S 10 RJ 100/98

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 10 RJ 100/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die am 00.00.1935 geborene Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Altersrente bereits ab Juli 1995 statt ab 01.08.1997.

Mit Urteil vom 22.06.1994 wies das SG Münster - S 8 (6) J 75/91 - die Klage auf Gewährung von Rente wegen einer Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit ab. Es folgten eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Beklagte. Außerdem meldeten sich die Bild-Zeitung und der Petitionsausschuß des Landtages.

Am 05.08.1997 stellte die Klägerin einen Rentenantrag wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für Versicherte, die als Schwerbehinderte anerkannt sind. Sie fügte ein Angebot des Landesversorgungsamts NRW vom 16.07.1997 aus dem Klageverfahren S 10 Vs 12/96 SG Münster bei, wonach die Feststellung eines GdB von 60 ab Antragstellung (29.05.1995) angeboten wurde. Mit Rentenbescheid vom 22.08.1997 gewährte die Beklagte der Klägerin Altersrente ab 01.08.1997. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie führte aus, im Mai 1995 habe ihr Ehemann die Rentenberatung in C. in Anspruch genommen. Man habe erklärt, eine Antragstellung erübrige sich vor Ablauf des Verfahrens mit dem Versorgungsamt, da eine positive Entscheidung des Versorgungsamts Voraussetzung für einen Rentenbescheid sei. Wegen der falschen Auskunft sei ein Rentenverlust von 2 Jahren und 2 Monaten eingetreten. Man hätte ihm raten müssen, den Rentenantrag vorsorglich im Mai 1995 zu stellen. Zu diesem Vorbringen nahm die Stadt C. unter dem 13.10.1997 Stellung, wonach der Ehemann der Klägerin des öfteren Gespräche mit Versicherungsstellen geführt habe. Über Zeitpunkte und Inhalte würden grundsätzlich keine Nachweise geführt. Er sei öfter auf die LVA-Sprechtage im Rathaus hingewiesen worden. Ob und wann eine solche Beratung in Anspruch genommen worden sei, könne nicht gesagt werden. Namentliche Terminslisten würden erst seit dem 19.12.1995 geführt. Die Beklagte vermerkte, ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch sei nicht gegeben. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.1997 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Sie führte aus, ein Beratungsgespräch im Jahre 1995 sei nicht feststellbar, ein rechtswidriges Verhalten könne nicht erkannt werden.

Am 16.01.1998 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, beim Beratungsgespräch sei der Ehemann aufgefordert worden, einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft zu stellen. Nach der Feststellung könne der Rentenantrag gestellt werden. Der Antrag sei gestellt und mit Bescheid vom 12.07.1995 abgelehnt worden. Der Ehemann sei auf dem Sprechtag im Rathaus gewesen, der ausweislich der Liste am 25.04.1995 statt gefunden habe. Während einer Kur in G. 1995 hätten die Ärzte ihr mitgeteilt, der GdB betrage mindestens 50. Ihr Ehemann habe einem Mitarbeiter der Beklagten den Arztbrief vorgelegt und auf die 50% hingewiesen, um einen Rentenantrag zu stellen. Ihm sei gesagt worden, das sei nicht ausreichend, es bedürfe einer Bestätigung durch das Versorgungsamt. Auf Anforderung des Gerichts hat die Klägerin Er¬klärungen ihres Ehemannes vom 31.03. und 17.04.1998 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Bescheides vom 22.08.1997 in der Fassung des Widerpruchsbescheides vom 19.12.1997 die Beklagte zu verurteilen, ihr bereits ab 01.07.1995 Alters¬rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, es sei keine fehlerhafte Beratung erfolgt, wenn denn überhaupt eine Beratung statt gefunden habe. Ein Verfahren beim Versorgungsamt sei nicht anhängig gewesen. Es wäre nicht angemessen gewesen, ins Blaue hinein zu einem Antrag auf Rente wegen Schwerbehinderung zu raten. Sie legt eine Liste von Sprechtagen in C. vor.

