S 16 KA 143/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
16
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 16 KA 143/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 11/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 7/20 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger seine Zustimmung zur gütlichen Einigung mit dem Beklagten zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens wirksam angefochten hat.

Der Kläger nimmt seit 1984 mit einer Einzelpraxis in A-Stadt an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Unter dem Datum des 01.11.2010 teilte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) dem Kläger die Eröffnung eines Verfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung bezogen auf einzelne Leistungsbereiche für die Quartale I/2007-IV/2007 mit (Bl. 124 der Verwaltungsakte). Sie forderte den Kläger zur substantiierten Stellungnahme auf.

Nachdem dieser nicht reagiert hatte, setzte die Prüfungsstelle mit Bescheid vom 20.06.2011 (Bl. 152 der Verwaltungsakte) Honorarabänderungen gegen ihn fest. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte verwiesen.

Hiergegen erhob der Kläger am 18.07.2011 Widerspruch (Bl. 153 der Verwaltungsakte), den er knapp begründete, wobei er seine Begründung mit ausführlichen Schreiben vom 14.08.2011 (Bl. 170 der Verwaltungsakte) und vom 15.1.2012 (Bl. 204 der Verwaltungsakte) und weiteren undatiert übersandten Unterlagen (Bl. 213 der Verwaltungsakte) vertiefend ergänzte. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auch hier auf den Inhalt der Verwaltungsakte verwiesen.

Mit Bescheid vom 19.08.2011 korrigierte die Prüfungsstelle Ihren vorgenannten Bescheid in Bezug auf erfolgte Schreib- und Additionsfehler (Bl. 160 der Verwaltungsakte).

Mit Faxschreiben vom 27.02.2012 an den Beklagten, dort eingegangen am 28.02.2012, führte der Kläger aus:

"Hiermit bestätige ich Ihnen meine Teilnahme an der Anhörung am 29.02.2012. Herr C. von der KV A-Stadt, C-Straße hat mir geraten einen Rechtsanwalt mitzubringen deshalb werde ich Herrn RA D. mitbringen.

VOLLMACHT

Hiermit erteile ich Herrn RA D. die Vollmacht mich als Rechtsbeistand Zu begleiten bei der persönlichen Anhörung in der nicht-öffentlichen Sitzung des Beschwerdeausschusses der Ärzte und Krankenkassen in Hessen am Mittwoch den 29.02.2012 um 15:30 Uhr im Sitzungszimmer 1.03 der KV Hessen." [Anm.: Orthographie aus Original unverändert übernommen].

Im Rahmen der Sitzung des Beklagten am 29.02.2012, an der der Kläger persönlich sowie Herr Rechtsanwalt D. teilnahmen, wurde das Verfahren einvernehmlich beendet.

Es heißt in der betreffenden Niederschrift der Sitzung (Bl. 217 der Verwaltungsakte):

"Im Einvernehmen aller Beteiligten wird folgende einvernehmliche Regelung getroffen:

1. In Abweichung des Bescheides der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Hessen - Kammer Süd - vom 20.06.2011, korrigiert am 19.08.2011, verpflichtet sich Doktor A. für die Quartale I/07 bis IV/07 ein Honorarregressbetrag in Höhe von netto 20.000,00 EUR (zwanzigtausend Euro) zu bezahlen.
2. Es wird eine Ratenzahlung in 8 Teilraten à 2.500,00 EUR (zweitausendfünfhundert Euro) zugestanden. Die erste Rate i.H.v. 2.000,00 EUR netto soll mit der Restzahlung für das 2. Quartal 2012 verrechnet werden.
3. Es besteht Einvernehmen darüber, dass außergerichtliche Kosten - insbesondere Anwaltskosten - nicht erstattet werden.
4. Es besteht Einvernehmen darüber, dass hiermit die gesamten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens und der Honorarabrechnung 2007 offenen Beträge abgegolten sind."

Die Sitzungsniederschrift übersandte der Beklagte unter dem Datum des 16.03.2012 an den oben genannten Rechtsanwalt (Bl. 6 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte).

