Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 16 KA 143/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 11/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 7/20 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein von dem Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses in dessen Sitzung protokollierter Vergleich ist formunwirksam nach § 58 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 125 BGB, weil - anders als beim gerichtlichen Vergleich - die Schriftform nicht nach § 126 Abs. 4 BGB ersetzt wird, weil seine Protokollierung nicht nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung erfolgt. § 106 Abs. 5 SGB V (i. d.F. v. 22.12.2011) ordnet für das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss die Anwendung lediglich von § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 SGG an, nicht jedoch von § 122 SGG i. V. m. §§ 159 bis 165 ZPO.
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 3. April 2017 und der Bescheid des Beklagten vom 22. September 2015 aufgehoben und festgestellt, dass das Verfahren über den Widerspruch gegen den Bescheid der Prüfungsstelle Ärzte und Krankenkassen in Hessen vom 20. Juni 2011, korrigiert durch Bescheid vom 19. August 2011, nicht durch den Vergleich vom 29. Februar 2012 erledigt worden ist.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahren in beiden Instanzen zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Vergleichs zum Abschluss des Verfahrens vor dem beklagten Beschwerdeausschuss.
Der Kläger nimmt seit 1984 mit einer hausärztlichen Einzelpraxis in Darmstadt an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Mit Schreiben vom 1. November 2010 teilte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) dem Kläger die Eröffnung eines Verfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung bezogen auf einzelne Leistungsbereiche für die Quartale I/2007 bis IV/2007 mit (Bl. 124 der Verwaltungsakte). Sie forderte den Kläger zu einer substantiierten Stellungnahme auf, worauf der Kläger nicht reagierte. Mit Bescheid vom 20.Juni 2011 (Bl. 152 der Verwaltungsakte), korrigiert durch Schreiben vom 19. August 2011 (Bl. 160 der Verwaltungsakte) setzte die Prüfungsstelle hinsichtlich der Quartale I/2007 bis IV/2007 Honorarabänderungen in Höhe von 34,50 Euro (I/2007), 52,70 Euro (II/2007), 45,00 Euro (III/2007) bzw. 68,70 Euro (IV/2007) pro Fall gegen ihn fest, insgesamt 93.528,90 Euro brutto.
Hiergegen erhob der Kläger am 18. Juli 2011 Widerspruch (Bl. 153 der Verwaltungsakte), den er knapp begründete und mit Schreiben vom 14. August 2011 (Bl. 170 der Verwaltungsakte) und vom 15. Januar 2012 (Bl. 204 der Verwaltungsakte) und weiteren undatiert übersandten Unterlagen (Bl. 213 der Verwaltungsakte) vertiefend ergänzte.
Mit Faxschreiben vom 27. Februar 2012 (Bl. 216 der Verwaltungsakte), beim Beklagten eingegangen am 28. Februar 2012, führte der Kläger aus:
"Hiermit bestätige ich Ihnen meine Teilnahme an der Anhörung am 29.02.2012. Herr C. von der KV Darmstadt, Pallaswiesenstraße 174 hat mir geraten einen Rechtsanwalt mitzubringen deshalb werde ich Herrn D. mitbringen.
VOLLMACHT
Hiermit erteile ich Herrn D. die Vollmacht mich als Rechtsbeistand Zu begleiten bei der persönlichen Anhörung in der nicht-öffentlichen Sitzung des Beschwerdeausschusses der Ärzte und Krankenkassen in Hessen am Mittwoch den 29.02.2012 um 15:30 Uhr im Sitzungszimmer 1.03 der KV Hessen." [Anm.: Orthographie aus Original unverändert übernommen].
An der Sitzung des Beklagten am 29. Februar 2012 nahmen der Kläger persönlich sowie Herr Rechtsanwalt D. teil. In der vom Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses und dem Schriftführer unterzeichneten Niederschrift über diese Sitzung (Bl. 217 der Verwaltungsakte) wurde u. a. Folgendes protokolliert:
"Im Einvernehmen aller Beteiligten wird folgende einvernehmliche Regelung getroffen:
1. In Abweichung des Bescheides der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Hessen - Kammer Süd - vom 20.06.2011, korrigiert am 19.08.2011, verpflichtet sich Doktor A. für die Quartale I/07 bis IV/07 ein Honorarregressbetrag in Höhe von netto 20.000,00 EUR (zwanzigtausend Euro) zu bezahlen.
2. Es wird eine Ratenzahlung in 8 Teilraten à 2.500,00 EUR (zweitausendfünfhundert Euro) zugestanden. Die erste Rate in Höhe von 2.000,00 EUR netto soll mit der Restzahlung für das 2. Quartal 2012 verrechnet werden.
3. Es besteht Einvernehmen darüber, dass außergerichtliche Kosten - insbesondere Anwaltskosten - nicht erstattet werden.
4. Es besteht Einvernehmen darüber, dass hiermit die gesamten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens und der Honorarabrechnung 2007 offenen Beträge abgegolten sind.
Laut vorgelesen und genehmigt."
Die Sitzungsniederschrift übersandte der Beklagte mit Schreiben 16. März 2012 an Rechtsanwalt D. (Bl. 220 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 15. August 2012 (Bl. 235 der Verwaltungsakte), eingegangen beim Beklagten am 18. August 2012, rügte der Kläger, dass ihm weder die Niederschrift über die Sitzung vom 29. Februar 2012 übersandt worden sei noch konkrete Angaben erfolgt seien, weswegen der Regress durchgeführt werde bzw. die Absprache erfolgt sei. Rechtsanwalt D. habe kein Mandat gehabt, ihn zu vertreten, sondern sei als Zeuge der Qualität und der mangelnden Validität des Prüfungsverfahrens zu mündlichen Verhandlung erschienen. Er führte weiter aus, dass er den Regressbetrag von 20.000 Euro für das Jahr 2007 für überzogen halte.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2013 (Bl. 239 der Verwaltungsakte) teilte die Beigeladene zu 1) dem Kläger mit, dass Rechtsanwalt D. über die Entscheidung des Beklagten vom 29. Februar 2012 informiert worden sei. Für die Quartale I/2007 bis IV/2007 sei ein Kürzungsbetrag in Höhe von insgesamt 20.000 Euro netto festgesetzt, verbunden mit der Vereinbarung, dass der Betrag über acht Quartale zu je 2.500 Euro zu erstatten sei. Sie werde das Honorarkonto des Klägers mit ersten Rate im Quartal III/2013 belasten.
Mit Schreiben, das sowohl auf den 4. November 2013 als auch auf den 7. November 2013 datiert ist (Bl. 243 der Verwaltungsakte), kritisierte der Kläger die kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen. Wörtlich heißt es im Schreiben: "Hiermit widerspreche ich erneut diesen Prüfungs- und Schlichtungsbeschlüssen und der Durchführung für die Quartale 1-4 für 2007 und 2008." Er führt sodann im Einzelnen zu den von ihm erbrachten Leistungen im vorgenannten Zeitraum und zu weiteren Verfahren aus.
Mit Schreiben vom 14. November 2013 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass er in der Sitzung im Beisein einer rechtskundigen Person der Honorarkürzung zugestimmt habe, und übersandte eine Ausfertigung der Sitzungsniederschrift.