Das Gericht hat die SchwbG-Akten des Versorgungsamts Münster, die Akten S 11 Vs 12/96 SG Münster und die Akten S 8 (6) J 75/91 SG Münster beigezogen. Mit Gerichtsbescheid vom 24.06.1998 hat es die Klage abgewiesen. Es hat einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verneint.Ein Beratungsfehler sei nicht feststellbar. Das Beratungsgespräch könne weder zeitlich noch inhaltlich festgestellt werden. Die Angaben des Ehemannes seien ungenau, widersprüchlich und daher nicht ausreichend verläßlich.

Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG NRW mit Urteil vom 26.10.1998 den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht zurück verwiesen. Es hat ausgeführt, der Zeuge müßte mündlich vernommen werden. Die Beklagte übersendet Erklärungen ihres Regionalleiters für den Regierungsbezirk Münster, I., vom 27.01. und 22.04.1999 sowie eine Auskunft der Stadt C. vom 21.04.1999. Das Gericht hat eine Auskunft des Stadtdirektors der Stadt C. vom 29.09.1999 erhalten. Den Ehemann der Klägerin hat das Gericht als Zeugen vernommen.

Wegen des Beweisergebnisses und zur näheren Darlegung der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitakten, die Rentenakten der Beklagten, Versicherungsnummer: 00 000035 G 000, die SchwbG-Akten des Versorgungsamts Münster
und die Akten des SG Münster - S 8 (6) J 75/91 - und - S 11 Vs 12/96 -, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 22.08.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.12.1997 nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil dieser Verwaltungsakt nicht rechtswidrig ist.

Mit dem Rentenbescheid vom 22.08.1997 hat die Beklagte dem Antrag vom 05.08.1997 gemäß entschieden. Darüber besteht unter den Betei- ligten auch kein Streit.

Die Klägerin hat aber auch gegen die Beklagte auch keinen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als wäre der Rentenantrag bereits im Jahre 1995 gestellt worden. Die Kammer neigt zwar zu der Auffassung, daß die Beklagte verpflichtet ist, einem Versicherten bei Nachfrage mit der Behauptung, ein GdB von mindestens 50 liege vor, sei aber noch nicht vom Versorgungsamt festgestellt, anzuhalten, vorsorglich einen Antrag auf Rente wegen Schwerbehinderung zu stellen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch steht ihr jedoch nicht zu. Eine Verletzung der Auskunfts- oder Beratungspflicht ist nicht festzustellen. Zwar behauptet die Klägerin, im Mai 1995 habe ihr Ehemann von einem Berater der Beklagten die Auskunft erhalten, seine Frau müsse erst beim Versorgungsamt einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehin- derteneigenschaft stellen, erst nach Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft könne sie einen Rentenantrag stellen. Diese Behauptung ist aber nicht bewiesen. Zwar bekundet ihr Ehemann als Zeuge, gleich nach seiner Rückkehr mit seiner Frau aus der Kur am 23.04.1995 habe er die Stadtverwaltung C. aufgesucht, um eine Beratung für seine Frau zu bekommen. Der Bedienstete der Stadtverwaltung habe ihm erklärt, wegen der Kompliziertheit der Sache solle er besser mit einem Bediensteten der Beklagten sprechen. Ein solches Gespräch sei kurz danach erfolgt, und zwar noch vor der Antragstellung beim Versorgungsamt. Ein solches Beratungsgespräch mit einem Bediensteten der Beklagten kann aber in der fraglichen Zeit nicht festgestellt werden. Nach der Auskunft der Stadt C vom 13.10.1997 ist der Ehemann der Klägerin öfter auf die LVA-Sprechtage im Rathaus hingewiesen worden. Ob und wann eine solche Beratung in Anspruch genommen worden ist, kann nicht gesagt werden. Namentliche Terminslisten werden erst seit dem 19.12.1995 geführt. Auch nach der Erklärung des Regionalleiters der Beklagten für den Regierungsbezirk- Münster, I., vom 22.04.1999 haben in der Zeit vom 23.04.1995 bis zum 29.05.1995 keine Beratungsgespräche in C. statt gefunden, weder bei der AOK noch bei der Stadtverwaltung. Dies hat er durch Kopie von reiserechtlichen und Planungsunterlagen bestätigt. Auch die Stadt C. hat in einer von der Beklagten vorgelegten Auskunft vom 21.04.1999 bestätigt, daß der geplante Sprechtag im April 1995 nicht stattgefunden hat. Am 19.04.1995 sei das Wahlbüro für die Öffentlichkeit geöffnet worden, eingerichtet bereits eine Woche vorher. Auf die Einwendung der Klägerin, das Zimmer für die Rentenberatung sei nicht das Zimmer 31 (=Wahlbüro) gewesen, sondern Zimmer 17, hat der Stadtdirektor der Stadt C. unter dem 29.09.1999 klargestellt, dass der Raum 31 als Wahlbüro genutzt worden ist. Ein Ausweichtermin hat für die Beklagte nicht bestanden. Datentechnische Anschlußmöglichkeiten für LVA und BfA haben ausschließlich in Raum 31 zur Verfügung gestanden. Im Raum 17 hat für die Beklagte keine Möglichkeit der Datenabfrage mit ihrer Zentrale bestanden. Erst Anfang 1996 ist das Bürgerzimmer LVA BfA in Raum 17/17a verlegt worden. Diese amtlichen Auskünfte reichen zur Verneinung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bereits aus.