Mit Schreiben, das sowohl auf den 04.11.2013 als auch auf den 07.11.2013 datiert ist (Bl. 243 der Verwaltungsakte), kritisierte der Kläger die kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen. Wörtlich heißt es im Schreiben: "Hiermit widerspreche ich erneut diesen Prüfung- und Schlichtungsbeschlüssen und der Durchführung für die Quartale 1-4 für 2007 und 2008." Er führt sodann im Einzelnen zu den von ihm erbrachten Leistungen im vorgenannten Zeitraum und zu weiteren Verfahren aus.

Mit Schreiben vom einen 12.10.2014 (Bl. 15 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte) an den Beklagten wies der Kläger darauf hin, dass das Verfahren nicht einvernehmlich durchgeführt worden sei. Sein Rechtsanwalt sei von ihm nur als Zeuge hinzugezogen worden und nicht als Verteidiger. Hinsichtlich der Einzelheiten des Schreibens und deren Anlagen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte verwiesen.

Mit Schreiben vom 24.11.2014 (Bl. 18 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte) wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass über die vom Kläger vorgebrachten Einwände in der Sitzung am 16.01.2015 entschieden werde.

Mit Schreiben vom 16.01.2015 (Bl. 27 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte) führte der Kläger unter Bezugnahme auf die mit übersandten Anlagen näher zu den von ihm erbrachten Leistungen, gesundheitspolitischen Aspekten und weiteren Themen aus. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auch hier auf den Inhalt der Verwaltungsakte verwiesen.

In der Sitzung am 29.04.2015, an der der Kläger persönlich teilnahme, erklärte der Kläger unter anderem, dass ihm der Vorsitzende in der damaligen Sitzung, in der der Vergleich geschlossen worden sei, eine höhere Honorarkürzung in Aussicht gestellt habe, falls es nicht zum Vergleichsabschluss käme. Diese Aussage sei falsch gewesen. Deshalb akzeptiere er die einvernehmliche Regelung nicht.

In der vorgenannten aktuellen Sitzung stellte der Beklagte mit Beschluss fest, dass das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 20.06.2011, korrigiert am 19.08.2011, durch die in der Sitzung am 29.02.2012 vereinbarte einvernehmliche Regelung abgeschlossen worden sei (vgl. Bl. 36 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte). Der zugehörige Bescheid datiert auf den 22.09.2015. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 50-55 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte) verwiesen.

Am 20.10.2015 hat der Kläger Klage erhoben.

Er kritisiert seine Zahlungspflicht von Gerichtsgebühren und weist darauf hin, dass es ihm in erster Linie nicht um die Klärung von fehlerhaftem Verwaltungshandeln, sondern um ein hoch brisantes sozialmedizinisches Problem der Störung des sozialen Friedens zwischen der Patientenschaft der gesetzlichen Krankenkasse und deren Kassen und den behandelnden Ärzten und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und deren Prüfungsgremien sowie deren Beschwerdeausschüssen gehe. Er führt sodann im Einzelnen zu gesundheits- und sozialpolitischen Aspekten aus und schlägt Modifikationen des aktuellen Abrechnungssystems vor. Schließlich zweifelt er die statistische Expertise der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, also der Beigeladenen zu 1), an.

Den hier streitgegenständlichen Beschluss hält er für unrechtmäßig, weil sich die seinerzeitige Bevollmächtigung des Rechtsanwalts D. lediglich auf dessen Mitbringen durch den Kläger in den Sitzungstermin bezogen habe. Es habe auch keine ungeteilte Übereinstimmung vorgelegen.

Wie aus seinem Vorbringen in den beigezogenen Parallelverfahren zu entnehmen ist, wendet er sich auch gegen die Zustellung der Niederschrift über den Vergleichsabschluss in der Sitzung des Beklagten am 29.02.2012 an ihn selbst, statt an seinen seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, dass die Zustellung an den Kläger rechtlich nicht zu beanstanden sei. Weiterhin vertritt er die Rechtsauffassung, dass der Vergleich wirksam zu Stande gekommen und nicht durch Anfechtung nichtig sei. Schließlich vertritt er die Rechtsauffassung, dass es vorliegend nicht auf die Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden ankomme.

Die Beigeladene zu 1) hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichts- und Verwaltungsakten aus den Verfahren S 16 KA 568/16, S 16 KA 478/15, S 16 KA 465/15 beigezogen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Behördenvorgänge sowie der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Daran ändert die Tatsache, dass der Kläger verschiedentlich schwer zuordnungsfähige Ausführungen vorgelegt hat, nichts, weil sich diese alle entweder auf materiellrechtliche Fragestellungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung richten oder nicht vom Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens umfasst werden.

