S 14 RJ 206/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 14 RJ 206/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Der am 00.00.1947 geborene Kläger, der Ausbildungen als Tankwart und - im Wege der Umschulung - als Güteprüfer absolvierte, war zuletzt - soweit erkennbar - in den Jahren 1989 und 1990 kurzfristig als Gießer in der Metallindustrie und als Tankwart beschäftigt, er bezieht langjährig Leistungen des Arbeitsamtes.

Ein früherer Rentenantrag blieb im Jahre 1989 ohne Erfolg, die vor dem Sozialgericht Regensburg erhobene Klage Az. S 6 Ar 70/90 wurde durch Urteil vom 07.10.1991 abgewiesen.

Der Kläger beantragte am 30.08.1999 erneut Versicherungsleistungen. Die Beklagte zog den Befund- und Behandlungsbericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. L. aus S. vom 20.10.1999 bei. Sie ließ den Kläger durch den Orthopäden Dr. T. untersuchen, der in seinem Gutachten vom 23.02.2000 folgende Diagnosen stellte: Lokales bzw. pseudoradiculäres Lurnbalsyndrom, ISG (lliosacralgelenk = Kreuz-Darmbeingelenk)-Arthrose, rechts stärker als links bzw. Differenzialdiagnose beginnender Morbus Bechterew, schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Schulter im Sinne einer Periarthritis humeroscapularis (PHS) beiderseits, Cervico-Cephalgie bei Zustand nach Schleudertrauma, Amputation des 5. Fingers links, beginnende Dupuytren sche Erkrankung, Ausschluss einer primär-chronischen Polyarthritis (PCP). Er hielt den Kläger für fähig, mittelschwere Arbeiten zeitweise im Gehen, Stehen und Sitzen, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ohne Überkopfarbeiten, ohne schwere manuelle Tätigkeiten sowie ohne starke Witte¬rungsbelastung vollschichtig zu verrichten.

Die Beklagte lehnte Leistungen ab mit Bescheid vom 28.02.2000.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein weiteres Gutachten des Orthopäden Dr. T. vom 17.08.2000 ein. Dieser nahm eine Bechterew sche Erkrankung an und erwähnte wiederholte Kehlkopf- und Stirnhöhlenentzündungen. Er hielt noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten unter Vermeidung allergischer Noxen inhalativer Art und ohne Kälteeinflüsse vollschichtig für möglich. In dem weiteren Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 18.11.2000 stellte dieser als Diagnosen: Depressives Syndrom mit Somatisierungstendenz, sensible Polyneuropathie bei Verdacht auf äthyltoxische Ursache. Wie zuvor Dr. T. wies auch dieser Arzt auf eine eingeschränkte Gebrauchsfähigkeit der Hände hin. Bei den Akten befindet sich weiter der beigezogene Arztbrief der neurologischen Abteilung des G.-Hospitals E. vom 22.02.2001, wo der Kläger mit Verdacht auf Hirnstamminfarkt behandelt wurde, sowie der Befund- und Behandlungsbericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. aus E. vom 11.04.2001, der pathologische Befunde nicht ausweist. In einem weiteren Gutachten vom 05.06.2001 beurteilte Dr. S. den Zustand als unverändert.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 11.09.2001 Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 01.09.1999, wobei sich für den Monat November 2000 ein Zahlbetrag von 850,87 DM netto ergab. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück durch Widerspruchsbescheid vom 06.12.2001.

Hiergegen richtet sich die am 12.12.2001 erhobene Klage. Zur Begründung lässt der Kläger geltend machen, er könne bei Rückenschmerzen höchstens 15 Minuten laufen und habe sich Unterarmgehstützen besorgen müssen. Bereits wegen der eingeschränkten Gebrauchsfähigkeit der Hände liege der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit vor. Er leide täglich an Kopfschmerzen, die Nasenatmung sei nicht möglich, es bestünden Gedächtnislücken und erhöhte Vergesslichkeit, das Kurzzeitgedächtnis sei nahezu ausgeschaltet. Behauptet werden Kribbelparästhesien der Beine.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28.02.2000 und unter Abänderung des Bescheides vom 11.09.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2001 zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.09.1999 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält den Kläger weiter für fähig, zumindest leichte Arbeiten mit Einschränkungen ganztägig zu verrichten.