Darüber hinaus sei noch darauf hingewiesen, daß auch die Äußerungen des Ehemannes nicht verläßlich genug sind. Er weiß nicht einmal mehr, ob es sich bei dem/der Bediensteten der Beklagten um einen Mann oder eine Frau gehandelt hat. Außerdem ist der Klägerin vom Kurarzt kein GdB von 50 bescheinigt worden. Eine solche Festlegung ist weder Aufgabe noch Praxis der Kurärzte.

Vielmehr ist dem Kurbericht vom 24.04.1995 die Angabe "GdB 50" lediglich aus der beruflichen Anamnese zu entnehmen, die also auf den eigenen Angaben der Klägerin beruht. Auch sind die Angaben des Ehemannes in seinen schriftlichen Erklärungen wechselhaft. Einerseits gibt er an, den genauen Beratungstag nicht sagen zu können, andererseits legt die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 20.05.1998 den Beratungstag auf den 25.04.1995 fest, an dem aber wie oben bereits ausgeführt, kein Sprechtag stattgefunden hat. Schließlich ist die Aussage des Zeugen auch nicht durch die Vorlage eigener Notizen untermauert. Gerade für einen Beamten, der nach seinen Angaben auf 40 Jahre Polizeidiensttätigkeit zurück blicken kann, der über genügend Erfahrungen mit Tatsachenfeststellungen und Beweisproblemen gesammelt haben dürfte, hätte es nahegelegen, so wichtige Gespräche, wie von ihm angegeben, in Notizen festzuhalten.

Die Kammer hält es für gut möglich, daß sich der Zeuge über seine Gesprächspartner im April/Mai 1995 irrt.

Es kommt somit auch nicht mehr darauf an, daß die Verläßlichkeit der Angaben des Zeugen nicht nur dadurch erheblich begrenzt ist, daß er der Ehemann der Klägerin ist. Er hat auch selbst in beson¬derem Maße ein persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens, weil er selbst stets der Betreiber der Rentenangelegenheiten der Klägerin gewesen ist, noch dazu mit einem Engagement, das er¬heblich über die Grenzen üblicher Rechtsverfolgung hinaus geht, wie sich bereits nach Abschluß des Rentenstreitverfahrens S 8 (6) J 75/91 SG Münster ergibt (Dienstaufsichtsbeschwerde, Bild-Zeitung, Petitionsausschuß).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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