Die Beteiligten sind gem. Satz 2 der vorgenannten Vorschrift vorher gehört worden.

Weil der Kläger keinen Antrag gestellt hat, war sein Begehen nach § 123 SGG auszulegen. Diesem entspricht es, zunächst untechnisch, dass festgestellt wird, dass der Vergleich vom 29.02.2012 keine Wirkung entfaltet und weiterhin, dass der Beklagte materiellrechtlich über die Recht- und Zweckmäßigkeit des Bescheids der Prüfungsstelle vom 20.06.2011 in der Fassung des Bescheids vom 19.08.2011 entscheidet.

Er begehrt also die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 22.09.2015 auf den Beschluss vom 29.04.2015 und die Verpflichtung des Beklagten, seinen Widerspruch vom 18.07.2011 neu zu bescheiden.

Diese Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt worden, auch ist das Sozialgericht Marburg zuständig.

Die Klage ist aber unbegründet.

Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Beklagten, dass die betreffenden Richtgrößenprüfungsverfahren ihre Erledigung gefunden haben, ist § 106 Abs. 4a Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 5 und 6 SGB V in der Fassung vom 22.12.2011.

Nach § 106 Abs. 4 Satz 1 SGB V bilden die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner bei der Kassenärztlichen Vereinigung oder bei einem der in Satz 5 genannten Landesverbände eine gemeinsame Prüfungsstelle und einen gemeinsamen Beschwerdeausschuss.

Nach Abs. 4a der genannten Vorschrift nehmen die Prüfungsstelle und der Beschwerdeausschuss ihre Aufgaben jeweils eigenverantwortlich wahr. Nach Abs. 5 Satz 3 der benannten Vorschrift können die betroffenen Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen, die Krankenkasse, die betroffenen Landesverbände der Krankenkassen sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle die Beschwerdeausschüsse anrufen. Nach Anhängigkeit des Verfahrens beim Beschwerdeausschuss ist dieser auch allein dafür zuständig (BSG, Urteil vom 09.06.1999, B 6 KA 76/97 R). Nach Satz 5 und 6 sind für dieses Verfahren § 84 Abs. 1 und § 85 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes anzuwenden, das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss gilt als Vorverfahren im Sinne von § 78 SGG.

Nach alledem kommt dem Beschwerdeausschuss neben der Entscheidungskompetenz in den jeweiligen materiell-rechtlichen Fragen als Annexkompetenz zum einen auch die Berechtigung zu, vergleichsweise Einigungen zur Beendigung des Verfahrens zu treffen. Zum anderen hat er die Kompetenz, prozessuale (Vor-)Fragen im Beschlusswege zu entscheiden, so etwa über die Zulässigkeit des jeweiligen Widerspruchs oder – wie vorliegend – die Feststellung zu treffen, dass ein Verfahren seine Erledigung gefunden hat.

Die vorliegende Feststellung des Beschwerdeausschusses ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Denn die das Verwaltungsverfahren beendende Vereinbarung zwischen dem Beklagten und dem Kläger ist rechtswirksam und nicht durch die vom Kläger erhobene Anfechtung seiner Willenserklärung rückwirkend unwirksam geworden.

Es ist in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass die Grundsätze der Anfechtung nach § 119 BGB jedenfalls auf Erklärungen des Versicherten gegenüber dem Versicherungsträger und jedenfalls dann Anwendung finden, wenn – wie vorliegend – eine entsprechende öffentlich-rechtliche Regelung konzeptwidrig fehlt, mit der wirksam abgegebene verwaltungsrechtliche Willenserklärungen nachträglich mit "Rückwirkung" für unwirksam erklärt werden dürfen (vgl. statt vieler: BSG, Urteil vom 23.10.2003, B 4 RA 27/03 R), weswegen dahinstehen kann, ob es sich hierbei um unmittelbare Anwendung, entsprechende Anwendung oder Anwendung über Normverweisung handelt (hierzu auch BSG, Urteil vom 22.05.1974, 12 RJ 8/74). Es ist auch kein Grund ersichtlich, die Konstellation des Vertragsarztes, der kein Versicherter im o.g. Sinne ist, gegenüber dem Beklagten anders zu beurteilen. Entscheidend bei dieser Wertung ist nämlich, dass ein Bürger gegenüber der Verwaltung eine Erklärung abgibt.