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2014 (Bl. 15 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte) wies der Kläger den Beklagten darauf hin, dass das Verfahren nicht einvernehmlich durchgeführt worden sei. Sein Rechtsanwalt sei von ihm nur als Zeuge hinzugezogen worden und nicht als "Verteidiger"; dieser habe am Ende der Sitzung auf die Bitte des "Richters" am Ende der Verhandlung sich zu äußern auch ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er sich sehr wundere, über das Verfahren, wie es in Deutschland wohl durchgeführt werde. Erst am 14. November 2013 habe er den Beschluss des "Schlichtungsausschusses" auf wiederholte Mahnung erhalten. Durch die Verzögerung sei sein Konto völlig fehlbelastet worden, so dass er nochmals Widerspruch einlege. Ihm sei jetzt klar geworden, dass der "Richter" mit seiner Fehlaussage, es würde teurer werden, wenn er dieser 2000,00 Euro-Kürzung nicht zustimme, ihn wirkungsvoll genötigt habe, das heißt, ihn mit einer Fehldarstellung, der er Vertrauen geschenkt habe, ihn betrogen habe. Der Beschluss vom 29. Februar 2012 müsse daher ungültig erklärt werden. Mit Schreiben vom 16. Januar 2015 (Bl. 27 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte) wiederholte der Kläger sein Begehren und führte unter Bezugnahme auf die mit übersandten Anlagen näher zu den von ihm erbrachten Leistungen, gesundheitspolitischen Aspekten und weiteren Themen aus.
In der Sitzung am 29. April 2015, an der der Kläger persönlich teilnahm, erklärte der Kläger unter anderem, dass er Rechtsanwalt D. nur als Rechtsbeistand zu Begleitung im Termin am 29. Februar 2012 Vollmacht erteilt habe und ihm der Vorsitzende in der damaligen Sitzung, in der der Vergleich geschlossen worden sei, eine höhere Honorarkürzung in Aussicht gestellt habe, falls es nicht zum Vergleichsabschluss käme. Diese Aussage sei falsch gewesen. Deshalb akzeptiere er die einvernehmliche Regelung nicht.
Mit Beschluss vom 29. April 2015 (Bl. 36 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte), ausgefertigt am 22. September 2015 (Bl. 50-55 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte), stellte der Beklagte fest, dass das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 20. Juni 2011, korrigiert am 19. August 2011, durch die in der Sitzung am 29. Februar 2012 vereinbarte einvernehmliche Regelung abgeschlossen worden sei; soweit der Widerspruch aufrechterhalten werde, werde er zurückgewiesen. Das Verfahren über den Widerspruch vom 17. Juli 2011 sei durch die in der Sitzung vom 29. Februar 2012 getroffene Regelung erledigt. Die formalen Voraussetzungen des § 54 SGB X für eine wirksame Vereinbarung seien erfüllt. Mit der Regelung sei in zulässiger Weise ein Sachverhalt, über dessen Ausgang Ungewissheit bestanden habe, zum Zeitpunkt des erzielten Einvernehmens einer abschließenden Klärung zugeführt worden. Die Regelung sei wirksam, es sei unerheblich, wann die Niederschrift über die Sitzung vom 29. Februar 2012 dem Kläger übersandt worden sei. Seine Geschäftsstelle sei auch berechtigt gewesen, die Niederschrift dem bevollmächtigten Rechtsanwalt zu übersenden; dies ergebe sich aus entsprechender Anwendung von §§ 13, 37 SGB X, es gebe auch keine ausdrückliche Beschränkung des Umfangs der Bevollmächtigung. Nichtigkeitsgründe i. S. v. § 58 SGB X lägen nicht vor, auch sei die getroffene einvernehmliche Regelung nicht wegen eines möglichen Irrtums über die Vergleichsgrundlage, wegen Willensmängeln oder wegen Täuschung oder Drohung nichtig. Der Kläger habe sich allenfalls in einem unbeachtlichen Motivirrtum befunden.
Am 20. Oktober 2015 hat der Kläger beim Sozialgericht Marburg Klage erhoben.
Der Kläger hat den streitgegenständlichen Beschluss für unrechtmäßig gehalten, weil sich die seinerzeitige Bevollmächtigung des Rechtsanwalts D. lediglich auf dessen Mitbringen durch ihn - den Kläger - in den Sitzungstermin bezogen habe. Es habe auch kein Einvernehmen vorgelegen. Er hat sich weiter gegen die Zustellung der Niederschrift über den Vergleichsabschluss in der Sitzung des Beklagten am 29. Februar 2012 an seinen seinerzeitigen Rechtsanwalt anstatt an ihn selbst gewandt.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der Vergleich wirksam zu Stande gekommen und nicht durch Anfechtung nichtig sei. Des Weiteren komme es nicht auf die Unvoreingenommenheit seines Vorsitzenden an.
Die Beigeladene zu 1) hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen.
Mit Gerichtsbescheid vom 3. April 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Weil der Kläger keinen Antrag gestellt habe, sei sein Begehen nach § 123 SGG auszulegen, danach begehre er die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 22. September 2015 auf den Beschluss vom 29. April 2015 und die Verpflichtung des Beklagten, seinen Widerspruch vom 18. Juli 2011 neu zu bescheiden.
Diese Klage sei zulässig, aber unbegründet. Dem Beschwerdeausschuss komme neben der Entscheidungskompetenz in den jeweiligen materiell-rechtlichen Fragen als Annexkompetenz zum einen auch die Berechtigung zu, vergleichsweise Einigungen zur Beendigung des Verfahrens zu treffen. Zum anderen habe er die Kompetenz, prozessuale (Vor-)Fragen im Beschlusswege zu entscheiden, so etwa über die Zulässigkeit des jeweiligen Widerspruchs oder – wie vorliegend – die Feststellung zu treffen, dass ein Verfahren seine Erledigung gefunden hat. Die vorliegende Feststellung des Beschwerdeausschusses sei auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Denn die das Verwaltungsverfahren beendende Vereinbarung zwischen dem Beklagten und dem Kläger sei rechtswirksam und nicht durch die vom Kläger erhobene Anfechtung seiner Willenserklärung rückwirkend unwirksam geworden. Vorliegend sei der Kläger keinem Inhalts-, sondern einem unbeachtlichen Motivirrtum unterlegen. Es liege auch keine arglistige Täuschung durch den Beklagten vor. Hierbei könne als wahr unterstellt werden, was der Kläger in der Sitzung vom 29. April 2015 ausgeführt habe, nämlich, dass der Vorsitzende des Beklagten ihm seinerzeit in der Sitzung des Vergleichsabschlusses mitgeteilt habe, er würde ohne Vergleich mit einer höheren Honorarkürzung zu rechnen habe. Es lasse sich nämlich keinerlei Feststellung darüber treffen, ob diese Aussage, bei der es sich im Übrigen erkennbar um eine prognostische Einschätzung des Vorsitzenden gehandelt habe, falsch gewesen sei oder nicht. Dem beklagten Gremium komme nach allgemeiner Auffassung ein besonders weiter Beurteilungsspielraum bei der Festsetzung von Regressbeträgen zu (vgl. statt vieler: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 28.11.2007, L 6/7 KA 624/03). Dass die Kassenärztliche Vereinigung Hessen, also die Beigeladene zu 1), eine andere Prognose der zu erwartenden Regresssumme getroffen habe, wie der Kläger mitgeteilt habe, stehe ihr frei, sei aber allenfalls als Meinungsäußerung dieser Körperschaft zu werten.