Das Gericht hat zunächst den Befund- und Behandlungsbericht des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. L. vom 12.03.2002 beigezogen. Sodann ist von Amts wegen nach § 106 SGG Beweis erhoben worden durch Einholung je eines orthopädischen, neurologisch-psychiatrischen und internistischen Gutachtens über den Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen des Klägers. Auf die Gutachten der Sachverständigen Dr. K., Dr. C. und Dr. O. vom 28.06., 15.07. und 08.08.2002 wird verwiesen.

Dem Sachverständigen Dr. O. lag dabei die Kopie des Bescheides des Versorgungsamtes Münster vom 07.06.2002 vor, mit dem seit 07.11.2001 Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie das Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung) nach dem jetzigen Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) bewilligt wurde, vorher bestand ein GdB von 40.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben die Arztbriefe der Internisten und Kardiologen Dres. X. und G. aus S. vom 05.09.2002 und der kardiologisch-angiologischen Abteilung des N.-Hospitals H. vom 12.09.2002 vorgelegt, in denen von einer Coronarsklerose ohne hämodynamisch relevante Stenose die Rede ist.

Es ist sodann gemäß § 109 SGG auf Antrag des Klägers ein weiteres Sachverständigengutachten erstattet worden durch Prof. Dr. F., Direktor der Abteilung für Kardiologie des Universitätsklinikums F ... Auf dessen Gutachten vom 23.11.2002 wird Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, sie ist nicht begründet.

Der Kläger ist durch den Bescheid vom 28.02.2000 in der Gestalt, die dieser durch den Bescheid vom 11.09.2001 und den Widerspruchsbescheid vom 05.12.2001 gefunden hat, nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der hier allein streitbefangenen Erwerbsunfähigkeitsrente nicht rechtswidrig ist.

Der Kläger ist nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 alter Fassung (a.F.) des Sozialgesetzbuches VI (SGB VI). Zwar ist diese Vorschrift durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. 1 S. 1827) aufgehoben und durch die erhebliche anders gefasste Vorschrift des neuen § 43 SGB VI ersetzt worden, im Falle des Klägers ist § 44 SGB VI aber gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI weiterhin anwendbar, weil der Kläger seinen Antrag noch zur Zeit der Geltung alten Rechts gestellt hat.

Erwerbsunfähig sind nach § 44 Abs. 2 Satz 1 a. F. SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark überstieg.

Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers nicht vor.

Der Kläger leidet an Senk-Spreizfuß mit leichter Zehenfehlstellung, an Krampfaderbildung ohne Stauungszeichen, mehr links als rechts, an beginnendem Kniegelenksverschleiß, an Lendenwirbelsäulensyndrom mit erheblicher Schmerzsymptomatik, aber ohne eindeutige Zeichen für ein Nervenwurzelkompressionssyndrom bei festgestelltem Bandscheibenvorfall L4/5, an wiederkehrendem Brustwirbelsäulensyndrom und wiederkehrendem Halswirbelsäulensyndrom ohne Nervenwurzelkompressionssyndrom mit Bandscheibenvorwölbung im Bereich der Halswirbelsäule, an Reizzustand im Bereich der Schultergelenke im Sinne eines leichten Engpasssyndroms mit Bewegungsschmerzen, aber bei erhaltener Beweglichkeit, an Veränderungen des linken Ellenbogens im Sinne einer Epikondyiopathia radialis, an beginnender Dupuytren scher Kontraktur im Bereich der rechten Hand mit teilweiser Funktionsbehinderung bei Zustand nach Operation einer solchen Kontraktur links und Amputation des 5. Fingers sowie an leichter Osteoporose. Daneben besteht ein Verdacht auf Bechterew sche Erkrankung ohne typischen klinischen Befund. Weiter leidet der Kläger an einer depressiven Fehlentwicklung bei Verdacht auf beginnende hirnorganische Leistungseinbuße und an im Bereich der Beine stärker auftretender sensibler Polyneuropathie bei Verdacht auf alkoholtoxische Ursache, an einem Zustand nach transitorisch-ischämischer Attacke (vorübergehender Hirndurchblutungsstörung) ohne aktuelles zentralnervös bedingtes neurologisches Defizit, an Lungenemphysem und Magenschleimhautentzündung. Hierin folgt das Gericht den Gutachten der Sachverständigen Dr. K., Dr. C. und Dr. O., wobei sich auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F. keine weitere Diagnose, insbesondere hinsichtlich des Herzens, ergeben hat. Die Sachverständigen haben den Kläger umfassend untersucht und ihre Befunde schlüssig dargelegt, die gestellten Diagnosen entsprechen den erhobenen Befunden. Das Gericht sieht keinen Anlass, den Diagnosen der Sachverständigen nicht zu folgen.