§ 119 BGB lautet: (1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. (2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.

Die allgemeine Definition eines Irrtums lautet auf ein unbewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung (vgl. etwa LG Frankfurt am Main, NJW-RR 1997, 1273 m.w.N.). Die vorgenannte Vorschrift kennt drei unterschiedliche Fälle des Irrtums, den Inhaltsirrtum sowie den Erklärungsirrtum (Abs. 1) und den Eigenschaftsirrtum (Abs. 2).

Der letzte Fall liegt ersichtlich nicht vor. Der Kläger irrt nicht über Eigenschaften einer Person oder einer Sache.

Auch ein Erklärungsirrtum ist nicht gegeben. Hierbei gibt der Erklärende seine Willenserklärung in einer Gestalt ab, in der er sie nicht abgeben wollte. Er unterliegt einem Irrtum in der äußeren (technischen) Erklärungshandlung; es missglückt ihm die praktische Umsetzung seines Erklärungswillens in eine diesen Willen zutreffend kundgebende Äußerung, indem er sich etwa verspricht, verschreibt oder vergreift (ständige Rspr., so schon das Reichsgericht, RGZ 66, 427, 428).

Der Kläger unterlag aber auch keinem Inhaltsirrtum, also dem ersten Fall von § 119 Abs. 1 BGB. Ein Inhaltsirrtum kann nur dann vorliegen, wenn sich der Erklärende zwar nicht darüber irrt, was er inhaltlich erklärt, dem Inhalt seiner konkret gewollten Erklärung aber (subjektiv) eine andere Bedeutung beimisst, als ihr tatsächlich (objektiv) zukommt, das heißt wenn der Wille und die Vorstellung des Erklärenden über das Erklärte und die rechtlich maßgebliche Bedeutung des Erklärten auseinanderfallen (BeckOK BGB/Wendtland BGB § 119 Rn. 30 unter Verweis auf BGH NJW-RR 2009, 630, 632; NJW 2008, 2442, 2443; NJW 1999, 2664, 2665 sowie Palandt/Ellenberger Rn 11). Darunter zu fassen ist auch der sogenannte Rechtsfolgenirrtum, der vorliegt, wenn das Rechtsgeschäft nicht die gewollte, sondern eine von ihr wesentlich abweichende andere Rechtsfolge nach sich zieht (OLG München NJW 2010, 687).

Bereits in der zivilrechtlichen Rechtsprechung wird aber differenziert zwischen den unmittelbaren und den mittelbaren Rechtsfolgen, die eine Willenserklärung erzeugt. Eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtum kommt lediglich bei unmittelbaren Rechtsfolgen, nicht aber bei den mittelbaren in Betracht (BGH NJW 2008, 2442, 2443; NJW 1995, 1484, 1485). Entfaltet ein irrtumsfrei erklärtes und gewolltes Geschäft außer der erstrebten Rechtsfolge auch noch eine andere, nicht erkannte und nicht gewollte Rechtswirkung, liegt ein unbeachtlicher sog. Motivirrtum vor (BGH NJW 1997, 653).

Diesen Wertungen, also der Differenzierung zwischen unmittelbarer Rechtsfolge (Inhaltsirrtum) und mittelbarer Rechtsfolge (Motivirrtum) hat sich die sozialgerichtliche Rechtsprechung angeschlossen (BSG, Urteile vom 16.09.1998, B 11 AL 17/98 R, vom 16.11.1984, 8 RK 2/84, vom 22.03.1984, 11 RA 9/83, vom 16.12.1980, 11 RA 128/79, vom 19.06.1979 – 5 RJ 128/78, vom 22.05. 1974, 12 RJ 8/74 und vom 26.09.1972, 11 RA 232/71).

Vorliegend unterlag der Kläger, der übrigens die objektive Beweislast trägt, keinem Inhalts , sondern einem unbeachtlichen Motivirrtum.