Auch der weitere Vortrag hinsichtlich der Einbeziehung des Rechtsanwalts D. in das Verwaltungsverfahren ändere an diesem Ergebnis nichts. Dies gelte zunächst für seine Teilnahme an der Sitzung. Es komme dabei vorliegend nicht auf die Frage an, inwieweit das als Vollmacht bezeichnete Schreiben vom 27. Februar 2012 dem Juristen eine Vertretungsmacht für den Kläger einräume. Letztgenannter selbst habe nämlich entweder die entsprechende Willenserklärung abgegeben oder müsse sich die Abgabe der Willenserklärung durch den Rechtsanwalt in seinem Namen zurechnen lassen. Wie aus dem Protokoll der Sitzung nämlich ersichtlich sei, habe sich der Kläger selbst in die Diskussion eingebracht. Der Vorsitzende habe im Verlauf der Sitzung die einvernehmliche Regelung vorgelesen und diese sei entweder, was aus dem Protokoll nicht hervorgehe, vom Kläger, vom Rechtsanwalt oder von beiden genehmigt worden. Weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht seien aber nicht erforderlich. Denn falls der Kläger selbst die Genehmigung entäußert habe, komme der Anwesenheit des Rechtsanwalts im Hinblick auf die Abgabe der Willenserklärung keine weitergehende rechtliche Bedeutung zu, ohne dass dies näherer Erläuterungen bedürfe. Falls hingegen der Rechtsanwalt in Anwesenheit des Klägers allein die Genehmigung geäußert habe, liege entweder ein Fall der unmittelbaren Bevollmächtigung durch das Schreiben 27. Februar 2012 oder ein Fall der konkludenten Bevollmächtigung durch das Schreiben in Verbindung mit dem Erscheinen, gemeinsam mit dem Rechtsanwalt in der Sitzung, oder ein Fall der Duldungsvollmacht vor. In allen drei Fällen sei die Abgabe der Willenserklärung im Namen des Klägers erfolgt.
Es entspreche nach zivilrechtlichen Grundsätzen, die hier Anwendung fänden (vgl. etwa OVG Münster, Beschluss vom 09.07.2003, 18 B 2172/02), der allgemeinen Auffassung, dass Willenserklärungen von vermeintlichen Bevollmächtigten ohne tatsächliche Vertretungsbefugnis den scheinbaren Vollmachtgeber rechtlich binden. Es handele sich um einen Fall der Vertrauenshaftung, die ihre Grundlage in § 242 BGB, also dem Grundsatz von Treu und Glauben, habe (BeckOK BGB/Schäfer BGB § 167 Rn. 14, beck-online). Der hier vorliegende Unterfall der Duldungsvollmacht liege vor, wenn der Vertretene das Auftreten des unbefugten Dritten als Vertreter wissentlich geschehen lasse und der Geschäftsgegner diese Duldung dahin verstehe und nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auch dahin werten dürfe, dass der Handelnde Vollmacht habe (BeckOK BGB/Schäfer BGB § 167 Rn. 15, beck-online, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BGH). Im Gegensatz zu Anscheinsvollmacht könne schon ein einmaliges Gewährenlassen durch den vermeintlichen Vollmachtgeber die Duldungsvollmacht begründen, wenn das Dulden wissentlich geschehe (OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.05.2005, 9 U 73/05, OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.04.2013, I-5 U 127/12). Gerade dies sei vorliegend der Fall. Denn der Kläger habe anhand des Verlaufs der Sitzung erkennen müssen, dass eine rechtsverbindliche Vereinbarung zwischen ihm und dem Beklagten geschlossen werde und habe diesen Ablauf wissentlich geschehen lassen.
Gegen den ihm am 5. April 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 2. Mai 2017 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, nur vordergründig und formal gehe es um die Wirkung der protokollierten Vereinbarung des Beschwerdeausschusses vom 29. Februar 2012. Die Ausführungen zur Irrtumsanfechtung in der erstinstanzlichen Entscheidung setze jedoch voraus, dass es in der Sitzung des Beklagten vom 29. Februar 2012 überhaupt zu einem abschließend regelnden Vergleich mit Bindungswirkung auch für ihn – den Kläger – gekommen sei. Dies sei nicht der Fall. Der Beklagte selbst habe der Vereinbarung vom 29. Februar 2012 keine abschließende und bindende Regelung beigemessen, denn anders sei das Schreiben des Beklagten vom 16. März 2012 nicht zu verstehen, in dem es unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Verhandlung am 29. Februar 2012 heiße, dass es ihm – dem Kläger – anheimgestellt bzw. ihm die Gelegenheit gegeben werde, das Verhandlungsergebnis unter Verzicht auf die förmliche Zustellung eines Bescheides als verbindlich anzuerkennen. Eine Genehmigung habe er jedoch nicht erteilt, vielmehr habe er fristwahrend gegen den Bescheid vom 20. Juni 2011 am 18. Juli 2011 Widerspruch eingelegt. Es fehle an einem formalen Verfahrensabschluss. Auf die Anwesenheit eines anwaltlichen Bevollmächtigten könne es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Ebensowenig auf die Frage der Anfechtung, da schon keine verbindliche Erklärung abgegeben worden sei, es vielmehr noch seiner Genehmigung bedurft habe, die zu keinem Zeitpunkt erteilt worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 3. April 2017 und den Bescheid des Beklagten vom 22. September 2015 aufzuheben und festzustellen, dass das Verfahren über den Widerspruch gegen den Bescheid der Prüfungsstelle Ärzte und Krankenkassen in Hessen vom 20. Juni 2011, korrigiert durch Bescheid vom 19. August 2011, nicht durch den Vergleich vom 29. Februar 2012 erledigt worden ist.
Der Beklagte beantragt,
1. Den Rechtsstreit zu vertagen, hilfsweise
2. die Berufung zurückzuweisen,
3. Für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
Er trägt vor, dass die Vereinbarung nicht durch Anfechtung unwirksam geworden sei. Es bedürfe auch bei einer vergleichsweisen Beendigung des Widerspruchsverfahrens keines Bescheides. Er habe eine Annexkompetenz zu vergleichsweisen Einigungen und zur Entscheidung über prozessuale Fragen im Beschlusswege. § 22 Abs. 4 Prüfvereinbarung regele, dass die Beteiligten über die anderweitige Erledigung des Widerspruchsverfahrens eine formlose Nachricht erhielten. Bei dem Schreiben vom 16. März 2012 handele es sich um ein Begleitschreiben zur Versendung der Niederschrift über die vergleichsweise Einigung in der Sitzung am 29. Februar 2012. Bei der Verwendung des standardmäßigen Textes handele es sich um ein redaktionelles Versehen, der Text habe keine Geltung für eine Erledigung des Verfahrens durch eine einvernehmliche Regelung und sei nur versehentlich verwendet worden, hieraus könne keine Verpflichtung hergeleitet werden, im Falle einer vergleichsweisen Einigung einen Bescheid zu erstellen. Der Inhalt des Vergleiches sei nach der Niederschrift über die Sitzung am 29. Februar 2012 genehmigt worden.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Die Beigeladene zu 1) schließt sich den Ausführungen des Beklagten an.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit verhandeln und entscheiden, obwohl die Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen und nicht anderweitig vertreten waren, denn sie war mit der ordnungsgemäß erfolgten Terminsmitteilung auf diese Verfahrensweise hingewiesen worden (§§ 110, 124 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Auch dem Vertagungsantrag des Beklagten war nicht stattzugeben. Eine Vertagung zur ausreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs und zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung ist geboten, wenn anzunehmen ist, dass dem auf Vertagung antragenden Beteiligten infolge unterbliebener Vertagung die Möglichkeit abgeschnitten wird, sich sachgemäß und erschöpfend zu äußern, weil er im Termin mit einer Tatsachen- oder Rechtsfrage konfrontiert wird, mit der er nicht zu rechnen brauchte und sich nicht "aus dem Stand" auseinanderzusetzen vermag. Es reicht aber nicht aus, dass – wie hier die Frage der Formnichtigkeit des Vergleichsvertrags im Verfahren vor dem Sozialgericht - ein bestimmter Gesichtspunkt im unmittelbar vorangehenden Verfahren nicht angesprochen worden ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Beteiligte auch aufgrund sonstiger naheliegender Erkenntnisquellen nicht auf den Gedanken kommen konnte, dass es darauf ankommen würde (BSG, Beschluss vom 27. September 2011 – B 4 AS 42/11 B –, Rn. 10, juris; BSG, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - B 9a VJ 4/06 B). Dies war hier nicht der Fall, denn zunächst handelt es sich bei der Frage der Formnichtigkeit des Vergleichsvertrags im vorliegenden Fall um eine reine Rechtsfrage; der ihr zugrundeliegende Sachverhalt war ausführlich bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens. Und des Weiteren hat der Beklagte selbst im angefochtenen Beschluss sich mit den formalen Erfordernissen von § 58 SGB X auseinandergesetzt, so dass bereits bei der Lektüre der zur Überprüfung anstehenden Entscheidung der Gedanke der Prüfung der Formnichtigkeit naheliegt.
