S 10 AL 30/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 10 AL 30/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 73/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 61/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin zustehenden Arbeitslosengeldes.

Die 1979 geborene Klägerin, welche sich am 04.10.2016 bei der Beklagten persönlich arbeitsuchend sowie arbeitslos meldete und die Bewilligung von Arbeitslosengeld mit Wirkung zum 05.10.2016 beantragte, war zuletzt vom 01.01.2013 bis 30.06.2015 als Montagearbeiterin bei der C. GmbH in A-Stadt beschäftigt. In dem Zeitraum 03.11.2014 bis 07.11.2014 bezog die Klägerin Krankengeld und in dem Zeitraum 09.11.2014 bis 23.02.2015 Mutterschaftsgeld. In dem Zeitraum 07.04.2015 bis 19.04.2015 sowie vom 01.07.2015 bis 04.10.2016 bezog die Klägerin sodann wieder Krankengeld.

Mit Schreiben vom 04.11.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde gelegt worden sei, da die Klägerin in den letzten zwei Jahren weniger als 150 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt habe. Das fiktive Arbeitsentgelt richte sich nach der Beschäftigung, auf die sich die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit in erster Linie zu erstrecken hätten sowie nach der dazugehörigen Qualifikationsstufe. Die Klägerin sei für eine Tätigkeit als Helfer/in Büro, Verwaltung geeignet. Hierfür sei keine Ausbildung erforderlich (Qualifikationsgruppe 4, § 152 Abs. 2 Nr. 4 SGB III).

Mit Bescheid vom 07.11.2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin sodann Arbeitslosengeld ab dem 05.10.2016 mit einer Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen und einem täglichen Leistungsbetrag in Höhe von 22,51 EUR unter Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgelts in Höhe von 58,10 EUR. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 07.12.2016 am selben Tag Widerspruch und ließ zur Begründung vortragen, dass sie innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens mehr als 150 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt habe. Es wird insoweit auf die Widerspruchsbegründung vom 08.03.2017 (Bl. 65 der Verwaltungsakte der Beklagten) verwiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Beklagte erläuterte hierin im Detail die Berechnung der Höhe des der Klägerin zustehenden Arbeitslosengeldes unter Berücksichtigung eines fiktiven Arbeitsentgelts als Bemessungsentgelt, da auch im erweiterten Bemessungsrahmen vom 05.10.2014 bis 04.10.2016 keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festzustellen seien. Der Bemessung sei ein fiktives Arbeitsentgelt nach der Qualifikationsgruppe 4 zugrunde zu legen, weil sich die Vermittlungsbemühungen für die Klägerin in erster Linie auf Beschäftigungen dieser Qualifikationsgruppe erstreckten.

Der Widerspruchsbescheid ging am 21.03.2017 in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin ein.

Mit ihrer am 21.04.2017 durch die Prozessbevollmächtigten zum Sozialgericht Fulda erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Zur Klagebegründung vertieft die Klägerin ihre Ausführungen aus dem Vorverfahren. Die Klägerin ist der Auffassung, dass vorliegend keine Berechnung des Bemessungsentgelts anhand eines fiktiven Arbeitsentgelts in Betracht komme, da sie in dem Zweijahreszeitraum, welcher ihres Erachtens den Zeitraum 4. Oktober 2014 bis 04.10.2016 umfasse, insgesamt 158 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt habe. Die Klägerin ist insoweit der Auffassung, dass das in dem Zeitraum 09.11.2014 bis 23.02.2015 von der Krankenkasse bezogene Mutterschaftsgeld Arbeitsentgelt darstelle. Hilfsweise vertritt die Klägerin die Auffassung, dass jedenfalls die Einordnung in die Qualifikationsgruppe 4 rechtswidrig sei. Die Beklagte habe insoweit verkannt, dass die Klägerin bereits eine Ausbildung absolviert habe und dass sich Ihre Vermittlungsbemühungen in Bezug auf die Klägerin daher nicht in erster Linie auf Beschäftigungen zu erstrecken hätten, die keine Ausbildung erforderten. Die Festsetzung sei daher gemäß § 152 Abs. 2 Nr. 3 SGB III unter Zugrundelegung der Qualifikationsgruppe 3 vorzunehmen gewesen.

Die Klägerin beantragt (wörtlich),
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Agentur für Arbeit Kassel vom 07.11.2016 (Geschäftszeichen: xxx1) in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Kassel, vom 14.03.2017 (Geschäftszeichen: xxx2) zu verurteilen, der Klägerin ab dem 05.10.2016 Arbeitslosengeld nach einem höheren Bemessungsentgelt zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung des Klageabweisungsantrages beruft sich die Beklagte auf die Ausführungen in den streitgegenständlichen Bescheiden.

Für das weitere Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 31.01.2018 zu einer beabsichtigten Entscheidung des Rechtsstreits durch Gerichtsbescheid angehört. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin und die Beklagte haben das Schreiben am 02.02.2018 erhalten.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsstreit konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid in Beschlussbesetzung - ohne ehrenamtliche Richter - entschieden werden, nachdem die Beteiligten zuvor darüber entsprechend angehört worden sind, ihnen eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt worden ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, sowie der Sachverhalt darüber hinaus so, wie er für die Entscheidung allein rechtlich relevant ist, geklärt ist. Der Gerichtsbescheid wirkt insoweit als Urteil (§ 105 Abs. 3 1. Halbsatz SGG).