Auch wenn er mit seiner Formulierung im Klageverfahren, dass in der Sitzung "keine ungeteilte Übereinstimmung" (Bl. 13 RS der Gerichtsakte) vorgelegen habe, möglicherweise andeuten möchte, keine Erklärung dieses Inhalts habe abgeben wollen, steht dies in Widerspruch zu seinen früheren Ausführungen im Verwaltungsverfahren, wo er noch ausgeführt hatte, dass er den Vergleich abgeschlossen habe, weil er glaubte, hiermit wirtschaftlich günstiger zu verfahren, als bei weiterer Durchführung des Verfahrens. Der Kläger hatte deshalb ein Erklärungsbewusstsein und wollte auch die Erklärung, die er abgab, abgegeben. Lediglich meint er, über dessen wahre Konsequenzen im Irrtum gewesen zu sein.

Er räumt damit selber und ausdrücklich ein, mit der Abgabe der Willenserklärung die rechtliche Auseinandersetzung mit dem Beklagten habe beenden zu wollen. Dies stellt den irrtumsfreien Inhalt und die unmittelbare Rechtsfolge seiner Willenserklärung dar. Die subjektive Erkenntnis des Klägers, dass er aus verfahrenstaktischen Gründen mit der Nichtabgabe der Willenserklärung möglicherweise besser beraten gewesen wäre, weil eine möglicherweise günstigere Rechtsfolge bei Fortführung des Verfahrens hätte entstehen können, stellt ein Motiv zur Fortführung des Verfahrens dar und berechtigt nach den oben stehenden Erläuterungen nicht zur wirksamen Anfechtung.

Das Bundessozialgericht hat, in Übereinstimmung mit den geschilderten Grundlagen, ausdrücklich ausgeführt, dass eine spätere und nur eventuell eintretende Rechtsfolge für eine wirksame Anfechtung nicht genüge. Es handele sich insoweit um einen Irrtum über die Rechtslage, der unbeachtlich sei (Urteil vom 16.09.1998, B 11 AL 17/98 R m.w.N.).

Es liegt im Übrigen auch keine arglistige Täuschung durch den Beklagten vor.

Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist, kann die Erklärung nach § 123 Abs. 1 BGB ohne weiteres anfechten. Für das Vorliegen einer Täuschungshandlung in diesem Sinne ist die Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums durch Vorspiegelung falscher oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen erforderlich. Hierdurch muss ein Irrtum des Erklärenden hervorgerufen und dadurch sein Entschluss zur Willenserklärung beeinflusst worden sein, wobei es ausreicht, wenn die Täuschungshandlung eine von mehreren Ursachen für die Beeinflussung der Entschließung war BeckOK BGB/Wendtland BGB § 123 Rn. 7 m.w.N.).

Hierbei kann als wahr unterstellt werden, was der Kläger in der Sitzung 29.04.2015 ausführte, nämlich, dass der Vorsitzende des Beklagten ihm seinerzeit in der Sitzung des Vergleichsabschlusses mitgeteilt habe, er würde ohne Vergleich mit einer höheren Honorarkürzung zu rechnen habe. Es lässt sich nämlich keinerlei Feststellung darüber treffen, ob diese Aussage, bei der es sich im Übrigen erkennbar um eine prognostische Einschätzung des Vorsitzenden handelte, falsch war oder nicht. Dem beklagten Gremium kommt nach allgemeiner Auffassung besonders weiter Beurteilungsspielraum bei der Festsetzung von Regressbeträgen zu (vgl. statt vieler: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 28.11.2007, L 6/7 KA 624/03). Dass die Kassenärztliche Vereinigung Hessen, also die Beigeladene zu 1), eine andere Prognose der zu erwartenden Regresssumme getroffen hat, wie der Kläger mitteilte, steht ihr frei, ist aber allenfalls als Meinungsäußerung dieser Körperschaft zu werten.

Auch der weitere Vortrag hinsichtlich der Einbeziehung des Rechtsanwalts D. in das Verwaltungsverfahren ändert an diesem Ergebnis nichts.

Dies gilt zunächst für seine Teilnahme an der Sitzung. Es kommt dabei vorliegend nicht auf die Frage an, inwieweit das als Vollmacht bezeichnete Schreiben vom 27.02.2012 dem Juristen eine Vertretungsmacht für den Kläger einräumt. Letztgenannter selbst hat nämlich entweder die entsprechende Willenserklärung abgegeben oder muss sich die Abgabe der Willenserklärung durch den Rechtsanwalt in seinem Namen zurechnen lassen.