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) statthafte Klage ist zulässig. Gegenstand des Verfahrens ist – wie bereits das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat – die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 22. September 2015 und die Feststellung der Wirksamkeit des Vergleichsvertrags vom 29. Februar 2012 zwischen dem Kläger und dem Beklagten.
Die Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 22. September 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn das Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid der Prüfungsstelle Ärzte und Krankenkassen in Hessen (Prüfungsstelle) vom 20. Juni 2011, korrigiert durch Bescheid vom 19. August 2011, ist nicht durch den Vergleich vom 29. Februar 2012 erledigt worden. Der Vergleichsvertrag vom 29. Februar 2012 ist nichtig.
Rechtsgrundlage ist § 106 Abs. 4a Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 5 und 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung in der Fassung vom 22. Dezember 2011. Nach § 106 Abs. 4 Satz 1 SGB V bilden die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner bei der Kassenärztlichen Vereinigung oder bei einem der in Satz 5 genannten Landesverbände eine gemeinsame Prüfungsstelle und einen gemeinsamen Beschwerdeausschuss. Nach Abs. 4a nehmen die Prüfungsstelle und der Beschwerdeausschuss ihre Aufgaben jeweils eigenverantwortlich wahr. Nach Abs. 5 Satz 3 können die betroffenen Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen, die Krankenkassen, die betroffenen Landesverbände der Krankenkassen sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle die Beschwerdeausschüsse anrufen. Nach Anhängigkeit des Verfahrens beim Beschwerdeausschuss ist dieser auch allein dafür zuständig (BSG, Urteil vom 09.06.1999, B 6 KA 76/97 R). Nach § 106 Abs. 5 Satz 5 und 6 sind für dieses Verfahren § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 SGG anzuwenden, das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss gilt als Vorverfahren im Sinne von § 78 SGG.
Das Verfahren über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 20. Juni 2011 ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht durch den Vergleich in der Sitzung des Beklagten vom 29. Februar 2012 erledigt worden.
Der in der Sitzung des Beklagten vom 29. Februar 2012 geschlossene Vergleich stellt einen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne von § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - dar, wonach ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden kann (öffentlich-rechtlicher Vertrag), soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen (Satz 1). Insbesondere kann die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richtet (Satz 2).
Damit durfte der Beklagte statt durch Verwaltungsakt zu handeln mit dem Kläger einen Vertrag schließen, er war insbesondere berechtigt, einen Vergleichsvertrag i. S. v. § 54 Abs. 1 SGB X abzuschließen. Danach kann ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB X, durch den eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges nachgeben beseitigt wird (Vergleich), geschlossen werden, wenn die Behörde den Abschluss des Vergleichs zur Beseitigung der Ungewissheit nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig hält.
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann der Senat offen lassen, denn der Vergleichsvertrag vom 29. Februar 2012 war jedenfalls formunwirksam nach § 58 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 125 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), denn der durch den Vorsitzenden des beklagten Beschwerdeausschusses in dessen Sitzung vom 29. Februar 2012 zur Niederschrift protokollierte Vergleich genügt nicht dem Schriftformerfordernis des § 56 SGB X. Danach ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag schriftlich zu schließen, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist. Die Norm enthält keine eigenständige Definition davon, was unter Schriftform zu verstehen ist. Nach allgemeiner Auffassung ist daher auf die Regelungen des § 126 BGB zurückzugreifen. Schriftform i. S. d. § 56 SGB X bedeutet grundsätzlich, dass über den Vertragsinhalt eine Urkunde zu erstellen und von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens zu unterzeichnen ist (vgl. § 126 Abs. 1 BGB; Nielsson in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 56 SGB X; Stand: 1. Dezember 2017, Rn. 32). Diesem Erfordernis wird der Vergleich vom 29. Februar 2012 ersichtlich nicht gerecht, da jedenfalls die Namensunterschrift des Klägers auf der Niederschrift über die Sitzung des Beklagten am 29. Februar 2012 fehlt.
Anders als ein gerichtlicher Vergleich wird die Schriftform auch nicht durch die Protokollierung ersetzt, denn dies ist beim gerichtlichen Vergleich nur deshalb der Fall, weil nach § 126 Abs. 4 BGB die schriftliche Form "durch die notarielle Beurkundung" und gemäß § 127a BGB die notarielle Beurkundung "bei einem gerichtlichen Vergleich durch die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung errichtetes Protokoll" ersetzt werden (Hessischer VGH, Urteil vom 15. Februar 1996, 5 UE 2836/95, ESVGH 46, 169, zitiert nach juris Rn. 50f). Ein vor dem Beschwerdeausschuss geschlossener Vergleich ist indes kein gerichtlicher Vergleich und seine Protokollierung richtet sich auch nicht nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO). Dies ergibt sich schon daraus, dass § 106 Abs. 5 Satz 5 und 6 SGB V i. F. v. 22. Dezember 2011 für das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss die Anwendung lediglich von § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 SGG anordnet, nicht jedoch die Anwendung von § 122 SGG, wonach für die Niederschrift §§ 159 bis 165 ZPO entsprechend gelten.
Auf das Schriftformerfordernis konnte auch nicht verzichtet werden. Soweit nach § 56 SGB X auf die Schriftform verzichtet werden kann, weil durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist, mag die für die Zeit ab 1. Januar 2004 geltende Prüfvereinbarung gem. § 106 Abs. 3 SGB V (PV) wegen ihres die Rechtsnormcharakters (Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl., § 106 SGB V 1. Überarbeitung [Stand: 20. März 2019], Rn. 66), noch den Anforderungen an § 56 SGB X genügen (vgl. hierzu allgemein Engelmann in: von Wulffen/Schütze SGBX Kommentar, 8. Auflage 2014, § 56 Rn. 9), doch abgesehen davon, dass mit "eine andere Form" eine weiterreichende, also strengere Form (Engelmann a.a.O, str. vgl. zum Meinungsstand: Nielsson in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 56 SGB X [Stand: 1. Dezember 2017], Rn. 28) gemeint sein dürfte, enthält die hier maßgebliche Fassung der Prüfvereinbarung hierzu keine Regelung. Insbesondere betrifft § 11 Abs. 4 PV, wonach über eine anderweitige Erledigung des Widerspruchsverfahrens, insbesondere durch Rücknahme des Widerspruchs die Verfahrensbeteiligten eine formlose Nachricht erhalten, lediglich Verfahrensregelungen über die Form der Mitteilung einer anderweitigen Erledigung des Verfahrens, nicht jedoch über die Form der Erledigung auf andere Art selbst, namentlich nicht hinsichtlich der Form eines Vergleichsvertrags i. S. v. § 54 Abs. 1 SGB X.