Der Bescheid der Beklagten vom 07.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung höheren Arbeitslosengeldes.

Vorliegend kommt von vornherein nur eine fiktive Bemessung gemäß § 152 SGB III in Betracht, da die Beklagte ganz zutreffend ausführt, dass auch in dem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen vom 05.10.2014 bis 04.10.2016 ersichtlich keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festzustellen sind. Dies folgt daraus, dass es sich bei dem Mutterschaftsgeld nicht um Arbeitsentgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinne handelt (BVerfG, Beschluss vom 14. März 2011 – 1 BvL 13/07 –, juris, Rn. 35, mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des BSG).

Weiterhin bestehen auch keine Bedenken des Gerichts an der Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts.

Gemäß § 152 Abs. 2 SGB III ist der Arbeitslose für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. Dabei ist zugrunde zu legen für Beschäftigungen, die (1.) eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 1), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertstel der Bezugsgröße, (2.) einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung erfordern (Qualifikationsgruppe 2), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße, (3.) eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern (Qualifikationsgruppe 3), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße, (4.) keine Ausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 4), ein Arbeitsentgelt in Höhe von einem Sechshundertstel der Bezugsgröße.

Die Frage, in welcher der Qualifikationsgruppen der Arbeitslose einzustufen ist, bestimmt sich in erster Linie nach der Beschäftigung, auf die die Arbeitsagentur die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen - unter Berücksichtigung des in Betracht kommenden Arbeitsangebotes - zu erstrecken hat. Welche Beschäftigung der Arbeitslose anstreben kann, hängt wiederum von seiner beruflichen Qualifikation ab, so dass die berufliche Qualifikation grundsätzlich das ausschlaggebende Kriterium für die Eingruppierung ist (Rolfs in: Gagel, SGB III, § 132 SGB III (a.F.), Rn. 7; BayLSG, Urt. vom 27.05.2009 – L 10 AL 378/07, juris). Nach § 35 Abs. 2 S. 2 SGB III hat die Arbeitsagentur bei der Vermittlung die Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des Arbeitsuchenden sowie die Anforderungen der angebotenen Stellen zu berücksichtigen. Es ist daher zunächst festzustellen, für welche Beschäftigung der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter angemessener Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt (Brand, SGB III, § 152, Rn. 6; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.08.2007 – L 7 AL 1160/07, juris). Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber die Suche nach der maßgeblichen Beschäftigung für die fiktive Bemessung auf die Tätigkeiten einschränkt, auf die sich die Vermittlungsbemühungen "in erster Linie" zu erstrecken haben, ist nicht die gesamte Breite der dem Arbeitslosen möglichen Beschäftigungen heranzuziehen. Es sind vielmehr allein die Tätigkeiten relevant, mit denen der Arbeitslose bestmöglich wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.08.2007 – L 7 AL 1160/07), wobei die möglichen Beschäftigungen in nennenswertem Umfang auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sein müssen, so dass eine Vermittlung grundsätzlich möglich erscheint (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.08.2007 – L 7 AL 1160/07 m.w.N.). Die Agentur für Arbeit hat daher abzuschätzen, in welchem Tätigkeitsbereich der Arbeitslose die höchste Chance auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt hat und ihre Vermittlungsbemühungen demzufolge auf dieses, dem Arbeitslosen am ehesten zugängliche Segment des Arbeitsmarktes zu konzentrieren (BayLSG, Urt. vom 27.05.2009 – L 10 AL 378/07, juris), wobei allerdings die Prognoseentscheidung der Arbeitsverwaltung im gerichtlichen Verfahren voll überprüfbar ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.08.2007 – L 7 AL 1160/07, juris, m.w.N.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Prognoseentscheidung der Beklagten, die Klägerin der Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen, nicht zu beanstanden. Die Klägerin war zuletzt als Montagearbeiterin bei der C. GmbH in A-Stadt beschäftigt. Diese Tätigkeit entsprach der Qualifikationsgruppe 4. Aus der Verwaltungsakte (Bl. 9) geht hervor, dass die Klägerin zuvor - jedenfalls in dem Zeitraum 01.01.2010 bis 01.01.2013 - ebenfalls als Montagearbeiterin bei einer Zeitarbeitsfirma (D. GmbH) beschäftigt war. Vor diesem Hintergrund haben sich die Vermittlungsbemühungen der Beklagten gerade nicht nur aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin eine abgeschlossene Berufsausbildung absolviert hat, in erster Linie auf Tätigkeiten zu erstrecken, die eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern. Vielmehr ist – wie bereits ausgeführt - insoweit allein entscheidend, mit welchen Tätigkeiten der Arbeitslose bestmöglich wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann, so dass die Beklagte abzuschätzen hatte, in welchem Tätigkeitsbereich die Klägerin die höchste Chance auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt hatte. Für das Gericht ist nicht ersichtlich, dass die konkrete Einschätzung der Beklagten hier unzutreffend war, so dass die Klage nach alledem abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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