Wie aus dem Protokoll der Sitzung nämlich ersichtlich ist, brachte sich der Kläger selbst in die Diskussion ein. Der Vorsitzende las im Verlauf der Sitzung die einvernehmliche Regelung vor und diese wurde entweder, was aus dem Protokoll nicht hervorgeht, vom Kläger, vom Rechtsanwalt oder von beiden genehmigt.

Weitere Ermittlungen in dieser Hinsicht waren aber nicht erforderlich.

Denn falls der Kläger selbst die Genehmigung entäußerte kommt der Anwesenheit des Rechtsanwalts im Hinblick auf die Abgabe der Willenserklärung keine weitergehende rechtliche Bedeutung zu, ohne dass dies näherer Erläuterungen bedürfte.

Falls hingegen der Rechtsanwalt in Anwesenheit des Klägers allein die Genehmigung äußerte, liegt entweder ein Fall der unmittelbaren Bevollmächtigung durch das Schreiben 27.02.2012 oder ein Fall der konkludenten Bevollmächtigung durch das Schreiben in Verbindung mit dem Erscheinen, gemeinsam mit dem Rechtsanwalt in der Sitzung, oder ein Fall der Duldungsvollmacht vor. In allen drei Fällen erfolgte die Abgabe der Willenserklärung im Namen des Klägers.

Es entspricht nach zivilrechtlichen Grundsätzen, die hier Anwendung finden (vgl. etwa OVG Münster, Beschluss vom 09.07.2003, 18 B 2172/02), der allgemeinen Auffassung, dass Willenserklärungen von vermeintlichen Bevollmächtigten ohne tatsächliche Vertretungsbefugnis den scheinbaren Vollmachtgeber rechtlich binden. Es handelt sich um einen Fall der Vertrauenshaftung, die ihre Grundlage in § 242 BGB, also dem Grundsatz von Treu und Glauben, hat (BeckOK BGB/Schäfer BGB § 167 Rn. 14, beck-online). Der hier vorliegende Unterfall der Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene das Auftreten des unbefugten Dritten als Vertreter wissentlich geschehen lässt und der Geschäftsgegner diese Duldung dahin versteht und nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auch dahin werten darf, dass der Handelnde Vollmacht habe (BeckOK BGB/Schäfer BGB § 167 Rn. 15, beck-online, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BGH). Im Gegensatz zu Anscheinsvollmacht, ein weiterer Unterfall, kann schon ein einmalige Gewährenlassen durch den vermeintlichen Vollmachtgeber die Duldungsvollmacht begründen, wenn das Dulden wissentlich geschieht (OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.05.2005, 9 U 73/05, OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.04.2013, I-5 U 127/12).

Gerade dies ist vorliegend der Fall. Denn der Kläger musste anhand des Verlaufs der Sitzung erkennen, dass eine rechtsverbindliche Vereinbarung zwischen ihm und dem Beklagten geschlossen wird und hat diesen Ablauf wissentlich geschehen lassen.

Im Übrigen, ohne dass dies für die vorliegende Ergebnisfindung von Relevanz ist, ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren noch Ausführungen getätigt hatte, die klar zum Ausdruck bringen, dass er selbst einen Vergleich abschließen wollte. In der Anlage des Schreibens vom 21.10.2014 (Bl. 17 des Ergänzungsbandes der Verwaltungsakte), bei dem es sich offensichtlich um eine vom Kläger für den Rechtsanwalt D. vorbereitete Erklärung handelt, die aber nicht dieser, sondern der Kläger selbst unterzeichnete, heißt es: "Dr. A. hat dieser Regresszahlung [ ...] in acht Raten zugestimmt unter der Androhung des BA, dass es anderenfalls teurer wird. Das ist geschehen, ohne [ ...] zu erörtern."

Die Frage der Zustellung an den Rechtsanwalt D., statt an den Kläger, bedarf in dem hier interessierenden rechtlichen Kontext keiner weiteren Erörterung, weil es lediglich auf den rechtlichen Bestand der einvernehmlichen Regelung ankommt. Diese aber kam in der Sitzung zustande, weshalb die sich anschließende Versendung von Schriftstücken keinen Einfluss hierauf hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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