Nachdem die Schriftform vertraglich nicht abdingbar ist (Nielsson in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 56 SGB X [Stand: 1. Dezember 2017], Rn. 83), konnten die Beteiligten auf das Formerfordernis auch nicht anderweitig verzichten; hierfür bestehen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte.
Die Kostengrundentscheidung aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO war nicht veranlasst, da diese keine Anträge gestellt haben.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahren in beiden Instanzen zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Vergleichs zum Abschluss des Verfahrens vor dem beklagten Beschwerdeausschuss.
Der Kläger nimmt seit 1984 mit einer hausärztlichen Einzelpraxis in Darmstadt an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Mit Schreiben vom 1. November 2010 teilte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) dem Kläger die Eröffnung eines Verfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung bezogen auf einzelne Leistungsbereiche für die Quartale I/2007 bis IV/2007 mit (Bl. 124 der Verwaltungsakte). Sie forderte den Kläger zu einer substantiierten Stellungnahme auf, worauf der Kläger nicht reagierte. Mit Bescheid vom 20.Juni 2011 (Bl. 152 der Verwaltungsakte), korrigiert durch Schreiben vom 19. August 2011 (Bl. 160 der Verwaltungsakte) setzte die Prüfungsstelle hinsichtlich der Quartale I/2007 bis IV/2007 Honorarabänderungen in Höhe von 34,50 Euro (I/2007), 52,70 Euro (II/2007), 45,00 Euro (III/2007) bzw. 68,70 Euro (IV/2007) pro Fall gegen ihn fest, insgesamt 93.528,90 Euro brutto.
Hiergegen erhob der Kläger am 18. Juli 2011 Widerspruch (Bl. 153 der Verwaltungsakte), den er knapp begründete und mit Schreiben vom 14. August 2011 (Bl. 170 der Verwaltungsakte) und vom 15. Januar 2012 (Bl. 204 der Verwaltungsakte) und weiteren undatiert übersandten Unterlagen (Bl. 213 der Verwaltungsakte) vertiefend ergänzte.
Mit Faxschreiben vom 27. Februar 2012 (Bl. 216 der Verwaltungsakte), beim Beklagten eingegangen am 28. Februar 2012, führte der Kläger aus:
"Hiermit bestätige ich Ihnen meine Teilnahme an der Anhörung am 29.02.2012. Herr C. von der KV Darmstadt, Pallaswiesenstraße 174 hat mir geraten einen Rechtsanwalt mitzubringen deshalb werde ich Herrn D. mitbringen.
VOLLMACHT
Hiermit erteile ich Herrn D. die Vollmacht mich als Rechtsbeistand Zu begleiten bei der persönlichen Anhörung in der nicht-öffentlichen Sitzung des Beschwerdeausschusses der Ärzte und Krankenkassen in Hessen am Mittwoch den 29.02.2012 um 15:30 Uhr im Sitzungszimmer 1.03 der KV Hessen." [Anm.: Orthographie aus Original unverändert übernommen].
An der Sitzung des Beklagten am 29. Februar 2012 nahmen der Kläger persönlich sowie Herr Rechtsanwalt D. teil. In der vom Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses und dem Schriftführer unterzeichneten Niederschrift über diese Sitzung (Bl. 217 der Verwaltungsakte) wurde u. a. Folgendes protokolliert:
"Im Einvernehmen aller Beteiligten wird folgende einvernehmliche Regelung getroffen:
1. In Abweichung des Bescheides der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Hessen - Kammer Süd - vom 20.06.2011, korrigiert am 19.08.2011, verpflichtet sich Doktor A. für die Quartale I/07 bis IV/07 ein Honorarregressbetrag in Höhe von netto 20.000,00 EUR (zwanzigtausend Euro) zu bezahlen.
2. Es wird eine Ratenzahlung in 8 Teilraten à 2.500,00 EUR (zweitausendfünfhundert Euro) zugestanden. Die erste Rate in Höhe von 2.000,00 EUR netto soll mit der Restzahlung für das 2. Quartal 2012 verrechnet werden.
3. Es besteht Einvernehmen darüber, dass außergerichtliche Kosten - insbesondere Anwaltskosten - nicht erstattet werden.
4. Es besteht Einvernehmen darüber, dass hiermit die gesamten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens und der Honorarabrechnung 2007 offenen Beträge abgegolten sind.
Laut vorgelesen und genehmigt."
Die Sitzungsniederschrift übersandte der Beklagte mit Schreiben 16. März 2012 an Rechtsanwalt D. (Bl. 220 der Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 15. August 2012 (Bl. 235 der Verwaltungsakte), eingegangen beim Beklagten am 18. August 2012, rügte der Kläger, dass ihm weder die Niederschrift über die Sitzung vom 29. Februar 2012 übersandt worden sei noch konkrete Angaben erfolgt seien, weswegen der Regress durchgeführt werde bzw. die Absprache erfolgt sei. Rechtsanwalt D. habe kein Mandat gehabt, ihn zu vertreten, sondern sei als Zeuge der Qualität und der mangelnden Validität des Prüfungsverfahrens zu mündlichen Verhandlung erschienen. Er führte weiter aus, dass er den Regressbetrag von 20.000 Euro für das Jahr 2007 für überzogen halte.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2013 (Bl. 239 der Verwaltungsakte) teilte die Beigeladene zu 1) dem Kläger mit, dass Rechtsanwalt D. über die Entscheidung des Beklagten vom 29. Februar 2012 informiert worden sei. Für die Quartale I/2007 bis IV/2007 sei ein Kürzungsbetrag in Höhe von insgesamt 20.000 Euro netto festgesetzt, verbunden mit der Vereinbarung, dass der Betrag über acht Quartale zu je 2.500 Euro zu erstatten sei. Sie werde das Honorarkonto des Klägers mit ersten Rate im Quartal III/2013 belasten.
Mit Schreiben, das sowohl auf den 4. November 2013 als auch auf den 7. November 2013 datiert ist (Bl. 243 der Verwaltungsakte), kritisierte der Kläger die kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen. Wörtlich heißt es im Schreiben: "Hiermit widerspreche ich erneut diesen Prüfungs- und Schlichtungsbeschlüssen und der Durchführung für die Quartale 1-4 für 2007 und 2008." Er führt sodann im Einzelnen zu den von ihm erbrachten Leistungen im vorgenannten Zeitraum und zu weiteren Verfahren aus.
Mit Schreiben vom 14. November 2013 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass er in der Sitzung im Beisein einer rechtskundigen Person der Honorarkürzung zugestimmt habe, und übersandte eine Ausfertigung der Sitzungsniederschrift.
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2014 (Bl. 15 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte) wies der Kläger den Beklagten darauf hin, dass das Verfahren nicht einvernehmlich durchgeführt worden sei. Sein Rechtsanwalt sei von ihm nur als Zeuge hinzugezogen worden und nicht als "Verteidiger"; dieser habe am Ende der Sitzung auf die Bitte des "Richters" am Ende der Verhandlung sich zu äußern auch ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er sich sehr wundere, über das Verfahren, wie es in Deutschland wohl durchgeführt werde. Erst am 14. November 2013 habe er den Beschluss des "Schlichtungsausschusses" auf wiederholte Mahnung erhalten. Durch die Verzögerung sei sein Konto völlig fehlbelastet worden, so dass er nochmals Widerspruch einlege. Ihm sei jetzt klar geworden, dass der "Richter" mit seiner Fehlaussage, es würde teurer werden, wenn er dieser 2000,00 Euro-Kürzung nicht zustimme, ihn wirkungsvoll genötigt habe, das heißt, ihn mit einer Fehldarstellung, der er Vertrauen geschenkt habe, ihn betrogen habe. Der Beschluss vom 29. Februar 2012 müsse daher ungültig erklärt werden. Mit Schreiben vom 16. Januar 2015 (Bl. 27 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte) wiederholte der Kläger sein Begehren und führte unter Bezugnahme auf die mit übersandten Anlagen näher zu den von ihm erbrachten Leistungen, gesundheitspolitischen Aspekten und weiteren Themen aus.
