Personenkreis, welcher aus dieser Vorschrift einen Rentenanspruch herleiten kann.

Die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
Saved