Damit kann der Kläger noch leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Überkopfarbeiten, ohne dauernde Zwangsarbeiten, ohne Einsatz auf Leitern und Gerüsten, ohne grobe zupackende und ohne Fingerfeinarbeiten, nicht in unebenem Gelände oder mit hohen Anforderungen an die Trittsicherheit, ohne Belastung durch Wechselschicht, Nachtschicht oder besonderen Zeitdruck sowie ohne Publikumsverkehr und ohne Belastung durch stärkere Umwelteinflüsse vollschichtig verrichten. Auch hierin folgt das Gericht den von Amts wegen beauftragten Sachverständigen, wobei auch hier das Gutachten des vom Kläger gewünschten Sachverständigen Prof. Dr. F. keine weitergehende Leistungseinbuße aufgedeckt hat. Das Gericht hält die Leistungsbeurteilung für schlüssig, insbesondere weil hirnorganische Leistungseinbußen sich nicht so ausgeprägt darstellen. Das Gericht muss zur Kenntnis nehmen, dass der Sachverständige Dr. O. den klinischen Zustand des Klägers als trotz der vielfältigen Erkrankungen noch relativ gut bezeichnet und dass der Kläger bei dem Sachverständigen Prof. F. sogar bis 125 Watt auf dem Ergometer belastet werden konnte, was dieser Sachverständige als altersentsprechend überdurchschnittlich gewertet hat. Vor diesem Hintergrund erscheint die Leistungsbeurteilung der Sachverständigen als überzeugend.

Damit kann der Kläger zumindest noch leichte Tätigkeiten unter Innendienst¬bedingungen, wie z. B. diejenige einer Bürohilfskraft im Arbeiterverhältnis, vollschichtig verrichten. Diese Tätigkeit stellt im Sinne der von Dr. C. aufgestellten Leistungsanforderung geistig einfache Ansprüche und ist nicht mit mehr als geringen Anforderungen an arbeitsplatzunspezifische Fähigkeiten wie Übersicht, Verantwortung, Aufmerksamkeit und Konzentration verbunden.

Darüber hinaus bestehen sowohl vom orthopädischen Bild her wie auch von der Herzleistungsfähigkeit des Klägers her keine Bedenken, dass dieser Fußwege von zumindest etwas über 500 Metern viermal täglich zu Fuß zu rücklegen kann, um von der Wohnung die Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels und von einer Ankunftshaltestelle einen Arbeitsplatz zu erreichen und um diesen Weg nach der Schicht in umgekehrter Richtung zu bewältigen. Das Gericht braucht deshalb nicht zu bewerten, was es mit den vom Kläger angeschafften Unterarmgehstützen auf sich hat, eine gewisse Trittunsicherheit beeinträchtigt den Kläger jedenfalls nur in unebenem Gelände.

Im Übrigen sind die Leistungseinschränkungen für leichte Tätigkeiten im Innendienst keineswegs so ungewöhnlich, dass von einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (SGB SozR 3-2200 § 44 Nrn. 8 und 12) gesprochen werden könnte.

Ob der Kläger allerdings geeignete Tätigkeiten finden oder durch das Arbeitsamt vermittelt erhalten kann, ist für die Frage der Rentengewährung ohne Bedeutung. Denn das Risiko der Arbeitslosigkeit trägt nicht die Beklagte als Rentenversicherungsträger, sondern vielmehr die Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen der dafür geschaffenen Vorschriften des Sozialgesetzbuches III bzw. zuvor des Arbeitsförderungsgesetzes.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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