In der Sitzung am 29. April 2015, an der der Kläger persönlich teilnahm, erklärte der Kläger unter anderem, dass er Rechtsanwalt D. nur als Rechtsbeistand zu Begleitung im Termin am 29. Februar 2012 Vollmacht erteilt habe und ihm der Vorsitzende in der damaligen Sitzung, in der der Vergleich geschlossen worden sei, eine höhere Honorarkürzung in Aussicht gestellt habe, falls es nicht zum Vergleichsabschluss käme. Diese Aussage sei falsch gewesen. Deshalb akzeptiere er die einvernehmliche Regelung nicht.
Mit Beschluss vom 29. April 2015 (Bl. 36 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte), ausgefertigt am 22. September 2015 (Bl. 50-55 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte), stellte der Beklagte fest, dass das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 20. Juni 2011, korrigiert am 19. August 2011, durch die in der Sitzung am 29. Februar 2012 vereinbarte einvernehmliche Regelung abgeschlossen worden sei; soweit der Widerspruch aufrechterhalten werde, werde er zurückgewiesen. Das Verfahren über den Widerspruch vom 17. Juli 2011 sei durch die in der Sitzung vom 29. Februar 2012 getroffene Regelung erledigt. Die formalen Voraussetzungen des § 54 SGB X für eine wirksame Vereinbarung seien erfüllt. Mit der Regelung sei in zulässiger Weise ein Sachverhalt, über dessen Ausgang Ungewissheit bestanden habe, zum Zeitpunkt des erzielten Einvernehmens einer abschließenden Klärung zugeführt worden. Die Regelung sei wirksam, es sei unerheblich, wann die Niederschrift über die Sitzung vom 29. Februar 2012 dem Kläger übersandt worden sei. Seine Geschäftsstelle sei auch berechtigt gewesen, die Niederschrift dem bevollmächtigten Rechtsanwalt zu übersenden; dies ergebe sich aus entsprechender Anwendung von §§ 13, 37 SGB X, es gebe auch keine ausdrückliche Beschränkung des Umfangs der Bevollmächtigung. Nichtigkeitsgründe i. S. v. § 58 SGB X lägen nicht vor, auch sei die getroffene einvernehmliche Regelung nicht wegen eines möglichen Irrtums über die Vergleichsgrundlage, wegen Willensmängeln oder wegen Täuschung oder Drohung nichtig. Der Kläger habe sich allenfalls in einem unbeachtlichen Motivirrtum befunden.
Am 20. Oktober 2015 hat der Kläger beim Sozialgericht Marburg Klage erhoben.
Der Kläger hat den streitgegenständlichen Beschluss für unrechtmäßig gehalten, weil sich die seinerzeitige Bevollmächtigung des Rechtsanwalts D. lediglich auf dessen Mitbringen durch ihn - den Kläger - in den Sitzungstermin bezogen habe. Es habe auch kein Einvernehmen vorgelegen. Er hat sich weiter gegen die Zustellung der Niederschrift über den Vergleichsabschluss in der Sitzung des Beklagten am 29. Februar 2012 an seinen seinerzeitigen Rechtsanwalt anstatt an ihn selbst gewandt.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der Vergleich wirksam zu Stande gekommen und nicht durch Anfechtung nichtig sei. Des Weiteren komme es nicht auf die Unvoreingenommenheit seines Vorsitzenden an.
Die Beigeladene zu 1) hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen.
Mit Gerichtsbescheid vom 3. April 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Weil der Kläger keinen Antrag gestellt habe, sei sein Begehen nach § 123 SGG auszulegen, danach begehre er die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 22. September 2015 auf den Beschluss vom 29. April 2015 und die Verpflichtung des Beklagten, seinen Widerspruch vom 18. Juli 2011 neu zu bescheiden.
Diese Klage sei zulässig, aber unbegründet. Dem Beschwerdeausschuss komme neben der Entscheidungskompetenz in den jeweiligen materiell-rechtlichen Fragen als Annexkompetenz zum einen auch die Berechtigung zu, vergleichsweise Einigungen zur Beendigung des Verfahrens zu treffen. Zum anderen habe er die Kompetenz, prozessuale (Vor-)Fragen im Beschlusswege zu entscheiden, so etwa über die Zulässigkeit des jeweiligen Widerspruchs oder – wie vorliegend – die Feststellung zu treffen, dass ein Verfahren seine Erledigung gefunden hat. Die vorliegende Feststellung des Beschwerdeausschusses sei auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Denn die das Verwaltungsverfahren beendende Vereinbarung zwischen dem Beklagten und dem Kläger sei rechtswirksam und nicht durch die vom Kläger erhobene Anfechtung seiner Willenserklärung rückwirkend unwirksam geworden. Vorliegend sei der Kläger keinem Inhalts-, sondern einem unbeachtlichen Motivirrtum unterlegen. Es liege auch keine arglistige Täuschung durch den Beklagten vor. Hierbei könne als wahr unterstellt werden, was der Kläger in der Sitzung vom 29. April 2015 ausgeführt habe, nämlich, dass der Vorsitzende des Beklagten ihm seinerzeit in der Sitzung des Vergleichsabschlusses mitgeteilt habe, er würde ohne Vergleich mit einer höheren Honorarkürzung zu rechnen habe. Es lasse sich nämlich keinerlei Feststellung darüber treffen, ob diese Aussage, bei der es sich im Übrigen erkennbar um eine prognostische Einschätzung des Vorsitzenden gehandelt habe, falsch gewesen sei oder nicht. Dem beklagten Gremium komme nach allgemeiner Auffassung ein besonders weiter Beurteilungsspielraum bei der Festsetzung von Regressbeträgen zu (vgl. statt vieler: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 28.11.2007, L 6/7 KA 624/03). Dass die Kassenärztliche Vereinigung Hessen, also die Beigeladene zu 1), eine andere Prognose der zu erwartenden Regresssumme getroffen habe, wie der Kläger mitgeteilt habe, stehe ihr frei, sei aber allenfalls als Meinungsäußerung dieser Körperschaft zu werten.
Auch der weitere Vortrag hinsichtlich der Einbeziehung des Rechtsanwalts D. in das Verwaltungsverfahren ändere an diesem Ergebnis nichts. Dies gelte zunächst für seine Teilnahme an der Sitzung. Es komme dabei vorliegend nicht auf die Frage an, inwieweit das als Vollmacht bezeichnete Schreiben vom 27. Februar 2012 dem Juristen eine Vertretungsmacht für den Kläger einräume. Letztgenannter selbst habe nämlich entweder die entsprechende Willenserklärung abgegeben oder müsse sich die Abgabe der Willenserklärung durch den Rechtsanwalt in seinem Namen zurechnen lassen. Wie aus dem Protokoll der Sitzung nämlich ersichtlich sei, habe sich der Kläger selbst in die Diskussion eingebracht. Der Vorsitzende habe im Verlauf der Sitzung die einvernehmliche Regelung vorgelesen und diese sei entweder, was aus dem Protokoll nicht hervorgehe, vom Kläger, vom Rechtsanwalt oder von beiden genehmigt worden. Weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht seien aber nicht erforderlich. Denn falls der Kläger selbst die Genehmigung entäußert habe, komme der Anwesenheit des Rechtsanwalts im Hinblick auf die Abgabe der Willenserklärung keine weitergehende rechtliche Bedeutung zu, ohne dass dies näherer Erläuterungen bedürfe. Falls hingegen der Rechtsanwalt in Anwesenheit des Klägers allein die Genehmigung geäußert habe, liege entweder ein Fall der unmittelbaren Bevollmächtigung durch das Schreiben 27. Februar 2012 oder ein Fall der konkludenten Bevollmächtigung durch das Schreiben in Verbindung mit dem Erscheinen, gemeinsam mit dem Rechtsanwalt in der Sitzung, oder ein Fall der Duldungsvollmacht vor. In allen drei Fällen sei die Abgabe der Willenserklärung im Namen des Klägers erfolgt.
Es entspreche nach zivilrechtlichen Grundsätzen, die hier Anwendung fänden (vgl. etwa OVG Münster, Beschluss vom 09.07.2003, 18 B 2172/02), der allgemeinen Auffassung, dass Willenserklärungen von vermeintlichen Bevollmächtigten ohne tatsächliche Vertretungsbefugnis den scheinbaren Vollmachtgeber rechtlich binden. Es handele sich um einen Fall der Vertrauenshaftung, die ihre Grundlage in § 242 BGB, also dem Grundsatz von Treu und Glauben, habe (BeckOK BGB/Schäfer BGB § 167 Rn. 14, beck-online). Der hier vorliegende Unterfall der Duldungsvollmacht liege vor, wenn der Vertretene das Auftreten des unbefugten Dritten als Vertreter wissentlich geschehen lasse und der Geschäftsgegner diese Duldung dahin verstehe und nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auch dahin werten dürfe, dass der Handelnde Vollmacht habe (BeckOK BGB/Schäfer BGB § 167 Rn. 15, beck-online, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BGH). Im Gegensatz zu Anscheinsvollmacht könne schon ein einmaliges Gewährenlassen durch den vermeintlichen Vollmachtgeber die Duldungsvollmacht begründen, wenn das Dulden wissentlich geschehe (OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.05.2005, 9 U 73/05, OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.04.2013, I-5 U 127/12). Gerade dies sei vorliegend der Fall. Denn der Kläger habe anhand des Verlaufs der Sitzung erkennen müssen, dass eine rechtsverbindliche Vereinbarung zwischen ihm und dem Beklagten geschlossen werde und habe diesen Ablauf wissentlich geschehen lassen.
Gegen den ihm am 5. April 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 2. Mai 2017 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, nur vordergründig und formal gehe es um die Wirkung der protokollierten Vereinbarung des Beschwerdeausschusses vom 29. Februar 2012. Die Ausführungen zur Irrtumsanfechtung in der erstinstanzlichen Entscheidung setze jedoch voraus, dass es in der Sitzung des Beklagten vom 29. Februar 2012 überhaupt zu einem abschließend regelnden Vergleich mit Bindungswirkung auch für ihn – den Kläger – gekommen sei. Dies sei nicht der Fall. Der Beklagte selbst habe der Vereinbarung vom 29. Februar 2012 keine abschließende und bindende Regelung beigemessen, denn anders sei das Schreiben des Beklagten vom 16. März 2012 nicht zu verstehen, in dem es unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Verhandlung am 29. Februar 2012 heiße, dass es ihm – dem Kläger – anheimgestellt bzw. ihm die Gelegenheit gegeben werde, das Verhandlungsergebnis unter Verzicht auf die förmliche Zustellung eines Bescheides als verbindlich anzuerkennen. Eine Genehmigung habe er jedoch nicht erteilt, vielmehr habe er fristwahrend gegen den Bescheid vom 20. Juni 2011 am 18. Juli 2011 Widerspruch eingelegt. Es fehle an einem formalen Verfahrensabschluss. Auf die Anwesenheit eines anwaltlichen Bevollmächtigten könne es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Ebensowenig auf die Frage der Anfechtung, da schon keine verbindliche Erklärung abgegeben worden sei, es vielmehr noch seiner Genehmigung bedurft habe, die zu keinem Zeitpunkt erteilt worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 3. April 2017 und den Bescheid des Beklagten vom 22. September 2015 aufzuheben und festzustellen, dass das Verfahren über den Widerspruch gegen den Bescheid der Prüfungsstelle Ärzte und Krankenkassen in Hessen vom 20. Juni 2011, korrigiert durch Bescheid vom 19. August 2011, nicht durch den Vergleich vom 29. Februar 2012 erledigt worden ist.
Der Beklagte beantragt,
1. Den Rechtsstreit zu vertagen, hilfsweise
2. die Berufung zurückzuweisen,
3. Für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
Er trägt vor, dass die Vereinbarung nicht durch Anfechtung unwirksam geworden sei. Es bedürfe auch bei einer vergleichsweisen Beendigung des Widerspruchsverfahrens keines Bescheides. Er habe eine Annexkompetenz zu vergleichsweisen Einigungen und zur Entscheidung über prozessuale Fragen im Beschlusswege. § 22 Abs. 4 Prüfvereinbarung regele, dass die Beteiligten über die anderweitige Erledigung des Widerspruchsverfahrens eine formlose Nachricht erhielten. Bei dem Schreiben vom 16. März 2012 handele es sich um ein Begleitschreiben zur Versendung der Niederschrift über die vergleichsweise Einigung in der Sitzung am 29. Februar 2012. Bei der Verwendung des standardmäßigen Textes handele es sich um ein redaktionelles Versehen, der Text habe keine Geltung für eine Erledigung des Verfahrens durch eine einvernehmliche Regelung und sei nur versehentlich verwendet worden, hieraus könne keine Verpflichtung hergeleitet werden, im Falle einer vergleichsweisen Einigung einen Bescheid zu erstellen. Der Inhalt des Vergleiches sei nach der Niederschrift über die Sitzung am 29. Februar 2012 genehmigt worden.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Die Beigeladene zu 1) schließt sich den Ausführungen des Beklagten an.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit verhandeln und entscheiden, obwohl die Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen und nicht anderweitig vertreten waren, denn sie war mit der ordnungsgemäß erfolgten Terminsmitteilung auf diese Verfahrensweise hingewiesen worden (§§ 110, 124 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Auch dem Vertagungsantrag des Beklagten war nicht stattzugeben. Eine Vertagung zur ausreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs und zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung ist geboten, wenn anzunehmen ist, dass dem auf Vertagung antragenden Beteiligten infolge unterbliebener Vertagung die Möglichkeit abgeschnitten wird, sich sachgemäß und erschöpfend zu äußern, weil er im Termin mit einer Tatsachen- oder Rechtsfrage konfrontiert wird, mit der er nicht zu rechnen brauchte und sich nicht "aus dem Stand" auseinanderzusetzen vermag. Es reicht aber nicht aus, dass – wie hier die Frage der Formnichtigkeit des Vergleichsvertrags im Verfahren vor dem Sozialgericht - ein bestimmter Gesichtspunkt im unmittelbar vorangehenden Verfahren nicht angesprochen worden ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Beteiligte auch aufgrund sonstiger naheliegender Erkenntnisquellen nicht auf den Gedanken kommen konnte, dass es darauf ankommen würde (BSG, Beschluss vom 27. September 2011 – B 4 AS 42/11 B –, Rn. 10, juris; BSG, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - B 9a VJ 4/06 B). Dies war hier nicht der Fall, denn zunächst handelt es sich bei der Frage der Formnichtigkeit des Vergleichsvertrags im vorliegenden Fall um eine reine Rechtsfrage; der ihr zugrundeliegende Sachverhalt war ausführlich bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens. Und des Weiteren hat der Beklagte selbst im angefochtenen Beschluss sich mit den formalen Erfordernissen von § 58 SGB X auseinandergesetzt, so dass bereits bei der Lektüre der zur Überprüfung anstehenden Entscheidung der Gedanke der Prüfung der Formnichtigkeit naheliegt.
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) statthafte Klage ist zulässig. Gegenstand des Verfahrens ist – wie bereits das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat – die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 22. September 2015 und die Feststellung der Wirksamkeit des Vergleichsvertrags vom 29. Februar 2012 zwischen dem Kläger und dem Beklagten.
Die Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 22. September 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn das Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid der Prüfungsstelle Ärzte und Krankenkassen in Hessen (Prüfungsstelle) vom 20. Juni 2011, korrigiert durch Bescheid vom 19. August 2011, ist nicht durch den Vergleich vom 29. Februar 2012 erledigt worden. Der Vergleichsvertrag vom 29. Februar 2012 ist nichtig.
Rechtsgrundlage ist § 106 Abs. 4a Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 5 und 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung in der Fassung vom 22. Dezember 2011. Nach § 106 Abs. 4 Satz 1 SGB V bilden die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner bei der Kassenärztlichen Vereinigung oder bei einem der in Satz 5 genannten Landesverbände eine gemeinsame Prüfungsstelle und einen gemeinsamen Beschwerdeausschuss. Nach Abs. 4a nehmen die Prüfungsstelle und der Beschwerdeausschuss ihre Aufgaben jeweils eigenverantwortlich wahr. Nach Abs. 5 Satz 3 können die betroffenen Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen, die Krankenkassen, die betroffenen Landesverbände der Krankenkassen sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle die Beschwerdeausschüsse anrufen. Nach Anhängigkeit des Verfahrens beim Beschwerdeausschuss ist dieser auch allein dafür zuständig (BSG, Urteil vom 09.06.1999, B 6 KA 76/97 R). Nach § 106 Abs. 5 Satz 5 und 6 sind für dieses Verfahren § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 SGG anzuwenden, das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss gilt als Vorverfahren im Sinne von § 78 SGG.
Das Verfahren über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 20. Juni 2011 ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht durch den Vergleich in der Sitzung des Beklagten vom 29. Februar 2012 erledigt worden.
Der in der Sitzung des Beklagten vom 29. Februar 2012 geschlossene Vergleich stellt einen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne von § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - dar, wonach ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden kann (öffentlich-rechtlicher Vertrag), soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen (Satz 1). Insbesondere kann die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richtet (Satz 2).
Damit durfte der Beklagte statt durch Verwaltungsakt zu handeln mit dem Kläger einen Vertrag schließen, er war insbesondere berechtigt, einen Vergleichsvertrag i. S. v. § 54 Abs. 1 SGB X abzuschließen. Danach kann ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 2 SGB X, durch den eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges nachgeben beseitigt wird (Vergleich), geschlossen werden, wenn die Behörde den Abschluss des Vergleichs zur Beseitigung der Ungewissheit nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig hält.
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann der Senat offen lassen, denn der Vergleichsvertrag vom 29. Februar 2012 war jedenfalls formunwirksam nach § 58 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 125 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), denn der durch den Vorsitzenden des beklagten Beschwerdeausschusses in dessen Sitzung vom 29. Februar 2012 zur Niederschrift protokollierte Vergleich genügt nicht dem Schriftformerfordernis des § 56 SGB X. Danach ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag schriftlich zu schließen, soweit nicht durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist. Die Norm enthält keine eigenständige Definition davon, was unter Schriftform zu verstehen ist. Nach allgemeiner Auffassung ist daher auf die Regelungen des § 126 BGB zurückzugreifen. Schriftform i. S. d. § 56 SGB X bedeutet grundsätzlich, dass über den Vertragsinhalt eine Urkunde zu erstellen und von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens zu unterzeichnen ist (vgl. § 126 Abs. 1 BGB; Nielsson in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 56 SGB X; Stand: 1. Dezember 2017, Rn. 32). Diesem Erfordernis wird der Vergleich vom 29. Februar 2012 ersichtlich nicht gerecht, da jedenfalls die Namensunterschrift des Klägers auf der Niederschrift über die Sitzung des Beklagten am 29. Februar 2012 fehlt.
Anders als ein gerichtlicher Vergleich wird die Schriftform auch nicht durch die Protokollierung ersetzt, denn dies ist beim gerichtlichen Vergleich nur deshalb der Fall, weil nach § 126 Abs. 4 BGB die schriftliche Form "durch die notarielle Beurkundung" und gemäß § 127a BGB die notarielle Beurkundung "bei einem gerichtlichen Vergleich durch die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung errichtetes Protokoll" ersetzt werden (Hessischer VGH, Urteil vom 15. Februar 1996, 5 UE 2836/95, ESVGH 46, 169, zitiert nach juris Rn. 50f). Ein vor dem Beschwerdeausschuss geschlossener Vergleich ist indes kein gerichtlicher Vergleich und seine Protokollierung richtet sich auch nicht nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO). Dies ergibt sich schon daraus, dass § 106 Abs. 5 Satz 5 und 6 SGB V i. F. v. 22. Dezember 2011 für das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss die Anwendung lediglich von § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 SGG anordnet, nicht jedoch die Anwendung von § 122 SGG, wonach für die Niederschrift §§ 159 bis 165 ZPO entsprechend gelten.
Auf das Schriftformerfordernis konnte auch nicht verzichtet werden. Soweit nach § 56 SGB X auf die Schriftform verzichtet werden kann, weil durch Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist, mag die für die Zeit ab 1. Januar 2004 geltende Prüfvereinbarung gem. § 106 Abs. 3 SGB V (PV) wegen ihres die Rechtsnormcharakters (Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl., § 106 SGB V 1. Überarbeitung [Stand: 20. März 2019], Rn. 66), noch den Anforderungen an § 56 SGB X genügen (vgl. hierzu allgemein Engelmann in: von Wulffen/Schütze SGBX Kommentar, 8. Auflage 2014, § 56 Rn. 9), doch abgesehen davon, dass mit "eine andere Form" eine weiterreichende, also strengere Form (Engelmann a.a.O, str. vgl. zum Meinungsstand: Nielsson in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 56 SGB X [Stand: 1. Dezember 2017], Rn. 28) gemeint sein dürfte, enthält die hier maßgebliche Fassung der Prüfvereinbarung hierzu keine Regelung. Insbesondere betrifft § 11 Abs. 4 PV, wonach über eine anderweitige Erledigung des Widerspruchsverfahrens, insbesondere durch Rücknahme des Widerspruchs die Verfahrensbeteiligten eine formlose Nachricht erhalten, lediglich Verfahrensregelungen über die Form der Mitteilung einer anderweitigen Erledigung des Verfahrens, nicht jedoch über die Form der Erledigung auf andere Art selbst, namentlich nicht hinsichtlich der Form eines Vergleichsvertrags i. S. v. § 54 Abs. 1 SGB X.
Nachdem die Schriftform vertraglich nicht abdingbar ist (Nielsson in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 56 SGB X [Stand: 1. Dezember 2017], Rn. 83), konnten die Beteiligten auf das Formerfordernis auch nicht anderweitig verzichten; hierfür bestehen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte.
Die Kostengrundentscheidung aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO war nicht veranlasst, da diese keine Anträge gestellt haben.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
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